# taz.de -- Neue EU-Kommission: Das Kabinett der Königin | |
> Ursula von der Leyen hat sich eine rechtsoffene Kommission | |
> zusammengestellt, im Parlament droht ihr keine linke Mehrheit mehr. | |
> Trotzdem steckt die EU fest. | |
Bild: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (l.) umarmt EU-Parlaments… | |
Brüssel taz | Das war knapp. Fast sechs Monate nach der Europawahl, aber | |
gerade noch rechtzeitig vor der Amtseinführung von Donald Trump als | |
US-Präsident im Januar hat sich die Europäische Union eine neue Regierung | |
gegeben. Genauer: eine neue EU-Kommission. Sie wird erneut von der | |
deutschen CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt und besteht aus 27 | |
weitgehend unbekannten Politikern. | |
Getragen wird das Kabinett „von der Leyen II“ [1][von einer großen | |
Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen im | |
Europaparlament]. Auch die Grünen wollen von der Leyen stützen. Nur so | |
lasse sich verhindern, dass die Politik von rechtsradikalen Parteien | |
abhängig wird, erklärte die deutsche Grünen-Politikerin Terry Reintke. | |
Allerdings ist die neue Kommission auch schon so rechtslastig wie nie. | |
Mit dem Italiener Raffaele Fitto wird erstmals ein postfaschistischer | |
Politiker ein hohes Amt in Brüssel bekleiden – noch dazu als | |
geschäftsführender Vizepräsident. Der von der rechten italienischen | |
Regierungschefin Giorgia Meloni nominierte Fitto soll sich um die | |
milliardenschweren Regionalfonds kümmern und Reformen anstoßen. | |
Neu ist auch, dass Grüne und Linke gar nicht, Sozialdemokraten und Liberale | |
nur schwach in der Kommission vertreten sind. Die meisten Kommissare, 14 an | |
der Zahl, kommen aus der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), in | |
der die deutschen Christdemokraten den Ton angeben. EVP-Chef Manfred Weber, | |
ein CSU-Politiker, gilt denn auch als Strippenzieher der neuen | |
EU-Regierung. Manch einer hält ihn sogar für mächtiger als von der Leyen. | |
## Christdemokratische Dominanz | |
Dabei ist die frühere Verteidigungsministerin auf dem Höhepunkt ihrer | |
Macht. Bei der Europawahl im Juni hatte die [2][„Queen of Europe“] – so i… | |
Spitzname in Brüssel – keine ernsthaften Konkurrenten. Ehemals mächtige | |
EU-Kommissare wie Frans Timmermans hat sie hinausgeworfen. Die neue | |
Kommission ist von Kopf bis Fuß auf von der Leyen eingestellt. Nach dem | |
Prinzip „Teile und herrsche“ hat von der Leyen die alten Ressorts neu | |
aufgeteilt und so zugeschnitten, dass sie sich überschneiden. Künftig gibt | |
es nicht mehr einen Klimakommissar, sondern gleich drei – das letzte Wort | |
hat die deutsche Chefin. Ähnlich läuft es in der Wirtschafts- und in der | |
Digitalpolitik. Den Durchblick dürfte nur noch ihr Kabinettschef Björn | |
Seibert haben. | |
Zusammen mit von der Leyen und Manfred Weber bildet Seibert ein deutsches | |
Führungstrio. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz, wie viele in Brüssel erwarten, | |
im Frühjahr zum Bundeskanzler gewählt würde, wäre die christdemokratische | |
Dominanz in Brüssel perfekt. Im Europäischen Rat – der Runde der Staats- | |
und Regierungschefs – gibt es mit dem portugiesischen Sozialisten António | |
Costa noch ein Gegengewicht. | |
Costa tritt sein Amt am 1. Dezember an. Er löst den bisherigen liberalen | |
Ratspräsidenten Charles Michel aus Belgien ab. Michel hat sich oft mit von | |
der Leyen angelegt und meist den Kürzeren gezogen. António Costa will | |
bescheidener auftreten und sich vor allem um Kompromisse bemühen. Eine | |
echtes Korrektiv zur „Queen“ von der Leyen ist von ihm nicht zu erwarten. | |
Schon jetzt gebe es in der EU keine echte Opposition mehr, kritisiert der | |
italienische Europarechtler Alberto Alemanno. Früher reichten zwei | |
Parteien – Konservative und Sozialdemokraten –, um die Kommission zu | |
stützen. Die anderen waren eine meist konstruktive Opposition. Heute bilden | |
alle etablierten Parteien einen Regierungsblock. Wer nicht hinter von der | |
Leyen und ihrer Politik steht – Linke, Rechte, Unabhängige, BSW –, wird | |
ausgegrenzt. | |
## Keine linke Mehrheit mehr | |
Eine alternative linke Mehrheit wie in den vergangenen fünf Jahren gibt es | |
auch nicht mehr. Falls sich die etablierten Parteien mal nicht einigen, | |
wäre hingegen eine rechte Mehrheit drin. EVP-Chef Weber scheint diese sogar | |
aktiv anzustreben. Wenn es nach ihm geht, soll auch die von Meloni | |
dominierte rechtskonservative EKR-Fraktion gelegentlich bei der Schaffung | |
von Mehrheiten aushelfen. | |
Wie das aussehen kann, hat sich Anfang Oktober bei der [3][EU-Verordnung | |
gegen die Entwaldung] gezeigt. Das neue Gesetz wurde mit Hilfe von Rechten | |
und einigen AfD-Stimmen aufgeschoben und aufgeweicht. Werden die | |
„entwaldungsfreien Lieferketten“ zur Blaupause für einen neuen | |
Regierungsstil – im Zweifel mit den Rechten? Das ist eine der vielen | |
Fragen, die den Start der neuen Kommission überschatten. | |
Eine andere Frage ist, was aus dem Programm für die nächsten fünf Jahre | |
wird. Bei der Europawahl hatten CDU/CSU versprochen, mehr für die | |
Wettbewerbsfähigkeit zu tun und härter gegen irreguläre Migration | |
vorzugehen. Ein halbes Jahr später beherrschen jedoch ganz andere Themen | |
die Agenda. Die deutsche Wirtschaft schmiert ab, der Krieg in der Ukraine | |
eskaliert, die Klimakrise spitzt sich zu – und dann ist da auch noch Trump. | |
Doch bei der Vorstellung ihrer neuen Kommission in Straßburg ging von der | |
Leyen mit keinem Wort auf den künftigen US-Präsidenten und dessen Drohungen | |
ein. Strafzölle auf deutsche Autos, Rückzug aus der Ukraine, Handelskrieg | |
gegen Kanada, Mexiko und China? Die neue Weltlage hat es noch nicht auf die | |
EU-Agenda geschafft. Viele Pläne aus Brüssel klingen so, als würde Joe | |
Biden weitermachen und als sei Trump nur ein böser Traum. | |
## In der Warteschleife | |
Hinter verschlossenen Türen bereiten sich die EU-Politiker zwar bereits auf | |
Trump 2.0 vor. Doch die Kommission von der Leyen 2.0 wirkt aus der Zeit | |
gefallen. Einen Start-up-Kommissar wird es geben, um den Wohnungsbau will | |
sie sich kümmern. Neu ist auch, dass erstmals ein Kommissar für | |
Verteidigung zuständig ist. Doch was der Litauer Andrius Kubilius machen | |
kann, bleibt unklar. Rüstung und Verteidigung sind nationale Kompetenzen. | |
„Wir werden sofort mit der Arbeit beginnen“, kündigte Ursula von der Leyen | |
an. De facto wird die neue EU-Regierung aber wohl erst im Januar loslegen | |
– wenn Trump vereidigt ist. Voll handlungsfähig könnte sie sogar erst im | |
Frühjahr werden, wenn die nächste Bundesregierung steht. Denn ohne | |
Deutschland, das größte EU-Land, geht in Brüssel gar nichts. | |
Fast sechs Monate nach der Europawahl steckt die EU immer noch in der | |
Warteschleife. Die neue Kommission dürfte daran so schnell nichts ändern. | |
29 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Abstimmung-zur-EU-Kommission/!6048440 | |
[2] /Ursula-Von-der-Leyen-bei-der-Europawahl/!5996956 | |
[3] /EU-Gesetz-gegen-Abholzung/!6040572 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Ursula von der Leyen | |
EU-Kommission | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Roberta Metsola | |
GNS | |
EU-Kommission | |
EU-Kommission | |
EU-Kommission | |
Grüne Europa | |
Manfred Weber | |
EU-Kommission | |
Europäische Kommission | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ferngesteuerte EU-Kommission: Ursula im hannoverschen Homeoffice | |
Die Präsidentin der EU-Kommission führt die Geschäfte krankheitsbedingt von | |
Hannover aus. Regeln für eine Vertretung gibt es nicht. Das hat Gründe. | |
EU-Außenministertreffen: Brüssel setzt auf Ohnmacht | |
EU-Außenbeauftragte Kallas steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie muss | |
versuchen, einen gemeinsamen Umgang der Mitgliedsstaaten zu Syrien zu | |
finden | |
Nach Sturz des Assad-Regimes: Brüssel will nicht handeln | |
Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien finden die EU-Mitgliedsstaaten | |
keine gemeinsame außenpolitische Linie. Im EU-Parlament führt dies zu | |
Unmut. | |
Kongress Eupäischer Grüner in Irland: Europas Grüne lecken ihre Wunden | |
Europas Grüne mussten bei den EU-Wahlen eine herbe Niederlage einstecken. | |
Jetzt suchen sie nach neuen Ansätzen gegen Klimakrise und Rechtsruck. | |
EU-Kommission kann Arbeit aufnehmen: Parlament bestätigt von der Leyens umstri… | |
370 Ja-Stimmen, 282 Gegenstimmen und 36 Enthaltungen – die neue | |
EU-Kommission kann zum 1. Dezember starten. Zuvor hatte es Streitigkeiten | |
um Posten gegeben. | |
Abstimmung zur EU-Kommission: Die Leyentruppe steht | |
Es soll eine Mehrheit für die EU-Kommission geben. Die Grünen wollen trotz | |
ihrer Kritik an dem künftigen Vizepräsidenten zustimmen. | |
Koalition in der EU-Kommission: Showdown im Europaparlament | |
Am letzten Tag der Anhörungen der neuen EU-Kommission droht ein massiver | |
parteipolitischer Streit zwischen Sozialdemokraten und Konservativen. |