| # taz.de -- Reaktionen aus der Ukraine nach US-Wahl: Ende der Solidarität? | |
| > Mit Donald Trump im Weißen Haus bröckelt die Unterstützung der Ukraine. | |
| > Auch in Europa gibt es Zweifel. Aufgeben kommt für das Land nicht | |
| > infrage. | |
| Bild: In Kyjiw befürchten viele, dass die USA sie künftig hängen lassen | |
| Trump oder Harris? Monatelang schwebte diese Frage über nahezu jeder | |
| Aussage zur Ukraine-Hilfe in Deutschland, in Europa, beim Nato-Gipfel, beim | |
| G7-Treffen, bei Arbeitstreffen der Staats- und Regierungschefs der Welt. | |
| Nun ist die Entscheidung da und bevor die US-Administration unter Trump ins | |
| Amt kommt, werden hektisch Vorkehrungen getroffen. Man sei vorbereitet, | |
| heißt es auf EU-Ebene [1][und in Deutschland]. Und doch bleibt der | |
| Republikaner der große Unbekannte, der Unberechenbare, der mit scharfen, | |
| aber kryptischen Aussagen im Wahlkampf für mehr als Wirbel sorgte. | |
| Angeblich innerhalb von 24 Stunden will Trump den russischen Invasionskrieg | |
| in der Ukraine beenden. Wie und zu welchem Preis – dazu lieferte er bisher | |
| keine Details. In der Logik Trumps kommt nur ein Deal infrage, um den | |
| russischen Präsidenten Wladimir Putin und den ukrainischen Präsidenten | |
| Wolodymyr Selenskyj an den Verhandlungstisch zu zwingen. | |
| Auch einen Austritt der USA aus der Nato ventilierte Trump mehr als einmal. | |
| Einfach so den Beistandspakt aufkündigen? Erst im Juli feierte das | |
| Militärbündnis seinen 75. Geburtstag in Washington. Der noch amtierende | |
| US-Präsident Joe Biden – [2][ein Transatlantiker alter Schule] – wurde | |
| nicht müde, auf die gemeinsamen Verpflichtungen und Errungenschaften für | |
| eine im Nato-Sinne friedliche Welt zu werben. Klar ist, dass die | |
| Milliardenhilfen für die Ukraine [3][deutlich zurückgefahren werden]. | |
| In einer Trump’schen Welt, in der „America first“ das Credo ist, werden d… | |
| Prioritäten wohl nicht zugunsten eines Landes gesetzt, das tausende | |
| Kilometer entfernt im Krieg gegen Russland für Freiheit, Demokratie und | |
| Souveränität kämpft. | |
| ## Deutschland taumelt in die Regierungskrise | |
| Nun ist Biden also Geschichte und Trump derjenige, der die Geschicke des | |
| größten Waffenlieferanten an die Ukraine künftig lenken wird. Und auch der | |
| wichtigste Unterstützer in Europa, Deutschland, taumelt durch eine schwere | |
| Regierungskrise. Die Ampel, die Milliarden freigeschaufelt hat für Waffen, | |
| für Winterhilfe, für den Wiederaufbau der Infrastruktur im Kriegsland, ist | |
| am Ende. Bis zum Machtwechsel droht eine monatelange Hängepartie. | |
| Die Ukraine steuert auf den dritten Kriegswinter zu. Nahezu täglich werden | |
| Geländegewinne der russischen Armee gemeldet, Drohnenangriffe auf die | |
| Hauptstadt Kyjiw und auf den Osten der Ukraine haben in den vergangenen | |
| Tagen zugenommen. Immer wieder wird auf Wohngebäude gezielt, die | |
| Zivilbevölkerung attackiert. Das militärische Ungleichgewicht zwischen | |
| Russland und der Ukraine ist sichtbar – und die Zeit läuft, um | |
| gegenzuhalten. Mit Waffen und mit Geld. | |
| ## Ungute Erinnerungen | |
| Wenig überraschend reagierten Ukrainer:innen fast panisch nach dem | |
| Wahlsieg Trumps. Ungute Erinnerungen kommen wieder hoch: Im vergangenen | |
| Winter blockierten die Republikaner im US-Senat sechs Monate lang | |
| Milliardenhilfen für die Ukraine. Während dieser Zeit erlitt die Ukraine | |
| schwere Verluste an der Front. Zu wenig Munition und die Unfähigkeit, die | |
| russischen Truppen aufzuhalten, führten zum Durchbruch der | |
| Verteidigungslinie und zum Verlust zahlreicher Dörfer. Bis heute hat sich | |
| die ukrainische Armee von dieser Niederlage nicht erholt. | |
| Kommt erneut kein Nachschub, sieht die Lage düster aus. Donald Trump hat | |
| während seines Wahlkampfs die weitere Unterstützung der Ukraine durch die | |
| USA grundsätzlich infrage gestellt. Drei Jahre dauert der Krieg bereits, | |
| ein Ende ist nicht in Sicht. Für Trump muss ein Waffenstillstand her. In | |
| seiner Deutung auch mit territorialen Zugeständnissen. Für die | |
| Ukrainer:innen ist ein solcher „Friedensplan“ völlig inakzeptabel und | |
| wird als erzwungene Kapitulation empfunden. | |
| Gleichzeitig gibt es in der Ukraine Stimmen, die sich vorsichtig | |
| optimistisch über die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten äußern. Der | |
| Grund: Das strategische Versagen der Biden-Regierung hat in eine Sackgasse | |
| geführt. Versprochene Waffenlieferungen verzögerten sich, | |
| Langstreckenraketen wurden nicht bereitgestellt. Zudem gibt es nach wie vor | |
| keine Freigabe für die Ukraine, auch russisches Territorium anzugreifen. | |
| Das hat dazu geführt, dass die Hilfe für die Ukraine zwar ausreicht, um den | |
| russischen Vormarsch zu verlangsamen, aber nicht, um den Krieg zu beenden. | |
| Oder gar den Kreml zu Verhandlungen auf Augenhöhe zu bewegen. | |
| Mykola Beleskow, Militäranalyst bei der Stiftung „Come Back Alive“, | |
| fordert, dass jetzt eine neue Strategie notwendig ist: „Etwas radikal | |
| Neues, denn wir durchlaufen jetzt eine Phase, in der wir sehr hart nach | |
| vorn gehen müssen, um wenigstens an Ort und Stelle zu bleiben.“ | |
| Offenbar sieht das Präsidialamt der Ukraine die Situation ähnlich. | |
| Präsident Selenskyj war nicht nur einer der Ersten, der Trump zu seinem | |
| Wahlsieg gratulierte, noch bevor die offiziellen Ergebnisse bekannt gegeben | |
| wurden, sondern er ging sofort in die diplomatische Offensive. „Ich schätze | |
| Präsident Trumps Engagement für den Ansatz ‚Frieden durch Stärke‘ in | |
| globalen Angelegenheiten sehr“, so Selenskyj in seinem | |
| Glückwunschschreiben. Er setzt auf einen gerechten Frieden und hofft, | |
| diesen mit Trump umzusetzen zu können. Aber: „Wir erwarten, dass die | |
| Ukraine weiterhin starke parteiübergreifende Unterstützung erhält.“ | |
| ## Orbán gilt als Putin-Freund und Trump-Fan | |
| Die Ukraine ist sich der Abhängigkeit von den USA bewusst. Selenskyj und | |
| sein Team haben sich also entsprechend auf ein Szenario Trump vorbereitet. | |
| Trumps Unberechenbarkeit in der Außenpolitik, seine Entscheidungen, die auf | |
| Emotionen und Sympathien beruhen, sein gewinnorientiertes Geschäftsgebaren | |
| kennt Selenskyj. Er wird vermutlich versuchen, seine Methoden und Rhetorik | |
| an Trump anzupassen. Die Rhetorik eines Opferlands, das um Hilfe bittet, | |
| könnte sich in die Rhetorik eines starken Landes verwandeln, das den | |
| Frieden in Europa verteidigt. Stärke statt Schwäche – auch das ein Ansatz | |
| für den Dealmaker Trump. | |
| Um Trumps wirtschaftliches Interesse an der Unterstützung der Ukraine zu | |
| wecken, wird Selenskyj die Attraktivität von Aufträgen für die | |
| US-Rüstungsindustrie klarmachen. Ein weiteres Argument dürfte die Rolle | |
| Chinas an der Seite Russlands im Krieg gegen die Ukraine sein. Eine | |
| Konfrontation mit China, die Teil von Trumps Außenpolitik ist, könnte | |
| Spielraum für die Ukraine schaffen. | |
| „Mit Trump haben wir mehr Risiken, aber auch mehr Möglichkeiten und | |
| Chancen. Es ist ein Balanceakt, der einem Ritt auf der Rasierklinge | |
| gleicht. Aber wenn es eine solche Chance gibt, muss man sie nutzen“, | |
| kommentiert der ehemalige ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin die Lage. | |
| Die Drohkulisse Trumps schlägt auch in Europa voll ein. Bei einem Treffen | |
| der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Budapest war Trump so | |
| etwas wie der Elefant im Raum. Die Runde besteht aus den 27 EU-Staaten und | |
| 20 weiteren Ländern, darunter Großbritannien, die Türkei, Albanien, | |
| Georgien – und auch die Ukraine ist mit dabei. Selenskyj sprach von | |
| [4][„selbstmörderischen“ Optionen für Europa], wenn es zu einem Deal mit | |
| Russland kommt. | |
| Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, Gastgeber des Treffens, nutzte | |
| die Gelegenheit, um Zweifel zu säen – und das auf offener Bühne. Orbán gilt | |
| als Putin-Freund und [5][Trump-Fan]. Unvergessen ist seine Ankündigung, bei | |
| einem Wahlsieg Trumps ein paar Champagnerflaschen zu spendieren. Ob es | |
| tatsächlich dazu kam, ist nicht belegt. Aus seiner Freude über Trump im | |
| Weißen Haus machte Orbán auch ohne Champagner keinen Hehl. | |
| ## Europa soll Verantwortung übernehmen – und ist sich uneins | |
| Es wird also um Geschlossenheit gerungen in Europa, um [6][eine gemeinsame | |
| Strategie], darum, wie eine Zusammenarbeit mit einer US-Administration | |
| Trump aussehen kann. Orbán, dessen Land noch bis Ende des Jahres die | |
| EU-Ratspräsidentschaft innehat, sprach bei einem Treffen der EU-Staaten im | |
| Anschluss an den EPG-Gipfel das aus, was Europa tatsächlich enorm unter | |
| Druck setzen wird: die Finanzierung der Ukraine-Hilfen. „Europa kann diesen | |
| Krieg nicht allein finanzieren“, macht Orbán klar. | |
| In angespannten Haushaltslagen in etlichen EU-Staaten treffen solche | |
| Aussagen einen empfindlichen Nerv. Wahr ist aber auch, dass nicht nur | |
| Trump, sondern auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala | |
| Harris mehrfach gesagt hatten, dass Europa bei den Verteidigungsausgaben | |
| deutlich zulegen muss. Nato-Generalsekretär Mark Rutte sprach bei einem | |
| Treffen mit Kanzler Scholz – vor dem Ampel-Bruch – dazu Klartext. | |
| Derzeit erfüllt Deutschland das Nato-Ziel für Rüstungsausgaben mit rund 2,1 | |
| Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rutte forderte Berlin auf, nicht | |
| nachzulassen. | |
| Europa soll also mehr Verantwortung tragen – und ist sich nicht einig. | |
| Nervosität kommt wenig überraschend vor allem in den baltischen Staaten und | |
| Polen auf. Spätestens seit Beginn der russischen Invasion 2022 ist die | |
| Bedrohungslage für diese Staaten allein aufgrund der geografischen Nähe | |
| deutlich höher. Die Spaltung ist längst da, die Folgen noch schwer | |
| absehbar. | |
| „As long as it takes“ – mit diesem Credo hatte Joe Biden seit 2022 die | |
| Ukraine-Hilfen vorangetrieben. Ein Satz, der im Jahr 2025 so nicht mehr | |
| gelten wird. Als eine seiner letzten Amtshandlungen vor dem Machtwechsel im | |
| Weißen Haus will Biden der Ukraine ein Finanzpaket in Höhe von 6 Milliarden | |
| US-Dollar übergeben. Es könnte das letzte sein, bevor die Hilfe auf | |
| unbestimmte Zeit unterbrochen wird. Das ukrainische Militär bleibt | |
| hingegen entschlossen: „Wir werden unser Land weiter verteidigen – mit oder | |
| ohne Amerika“. | |
| 9 Nov 2024 | |
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