| # taz.de -- Antisemitismus im Kulturbetrieb: Was ist Kunst, was Propaganda? | |
| > Eine Tagung in Stuttgart fragt nach Antisemitismus im Kulturbetrieb. | |
| > Unter anderem wird mehr Aufklärung über islamistische Ideologie | |
| > gefordert. | |
| Bild: An zahlreiche Häuser in Berlin-Neukölln, unter anderem die Gaststätte … | |
| Stuttgart taz | In den sozialen Netzwerken ließ sich vorher nicht | |
| herausfinden, wo diese Konferenz in Stuttgart stattfinden sollte. Auch | |
| während der Tagung am vergangenen Wochenende hielt der Veranstalter, das | |
| Institut Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen der Universität | |
| Stuttgart, den Ort streng geheim. Denn das Thema der Tagung, zu der unter | |
| anderem die Autorin Ronya Othman, der Kunstkritiker Jörg Heiser oder der | |
| Künstler Leon Kahane geladen waren, führt seit dem 7. Oktober 2023 zu | |
| heftigsten Auseinandersetzungen und Boykott: „Antisemitismus im kulturellen | |
| Feld“ war ihr Titel. | |
| Um [1][Kontroversen] ging es aber nicht während der zwei Tage. Vielmehr | |
| waren alle Panelisten und Diskutanten gleichsam von den Fragen geleitet, ob | |
| es so etwas wie universelle Ausdrucksformen des Antisemitismus gibt, die | |
| gerade im Feld der Wissens- und Kulturproduktion zur Geltung kommen. Und ob | |
| in einer solchen Situation ein Diskurs überhaupt möglich ist, aus dem | |
| etwaige Lösungen für alle Beteiligten hervorgehen könnten. | |
| Dass es nicht reiche, sich immer wieder für die grenzenlose [2][Freiheit | |
| der Kunst auszusprechen], kritisierte auf dem Podium Jonathan Guggenberger, | |
| [3][der auch für die taz schreibt]. Es müsse rechtlich differenziert werden | |
| zwischen Propaganda und Kunst. Dazu gehöre, klar zu benennen, wo Kunst | |
| endet und Aktivismus oder Propaganda beginnt. | |
| Die Professorin für Jewish Studies, Lisa Silverman, zog in ihrem Vortrag | |
| das Beispiel von Veit Harlans Film „Jud Süß“ von 1940 heran. Sie zieht ei… | |
| Verbindung [4][von Harlans zwiespältiger Rolle], einerseits Ideologieträger | |
| des NS gewesen zu sein und sich andererseits als ein Opfer des | |
| Nationalsozialismus darzustellen, zur heutigen Kulturszene. Solche | |
| Ähnlichkeiten sieht auch der [5][Historiker Volker Weiß, wenn er auf die | |
| klaren Feindbilder] in den aktuellen Debatten des Kultur- und | |
| Wissenschaftsbetriebs blickt: Die jetzigen Diskussionen um den | |
| Nahostkonflikt seien aus einer Ideologie erwachsen, die den Westen als das | |
| „große Böse“ darstelle und Palästina als Zentrum aller Ungerechtigkeiten | |
| dieser Erde sehe. Die Verbrechen islamistisch orientierter | |
| Terrororganisationen würden in diesem Diskurs gar nicht erst | |
| berücksichtigt. | |
| ## Oft fehlt die jüdische Perspektive | |
| Die Historikerin Alexandra Przyrembel fragte dann, wie sich | |
| Kapitalismuskritik überhaupt zum Antisemitismus entwickeln konnte. Und | |
| dies, obwohl die Rolle von Juden und Jüdinnen in kapitalismuskritischen | |
| Protestbewegungen in der Vergangenheit wie auch heute nicht marginal | |
| gewesen sei. Es fehle eben in vielen politischen Diskursen die jüdische | |
| Sicht. | |
| Über eine jüdische Perspektive aufzuklären, so ein Fazit der Tagung, könnte | |
| auch zu einem Wendepunkt in vielen Debatten führen. Gleichzeitig müsse man | |
| dringend die Absichten, Ideologien und Machtansprüche des islamistischen | |
| Terrors benennen. Das betont auch Autorin Elisa Aseva. Sie plädierte dafür, | |
| im Kulturbetrieb besser über Islamismus aufzuklären. | |
| Es gilt, so ein weiteres Fazit der Veranstaltung, sich klar gegen den | |
| islamistischen Terror zu positionieren. Dies ist aber in aufgeheizten | |
| Debatten besonders schwer. Das machten der langjährige Leiter des | |
| Kurzfilmfestivals Oberhausen, [6][Lars Henrik Gass,] oder [7][Filmregisseur | |
| Rolf Peter Kahl] deutlich. Sie sprachen als Akteure des Kulturbetriebs über | |
| ihre teils sehr persönlichen Erfahrungen in den letzten Monaten – Gass war | |
| heftig von der internationalen Filmszene kritisiert worden, nachdem er sich | |
| infolge des 7. Oktobers in den sozialen Medien gegen falsche Sympathien für | |
| Hamas-Terroristen ausgesprochen hatte. | |
| Als der Musikkritiker und Poptheoretiker [8][Jens Balzer abschließend zu | |
| postkolonialen Sichtweisen] anhand von Theorien nach Judith Butler | |
| referierte, hätten bei einer offenen, vorher annoncierten Veranstaltung | |
| auch Protestaktionen einsetzen können. Balzer sieht ähnliche Denkweisen bei | |
| identitären, politischen Gruppen aus dem postkolonialen Milieu und bei der | |
| Neuen Rechten. | |
| So aber gab es das ganze Wochenende über keine Störungen. Den Veranstaltern | |
| war es gelungen, die Tagung zu einem Safe Space der Wissenschaft zu machen. | |
| 22 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Larissa Friedrich | |
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