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# taz.de -- Antisemitismus in Institutionen: Es fehlt die Klarheit
> Instagram-Aktivismus und Zensurverdacht: Zwischen Antisemitismus- und
> Rassismusvorwürfen finden Institutionen wenig Worte.
Bild: Kultursenator Joe Chialo (Mitte) bei einer Demo gegen Antisemitismus am 1…
Seit einigen Tagen führt der Berliner Kultursenat Umfragen zum Umgang von
Kulturinstitutionen mit Antisemitismus und Rassismus durch. Abgefragt
werden Erfahrungswerte, Vorschläge und bestehende Umgangsformen mit dem
„gesellschaftlichen Klima“ seit dem 7. Oktober. Das Ziel: ein
senatsübergreifendes Maßnahmenpaket gegen jede Form der Diskriminierung
entwickeln. Kultursenator Joe Chialo (CDU) reagiert damit auf die
lautstarke Kritik an seiner mittlerweile wieder ausgesetzten
Antisemitismusklausel.
In einem Interview mit radioeins mahnte Chialo an: „Wir müssen durch Dialog
die Räume in der Kultur wieder weiten.“ Berlins Regierender Bürgermeister
Kai Wegner hingegen betonte bei einem CDU-Parteitag vor wenigen Tagen,
weiterhin an der im Januar gescheiterten Klausel festhalten zu wollen.
Nicht nur in Berlin wird nach Lösungen in der fortwährenden Debatte um
Antisemitismus im Kulturbetrieb und den Vorwürfen einer rassistischen
Cancel Culture gesucht. Vergangene Woche veröffentlichte die
Kulturministerkonferenz der Länder zusammen mit der Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien und den kommunalen Spitzenverbänden
eine Erklärung zur Verhinderung von Antisemitismus und Rassismus in Kunst
und Kultur. Im Zentrum stehen die „rechtssichere Regelung“ von
Förderbedingungen und die Stärkung der „Eigenverantwortung“ von
Kulturinstitutionen – verbunden mit dem Auftrag, sogenannte Codes of
Conduct zu entwickeln. Doch bringt das die erhoffte Klarheit?
Klarheit scheint vor allem in der Kommunikation von Störfällen zu fehlen:
[1][Mitte Februar war es im Hamburger Bahnhof in Berlin zur Störung einer
Performance der Künstlerin Tania Bruguera durch propalästinensische
Aktivisten gekommen.] In einem auf Instagram veröffentlichten Statement der
Museumsleiter Sam Bardouil und Till Fellrath am Tag darauf umschrieb man
die antisemitischen Parolen der Aktivisten mit „gewaltsamer Hassrede“.
## Wilde Spekulationen in Kommentarspalten
Anstatt das Ziel der Attacke, Mirjam Wenzel, die man aufgrund ihrer
Funktion in einer jüdischen Einrichtung als zionistische Rassistin
diffamierte, zu benennen, wurde von einem Angriff auf die „Kunstfreiheit“
gesprochen – und über die vorherige Einladung der Aktivisten durch die
Künstlerin geschwiegen.
In den Kommentarspalten zu Sam Baradouils Instagram-Post wurde daraufhin
wild spekuliert. Im Streit um die Deutung der Vorfälle brachten sich nicht
nur die anwesenden Aktivisten ein.
Auch Axel Wallrabenstein, damals noch Vorstandsmitglied des KW Institute
for Contemporary Art, beteiligte sich. Er warf einigen der
propalästinensischen Aktivisten ideologische Verblendung vor, da sich diese
als queere Menschen nicht von der Hamas distanzieren. Er selbst hingegen
wolle „als schwuler Mann nicht von der Hamas ermordet werden“.
## Als „zionistische Propaganda“ bewertet
In den sozialen Medien teilt der ehemalige Sprecher des Berliner
Kultursenats und Vertrauter Joe Chialos nicht erst seit dem 7. Oktober
proisraelische Inhalte. Darunter auch Statements der israelischen
Streitkräfte, Fotos israelischer Geiseln und viel Kritik an
propalästinensischen Aktivisten aus Kunst und Kultur.
Der sich propalästinensisch positionierende Berliner Kurator Edwin Nasr und
die Performerin Nomi Sladko werten diese Posts als „zionistische
Propaganda“. Wallrabenstein gilt ihnen als „White Supremacist“ – wie es…
einer der taz vorliegenden Instagram-Story des Kurators Nasr heißt.
Am 14. Februar, zwei Tage nach der Auseinandersetzung in den sozialen
Medien, veröffentlichten die KW ein Statement in einer Instagram-Story: „KW
distanziert sich von dem Verhalten und dem Austausch eines ihrer
Vorstandsmitglieder mit anderen Parteien über soziale Medien.“ Lücken im
Statement – wie Namensnennung und konkrete Vorfälle – wurden schnell durch
propalästinensische Accounts gefüllt: Nach Veröffentlichung der KW-Story
verlinkten propalästinensische Aktivisten Wallrabenstein und die KW in
eigenen Storys und feierten das Statement als ihren Erfolg.
Wallrabenstein trat wenige Tage nach Veröffentlichung des Statements
zurück. Einen Zusammenhang zwischen dem diffusen Statement der KW und
Wallrabensteins Rücktritt wollten auf taz-Anfrage sowohl die KW als auch
ihr ehemaliges Vorstandsmitglied nicht bestätigen.
Im Umfeld Wallrabensteins mutmaßt man aber, die Distanzierung sei aus Angst
vor der Absage von Künstlern und der Kampagne „Strike Germany“ erfolgt. Wie
Krist Gruijthuijsen, der scheidende Direktor der KW im tip-Interview
schildert, war auch die Ausstellung „Poetics of Encryption“ von Absagen der
Kampagne betroffen. Wallrabenstein wurde mittlerweile von der Gründerin der
Craftbeer-Brauerei BRLO, Katharina Kurz, als Vorstandsmitglied bei den KW
ersetzt.
## Diplomausstellung mit Protest in München
Doch nicht nur in Berlin laden Leerstellen zur Spekulation ein. Auch an der
Akademie der Bildenden Künste München kam es im Februar zum Eklat: Zur
dortigen Diplomausstellung sabotierten Protestierende die Ausstellung und
behängten die Wände mit neonfarbenen Plakaten. Zu lesen war dort der offene
Brief einer Initiative von Akademie-Studierenden. Betreff: „Gegen Zensur an
der AdBK München“. Zensur witterten die Protestierenden hinter der
Entscheidung des Präsidiums, die Vertretungsprofessur der palästinensischen
Künstlerin Jumana Manna nicht zu verlängern.
Manna hatte am 16. Oktober 2023 ihre Vertretungsprofessur an der Akademie
angetreten. Am 7. Oktober teilte die Künstlerin auf ihrem Instagram-Account
mehrere Storys, die die israelischen Opfer des Hamas-Massakers verhöhnen.
In einer kommentierte sie ein Video von Besuchern des Nova-Musikfestivals,
die auf der Flucht vor der Hamas um ihr Leben rennen: „Es macht wohl keinen
Spaß, in der Umgebung des weltgrößten Freiluftgefängnisses zu raven.“
Zum Zusammenhang von Mannas Posts und der ausbleibenden Verlängerung ihres
Vertrags erfolgte keine Stellungnahme des Präsidiums der Akademie. Auf
taz-Anfrage lässt das Präsidium verlauten, man äußere sich „grundsätzlich
nicht zu Personalangelegenheiten“. Verwiesen wird auf ein Statement von
Manna auf der Plattform Hyperallergic, das die Künstlerin nach einem
Gespräch mit Akademie-Präsidentin Karen Pontoppidan verfasst haben soll.
Darin relativiert Manna ihre Posts und kehrt den Vorwurf des Antisemitismus
in den Gegenvorwurf einer rassistischen „Schmierenkampagne“ um.
## Kulturräume weiter gespalten
Kritik am Stillschweigen der Akademieleitung übt eine Initiative von
jüdischen und antisemitismuskritischen Studierenden der Akademie: „Das
Problem ist, dass es keine klare Stellungnahme gibt“, sagt eines ihrer
Mitglieder. Ein im Nachgang der Proteste herumgeschickter Rundbrief der
Präsidentin sei zwar klar in seiner Kritik an Jumana Manna, aber käme eben
zu spät. Das Gerücht sei da schon in der Welt gewesen und viele Studierende
„witterten eine Kampagne“, ohne die Äußerungen Mannas zu kennen.
Was bei all diesen Fällen ins Auge sticht, ist die unzureichende
Kommunikation. Wer die Räume der Kultur weiterhin offenhalten will, muss
klare Worte für Angriffe auf sie finden. Denn wo die Klarheit in der
Benennung fehlt, da sprießen Gerüchte. In den Kanälen sozialer Medien
gerinnen diese schnell zu sich selbst bestätigenden Stereotypen – und
zementieren Diskursbarrikaden, die Kulturräume weiter spalten. Von den KW
bis nach München: Leerstellen, wohin man auch schaut.
20 Mar 2024
## LINKS
[1] /Palaestina-Protest-bei-Kunstaktion/!5991553
## AUTOREN
Jonathan Guggenberger
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Israel
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Antisemitismus
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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Anti-Israel
Universität der Künste Berlin
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