Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ein-Euro-Jobs als Druckmittel: Die Zwangsarbeit kehrt zurück
> Eine neue Weisung der Arbeitsagentur droht Bürgergeldempfängern mit
> Ein-Euro-Jobs. Hamburgs Jobcenter will das gleich probieren.
Bild: „Arbeitsgelegenheit“: Der Pakistaner Bilal putzt für knapp einen Eur…
Hamburg taz | Nur mit einer Randbemerkung sprach Hamburgs Jobcenter-Chef
Dirk Heyden ein heikles Thema an: die Rückkehr des [1][Ein-Euro-Jobs] als
Zwangsmaßnahme. Bei einer Fachtagung über Hilfen für Langzeitarbeitslose
sagte er, für das kommende Jahr seien 920 Arbeitsgelegenheiten (AGH)
finanziert. Da gebe es definitiv keine Kürzung mehr. Und er könne auch
„beruhigen“, diese Plätze seien schon zu 95 Prozent besetzt und man werde
jetzt „keine Ärgermaßnahmen einrichten, um [2][die Termintreue oder
ähnliches] zu berücksichtigen“.
Heyden spielt auf eine neue [3][Weisung der Arbeitsagentur] von Ende
Oktober an, nach der Bürgergeldempfänger, die wiederholt nicht zu Terminen
kommen oder Maßnahmen verweigern, „durch Zuweisung in eine AGH
verpflichtet“ werden können. Als Sanktion droht die Kürzung des
Bürgergelds. Heyden nannte dies eine „politisch motivierte Debatte“, die
aus „operativer Sicht“ eine „absolut untergeordnete Bedeutung“ habe.
Doch dann fuhr er fort, man werde die Zielgruppe für AGH „um die kleine
Gruppe von Menschen erweitern, die eben nicht mitarbeiten“. Dafür werde man
„mal anfangen, für die ersten AGH-Maßnahmen einzelne Kunden auszuwählen.
Wir wollen uns konzentrieren auf die Kunden, die wir dreimal eingeladen
haben und die dreimal nicht zum Beratungsgespräch gekommen sind. Das ist
tatsächlich ein Problemfeld für uns.“
Auch in einer Mail seines Jobcenters an Vertreter der
Landesarbeitsgemeinschaft der Beschäftigungsträger (LAG Arbeit), die zur
Fachtagung eingeladen hatten, ist die Rede davon, dass man an die Weisung
gebunden sei und in den kommenden Monaten „erste Erfahrungen gesammelt“
werden sollen.
„Das hört sich an, als würde das Jobcenter die Weisung umsetzen, und das
finde ich falsch“, sagt Petra Lafferentz vom Vorstand der LAG Arbeit.
„Meines Wissens hat das Jobcenter Spielräume und ist autonom.“ Mit der
Zwangsandrohung werde die Arbeitsgelegenheit als Angebot diskreditiert.
„Die suchen nicht Personen, für die Arbeitsgelegenheiten ein guter Schritt
wären, sondern die, für die das eh nicht taugt“, so Lafferentz.
„Integration in den Arbeitsmarkt funktioniert nie über Zwang“, sagt die
Sozialpolitikerin Olga Fritzsche von den Linken. „Auch wenn die Gruppe der
potenziell von der Zwangsarbeit Betroffenen voraussichtlich klein ist,
werden damit die von Presse und Politik seit Langem befeuerten
Ressentiments gegenüber Erwerbslosen weiter gespeist.“ Fritzsche geht davon
aus, dass das Jobcenter die Weisung umsetzten muss, aber dabei
Ermessensspielraum hat. „Sie müssen die Betroffenen nicht zu einer AGH
verpflichten.“
Arbeitsgelegenheiten sind auch bekannt als Ein-Euro-Jobs, weil es
zusätzlich zur Hilfe zum Lebensunterhalt einen bis zwei Euro Lohn pro
Stunde Arbeit gibt. Sie waren seit ihrer Einführung im Zuge der
Hartz-Reform 2005 sehr umstritten, eben weil sie Zwangscharakter hatten.
Mit Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 sollte das vorbei sein,
der entsprechende Passus wurde [4][aus dem Gesetz gestrichen.]
Doch die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP legte im Sommer im Rahmen
einer „Wachstumsinitiative“ fest, dass für Bürgergeldempfänger
„Konsequenzen bei fehlender Mitwirkung verschärft“ und Sanktionen
„kalibriert“ werden sollen. Zudem wird im Bundeshaushalt der
[5][Bürgergeldetat für 2025 drastisch gekürzt], weshalb solche Maßnahmen
„den Leistungsbezug restriktiver gestalten sollen“, wie der Paritätische
Wohlfahrtsverband in einer Analyse schreibt.
Mit diesem Etat, und das war das eigentliche Thema der Tagung
„Langzeitarbeitslose ohne Perspektive?“, wird das Budget für die Verwaltung
der Jobcenter ebenso gekürzt wie die sogenannten Eingliederungstitel, aus
denen Integrations-Angebote für Langzeitarbeitslose bezahlt werden.
In Hamburg steht die Bürgerschaftswahl vor der Tür und die Bilanz der
sozialen Arbeitsmarktpolitik ist nicht gut, weil die reiche Stadt kein Geld
dazugibt, obwohl „die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt“, wie Klaus
Wicher vom Sozialverband SoVD sagte.
Erst vor einem Jahr, das machte der Geschäftsführer der LAG Arbeit, Bernd
Schröder, deutlich, waren rund 520 AGH-Jobs in Stadtteilprojekten
gestrichen worden. B[6][ei Protesten dagegen] wurde deutlich, dass die
Betroffenen diese auf freiwilliger Basis [7][als hilfreich] betrachten,
weil ihr Alltag dadurch Struktur bekommt. [8][Rund 30 Projekte] mussten in
der Folge schließen oder ihre Angebote deutlich reduzieren, berichtet
Schröder. Er warf [9][eine Grafikkurve an die Wand], die bei Hamburgs
Beschäftigungsmaßnahmen einen nun schon 14 Jahre dauernden Abwärtstrend
zeigt. Es fehlten Sozialkaufhäuser, Seniorencafés und Fahrradprojekte,
besonders in ärmeren Vierteln.
Als SPD und Grüne vor vier Jahren ihre Koalition in Hamburg schlossen,
versprachen sie, alternativ zu AGH mehr richtige,
sozialversicherungspflichtige Jobs über das Teilhabechancengesetz zu
schaffen und das mit städtischen Mitteln zu ko-finanzieren. „Das hat nicht
geklappt“, sagt Schröder. Versprochenen war, die damaligen 275
Quartiersarbeitsplätze um 550 zu verdreifachen. Es sind aber nur 120
dazugekommen.
Auf der Tagung hatte zuvor die Nürnberger Forscherin Claudia Globisch, die
das Teilhabechancengesetz evaluiert, vorgetragen, wie effektiv die
Teilhabe-Jobs sind. Allerdings bekommt sie nur, wer schon mehrere Jahre
ohne Arbeit ist.
## Dem sozialen Arbeitsmarkt droht ein Kahlschlag
Hamburg hat seit Jahren kein eignes Budget für soziale Arbeitsmarktpolitik
mehr. Zudem droht nun wegen der von der zerbrochenen Ampelkoalition
geplanten Kürzungen im kommenden Jahr eine Unterdeckung im Etat des
Jobcenters. Heyden räumte ein, dass er sehr wahrscheinlich wieder „Geld aus
der Arbeitsmarkpolitik nehmen muss“, um die Jobcenter-Verwaltung zu
finanzieren. Das sei im ganzen Land so.
Gleichwohl gebe es auch eine Entlastung, weil Maßnahmen wie die
Rehabilitation künftig direkt von der Arbeitsagentur bezahlt würden. Werde
der Bundeshaushalt wie geplant verabschiedet, würde Hamburg im sozialen
Arbeitsmarkt im ersten Jahr „keine gravierenden Einschnitte“ planen.
Schröder beruhigt das nicht. „Wenn die Wahl vorbei ist und der
Wirtschaftsplan vorliegt, werden wir im Eingliederungstitel nicht mehr viel
Geld zur Verfügung haben“, sagt er. „Wir befürchten, dass der soziale
Arbeitsmarkt vollständig zum Erliegen kommt.“ Zumal gerade nicht mal die
Verabschiedung des Bundeshaushalts sicher scheint.
11 Nov 2024
## LINKS
[1] /Hamburgs-Jobcenter-kuerzt-Angebote/!5956750
[2] /Aktivistin-zu-Buergergeld-Sanktionen/!5996498
[3] https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba034765.pdf
[4] https://www.wolterskluwer.com/de-de/expert-insights/buergergeld-leistungsmi…
[5] /Verschaerfungen-beim-Buergergeld/!6020615
[6] /Hamburgs-Jobcenter-kuerzt-Angebote/!5945324
[7] /Gefaehrdete-Ein-Euro-Jobs/!5122051
[8] /Hamburgs-Jobcenter-kuerzt-Angebote/!5956750
[9] https://www.lag-arbeit-hamburg.de/aktuelles/238
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Ein-Euro-Jobber
Bürgergeld
Hartz IV
Langzeitarbeitslose
Hamburg
Gesellschaftliche Teilhabe
Soziales
Lieferdienste
Ampel-Koalition
Ein-Euro-Jobber
Bürgergeld
## ARTIKEL ZUM THEMA
Miese Arbeitsbedingungen bei Lieferando: Darf's noch etwas mehr Ausbeutung sein?
Lieferando drängt Arbeiter*innen zum maximalen Einsatz eigener
Ressourcen und Risiken. Es ist die optimierte Ausbeutung im
Hyperkapitalismus.
Verschärfungen beim Bürgergeld: Bald wieder wie Hartz IV?
Nach der Haushaltseinigung: Die Linke kritisiert die Ampel-Pläne zum
Bürgergeld, die längere Arbeitswege und mehr Sanktionen vorsehen.
Hamburgs Jobcenter kürzt Angebote: Arbeitslose verlieren Sprungbrett
Weil der Bund sparen will, streicht Hamburgs Jobcenter 800 Plätze zur
Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Verwaltung wird von Kürzungen
verschont.
Abschied von Hartz IV: Inflation frisst Bürgergeld
Mehr Weiterbildung, weniger Sanktionen: 2023 soll das Bürgergeld Hartz IV
ablösen. Der Regelsatz steigt um 50 Euro – zu wenig, sagen Sozialverbände.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.