# taz.de -- Familienmitglieder, die AfD wählen: Warum fühlt er sich so abgeh�… | |
> Die Fronten verhärten sich, auch in Familien. Der Vater, Landwirt in | |
> Sachsen-Anhalt, fühlt sich chronisch benachteiligt. Die Tochter macht | |
> sich Sorgen. | |
Bild: Bei vielen Bauern macht sich Frust breit | |
„Und, was hast du gewählt?“ Diese Frage brannte mir auf der Seele, als ich | |
meinen Vater nach der [1][Europawahl] anrief. Die Antwort hatte ich schon | |
befürchtet, doch es schmerzte trotzdem, sie zu hören: „Na das, was alle | |
hier gewählt haben – die AfD.“ | |
Normalerweise würde ich solche Fragen nicht einfach so stellen, aber dieses | |
„hier“, von dem mein Vater spricht, ist Ostdeutschland. In seiner Region in | |
Sachsen-Anhalt haben bei der Europawahl 30,5 Prozent der Menschen die AfD | |
gewählt: Das ist fast jede*r Dritte. Die Stimmung ist geprägt von | |
Unsicherheit, Ängsten vor sozialem Abstieg und Misstrauen gegenüber | |
politischen Eliten, die als weit entfernt und unverständlich empfunden | |
werden. | |
Mein Vater war nie rechts. Eigentlich war er überhaupt nie richtig | |
politisch. Politik war in unserer ganzen Familie kein großes Thema. Es ging | |
selten um das „Morgen“, sondern immer mehr um das „Jetzt“ – und viell… | |
etwas mehr noch ums „Damals“. In der Vergangenheit fühlte mein Vater sich | |
schon immer am wohlsten. Die Erinnerung an Zeiten, in denen er sich sicher | |
und wertgeschätzt fühlte, gibt ihm Halt. | |
Dabei ist er ein offener Mensch, reist gerne und ist begeisterungsfähig. | |
Stundenlang schaut er Dokumentationen über fremde Länder, träumt von Reisen | |
und anderen Kulturen. Oft spricht er davon, Deutschland zu verlassen, um | |
anderswo ein sorgloses Leben zu führen. Vielleicht steckt dahinter der | |
Wunsch, den eigenen Problemen zu entkommen – Problemen, die er sich oft | |
selbst macht. | |
## Da staut sich Frust auf | |
Als Landwirt fühlt er sich [2][chronisch benachteiligt]. Die Landwirtschaft | |
war früher eine tragende Säule der Gesellschaft, heute scheint alles gegen | |
seinen Beruf zu sprechen: die Preise, die Anerkennung, die Leistung. Man | |
macht es nie allen recht. Eigentlich macht man es niemandem recht. Da staut | |
sich Frust auf. Ich verstehe das. | |
Mein Vater hört gerne Musik. Oft Kuschelrock, Bryan Adams, Melanie C, ABBA. | |
Im Radio, das bei ihm ständig läuft, kommen manchmal Songs von Die Ärzte | |
oder Die Toten Hosen. Er wippt mit, mag die Texte, findet sie witzig, | |
progressiv. Früher schaute er gelegentlich die „heute-show“, und wenn ich | |
ihm Videos aus Jan Böhmermanns „Magazin Royale“ schicke, findet er sie gut. | |
Wie kann jemand, der öffentlich-rechtliche Medien gerne verfolgt und zum | |
Beat von Punk-Bands mitwippt, eine Partei wie die AfD wählen? Das verstehe | |
ich nicht. | |
Vieles an seiner Wahl fühlt sich für mich falsch an. Nichts scheint so | |
richtig zusammenzupassen. Ich würde so gerne verstehen, doch es fällt mir | |
schwer. Vielleicht liegt es daran, dass sich seine wirtschaftliche und | |
soziale Situation so sehr verändert hat, dass kulturelle Vorlieben und | |
politische Überzeugungen plötzlich auseinanderklaffen. | |
Etwas in meinem Vater hat sich verändert. Die gelegentlichen politischen | |
Gespräche, die wir früher (anscheinend viel zu selten) führten, kommen | |
plötzlich wieder hoch. Er schickt mir Videos und Fotos von Plakaten, auf | |
denen steht „Wir gendern nicht!“, oder „Mami ist Mami und Daddy ist Daddy… | |
Nach den Ereignissen beim CSD in Leipzig im August wurde ihm alles „zu | |
bunt“. In seinen endlos langen Nachrichten steht, dass „fremde Menschen | |
unser Sozialsystem ausnutzen“. Sätze wie „Deutschland ist und bleibt das | |
Land der Deutschen!“ sind fett gedruckt. | |
## Soziale Netzwerke verstärken diese Radikalisierung | |
Seine Argumente sind schwammig, wirken wirr zusammengewürfelt aus diversen | |
Reden, Artikeln und Videos, die man sich im Dorf hin- und herschickt. Das | |
Internet und soziale Netzwerke verstärken diese Radikalisierung: | |
Algorithmen spülen immer mehr einseitige, oft irreführende Informationen in | |
seine Welt. | |
Wenn ich versuche, dagegen anzugehen, Argumente anzubringen, sogar versuche | |
zu verstehen, dann blockt er ab. Da ist kein Platz für neue Impulse. Die | |
Nachrichten werden immer länger, die Videos immer radikaler, die Quellen | |
immer unseriöser. | |
Und ich? Ich habe sowieso keine Ahnung. Dafür bin ich mit meinen 26 Jahren | |
ja noch viel zu jung. Zu jung, um zu verstehen, was da gerade passiert. Zu | |
„blauäugig“, zu „Großstadt“. Und sowieso, früher, vor meiner Zeit, h… | |
Welt noch ganz anders funktioniert. Argumente wie diese machen mich wütend. | |
Wenn ich nur daran denke, brodelt es in mir, ich spüre Trauer und Frust. | |
Warum aber fühlt er sich so abgehängt? In Gesprächen wird deutlich: Es ist | |
eine Mischung aus Enttäuschung und Entfremdung. Die Politiker, die er | |
früher als „Volksvertreter“ gesehen hat, scheinen jetzt nur noch „eigene | |
Interessen“ zu verfolgen. Niemand will mehr etwas Gutes für „unser Land“ | |
tun. Niemand tut etwas gegen den Krieg. Niemand tut etwas für die | |
Wirtschaft. Nur die AfD scheint das Volk voranzubringen. Nur die AfD sorgt | |
sich um das „gute Deutschland“. Nur die AfD spricht die einfache Sprache | |
meines Vaters. | |
## Vielleicht wäre das der einfache Weg: Diskussionen meiden | |
Vielleicht ist es auch ein „Ich“-Problem. Wäre es nicht einfacher, gar | |
nicht mehr mit ihm über Politik zu sprechen? Und was wäre der Preis dafür? | |
Schweigen? Ignoranz? Vielleicht wäre das der einfache Weg: ihm aus dem Weg | |
gehen, die Diskussionen meiden. | |
Doch wie lange würde ich das Schweigen aushalten? Kann ich ihn noch lieben, | |
wenn er gegen all das ist, was mir so wichtig ist? Demokratie, Freiheit, | |
Gleichheit für alle – Werte, die für mich unverhandelbar sind. Kann ich | |
jemandem nahe sein, der mit seiner Wahl all das infrage stellt? | |
„Warum schmerzt mich seine Wahl so sehr?“ Diese Frage beschäftigt mich fast | |
täglich. Es tut weh zu wissen, dass jemand, den ich liebe, sich bewusst für | |
eine Partei entschieden hat, [3][die alles ablehnt, wofür ich stehe]. Es | |
ist, als wäre eine unsichtbare Mauer zwischen uns aufgestiegen, die immer | |
größer wird. | |
Und dann ist da noch diese Wut, die sich mit der Angst vermischt, dass | |
nicht nur mein Vater den Verstand verloren hat, sondern so viele andere | |
Menschen auch. Menschen, die von allen verurteilt werden, und zwar zu | |
Recht. Menschen, mit denen eigentlich niemand etwas zu tun haben will – | |
auch ich nicht. Doch ich muss, er ist ja mein Vater. Oder? | |
## Als würden unsere Worte aneinander vorbeirauschen | |
Vielleicht liegt die Lösung in der Suche nach gemeinsamen Themen außerhalb | |
der Politik. Verbindungen, die nicht nur über politische Überzeugungen, | |
sondern über gemeinsame Interessen und Werte funktionieren. In Momenten, in | |
denen es um Menschlichkeit geht, um das, was uns verbindet, könnte ein | |
Brückenschlag gelingen. Vielleicht. Aber kann ich das? | |
Ich habe oft versucht, mit ihm darüber zu reden, ihm zu erklären, warum ich | |
die AfD für gefährlich halte. Doch es ist, als würden unsere Worte | |
aneinander vorbeirauschen. Er hört zu, nickt, scheint vielleicht sogar zu | |
verstehen. Doch am Ende bleibt er bei seiner Wahl. Unsere Gespräche enden | |
oft in Frustration. „Kennst du überhaupt das Parteiprogramm?“, frage ich | |
ihn. „Das gibt’s ja nur noch im Internet. Damit komme ich nicht klar“, | |
lautet seine Antwort. Eine Ausrede? Eine Schutzbehauptung? | |
Es scheint, als habe er Angst, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Angst | |
davor, zu erkennen, dass diese Partei keine echte Alternative bietet. | |
Stattdessen verschließt er die Augen davor, setzt sein Kreuz an der | |
falschen Stelle und schaut weiterhin fragwürdige Videos auf Youtube (wo man | |
übrigens auch das Parteiprogramm der AfD findet). Es ist bitter, dass mein | |
Vater das für richtig hält. Ich schäme mich dafür. | |
Es tut weh, zu akzeptieren, dass jemand, den man liebt, Entscheidungen | |
trifft, die man nicht versteht. Diese Ohnmacht, nichts ändern zu können, | |
lähmt mich. Vielleicht sollte ich ihm diesen Text schicken. Vielleicht | |
sollte ich aufhören, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Vielleicht liegt | |
die Lösung nicht im ständigen Diskutieren, sondern im Zuhören und | |
Verstehen. Ihm zu zeigen, dass seine Sorgen ernst genommen werden, ohne | |
dabei seine destruktiven politischen Ansichten zu unterstützen. Ein | |
Balanceakt, der viel Geduld und Liebe erfordert. Liebe, die ich vielleicht | |
gar nicht mehr in mir trage. Geduld, die längst erschöpft ist. | |
Vielleicht wird er irgendwann verstehen. Oder vielleicht wird er es nie | |
tun, und ich werde lernen müssen, damit zu leben. Denn, was bleibt mir | |
anderes übrig? | |
15 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Juliane Baxmann | |
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