| # taz.de -- Russischer Angriff auf die Ukraine: Tausend Tage Krieg | |
| > Russland will die Ukraine nach wie vor vernichten. Je mehr die | |
| > Unterstützung des Westens schrumpft, desto geringer wird Putins Grund zu | |
| > verhandeln. | |
| Bild: Versuchen die Stellung zu halten: Ukrainische Soldaten bei Charkiw | |
| Seit tausend Tagen, also seit zwei Jahren und neun Monaten, sterben in der | |
| Ukraine jeden Tag Menschen durch russische Angriffe. An manchen Tagen sind | |
| es wenige, an anderen Tagen Dutzende auf einmal. Ohne Unterschied Männer, | |
| Frauen, Kinder, Russischsprachige, Ukrainischsprachige, Junge, Alte. | |
| Zivilisten, Soldaten. Die genaue Zahl der Opfer ist schwer zu ermitteln, | |
| aber zusammen mit dem Militär könnten es bislang Zehntausende Ukrainerinnen | |
| und Ukrainer sein. | |
| In diesen eintausend Tagen ist es Russland gelungen, 20 Prozent des | |
| ukrainischen Territoriums unter seine Kontrolle zu bringen und Dutzende | |
| ukrainischer Städte dem Erdboden gleichzumachen. Heute hat jede ukrainische | |
| Familie Verwandte und Freunde, die im Krieg gefallen sind. Millionen | |
| Menschen haben ihre Häuser verlassen, Hunderttausende werden nie mehr | |
| dorthin zurückkehren, weil sie zerstört wurden. Mehr als 1,4 Millionen | |
| Menschen in der Ostukraine haben keinen Zugang zu fließendem Wasser. | |
| Die ganze Welt hat gesehen, wozu russische Soldaten fähig sind: Sie foltern | |
| und vergewaltigen, sie verbrennen Menschen lebendig und [1][schneiden ihnen | |
| Köpfe oder Genitalien ab]. Sie erschießen unbewaffnete Menschen und stechen | |
| ihnen mit einem Schwert ins Herz. Der Abwurf einer Fliegerbombe auf | |
| mehrstöckige Wohnhäuser, in deren Kellern sich Menschen versteckten, wie | |
| das in Borodjanka und Isjum geschah, oder die Auslöschung eines ganzen | |
| Dorfes mit einer einzigen Rakete während einer Beerdigung – auch das | |
| entspricht den Vorstellungen der russischen Armee von den Gesetzen des | |
| Krieges. | |
| Anfangs erschien es, als ob die zivilisierte Welt diese täglichen | |
| Gräueltaten nicht drei Jahre lang mit ansehen könnte und versuchen würde, | |
| den Angriff zu stoppen. Aber nein. Am eintausendsten Tag des genozidalen | |
| Krieges gibt es Länder, die neutral bleiben oder sogar den Kriegstreiber | |
| Wladimir Putin unterstützen. Russland führt den Krieg gegen die Ukraine | |
| nicht allein: Der Iran liefert Drohnen, Nordkorea Raketen und Tausende | |
| Soldaten, China leistet technische Unterstützung. Unter diesen Bedingungen | |
| unterliegt die Ukraine strengen Beschränkungen für den Einsatz von Waffen | |
| westlicher Partner, von denen nur die Hälfte tatsächlich an die Ukraine | |
| geliefert wurde. | |
| ## Genehmigung von ATACMS-Raketen für die Ukraine | |
| Der bald aus dem Amt scheidende US-Präsident Joe Biden genehmigte erst nach | |
| monatelangem Bitten den Einsatz von ATACMS-Raketen auf die russische Region | |
| Kursk als Antwort auf den Kriegseintritt nordkoreanischer Truppen. Der | |
| Westen tut sein Bestes, um eine Eskalation zu vermeiden, indem er jede | |
| Entscheidung hinauszögert. Russland hingegen treibt die Eskalation voran. | |
| Nur will der Westen das nicht unbedingt laut zugeben. | |
| 36 Stunden nach dem [2][Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und | |
| dem russischen Präsidenten Putin] – das erste übrigens seit zwei Jahren – | |
| [3][startete Russland die massivsten Angriffe der vergangenen eintausend | |
| Tage und feuerte 120 Raketen und 90 Drohnen] über der Ukraine ab. Hauptziel | |
| des Angriffs war die Energieinfrastruktur, in dem Moment, als das Land den | |
| ersten Frost erlebte. Der Angriff beschädigte Umspannwerke, von denen die | |
| ukrainischen Atomkraftwerke für ihre externe Stromversorgung abhängen. Nur | |
| zwei der neun in der Ukraine betriebenen Reaktoren können nun 100 Prozent | |
| Strom produzieren. | |
| Wie kommt es, dass die russischen Angriffe nach eintausend Tagen noch | |
| größer sein können als in den ersten Tagen der Invasion? Warum sind die | |
| Sanktionen gegen Putin nicht wirksam genug? Warum bröckelt die | |
| Unterstützung für die Ukraine? Warum gehört es mittlerweile zum Alltag, | |
| dass polnische Kampfflugzeuge in die Luft gehen und russische Drohnen in | |
| Rumänien und Moldau landen? | |
| ## Ende des Krieges auf Kosten der Ukraine? | |
| Putin lacht offen über die Unentschlossenheit und die Angst der westlichen | |
| Länder. Putin ruft niemanden an und sucht keinen Dialog. Warum nicht? Weil | |
| er ihn nicht braucht. Er spürt seine Stärke und die Schwäche derer, die den | |
| Kontakt zu ihm suchen. In eintausend Tagen hat der Westen immer noch nicht | |
| verstanden, dass ein zivilisierter Dialog und diplomatische Ansätze mit | |
| Putin nicht funktionieren. In dieser Zeit haben westliche Politikerinnen | |
| und Politiker nie begriffen, dass ein Anruf im Kreml nur dann Sinn macht, | |
| wenn der eine klare, starke, ernsthafte Botschaft enthält. | |
| Was sieht Putin nach eintausend Tagen seines brutalen Krieges mitten in | |
| Europa? Die USA wollen den Krieg so schnell wie möglich beenden, | |
| höchstwahrscheinlich auf Kosten ukrainischer Interessen – und im Sinne der | |
| Eigenwerbung. Auch Europa will keine größere Verantwortung übernehmen, | |
| nicht einmal auf Kosten der eigenen Sicherheit. Die [4][westliche Welt ist | |
| kriegsmüde,] die Demokratien wollen zu ihrem Wohlstand zurückkehren. Europa | |
| ist nicht im Geringsten auf ein Szenario vorbereitet, in dem Donald Trump | |
| wieder US-Präsident ist und die Verteidigung der westlichen Welt mit auf | |
| seinen Schultern lasten könnte. | |
| Je weniger der Westen die Ukraine unterstützt, desto weniger wird Moskau | |
| einen Grund haben, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Und wenn, dann | |
| nur, um die Kapitulation der Ukraine zu akzeptieren. | |
| Was bedeutet das wiederum für Europa? Vielleicht, dass Russland mit der | |
| Ukraine nur das erste Ziel auf dem Weg zur Errichtung seiner Herrschaft und | |
| militärischen Ordnung in Europa erreicht hat. Wenn die USA unter einem | |
| Präsidenten Trump die Ukraine-Hilfen eindämmen oder ganz daraus aussteigen, | |
| wird Europa in seinem jetzigen Zustand nicht in der Lage sein, sich zu | |
| verteidigen. Das Beispiel der Ukraine sollte die Europäer daran erinnern, | |
| dass Wohlstand und Freiheit nur in Demokratien möglich sind. Und: Freiheit | |
| ist nicht verhandelbar, sie wird keinem Land geschenkt und muss erkämpft | |
| und verteidigt werden. Dafür braucht man Mut und Entschlossenheit. | |
| 19 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anastasia Magasowa | |
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