# taz.de -- Juristin über KI in der Polizeiarbeit: „Belanglosigkeiten könne… | |
> Das Hamburger Polizeirecht muss nach der Klage einer taz-Redakteurin | |
> geändert werden. Simone Ruf hält auch den neuen Entwurf für | |
> verfassungswidrig. | |
Bild: Landet sofort in einer Datenbank: abfotografierter Personalausweis | |
taz: [1][Nach Ihrer erfolgreichen Verfassungsklage] hat der Hamburger Senat | |
einen neuen Vorschlag für das Polizeirecht vorgelegt. Der Entwurf schaffe | |
den Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit, findet der Polizeibeauftragte | |
des Bundestages, Uli Grötsch (SPD). Sehen Sie das auch so? | |
Simone Ruf: Die Regelung zur automatischen Datenauswertung durch die | |
Polizei geht zulasten der Freiheit und zugunsten einer vermeintlichen | |
Sicherheit. Dabei ist gar nicht erwiesen, welchen Mehrwert die | |
Datenanalysesysteme der Polizei haben. Es gibt immer nur Anekdoten dazu, | |
dass mit der Software in bestimmten Bundesländern Täter gefasst oder Taten | |
verhindert wurden. Und über die Fehlerquote wissen wir nichts. | |
taz: Um was für eine Software handelt es sich? | |
Ruf: In [2][einigen Bundesländern wird die US-amerikanische Software | |
Palantir] verwendet. Damit können verschiedene polizeiliche Datenbanken | |
zusammengeführt und analysiert werden. Der Hersteller wirbt damit, dass es | |
sich um eine Anwendung mit künstlicher Intelligenz handelt. Damit werden | |
sehr viele Verknüpfungen zwischen den vorhandenen Daten hergestellt. | |
taz: Ist das nicht sinnvoll? Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde | |
ja etwa bemängelt, dass die eine Polizeibehörde nicht wusste, was die | |
andere tat. | |
Ruf: Grundsätzlich sollte der Informationsaustausch zwischen den Behörden | |
gewährleistet sein. Aber wie oft hilft die Software gerade nicht weiter | |
oder führt zu einem falschen Ergebnis? Zugleich gehen damit massive | |
Grundrechtseingriffe einher, insbesondere ein großes Risiko, dass | |
Personen, die noch nie einen Anlass zu polizeilichen Maßnahmen gegeben | |
haben, ins Visier geraten. Die Polizei hat durch ihre | |
Vorgangsverwaltungssysteme von fast allen Menschen Daten. Dort landet man | |
auch, wenn man einen Verkehrsunfall hatte oder das Fahrrad geklaut wurde | |
und man das angezeigt hat. Wenn diese Einträge mit anderen Daten verknüpft | |
werden und per Software nach Mustern gesucht wird, kann man schnell selbst | |
ins Visier geraten. Dann können schon belanglose Merkmale ausreichen, um | |
verdächtigt zu werden. Denn wie die KI zu ihren Einschätzungen kommt, ist | |
letztlich eine Blackbox und kann am Ende von Beamt*innen nicht | |
nachvollzogen werden. | |
taz: Sollte es so eine automatische Datenanalyse gar nicht geben? | |
Ruf: Aus einer politischen Perspektive würde ich sagen, sie sollten nicht | |
eingesetzt werden, solange nicht wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie | |
wirklich einen Nutzen haben. Aus einer rechtlichen Perspektive hat das | |
Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass solche Befugnisse geschaffen | |
werden können, aber unter ganz strengen Voraussetzungen. | |
taz: Was gehört zu diesen Voraussetzungen? | |
Ruf: Unter anderem der Grundsatz der Zweckbindung. Für einen bestimmten | |
aktuellen Zweck dürfen nur Daten zusammengeführt und analysiert werden, die | |
man auch für diesen Zweck hätte erheben dürfen. Daten aus schwerwiegenden | |
Grundrechtseingriffen dürfen nicht verwendet werden, um lapidare Gefahren | |
abzuwehren, weil man sie dafür nicht hätte erheben dürfen. Das muss | |
technisch-organisatorisch abgesichert werden. Der Hamburger Gesetzgeber | |
sieht das zwar vor, aber ohne eine ausreichende Anleitung für die | |
Verwaltung, die das umsetzen muss. Das wäre aber zwingend, weil es um | |
Grundrechtseingriffe geht. | |
taz: Wie muss man sich so eine technische Absicherung vorstellen? | |
Ruf: Das System muss erkennen, welchen Zwecken Daten zugeordnet sind, und | |
je nachdem, um was für eine Art von Ermittlung es sich handelt, erhält der | |
einzelne Polizist einen mehr oder weniger umfangreichen Zugriff. Ein | |
Problem ist, dass dabei auch auf die erwähnten Vorgangsdaten zugegriffen | |
werden soll. Zwar sollen nach der Neuregelung die Vorgangsdaten | |
Unbeteiligter ausgesondert werden. Allerdings kann bei den Vorgangsdaten | |
nicht zwischen Beteiligten und Unbeteiligten unterschieden werden. Sie sind | |
ein Hilfsmittel zur internen Verwaltung, bei dem nicht festgelegt ist, wie | |
Personen einzuordnen sind. Deswegen bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, | |
die Vorgangsdaten insgesamt nicht einzubeziehen. | |
taz: Wenn man die Vorgänge rausnimmt: Was bleibt denn dann noch übrig? | |
Ruf: Die ganzen anderen Datenbanken. In dem Gesetzentwurf sind ganz | |
verschiedene Datenbestände aufgezählt: Falldaten, Auskunftssysteme, Daten | |
aus der Telekommunikationsüberwachung, Daten aus Asservaten, also zum | |
Beispiel aus USB-Sticks. Das Vorgangsdatensystem ist nur ein Teil der | |
polizeilichen Arbeit, aber neben den Verkehrsdaten eines, in dem sehr viele | |
Daten von Unbeteiligten stecken. | |
taz: Wer stellt sicher, dass sich die Polizei an die Regeln hält? | |
Ruf: Es wäre wichtig, eine datenschutzrechtliche Aufsicht zur Pflicht zu | |
machen. Der Datenschutz kompensiert, was Betroffene nicht an individuellem | |
Rechtsschutz haben. Die bekommen es im Zweifel gar nicht mit, ob sie | |
analysiert werden. Bei anderen polizeilichen Maßnahmen [3][ist der | |
Hamburgische Datenschutzbeauftragte verpflichtet], mindestens alle zwei | |
Jahre zu kontrollieren. Bei der Datenanalyse ist das bisher nicht | |
vorgesehen. Die Kontrolle wäre viel effektiver, wenn daraus eine Pflicht | |
würde. | |
taz: Was ist gut an dem Gesetzentwurf? | |
Ruf: Es ist gut, dass die Eingriffsschwellen etwas höher gesetzt wurden. | |
Vorher war das sehr offen formuliert. Man wusste gar nicht, wie viele oder | |
eher wie wenige Anhaltspunkte die Polizei eigentlich braucht, um | |
automatisiert Daten analysieren zu dürfen. Die Eingriffsschwelle ist jetzt | |
immer noch zu niedrig, aber immerhin klarer. Es ist gut, dass das System | |
nicht an das Internet angebunden ist. Man kann sich vorstellen, dass nicht | |
nur die Daten analysiert werden, die bei der Polizei vorliegen, sondern man | |
das komplette Netz mit hereinnimmt. Das wäre ein extremer Eingriff und | |
verfassungsrechtlich wohl kaum vertretbar. Es ist gut, dass das explizit | |
ausgeschlossen wurde. | |
taz: Aber wenn ich als Polizist ermittle, werde ich doch alle Quellen | |
nutzen … | |
Ruf: Das sind zwei unterschiedliche Sachen: Natürlich recherchiert die | |
Polizei im Internet. Aber das geschieht nicht automatisiert. Ebenfalls | |
positiv ist, dass keine Daten aus Online-Durchsuchung und heimlicher | |
Wohnraumüberwachung dabei sind. Aber auch da hätte man weitergehen können, | |
weil heimliche Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung fast nie | |
stattfinden, und anderes viel öfter: Telekommunikationsüberwachung, | |
Observationen, verdeckte Ermittler. Daten hieraus werden nicht | |
ausgeschlossen. | |
taz: Wenn der Gesetzentwurf so durchgehen sollte: Werden Sie eine erneute | |
Klage unterstützen? | |
Ruf: Wir werden den [4][veränderten Entwurf] ausführlich prüfen und | |
behalten uns vor, ein weiteres Mal zu klagen. In meinen Augen ist der | |
Gesetzentwurf, so wie es jetzt aussieht, nicht verfassungskonform. | |
28 Nov 2024 | |
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[4] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/suche/10_1_22___22.%20Wahlperiode%2… | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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