| # taz.de -- US-Wahlen noch nicht entschieden: Von „blauer Welle“ keine Spur | |
| > Noch hat Joe Biden eine rechnerische Chance, nächster Präsident zu | |
| > werden. Aber für die Demokrat*innen ist die Wahl dennoch eine | |
| > Riesenenttäuschung. | |
| Bild: Joe Biden nach einem Wahlkampf-Event Anfang Oktober in Pennsylvania | |
| Berlin taz | Es ist das Szenario, was seit Wochen befürchtet wurde: Die | |
| US-Wahl ist auch in den Morgenstunden des Mittwochs nicht entschieden. | |
| US-Präsident Donald Trump liegt in den entscheidenden Bundesstaaten in | |
| Führung. | |
| Nur die – mutmaßlich sehr viel häufiger von Wähler*innen des demokratischen | |
| Kandidaten Joe Biden abgegebenen – Briefwahlstimmen können das Ruder noch | |
| zu einem Biden-Sieg herumreißen, und in diesem Moment stellt sich Trump vor | |
| Anhänger*innen und Presse und erklärt, er habe die Wahl gewonnen, wolle | |
| sich beim Obersten Gerichtshof darum bemühen, dass keine weiteren Stimmen | |
| mehr gewertet werden und insinnuiert, dass da Wahlbetrug im Spiel sei. | |
| Selbst Trumps Leib- und Magensender Fox News wies darauf hin, dass er die | |
| Wahl keinesfalls bereits gewonnen habe, CNN empörte sich über die Lügen und | |
| Drohungen des Präsidenten, und weltweit zeigten sich Beobachter*innen | |
| schockiert über Trumps erneutes Torpedieren des demokratischen | |
| Wahlprozesses – ohne dass aber jemand behaupten könnte, Trump werde die | |
| Wahl deutlich verlieren. | |
| Die reinen Zahlen geben kein klares Bild: Würde sich der frühe Trend | |
| bestätigen, dass Trump nach Ohio und Florida auch die Rust-Belt-States | |
| Michigan, Wisconsin und Pennsylvania für sich entscheiden könnte, hätte er | |
| die Wahl klar gewonnen. | |
| Aber gegen fünf Uhr morgens der Washingtoner Zeitzone, elf Uhr deutscher | |
| Zeit, drehte sich plötzlich die Führung Trumps in Wisconsin: Nach | |
| Bekanntgabe der Stimmen aus dem klar demokratischen Milwaukee County lag | |
| Joe Biden in Wisconsin plötzlich mit 11.000 Stimmen in Führung. Ein | |
| Lichtblick für den demokratischen Kandidaten, der schon Stunden vorher | |
| seine eigenen Unterstützer*innen mit Durchhalteparolen aufgerufen hatte, | |
| noch nicht alle Hoffnung aufzugeben. Aber eben nur ein Lichtblick. | |
| ## Kein Referendum über Trumps Coronapolitik | |
| Denn die Nacht lief schlecht für die Demokrat*innen, viel schlechter als | |
| erhofft. Von der „blauen Welle“, die sich viele erhofft hatten, kann nicht | |
| die Rede sein, im Gegenteil. Die wichtigen Swing States Florida und Ohio | |
| (ohne die seit John F. Kennedy kein Kandidat mehr gewonnen hat) gingen an | |
| Trump, die Hoffnungen, in Texas mitspielen zu können, erfüllten sich nicht, | |
| in Georgia und North Carolina liegt Biden hinten, und auch der Senat | |
| scheint trotz zweier demokratischer Zugewinne in Colorado und Arizona unter | |
| republikanischer Kontrolle zu bleiben. | |
| Und selbst wenn es für Biden zum Gewinn der Präsidentschaft letztlich doch | |
| noch reichen sollte – und es Trump nicht schafft, diesen Wahlsieg auf | |
| juristischem Wege zu torpedieren –, müssen sich nicht nur erneut die | |
| Umfrageinstitute fragen, was da eigentlich wieder falsch gelaufen ist, | |
| sondern auch die Demokrat*innen. | |
| Ganz sicher ist: Ihr Versuch, die Wahl zu einem Referendum über die | |
| Coronapolitik des Präsidenten zu machen, ist gescheitert. In | |
| Nachwahlumfragen sagte zwar eine klare Mehrheit der Befragten, dass sie mit | |
| Trumps Umgang mit Corona nicht zufrieden sind und Biden da mehr zutrauen – | |
| aber es war bei weitem nicht ihr wichtigstes Thema. Das war die Wirtschaft, | |
| und da liegen Trumps Zustimmungswerte deutlich über Bidens. | |
| Und: Für die meisten Trump-Gegner*innen ist er ein offen rassistischer | |
| Präsident – aber seine Zustimmungswerte unter Schwarzen und Latinos sind | |
| gestiegen. In Florida etwa holte Hillary Clinton vor vier Jahren 62 Prozent | |
| der Latino-Stimmen, Biden nur 52. Das Dauerbombardement der Trump-Kampagne, | |
| bei dieser Wahl gehe es um eine Entscheidung zwischen Freiheit und | |
| Kommunismus, scheint insbesondere bei der kubanischen und venezolanischen | |
| Community massiv verfangen zu haben. | |
| ## Trump bei Schwarzen, Latinos und Asians besser als 2016 | |
| Landesweit verbesserte sich Trump bei Schwarzen (von 8 auf 12 Prozent), bei | |
| Latinos (von 28 auf 32) und bei Asian-Americans (von 27 auf 31 Prozent). | |
| Woran das im Einzelnen liegt, müssen weitergehende Analysen zeigen: Sicher | |
| scheint, dass die demokratische Gewissheit, Trumps rassistische Rhetorik | |
| würde ihnen die Stimmen quasi von allein zuspielen, sich keinesfalls | |
| bewahrheitet hat. | |
| Und auch die alte Weisheit, dass hohe Wahlbeteiligung quasi automatisch zu | |
| demokratischen Wahlsiegen führt, sollte endlich ad acta gelegt werden: Am | |
| Mittwochmorgen schon hatten beide Kandidaten jeweils über drei Millionen | |
| Stimmen mehr erhalten als Trump und Clinton 2016. Trump hat die Dynamik | |
| gedreht: Hohe Mobilisierung nutzt ihm. | |
| Sicher scheint auch, dass Trump zwar gute Chancen hat, wiederum die | |
| Mehrheit von über 270 Stimmen im Electoral College zu bekommen und damit im | |
| Weißen Haus zu bleiben, erneut aber keine Mehrheit der US-Amerikaner*innen | |
| von sich hat überzeugen können. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs | |
| in den USA lag Biden beim – für den Wahlausgang unbedeutenden – „popular | |
| vote“, also den landesweit insgesamt abgegebenen Stimmen, gut zwei | |
| Millionen Stimmen vor Trump. | |
| Aktuelle News zu den US-Wahlen [1][finden Sie in unserem Liveticker]. | |
| 4 Nov 2020 | |
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| [1] /Liveticker-zur-US-Wahl/!5726183 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Pickert | |
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