| # taz.de -- Hamburgs Jobcenter kürzt Angebote: Arbeitslose verlieren Sprungbre… | |
| > Weil der Bund sparen will, streicht Hamburgs Jobcenter 800 Plätze zur | |
| > Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Verwaltung wird von Kürzungen | |
| > verschont. | |
| Bild: Ihre Jobs sind von den Kürzungen bedroht: Mitarbeiter*innen des Trägers… | |
| Hamburg taz | „Es war die beste Maßnahme, die ich je gehabt habe“, sagt | |
| Michael Koch. Der 31-Jährige ist einer von knapp 1.600 Menschen, denen in | |
| Hamburg über das Jobcenter eine „[1][Arbeitsgelegenheit]“ (AGH) vermittelt | |
| wurde. Das habe ihn so motiviert, dass er sich für eine neue Ausbildung | |
| entschied und ab August den Beruf des Hafenschiffers lernt. | |
| Doch vor einer Woche [2][teilte das Jobcenter den Beschäftigungsträgern] | |
| der Stadt mit, dass diese Platzzahl für 2024 auf 800 halbiert wird. Im | |
| Vorgriff auf [3][Kürzungen des Bundes], der deutschlandweit 500 Millionen | |
| Euro bei Verwaltung und Maßnahmen der Jobcenter kürzen will. Davon | |
| betroffen sind alle Kommunen. Doch die [4][Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit | |
| (LAG)], in der die Träger organisiert sind, wirft dem Jobcenter Hamburg | |
| vor, hier überproportional die Axt anzulegen, um die Verwaltung zu schonen. | |
| Die 800 AGH-Plätze sparen etwa elf der insgesamt 15 Millionen Euro ein, auf | |
| die Hamburg insgesamt verzichten muss. | |
| „Die Kürzung ist unverständlich“, sagt der [5][LAG-Vorsitzende Dennis | |
| Stender]. Denn die Arbeitsgelegenheiten seien das „praxisorientierte | |
| Sprungbrett“ zur Verhinderung der mehrjährigen Arbeitslosigkeit und dürften | |
| nicht ohne Not beschnitten werden. Und da mit den AGHs auch Projekte in | |
| Armutsregionen wie Stadtteilcafés oder Sozialkaufhäuser betrieben werden, | |
| zerstöre man hier soziale Infrastruktur. | |
| Stender leitet den [6][Träger „Ausblick“], der Läden und Arztpraxen auf | |
| ihre Barrierefreiheit hin checkt und die Ergebnisse auf einer Website | |
| publiziert. Michael Koch war zwei Jahre als „Scout“ unterwegs und nahm | |
| dafür zahlreiche Treppen, Aufgänge und Türen in Augenschein. Zunächst nur | |
| drei Tage die Woche à fünf Stunden, später länger. Vorher hatte er schon | |
| ein Coaching und eine Qualifizierung durchlaufen, was ihm aber nicht viel | |
| gebracht habe. „Es war immer nur Theorie“, sagt Koch. „Da saß man acht | |
| Stunden und dachte: Was mache ich hier?“ | |
| ## Zwei Euro pro Stunde | |
| Das Gute an der AGH sei, dass man „ins Alltagsleben eine Struktur bekommt | |
| und wieder etwas zu tun hat“. Alle zwei Tage habe er neue Bögen mit | |
| Adressen zum Scouten bekommen, sei sogar gefragt worden, ob er andere | |
| anleitet. „Das puscht das Selbstbewusstsein, dass so viel Vertrauen in | |
| einen gesetzt wird.“ | |
| Der junge Mann hatte Altenpfleger gelernt, konnte den Beruf aber nach vier | |
| Jahren nicht mehr ausüben, weil ihn die Bedingungen zu sehr belasteten. „Am | |
| Ende war ich nahe einer Depression und hatte Anzeichen von Burn-out“, sagt | |
| er. Danach machte er Gelegenheitsjobs und hing jahrelang „in der Schwebe“. | |
| Bei Ausblick habe er wieder die Motivation gewonnen, etwas Neues | |
| anzufangen. | |
| „Ich bin kein typischer Teilnehmer, weil ich noch recht jung bin“, schränkt | |
| er ein. Für die Älteren sei es schwieriger, noch mal neu Fuß zu fassen. | |
| „Aber die meisten gehen dort mit einem Lächeln hin und gehen mit einem | |
| Lächeln nach Hause. Denn es ist besser, dorthin zu gehen und ein paar Euro | |
| dazuzuverdienen, als gar nichts zu tun.“ | |
| Der Einsatz dieser AGHs, für die es zwei Euro die Stunde zusätzlich zum | |
| Bürgergeld gibt, ist seit Jahren in der Diskussion. Nachdem es 2010 noch | |
| über 10.000 Plätze gegeben hatte, senkte Hamburg deren Zahl immer weiter | |
| ab. Für geeigneter hält man in der Sozialbehörde sogenannte | |
| Paragraf-16i-Maßnahmen, bei denen die Menschen bis zu fünf Jahre lang | |
| sozialversichert beschäftigt sind und das Jobcenter zunächst 100 Prozent | |
| und sukzessive immer weniger des Lohns bezahlt. Erst am Mittwoch besuchte | |
| die Sozialsenatorin zwei Träger, die diese Maßnahme anbieten. | |
| Allerdings gibt es davon sehr viel weniger und die Hürden sind höher: Ein | |
| Mensch muss sechs Jahre arbeitslos gewesen sein. Für Michael Koch wäre das | |
| nicht infrage gekommen. Auch planen Behörde und Jobcenter gar nicht erst, | |
| alle 800 wegfallenden Plätze damit zu kompensieren. | |
| ## Sakrosankter Verwaltungsetat | |
| Gefragt, warum nun überproportional bei AGHs gekürzt wird, antwortet die | |
| Sozialbehörde, dass auch bei den Bildungsmaßnahmen gekürzt werde. Leider | |
| sei es so, dass im Verwaltungsetat des Jobcenters angesichts gestiegener | |
| Kosten und der hohen Anzahl der Bürgergeldbezieher aus der Ukraine „keine | |
| Spielräume bestehen“, so ein Sprecher. Nur bei den „eingekauften“ Maßna… | |
| ließe sich kürzen. | |
| Rein rechnerisch müsste das Jobcenter sechs Millionen Euro bei sich sparen, | |
| sagt Bernd Schröder, Geschäftsführer der LAG Arbeit. „Ich empfinde es als | |
| Faustschlag ins Gesicht der betroffenen Langzeitarbeitslosen, dass schlicht | |
| behauptet wird, dass es keine Spielräume im Verwaltungsetat des Jobcenters | |
| gäbe.“ Denn nun verlören Hunderte „Ein-Euro-Jobber“ ihre Beschäftigung… | |
| es würden Träger in die Insolvenz geschickt. Dabei habe Hamburg hier bisher | |
| schon viel weniger Geld investiert als Bremen oder Berlin. Im vergangenen | |
| Jahr gab die Stadt gar zwölf Millionen Euro ungenutzt zurück. | |
| Das Thema beschäftigt auch die CDU in der Bürgerschaft. Angesichts der erst | |
| im Juni gestiegenen Zahl von Langzeitarbeitslosen fragt ihr | |
| [7][Abgeordneter Andreas Grutzeck] den Senat, welche Strategie er mit der | |
| Kürzung verfolgt. „Das geht so nicht. Die Menschen brauchen diese AGH.“ | |
| Auch Michael Koch sagt, er kann das nicht nachvollziehen. „Was welche | |
| Maßnahmen bringen, das habe ich ja gesehen.“ | |
| 21 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ende-fuer-Beschaeftigungs-Massnahme/!5433804 | |
| [2] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/Weniger-Geld-fuer-Qu… | |
| [3] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanz… | |
| [4] https://www.lag-arbeit-hamburg.de/aktuelles/all | |
| [5] https://www.lag-arbeit-hamburg.de/sites/default/files/2023-07/2023-07-16%20… | |
| [6] https://www.ausblick-hamburg.de/bildung-und-beschaeftigung/agh-arbeitsgeleg… | |
| [7] https://cduhh.de/andreas-grutzeck/ | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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| Christian Lindner | |
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