| # taz.de -- Latino Vote im US-Wahlkampf: Jede und jeder eine Welt für sich | |
| > Im Swing State Arizona könnten die Latinos entscheiden, wer US-Präsident | |
| > wird. Aber ist es sinnvoll, von dem Latino Vote zu sprechen? Eine | |
| > Spurensuche. | |
| Bild: Prescott Valley in Arizona, Mitte Oktober: Latino-Fahne für Trump | |
| Auf seinem linken Arm steht „Echte Männer beten“, auf dem rechten „Der H… | |
| ist mein Hirte“. Alex Moreno, 61 Jahre alt, bulliger Typ mit Schnurrbart, | |
| sitzt versunken in seinen Sessel mit gehäkelten Überzügen auf den | |
| Armlehnen. Und in den großen Flachbildfernseher, auf dem gerade der | |
| rechtsextreme Sender Real America’s Voice läuft. | |
| „Wir danken Gott für Donald Trump. Er ist die Rolltreppe heruntergekommen | |
| und hat getan, was er versprochen hat“, sagt Alex Moreno. | |
| Norma Moreno, 70, trägt einen Sticker auf der Brust, auf dem steht, dass | |
| sie schon gewählt hat. Sie hat an Haustüren geklopft, Schilder auf | |
| vielbefahrenen Kreuzungen aufgestellt und Menschen angerufen, um sie von | |
| Trump zu überzeugen. Und an diesem Tag hat sie ihn gewählt. | |
| „Wir orientieren uns an unseren Werten. Auch beim Thema Abtreibung. Das ist | |
| uns sehr wichtig“, sagt Norma Moreno. Die Morenos gehören zu den über 60 | |
| Millionen Latinos, der größten Minderheit in den USA. Sie stellt 15 Prozent | |
| aller Wahlberechtigten. Besonderes Gewicht haben ihre Stimmen im Swing | |
| State Arizona. | |
| Dieser Bundesstaat im Süden, an der Grenze zu Mexiko gelegen, wählt | |
| eigentlich republikanisch. Doch der Demokrat Joe Biden hat hier die letzte | |
| Wahl im Jahr 2020 überraschend mit einem knappen Vorsprung von 11.000 | |
| Stimmen gewonnen. Und in Arizona machen die Latinos sogar ein Viertel der | |
| Wahlberechtigten aus. | |
| Die Latinos in den USA entscheiden sich traditionell mehrheitlich | |
| demokratisch. Trotzdem gab es immer viele Latinos, die für die Republikaner | |
| gestimmt haben. 1980 etwa konnte der Republikaner Ronald Reagan 37 Prozent | |
| ihrer Stimmen gewinnen. 2004 wählten 44 Prozent der Latinos George W. Bush | |
| – das bisher beste Ergebnis eines Republikaners. Dann kam ein Tief. | |
| [1][Seit Trump geht es wieder aufwärts.] [2][Laut einer Umfrage der New | |
| York Times vom Oktober kommt er unter Latinos auf 37 Prozent.] | |
| Das gilt manchen als Beleg für einen Rechtsruck in der Latino-Community. | |
| Eine Minderheit, Nachfahren von Migranten, die einen Kandidaten | |
| unterstützt, der gegen Minderheiten und Migranten hetzt. Ein demoskopisches | |
| Kuriosum. Ein Widerspruch? | |
| Der eigentliche Widerspruch sei, dass die Leute Trump als Rassisten | |
| bezeichneten, antwortet Estevan Manuel, ehemaliger Ringer mit | |
| entsprechender Statur, das schwarze Polo-Shirt ordentlich in die Hose | |
| gesteckt. „Wenn du dir seine Politik ansiehst und was er wirklich sagt, | |
| dann ist alles richtig.“ Eine von diesen ungemütlichen Wahrheiten sei die | |
| über Migranten, die Drogen in das Land brächten. „Er lügt nicht.“ | |
| Und was, wenn Trump auch ihn, Estevan Manuel, meint, wenn er von der | |
| größten Deportation der Geschichte der USA spricht? „Mir wird schon nichts | |
| passieren. Aber ich kann nicht für andere Latinos sprechen. Ich habe einen | |
| Freund, der viel mexikanischer aussieht. Der wird anders behandelt als ich. | |
| Aber so ist das eben.“ – „That’s just the way it is“ – wie es schon… | |
| gesellschaftskritischem Rap-Klassiker „Changes“ von Tupac hieß. | |
| Estevan Manuel, 28 Jahre alt, weiß nicht gleich, was er will, als ihn ein | |
| Starbucks-Mitarbeiter an der Stadtautobahn von Phoenix fragt. „Mach mir | |
| doch was mit Pumpkin Spice“, sagt er dann. Ein paar Autominuten weiter | |
| erklärt er auf seiner Veranda, auf der ein Zombie und ein Horrorclown auf | |
| Halloween warten, was es heißt, ein richtiger Mann zu sein. | |
| „Amerika heißt stark sein. Sei verdammt noch mal ein Mann! Ich habe das | |
| Gefühl, Amerika bewegt sich weg davon. Wir brauchen jemand Starkes.“ | |
| Die Familie von Manuels Mutter lebt schon seit sechs Generationen in den | |
| USA. Sein Großvater väterlicherseits ist aus der mexikanischen Grenzstadt | |
| Nogales eingewandert. Für ihn selbst sei Mexiko heute ein Urlaubsland. | |
| Manuel lebt mit seiner Frau, ihrem anderthalbjährigen Sohn und vier | |
| Mitbewohner:innen in einem Haus, das dem Vater seiner Frau gehört. | |
| Sie hätten auf ein Haus gespart, es habe ganz gut ausgesehen, dann sei die | |
| neue Regierung gekommen und die Zinsen seien hochgegangen und alles den | |
| Bach runter. Manuel hat einen College-Abschluss in Management. Er hat eine | |
| eigene Firma, die Hüpfburgen, Karaoke und anderen Partybedarf verleiht. | |
| Daneben produziert er Werbevideos. „Untere Mittelklasse“, beschreibt er | |
| seine aufgeräumte, aber ausgestorben wirkende Nachbarschaft am südlichen | |
| Stadtrand von Phoenix. | |
| Der Staat, wie ihn sich die Demokraten vorstellten, sei für ihn nicht da | |
| gewesen, als er Hilfe gebraucht habe. Von Trump erhofft er sich, dass er | |
| Steuern für Kleinunternehmer wie ihn senkt. „Ich könnte dann Mitarbeiter | |
| einstellen, neue Hüpfburgen kaufen oder eine Popcornmaschine“, sagt er. Und | |
| ein besseres Auto erwerben. | |
| Aber Trump, wirklich kein Rassist? | |
| „Absolut nicht!“, antwortet auch Alex Moreno, der den Fernseher jetzt gar | |
| nicht mehr beachtet, sich mit dem Sessel zum Gesprächspartner hinschiebt. | |
| „Trump ist jemand, der die amerikanischen Menschen liebt.“ Es gebe einfach | |
| so viel Hass auf den Mann. | |
| Geht es um die Demokraten, dann äfft Alex Moreno Kamala Harris nach, und | |
| Norma Moreno steht sogar auf und geht wie Joe Biden: schwere, mechanische, | |
| unsichere Arm- und Beinbewegungen. Alex Moreno klagt, die Demokraten würden | |
| mit ihren sozialstaatlichen Maßnahmen Latinos von sich abhängig machen. | |
| Damit die Demokraten sie dann kontrollieren könnten. | |
| Das Ehepaar Moreno glaubt an Gott. Das sieht man auch an den dekorativen | |
| Glaubensbekenntnissen in ihrer pastellfarbenen Wohnküche. „Wo Gott uns | |
| hinführt, versorgt er uns“, steht auf einem Poster. Die Morenos glauben | |
| auch daran, dass Trump die letzte Präsidentschaftswahl geklaut wurde. Und | |
| sie glauben an die Geschichte von den haitianischen Migranten, die in Ohio | |
| Haustiere essen. Vor allem glauben sie wie Manuel daran, dass es ihnen | |
| unter Trump besser gehen würde, weil es ihnen unter ihm schon einmal | |
| besser gegangen sei. „Wir sind früher oft essen gegangen“, sagt Norma | |
| Moreno. | |
| ## Schwärmen vom Meltingpot Kalifornien | |
| Ihr Mann hat bis zu einem Unfall als Bus- und Limousinenfahrer gearbeitet, | |
| danach konnte er nicht mehr. Norma Moreno hat bis zur Rente Menschen in | |
| schwierigen Lebenslagen betreut. Vor ein paar Jahren seien sie aus | |
| Kalifornien nach Surprise in Arizona gezogen, weil sie sich in Kalifornien | |
| kein Haus leisten konnten. „Echtes mexikanisches Essen, das fehlt mir an | |
| Kalifornien“, sagt Alex Moreno. „Ich vermisse die Strände. Ich liebe das | |
| Meer“, sagt Norma Moreno. Sie schwärmt auch vom Meltingpot Kalifornien, sie | |
| mag die Vielfalt dort. | |
| Beider Großeltern sind einst als Farmarbeiter aus Mexiko eingewandert. | |
| Norma Moreno holt ein gerahmtes Bild ihrer Eltern. „Ich habe kein Problem | |
| mit Migranten. Aber kommt doch durch die Vordertür, damit ich weiß, wer mir | |
| ins Haus kommt!“, sagt Alex Moreno. „Sie haben es auf die legale Art | |
| gemacht“, sagt Norma Moreno über ihre Vorfahren. Und andere kämen jetzt | |
| einfach so und bekämen alles. | |
| Die Morenos wählen schon ihr Leben lang republikanisch. Anfangs waren sie | |
| von Trump irritiert. Jetzt mögen sie ihn umso mehr. | |
| Estevan Manuel erzählt in Phoenix, dass seine Eltern schon immer | |
| demokratisch gewählt hätten, „weil sie gedacht haben, die Demokraten helfen | |
| Latinos“. Er habe auch für sie gestimmt. Dann habe er sich seine eigenen | |
| Gedanken gemacht, recherchiert und sich Trump zugewandt. | |
| [3][Die Wirtschaft ist laut aktuellen Umfragen das wichtigste Wahlthema.] | |
| Viele Menschen leiden in den USA unter hohen Lebenshaltungskosten. Und wenn | |
| auch nicht alle gleichermaßen darunter leiden, [4][das Thema gilt für sie | |
| als wahlentscheidend.] Auch für Latinos ist die Wirtschaft, [5][so die | |
| Meinungsforschung,] das wichtigste Thema. | |
| ## Vielfältige Latino-Community | |
| Doch wie aussagekräftig können Umfragen in der Latino-Community sein, wenn | |
| diese so bunt ist? Vielfältig sind die Länder, aus denen die Latinos | |
| stammen – wie auch ihre Lebensumstände in den einzelnen US-Bundesstaaten. | |
| Während manche Familien schon seit vielen Generationen in den USA leben, | |
| sind andere Menschen selbst eingewandert oder als Kinder von Einwanderern | |
| aufgewachsen. | |
| Dass Umfrageinstitute alle möglichen Bevölkerungsgruppen auf Stimmungen hin | |
| ausleuchten, um derzeit den Ausgang dieser knappen Wahl vorherzusagen, ist | |
| noch verständlich. Aber das Latino Vote ist überdies zu einer Art | |
| [6][Projektionsfläche für rechte Aktivisten und auch für Trump geworden.] | |
| Sie verbreiten Falschinformationen über Migranten aus Lateinamerika, die | |
| wählen würden, obwohl sie keine Staatsbürgerschaft hätten. Analysten | |
| befürchten, Trump könnte seine mögliche Niederlage mit dieser | |
| Falscherzählung infrage stellen. | |
| Und die Demokraten fragen sich wohl gerade, ob sie sich zu sehr darauf | |
| verlassen haben, dass die Latinos schon demokratisch wählen würden. Ob | |
| Kamala Harris es vielleicht doch nicht genügend geschafft hat, Menschen in | |
| ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten anzusprechen. | |
| Aber wie geht das überhaupt, wenn man sich in der Latino-Community nicht | |
| auf spanischsprachige Werbespots beschränken will? | |
| Am letzten Tag des Hispanic Heritage Month Mitte Oktober trifft Pete | |
| Aguilar, Fraktionschef der Demokraten im Repräsentantenhaus, lokale | |
| Vertreter:innen der Latino-Community im Otro Cafecito in Uptown | |
| Phoenix. Bei Esquites, Nachos und Huevos Mexicanos erklärt er von einem | |
| Barhocker aus Gewerkschaftern und Lokalpolitikerinnen, die zu Tisch sitzen, | |
| dass Kamala Harris die Lebenshaltungskosten für „hart arbeitende | |
| Latino-Familien“ senken und ihre Rechte und Freiheiten schützen werde. Sie | |
| werde kleine Betriebe unterstützen, Wohnungen und Bildung leistbar machen. | |
| ## La Presidenta | |
| Hinter ihm an der Wand hängen Poster von Kamala Harris in Comic-Optik und | |
| mit der Aufschrift „La Presidenta“. Eine Frau meldet sich und erzählt, dass | |
| sie viele Jahre ohne Papiere in den USA gelebt habe und sich dafür | |
| interessiere, welche migrationspolitischen Pläne Harris habe. Aguilar | |
| wiederholt das, was Harris in den letzten Wochen immer wieder gesagt hat: | |
| ein besserer Zugang zur US-Staatsbürgerschaft bei gleichzeitiger Sicherung | |
| der Grenzen. Das Event endet mit einem Gruppenfoto. Enthusiastisch ist hier | |
| niemand. Aber zumindest gibt es Essen. | |
| Am Abend laden die „Latino Americans for Trump“ in die Parteizentrale der | |
| dortigen Republikaner in Downtown Phoenix. Phone Banking steht an – noch so | |
| eine Eigenheit des amerikanischen Wahlkampfs: Unterstützer:innen rufen | |
| überraschend bei potenziellen Wähler:innen an. Manche Gekommenen wissen | |
| nicht so recht, was von ihnen erwartet wird. Eine Frau versucht vergeblich, | |
| jemanden zu erreichen. Als dann doch mal jemand ans Telefon geht, berichtet | |
| sie, die Person habe sie nicht verstanden. „Ich habe aber ein paar Mal | |
| ‚Trump‘ gesagt. Das sollte doch reichen.“ | |
| Eine Event-Organisatorin trägt enthusiastisch vor, dass Trump-Shirts und | |
| -Basecaps gewinne, wer die meisten Menschen an die Strippe bekäme. Sie | |
| wirkt wie eine Lehrerin, die es eigentlich gut meint, aber etwas | |
| überfordert ist. | |
| Die Pro-Trump-Gäste reagieren erst, als der ehemalige republikanische | |
| Abgeordnete Lee Zeldin auftaucht. „Ihr tragt alle, die diese wichtigen | |
| Anrufe heute nicht tätigen, auf euren Schultern“, sagt er. Und holt aus zu | |
| einem Best-of von Trump-Erzählungen. „No tax on tips“, sagt er dann und | |
| scheint sich darüber zu freuen, endlich etwas gefunden zu haben, womit er | |
| die Latinos im Raum gezielt bedienen kann. Keine Steuern mehr auf | |
| Trinkgeld! Das sei ein Versprechen an die Latino-Community. Viele Latinos | |
| würden ja im Dienstleistungsbereich arbeiten. Als der Vortrag beendet ist, | |
| gibt es ein Gruppenfoto. Und Pizza. | |
| Lydia Guzmán, von der League of United Latin American Citizens, der | |
| ältesten Bürgerrechtsorganisation der Latinos in den USA, erklärt wenig | |
| später im Video-Interview, dass es bei dieser Wahl auch darum gehe, die | |
| Latinos zu erreichen, die nicht wählen gehen. Bei der Wahl 2020 haben nur | |
| [7][etwas mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Latinos gewählt]. | |
| Vielleicht helfen da Stars. | |
| Barack Obama soll in Tucson auftreten, der zweitgrößten Stadt von Arizona, | |
| zweieinhalb Autostunden südlich von Phoenix, in der fast die Hälfte der | |
| Einwohner:innen Latinos sind. | |
| ## Pompöses Lebensmittelangebot | |
| Nein, er wisse nicht, wer heute in seiner Stadt auftrete, antwortet Yannie, | |
| 24 und ein bisschen genervt, auf dem Parkplatz vom El Super. Der | |
| lateinamerikanische Supermarkt erinnert mit seinem pompösen Angebot an | |
| Lebensmitteln aus der alten Heimat und mit den Großaufnahmen von rohem | |
| Fleisch an die großen türkischen Supermärkte einer deutschen Metropole. | |
| Yannie macht gerade Pause, er arbeitet im Lager. Nach einer Frau, die nicht | |
| wählen darf, weil sie im Gefängnis war, und einer anderen, die nicht wählen | |
| darf, weil sie keine Staatsbürgerin ist, ist Yannie der erste | |
| Wahlberechtigte in Tucson, der Fragen beantworten will. | |
| Er wisse noch nicht, wen er wählen wolle, er müsse sich noch schlaumachen. | |
| Er sagt, Frauen sollten selbst über ihren Körper bestimmen. „Trump spricht | |
| nicht wie ein Politiker“, sagt Yannie aber auch. Das gefalle ihm. Und: „An | |
| manchen Orten hier in Tucson werde ich angemacht, wenn ich Spanisch | |
| spreche.“ Er ist Sohn mexikanischer Einwanderer. | |
| Ein paar Kilometer weiter stehen Melia, 18, und Jazlin 16, in der Schlage | |
| vor der Sporthalle der University of Arizona. Die Schlange ist sehr lang, | |
| atmosphärisch reicht sie an die einer Bioeisdiele in hippen deutschen | |
| Großstadtkiezen. Viele gutaussehende und gutangezogene junge Menschen, eher | |
| semidivers, dafür aber total gut drauf. | |
| Dazu passen die Obama-Shirts mit dem Slogan „Hope“, die zwei Wartende | |
| tragen. Sie wirken wie aus einer anderen Zeit. Warum sind Melia und Jazlin | |
| heute hier? „Um Obama zu sehen!“ Melias Vorfahren kamen „vor vielen, viel… | |
| Generationen“ aus Puerto Rico, Jazlins Mutter ist aus Mexiko eingewandert. | |
| Beide sind in Arizona geboren. Und ist das Latina-Sein ein Thema in ihrem | |
| Alltag? Gar nicht. Und Rassismus? Auch nicht. Dann eilen sie davon, sie | |
| wollen endlich in die Halle, „zu Obama!“ | |
| Monique Luiz, 32, ist gekommen, weil ihr das Thema reproduktive Rechte | |
| wichtig ist. Sie erzählt, dass sie Latina ohne Migrationsgeschichte sei. | |
| „Wir haben uns nicht bewegt, die Grenze hat sich über uns bewegt“, habe | |
| ihre Urgroßmutter immer gesagt. Arizona wurde erst Mitte des 19. | |
| Jahrhunderts Teil der USA. | |
| Als sie ihre Geschichte erzählt, muss sie kurz mit den Tränen kämpfen. Sie | |
| sei in der High School schwanger geworden, aber in keiner guten Situation | |
| gewesen, um ein Kind zu bekommen. Jetzt habe sie einen siebenmonatigen Sohn | |
| mit den gleichen Mann. „Heute sind wir finanziell stabil“, sagt die | |
| Immobilienmaklerin. „Wenn wir diese Rechte vor 15 Jahren nicht gehabt | |
| hätten, wären wir heute nicht die, die wir sind.“ | |
| In der vollen Halle kommt Tucsons Bürgermeisterin Regina Romero auf die | |
| Bühne, Kind mexikanischer Migranten. Dann Ruben Gallego, der in Arizona für | |
| den Senat kandidiert, Kind einer Kolumbianerin und eines Mexikaners. Was | |
| für eine Vorlage, um mit einer persönlichen Geschichte das Latino Vote zu | |
| mobilisieren. Doch nein. Mehr als ein „Muchas gracias“ oder ein „Cuando | |
| luchamos, ganamos“ kommt da nicht – „Wenn wir kämpfen, gewinnen wir.“ | |
| ## Außer Rand und Band | |
| Als endlich Barack Obama die Bühne betritt, ist die Halle außer Rand und | |
| Band und das Thema Identität eigentlich unvermeidbar. Der erste schwarze | |
| Präsident der USA! Aber Obama macht lieber Witze über Trumps Bibel aus | |
| China. Und hält eine seiner typischen Reden in gewohnter Perfektion, in der | |
| weder Identität noch die Latinos wirklich ein Thema sind. Nur ein Plakat, | |
| das man sich nach der Rede draußen an einem Stand kaufen kann, richtet sich | |
| an die Zielgruppe: „Chinga Tu MAGA. No Mas Naranja“ – „Fick dein MAGA. … | |
| wieder Orange“. | |
| Wann ist Identität überhaupt wichtig? Und wann nicht – weil anderes | |
| wichtiger ist? | |
| „Bürgerrechte, Wohnen, Gesundheit, Bildung und Klima“, zählt | |
| Bürgerrechtlerin Lydia Guzmán auf. „Das sind eigentlich Themen, die für | |
| alle Amerikaner wichtig sind. Aber für Latinos sind sie noch wichtiger, | |
| weil sie in diesen Bereichen sehr lange benachteiligt wurden.“ | |
| „Wenn die Demokraten die Identitätskarte spielen, dann bin ich raus“, sagt | |
| Norma Moreno „Ich kann das wirklich gar nicht haben.“ | |
| „Lange hatten wir das Gefühl, dass unsere Stimme nicht zählt. Jetzt wird | |
| unsere Stimme diese Wahl entscheiden“, freut sich Monique Luiz in Tucson | |
| über die Aufmerksamkeit für das Latino Vote. | |
| „Ich bin Amerikaner!“, antwortet Estevan Manuel etwas pikiert auf die | |
| Frage, ob er sich als mexikanisch-amerikanisch bezeichnen würde. „Die | |
| Weißen haben doch auch Vorfahren aus anderen Ländern. Die nennen sich auch | |
| nicht amerikanisch-europäisch.“ | |
| Dann erzählt er, dass er in die Politik gehen wolle und angefangen habe, | |
| Spanisch zu lernen. „Wenn ich die Latino-Community überzeugen will, aber | |
| kein Spanisch kann, dann denken die ja, ich bin irgendso ein | |
| weißgewaschener Mexikaner.“ | |
| Möglicherweise lassen sich die Dinge doch nicht so fein säuberlich trennen. | |
| Diese Recherchereise wurde durch das [8][Daniel-Haufler-Stipendium] der | |
| [9][taz Panter Stiftung] ermöglicht. | |
| 4 Nov 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://ropercenter.cornell.edu/how-groups-voted-2004 | |
| [2] https://www.nytimes.com/2024/10/13/us/politics/latinos-trump-harris-poll.ht… | |
| [3] https://www.nytimes.com/2024/10/30/us/elections/trump-harris-economy-poll.h… | |
| [4] /Oekonomin-ueber-US-Wahl/!6042896 | |
| [5] https://www.pewresearch.org/race-and-ethnicity/2024/09/24/in-tight-u-s-pres… | |
| [6] https://www.nytimes.com/2024/10/04/us/arizona-nonprofit-voter-registration-… | |
| [7] https://election.lab.ufl.edu/voter-turnout/turnout-demographics/ | |
| [8] /taz-Panter-Stiftung-USA-Stipendiatinnen/!vn6044493/ | |
| [9] /Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/ | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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