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# taz.de -- Kandidaturen für Grünen-Vorstand: Das 1000-Teile-Puzzle
> Nach langen Gesprächen steht das Tableau für den Grünen-Vorstand. Der
> linke Flügel bekommt die Geschäftsführung, aber nicht seinen
> Wunschkandidaten.
Bild: Die bisherige Partei-Vize Pegah Edalatian soll Politische Geschäftsführ…
Berlin taz | Es wurde auch Zeit: Mitte November soll der Grünen-Parteitag
einen neuen Vorstand wählen. Wer neben den designierten neuen Vorsitzenden
Franziska Brantner und Felix Banaszak für das sechsköpfige Gremium
kandidiert, war bis Montag aber ungeklärt. In der Partei wuchs die Unruhe.
Der erhoffte Neustart drohte zum Fehlstart zu werden, noch bevor es richtig
losgeht. Jetzt haben die Spitzen-Grünen den Knoten zerschlagen, der
Personalvorschlag steht.
[1][Die bisherige Partei-Vize Pegah Edalatian] soll Politische
Geschäftsführerin werden und damit in etwa die Funktion bekommen, die in
anderen Parteien die Generalsekretär*innen haben.
Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold wird an ihrer Stelle neuer
stellvertretender Vorsitzender. Der zweite Vize, Heiko Knopf, bleibt im
Amt, und die scheidende Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann erhält den
Posten der Schatzmeisterin.
Es ist ein Gesamttableau, das so vorab kaum jemand vor Augen hatte – und
das mit kreativen Kompensationsgeschäften verbunden ist. Nötig wurde es,
weil bei den Grünen komplizierte Quotenregeln herrschen: Laut Satzung
dürfen höchstens drei Männer und zwei Mandatsträger*innen dabei sein.
Nach Möglichkeit sollten auch die Flügel gleichmäßig vertreten und der
Osten repräsentiert sein. Erschwerend kam hinzu, dass sich in der
Personalfrage Realos und Parteilinke über Wochen verhakt hatten.
Ausgangspunkt des Konflikts war [2][eine Konferenz des linken Parteiflügels
Ende September], auf dem Sven Giegold seine Bereitschaft erklärt hatte, als
Geschäftsführer zu kandidieren. Der ehemalige Sprecher der deutschen Grünen
im Europaparlament ist profiliert. Viele Parteilinke hätten ihn gerne in
dem Amt gesehen. Und ihnen, so war es zwischen den Flügeln vereinbart,
stand das Amt zu.
## Komplizierte Personalie
Unter Realos sorgte Giegolds Auftritt aber für Verstimmungen. Sie hatten
erwartet, dass die linken Grünen eine Frau als Kandidatin präsentieren.
Ansonsten hätte der neue Vorstand die Frauenquote verfehlt. Für einen der
eigentlich gesetzten Realo-Vertreter – den bisherigen Vize-Vorsitzenden
Heiko Knopf oder den bisherigen Schatzmeister Frederic Carpenter – wäre
kein Platz mehr gewesen.
Es hat Giegold sicher auch nicht geholfen, dass er zwar als Staatssekretär
im Ministerium von Vizekanzler Robert Habeck arbeitet, ihm aber trotzdem
nicht treu ergeben ist. Er hat einen sehr eigenen Kopf und hatte seine
potenzielle Kandidatur mit kaum jemandem abgesprochen. Aus Realo-Sicht
könnte man sagen: Er ist schwer berechenbar.
Unter Realos gab es von da an die Erwartung, die Linken sollten alternativ
eine Frau für die Geschäftsführung suchen – unter Linken die gegenläufige
Erwartung, die Realos sollten eine Frau für einen ihrer Posten
präsentieren. Je länger dieser Konflikt ungelöst blieb, desto stärker wurde
der Eindruck einer Machtprobe zwischen den Realos Habeck und Brantner auf
der einen Seite und dem Parteilinken Banaszak auf der anderen. Betrachtet
man die Personalentscheidung durch diese Brille, ist Banaszak der
Verlierer.
Es gibt zwar auch Argumente für Pegah Edalatian, die nun statt Giegold
Geschäftsführerin wird. Sie sitzt seit zweieinhalb Jahren im Vorstand,
[3][hat einen ambitionierten Diversitätsprozess aufgesetzt], kennt die
Parteistrukturen und die Abläufe in der Parteizentrale. Trotz des Umbruchs
an der Parteispitze könnte sie also für Kontinuität sorgen. Kaum
vermittelbar wäre es zudem gewesen, wenn nach dem Rückzug des scheidenden
Parteichefs Omid Nouripour nur noch Weiße für den Vorstand kandidieren.
Edalatians Familie stammt wie Nouripour aus dem Iran.
## Mehr Standing bei Giegold
Allein schon biografisch hat die 43-Jährige aber weniger Standing als
Giegold, der nun zwar auch in den Bundesvorstand soll, aber als
Vize-Vorsitzender formal im Hintergrund steht. Er war Mitbegründer von
Attac, [4][später zwölf Jahre lang einflussreicher Europaabgeordneter] und
ist jetzt eben Teil der Regierung. Sie war vor ihrer Zeit im Bundesvorstand
nur Mitarbeiterin der Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Vergangenes
Jahr verpasste sie einen Listenplatz für die Europawahl. Öffentlich trat
sie bislang wenig in Erscheinung. Alles in allem kann der linke Flügel wohl
auch mit ihr leben, für Enthusiasmus sorgt sie anders als Giegold aber
nicht.
Dazu kommt: Die Realos haben zwar im ersten Schritt einen Abstrich gemacht.
Damit Giegold zumindest als Stellvertreter in den Vorstand passt, ziehen
sie einen ihrer Männer zurück – den Schatzmeister Carpenter. Für die
Neubesetzung dieses Postens haben sie sich mit der scheidenden
Bundestagsabgeordneten Manuela Rottmann aber für eine ungewöhnlich starke
Persönlichkeit entschieden. Rottmann, die 2023 erfolglos als
Oberbürgermeisterin in Frankfurt am Main kandidierte, ist ambitioniert. Sie
mischt in Strategiedebatten gerne mit und wird sich auch als
Schatzmeisterin kaum darauf beschränken, Mitgliedsbeiträge in
Excel-Tabellen einzutragen.
Wohlwollend könnte man sagen: Da kommen starke Leute in den Vorstand.
Weniger wohlwollend könnte man aber auch sagen: Da droht ein Pulverfass. So
wie Giegold auf der einen Seite, wird Rottmann auf der anderen als
polarisierend wahrgenommen – zuletzt etwa wegen Anträgen für eine
restriktivere Flüchtlingspolitik, die sie für den Landesparteitag in Bayern
vor zwei Wochen und für den Bundesparteitag im November eingereicht hat.
Dazu kommt, dass an der Spitze auch Brantner und Banaszak erst noch zeigen
müssen, wie stark sie ihre Ämter als Teamplayer interpretieren werden.
Zumal der neue Bundesvorstand nicht nur in sich zusammenfinden muss,
sondern mit Blick auf das kommende Wahljahr auch noch mit weiteren Akteuren
zu tun haben wird. Zuvorderst ist das der designierte Spitzenkandidat
Robert Habeck als starker Mann der Grünen. Daneben wird es aber auch noch
zwei Wahlkampfmanager auf extra geschaffenen Stellen geben.
## Für jeden einen Posten
Zurück geht das auf Überlegungen aus dem Sommer, noch vor dem Rücktritt des
bisherigen Vorstands. An der bisherigen Geschäftsführerin Emily Büning gab
es von Realos schon damals Kritik. Sie setzten den Plan durch, dass nicht
die Geschäftsführerin den Wahlkampf leiten sollten, sondern Franziska
Brantner, die dafür temporär in die Parteizentrale gewechselt wäre.
Als im September Büning zusammen mit den bisherigen ParteichefInnen ihren
Rückzug ankündigte und kurz darauf Brantner ihre Kandidatur für den Vorsitz
erklärte, hätten die Grünen diese Überlegungen eigentlich beerdigen können.
Den Wahlkampf hätten sie wieder bei der Geschäftsführung angliedern können.
Aber dann war da noch Andreas Audretsch. Der Vizechef der
Bundestagsfraktion war kurzzeitig auch als Kandidat des linken Flügels für
den Parteivorsitz im Gespräch gewesen. Nachdem die Wahl auf Banaszak
gefallen war, erhielt er ersatzweise den Posten des Wahlkampfmanagers. Und
damit auch wirklich alle mit Funktionen versorgt sind, bekommt er jetzt
auch noch einen Stellvertreter: Der Realo Frederic Carpenter, der als
Schatzmeister Platz macht, wird ersatzweise Vizewahlkampfleiter.
Was eine neue Frage aufwirft: Was bleibt für die potenzielle neue
Geschäftsführerin Pegah Edalatian noch zu tun? Für den Parteitag gibt es
einen Antrag, der flügelübergreifend unterstützt wird: Ihr Amt soll
umbenannt werden. Wie in anderen Parteien auch, soll es künftig bei den
Grünen eine Generalsekretärin geben. Vom Titel her wäre das eine
Aufwertung. Was die Aufgaben angeht, geht das Wichtigste im Wahljahr aber
an andere.
29 Oct 2024
## LINKS
[1] /Politikerinnen-ueber-Diversitaet/!6003523
[2] /Bewerbung-um-den-Gruenen-Parteivorsitz/!6036780
[3] /Diversitaet-bei-den-Gruenen/!5881170
[4] /Spitzenkandidat-der-Gruenen-Sven-Giegold/!5591803
## AUTOREN
Sabine am Orde
Tobias Schulze
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