# taz.de -- Terror der Hamas: Der Tag danach | |
> Frieden zwischen Israelis und Palästinensern scheint weiter entfernt denn | |
> je. Unser Autor will an der Idee der Aussöhnung festhalten. Eine Utopie. | |
Bild: Blick über Gaza im Oktober 2023 nach dem Angriff auf Israel | |
Am Tag danach. | |
Am Tag danach werden wir – jede und jeder einzelne von uns – wieder und | |
wieder erzählen müssen, was uns am 7. Oktober widerfahren ist, unzählige | |
Male. Wir werden den Palästinensern erzählen, was die Hamas uns angetan | |
hat, unseren Familien, unseren Verwandten und unseren Freunden. Wir werden | |
erzählen von den Verletzungen, den Verwundungen, den Misshandlungen an | |
Körper und Seele, von den Entführungen und den Morden. Wir werden von | |
unserer Lage an jenem für uns sehr lang gewordenen Tag erzählen, davon, wie | |
wir uns bedroht gefühlt haben wie noch nie zuvor seit der Gründung des | |
Staates Israel, werden erzählen von der Ohnmacht, der Angst und Wut, von | |
dem Grauen, das uns erfasste. Von der Würde, die wir verloren haben, und | |
der Schmach, die sich offenbarte. | |
Wir werden von Opfern und als Opfer der Situation erzählen und davon, wie | |
die Ordnung unseres Lebens erschüttert wurde, wie wir gezwungen waren, aus | |
unseren Ortschaften zu fliehen und uns aus Todesangst zu verstecken. Davon, | |
wie wir nicht wussten, in welche Richtung wir fliehen sollten, wie wir | |
verloren in unseren Verstecken standen, kauerten und lagen, wie wir um | |
unser Leben bangten und beteten. Davon, wie Raketen über uns hinwegflogen | |
und wie wir am Radio oder an den Fernsehbildschirmen hingen und das Grauen | |
live miterlebten. Davon, wie wir in den sozialen Netzwerken dem | |
mörderischen Massaker ausgesetzt waren, das wir nicht verstehen konnten, | |
dessen Bedeutung wir nicht begreifen konnten, von dem wir nicht wussten, | |
wie es überhaupt hatte geschehen können. | |
Wir werden von unserem Heldentum erzählen, wie es uns gelang, uns zu retten | |
und uns zu befreien, zu kämpfen und zu überwinden, und davon, wie wir auch | |
in den schweren Stunden bei Verstand blieben, wie wir unsere Kinder mit | |
Leib und Seele beschützten und fortfuhren, sie für einen normalen neuen | |
Schultag fertig zu machen, obwohl wir seither nicht mehr dieselben sind. | |
Und wir werden davon erzählen, wie wir uns – bereits an jenem Tag – | |
freiwillig meldeten um zu helfen, und wie wir entdeckten, dass es um uns | |
herum eine Gemeinschaft gibt, Kollektive und Menschen, die bereit sind, von | |
Herzen zu geben für andere, die sie bis gerade nicht gekannt haben, aus | |
einem Gefühl der Einheit und der Berufung, ja einfach der Menschlichkeit. | |
Und wir werden von dem Leben vor dem 7. Oktober erzählen, von den Traumata, | |
die wir zuvor erfahren hatten, und von dem schrecklichen Krieg, der uns | |
aufgezwungen wurde, von unseren Kindern, die gingen, um in Gaza zu kämpfen, | |
und von jenen, die gefallen sind, und von ihren Ehemännern, Ehefrauen und | |
Freunden, von der Empathie, die einige Völker der Welt uns | |
entgegenbrachten, die schon bald von einem Gefühl der Isolation abgelöst | |
wurde, und dies trotz der Angriffe der Huthis, der Hisbollah, des Iran und | |
anderer mehr. | |
Und wir werden erzählen von dem wachsenden Antisemitismus auf der ganzen | |
Welt, der auch Israelis trifft, die sich entschieden haben, nicht länger in | |
Israel zu leben, und Juden, die noch niemals dort gelebt haben, und von dem | |
Gefühl, dass wir um unser Zuhause kämpfen und sonst [1][keinen anderen Ort | |
haben, keinen einzigen], an den wir wirklich gehen könnten. Und von unserer | |
Angst werden wir erzählen vor jedem, der in unserer Umgebung Arabisch | |
spricht, oder sogar vor jedem, der ein wenig nicht zugehörig wirkt, denn | |
unser Gefühl persönlicher Sicherheit wurde so stark verletzt, dass wir uns | |
selbstständig organisierten, um uns zu schützen, die Türen verschlossen | |
hielten und kein Auge zumachten, bis wir wussten, dass sich unsere | |
Angehörigen an einem sicheren Ort befanden. Und von den Albträumen werden | |
wir erzählen, die uns nachts überkommen und aus denen wir erwachen und die | |
in einen nicht enden wollenden Wachalbtraum münden. | |
Am Tag danach, wenn wir den Palästinensern unsere Geschichte erzählen, | |
werden sie beschämt sein und den Blick senken, werden versuchen zu | |
protestieren, abzustreiten und zu leugnen, werden es aber schaffen, mit uns | |
ins Gespräch zu kommen, weil unsere Geschichten für sie authentisch wirken. | |
Sie werden mit uns über die Politik diskutieren, aber auch mit uns weinen | |
und bitten, uns umarmen zu dürfen, sie werden sich in ihrem Namen | |
entschuldigen und im Namen des gesamten palästinensischen Volkes, werden | |
versichern, dass, wenn es von ihnen abhinge, so etwas nie wieder geschehen | |
würde, genauso, wie es nie hätte passieren dürfen. | |
Und sie werden uns um Erlaubnis bitten, Fotos von uns zu machen und uns zu | |
interviewen, um unsere Geschichten in ihren sozialen Netzwerken zu | |
verbreiten, damit alle ihre Freunde und ihre Familien auch die Wahrheit | |
erfahren. Und sie werden uns in ihre Schulen einladen, damit wir dort | |
unsere Geschichte erzählen, und wir werden uns fühlen, als wären wir | |
Holocaustüberlebende, die kommen, um Zeugnis abzulegen. | |
Am Tag danach. | |
Am Tag danach werden wir – jede und jeder einzelne von uns – immer und | |
immer wieder zuhören müssen, [2][was die Palästinenser uns erzählen | |
werden]. Davon, wie sie sich gefreut hätten, als sie hörten, der Grenzzaun | |
sei durchbrochen, aber die Tragweite des Ganzen nicht verstanden; davon, | |
wie die Euphorie schnell in Angst vor Rache umgeschlagen sei, und von der | |
wenigen Zeit, die verstrich, bis diese dann einsetzte. Sie werden uns | |
erzählen, wie verängstigt sie gewesen seien, als die israelische Armee | |
ihnen Mal um Mal mitteilte, sie müssten ihr Zuhause und ihre jeweilige | |
Bleibe verlassen, weil es dort nicht sicher sei, und in Richtung Süden | |
gehen, danach in Richtung Westen und dann nochmal nach Norden, und wie die | |
Gerüchte sie getrieben hätten, sich jedes Mal woanders zu verstecken, und | |
wie sie dabei auch auf die Hamas gestoßen seien, die sie gestoppt und | |
drangsaliert habe. Wie sie ihre Kinder geschützt hätten, weil diese unser | |
aller Zukunft seien, wie es ihnen unterwegs aber nicht gelungen sei, allen | |
Menschen zu helfen, die nicht weiter konnten, und das waren viele, darunter | |
Alte und schwangere Frauen, die nicht einfach alles verlassen und gehen | |
konnten. | |
Und sie werden erzählen, wie Raketen und Bomben neben ihnen eingeschlagen | |
seien, die Erde zum Erbeben gebracht hätten und wie sie durch die Luft | |
geflogen seien. Wie sie auf Leichen gestoßen seien, zum ersten Mal in | |
diesem Krieg, aber nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, wegen all der | |
vorherigen Kriege. Leichen, die Augenblicke zuvor noch lebende Menschen | |
gewesen waren. Und wie immer mehr ihrer Freunde und Verwandten lebendig bei | |
den Bombardements begraben worden seien; ganze Familien, Alte, Frauen und | |
Kinder seien einer nach dem anderen durch eine Bombe ausgelöscht worden. | |
Und dass es fast niemanden in Gaza gebe, dessen Familie nicht einen hohen | |
Preis an Menschenleben entrichtet habe. Dass sehr viele ihre Töchter und | |
Söhne verloren hätten. | |
Und sie werden erzählen, wie sie versucht hätten, den Verletzten zu helfen, | |
obwohl es kaum noch medizinisches Versorgungsmaterial gegeben habe. Wie | |
sie, wenn sie es zu einem Krankenhaus geschafft hätten, erkannt hätten, | |
dass es nicht mehr als solches diente, und sie gezwungen worden seien, auch | |
von dort zu fliehen. Sie werden erzählen, wie sie vom Tod eines Angehörigen | |
ersten oder zweiten Grades erfahren hätten, und natürlich auch von Freunden | |
und Bekannten, die getötet worden seien, und wie sie nach Vermissten | |
gesucht hätten und immer noch suchen würden. Und wie sie sich bald nur noch | |
versteckt hätten, um die israelischen Angriffe zu überleben, aber vor | |
lauter Angst und infernalischem Lärm keinen Schlaf gefunden hätten, und wie | |
sie sich schutzlos auch an Orten gefühlt hätten, die als geschützt | |
ausgegeben worden waren. | |
Und wie ihre Kinder gehungert hätten, sie ihnen nicht hätten helfen können; | |
und wie sie als Flüchtlinge in improvisierten Zeltlagern hätten hausen | |
müssen, ohne elektrischen Strom und einfachste sanitäre Einrichtungen, da | |
die meisten ihrer Häuser zerstört worden seien und es nichts gebe, wohin in | |
Gaza sie zurück können. Die zweite, dritte oder vierte Generation der | |
Flüchtlinge von 1948, die nun selbst zu Flüchtlingen geworden sind. | |
Und sie werden erzählen, wie sie von Seiten israelischer Soldaten | |
Erniedrigungen und Demütigungen erfahren hätten, wie diese sie beschimpft | |
und Hetzparolen an die Mauern gesprayt hätten, wie sie Häuser geplündert | |
und sie selbst misshandelt hätten. In der Zwischenzeit hätten sie das | |
Ausmaß der Zerstörung und vor allem des Tötens realisiert, hätten nicht | |
glauben können, dass ausgerechnet jüdische Menschen, deren kollektive | |
Erinnerung an den Holocaust sehr stark ist, zu etwas fähig seien, was in | |
ihren Augen Kriegsverbrechen, ja Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien. | |
Am Tag danach werden wir auch die Geschichten der Palästinenser aus dem | |
Westjordanland hören, die die Besatzung beständig weiter schikaniert und | |
von ihrem Land vertrieben habe. Die Aufmerksamkeit für ihr Leid aber sei | |
verschwunden, weil der Krieg ja scheinbar woanders stattfindet, doch auch | |
von ihnen wurden Hunderte in jenen Monaten getötet. | |
Und wir werden die Geschichten der Palästinenser aus Ostjerusalem hören, | |
die Angst gehabt hätten, zu ihrer Arbeit ins Hadassah-Krankenhaus in Ein | |
Kerem im Westteil der Stadt zu fahren, wo sie als Krankenschwestern und | |
Pfleger mit Juden zusammenarbeiteten, unterwegs dorthin in der Stadtbahn | |
seien sie Drohungen und Verunglimpfungen ausgesetzt gewesen. Und wir werden | |
die Geschichten der Palästinenser aus Israel hören, die wir noch immer als | |
„israelische Araber“ bezeichnen, wie man ihnen ihren Job gekündigt, sie von | |
den Universitäten geworfen habe, wie sie geächtet und verfolgt worden | |
seien, nur weil sie Empathie und Mitgefühl für die palästinensische Seite | |
gezeigt hatten, nachdem ihre Familienangehörigen in Gaza getötet worden | |
waren. | |
Am Tag danach werden uns die Palästinenser von der israelischen Besatzung | |
erzählen und was diese für ihr Leben bedeutet. Sie werden uns von Rassismus | |
erzählen, von Diskriminierung, von Gewalt gegen sie, nicht nur durch | |
Einzelne, sondern auch von Seiten der Polizei, der Armee und des Staates. | |
Sie werden uns erzählen von der Gewalt der Siedler, die mit den Jahren sehr | |
zugenommen habe, vor allem jedoch von den Unterdrückungspraktiken des | |
Staates: von den Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, von der | |
fortschreitenden Reduzierung ihres Lebensraums, von ihrem begrenzten Zugang | |
zu Wasser und Elektrizität und vor allem von den Arbeitserlaubnissen, für | |
die sie durch sieben Fegefeuer müssten, um sie zu erhalten. | |
Sie werden uns vom Recht erzählen, das unter der israelischen Besatzung nur | |
ein Mittel der Vertreibung sei. Von Gesetzen, die wir nicht gekannt haben, | |
weil sie uns nicht betreffen, obschon der Oberste Gerichtshof sie bewilligt | |
hat. Sie werden erzählen von Administrativhaft, von Misshandlungen und | |
Folter, vom verwehrten Recht, sich selbst als Palästinenser zu definieren. | |
Sie werden uns erzählen, wie sie versucht hätten, gegen das System zu | |
kämpfen, doch dass sie wie einer von Kafkas Helden am Ende zum Beispiel | |
gezwungen worden seien, das von ihnen mit eigenen Händen errichtete Haus | |
wieder zu zerstören, um die Kosten für die „Absicherung“ zu sparen, die s… | |
hätten bezahlen müssen, wenn staatliche Stellen ihre Häuser abgerissen | |
hätten. | |
Sie werden uns erzählen, wie Menschen nicht nur ihren Besitz und ihr Heim | |
verloren hätten, sondern auch verletzt oder gar getötet worden seien, wie | |
verwaiste Kinder und Witwen zurückblieben, wie Töchter und Enkelkinder | |
starben. Sie werden erzählen vom Leben im Gazastreifen nach der | |
„Abkoppelung“, dem israelischen Abzug 2005, wie sie unter einem Zustand der | |
Belagerung gelebt hätten, getrennt von ihren Familien in Israel, auf der | |
Westbank und im Ausland. Davon, wie ihnen Nahrungsmittel, Waren und | |
Medikamente vorenthalten worden seien. Wie die Versorgung mit Strom und | |
Wasser ständig begrenzt gewesen sei und die Fischer daran gehindert wurden, | |
sich vom Strand zu entfernen und weit genug aufs Meer hinauszufahren. Wie | |
die Arbeitslosigkeit immer größer und das Leben schier unerträglich | |
geworden sei. Und natürlich werden sie von den ununterbrochenen Kriegen und | |
Militäreinsätzen erzählen, die fortwährend Menschenleben kosteten. | |
Und dann werden wir entscheiden müssen, wie wir reagieren. Ob wir ihren | |
Geschichten zuhören? Ob es uns gelingt, Tränen zuzulassen und mit ihnen zu | |
fühlen? Ob wir vielleicht sogar irgendwann mit ihnen werden lachen können? | |
Werden wir gemeinsame Geschichten des Leids entdecken können – wohl ein | |
bisschen unterschiedlich und doch einander ähnelnd, Geschichten darüber, | |
was jenseits des Zauns geschehen ist und was hier bei uns? Wohin wird | |
unsere Scham uns tragen und wohin vor allem die Verantwortung? Werden wir | |
ihnen Empathie entgegenbringen können, so wie sie sie uns gegenüber zeigen | |
werden? Und muss man überhaupt erst darauf warten, dass die andere Seite | |
damit beginnt? | |
Schon heute gibt es ähnliche Begegnungen, gibt es Initiativen wie | |
[3][Parents Circle], ein Forum israelischer und palästinensischer Familien, | |
die durch den Konflikt Angehörige verloren haben, gibt es Bildungs- und | |
Dialogeinrichtungen wie [4][Givat Haviva] oder die [5][Combatants for | |
Peace], die sich allesamt um einen Dialog zwischen den Narrativen bemühen. | |
Werden wir am Tag danach gemeinsam wachsen können? Werden wir die andere | |
Seite akzeptieren können? Wird es uns gelingen, wieder Verbindungen | |
aufzubauen und die Wunden zwischen uns zu schließen? Schon seit Jahren | |
bemüht sich eine zivilgesellschaftliche Initiative namens Have You Seen the | |
Horizon Lately? darum, zu einer Zusammenarbeit zwischen Palästinensern und | |
Juden zu ermutigen, und noch viel länger zurück liegt die Gründung von | |
Wahat al-Salam/Neve Shalom, einem gemeinschaftlichen Dorfprojekt von | |
Palästinensern und Juden, in dem sie nicht nur zusammenleben, sondern auch | |
gemeinsam unterrichten, erziehen und lehren, wie man Gruppen bei derart | |
aufgeladenen Treffen anleitet. | |
Am Tag danach werden wir unsere Geschichte nicht nur den Palästinensern | |
erzählen, sondern auch den Freiwilligen aus der ganzen Welt. Sie werden zu | |
uns kommen, um zu sehen, wie wir Frieden von unten schaffen, werden uns | |
helfen, unsere Beziehung zu den Palästinensern wieder zu erneuern, werden | |
zu uns kommen und uns helfen, uns wieder zu rehabilitieren, das Vertrauen | |
neu aufzubauen zwischen uns und ihren Staaten und zwischen uns und den | |
Palästinensern. Sie werden für einige Zeit in unseren Gemeinden leben, | |
werden uns bei einfacheren und komplizierteren Rehabilitationsaufgaben | |
begleiten und dabei unserer Geschichte lauschen. | |
Sie werden zwischen verschiedenen Gemeinden wechseln, zwischen | |
palästinensischen und israelischen, und werden gemeinsam mit uns die | |
Flicken wieder zusammenfügen. Studenten aus Harvard werden mit Überlebenden | |
der Massaker im Kibbuz Be’eri und auf dem Nova-Festival zurück zu den Orten | |
gehen, werden uns für einen Dokumentarfilm interviewen, in dem es auch | |
Interviews geben wird mit Flüchtlingen aus Shuja’iyya, die nach Rafah | |
vertrieben wurden, nur um dort dann Zeugen eines Massakers zu werden. | |
Chinesische Ingenieure werden helfen, in Gaza eine Stadtbahn zu bauen, | |
werden sich Geschichten vom Bau der Tunnel anhören und wie diese benutzt | |
wurden, werden von befreiten israelischen Soldaten Geschichten über die | |
Kämpfe in den Tunneln hören, werden auch den Geschichten von Palästinensern | |
lauschen, deren Angehörige ihr Leben ließen wegen der Hamas, und die | |
Geschichten israelischer Familien, deren entführte Liebsten | |
irrtümlicherweise durch die israelische Armee getötet wurden. | |
Deutsche Psychoanalytiker werden kommen, um die israelischen Piloten zu | |
behandeln, die Ziele bombardiert und Unschuldige getroffen haben. Sie | |
werden auch Hamas-Leute behandeln, die an Gräueltaten oder Kampfhandlungen | |
beteiligt waren und die nun im Entradikalisierungsprozess sind. Sie werden | |
die Palästinenser nach Yad Vashem begleiten und die Israelis ins Museum der | |
Nakba, um erlittenes Leid gegenseitig anzuerkennen. Die internationalen | |
Freiwilligen werden von dem Gesundungsprozess berichten, der hier | |
stattfindet und der anderen Staaten auf der Welt als Inspiration dienen | |
kann. | |
Am Tag danach werden Friedensorganisationen große Etatmittel zur Verfügung | |
gestellt bekommen, die ihnen vor allem helfen werden, mit ihrer Erfahrung | |
Begegnungen zu koordinieren und Projekte anzustoßen. Solche Initiativen | |
haben bislang für ihr Eintreten sehr viel Kritik und Delegitimierung durch | |
die israelische Gesellschaft erfahren. Am Tag danach werden wir endlich | |
ihre Arbeit anerkennen und uns ihnen vielleicht sogar anschließen. Wir | |
werden von den Ungerechtigkeiten lesen – zum Beispiel bei Organisationen | |
wie B’tselem, Zochrot oder Ir Amim –, die in unserem Namen begangen wurden, | |
von Unrecht und den Übergriffen gegen unbescholtene Bürger auf | |
verschiedenen Wegen. Am Tag danach werden wir verstehen, dass diese | |
Organisationen nicht „die schmutzige Wäsche öffentlich waschen wollen“, | |
sondern dass sie versuchen, uns schon seit Jahren aufzuwecken, damit wir | |
die Realität sehen, und uns zu ermutigen, diese zugunsten unserer beiden | |
Völker zu verändern. | |
Deswegen werden wir alle Shovrim Shtika ([6][Breaking the Silence]) | |
beitreten, dem [7][Sprachrohr ehemaliger und aktiver Soldaten], denn auch | |
wir haben in der Armee gedient, wenn auch vielleicht nicht in den besetzten | |
Gebieten, und so verstehen wir dennoch heute den ungeschriebenen Vertrag | |
zwischen dem Staat und uns als potenziellen Soldaten: Der Staat hat uns | |
physisch zu schützen und einen moralisch-ethischen Rahmen zu gewährleisten, | |
und wir sind verantwortlich dafür, dass dieser Vertrag eingehalten wird. | |
Am Tag danach werden wir uns bei [8][dialogtogether] nach Möglichkeiten | |
einer Koexistenz mit den Palästinensern erkundigen, werden unsere Kinder | |
auf eine zweisprachige, hebräisch-arabische Schule schicken und auf der | |
Homepage von aChord über die Arbeit in „gemischten Organisationen“ | |
informieren. | |
Der Tag danach hat längst begonnen. Und wir sind es, die über sein Drehbuch | |
entscheiden. Wir sind es, die mehr oder weniger bewusst, in unserem | |
Verhalten, in unserem Alltag und in der Sprache, die wir verwenden, durch | |
die Verbindungen, die wir eingehen und pflegen, bestimmen, wie der Tag | |
danach aussieht. | |
Übersetzung aus dem Hebräischen von [9][Markus Lemke] | |
5 Oct 2024 | |
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[4] https://www.givat-haviva.net/ | |
[5] https://cfpeace.org/ | |
[6] https://www.breakingthesilence.org.il/ | |
[7] /Kommentar-Breaking-the-Silence/!5302597 | |
[8] https://dialogtogether.com/en/ | |
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Lemke | |
## AUTOREN | |
Avi Kotsere-Burg | |
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