# taz.de -- Zivilgesellschaft nach Brandenburg-Wahl: „Wir brauchen jeden Einz… | |
> Was bedeutet das Wahlergebnis für die Zivilgesellschaft? Die taz hat mit | |
> vier Engagierten gesprochen. | |
Bild: Clara Mühlheim hat den Protest gegen den AfD-Landesparteitag 2024 in Jü… | |
Clara Mühlheim, Sozialpädagogin in einem Jugendclub und aktiv bei dem | |
sozialistischen Verein „Die Falken“: | |
„Gerade überwiegt noch das Ohnmachtsgefühl. Natürlich ist es gut, dass die | |
AfD nicht stärkste Kraft bei der Wahl in Brandenburg geworden ist. Aber ich | |
kann darüber nicht jubeln, [1][weil die Nazis ja trotzdem so stark geworden | |
sind], weil sie jetzt mit einer Sperrminorität wichtige Entscheidungen im | |
Landtag blockieren können. Und auch, dass [2][Linke] und die [3][Grünen] | |
aus dem Landtag geflogen sind, ist schockierend. Genau die Parteien, die | |
für soziale Gerechtigkeit einstehen – also die Politik, die wir jetzt | |
bräuchten. | |
Fatal ist das auch, weil die AfD ja explizit auch die Jugendarbeit | |
angreift, also auch unsere Arbeit. [4][Wir hatten das ja 2020 schon mal], | |
als die Partei versucht hat, alle Mittel für uns Falken zu streichen. | |
Damals gab es noch die Brandmauer aller demokratischen Parteien, die | |
dagegen gestimmt haben. Jetzt aber sind wir in einer Situation, in der wir | |
uns da nicht mehr unbedingt darauf verlassen können. Ich glaube nicht, dass | |
die AfD in Brandenburg mitregieren wird. Aber die Partei wird Druck ausüben | |
und sie wird ihre Sperrminorität nicht ungenutzt lassen. | |
Was mich auch schockiert, ist, wie viele junge Menschen die AfD gewählt | |
haben. Die Kinder, mit denen wir zusammenarbeiten, haben ja eher | |
Migrationsgeschichte, für die war das kein Thema und viele von ihnen dürfen | |
ja leider eh nicht wählen. Aber bei unseren Antifa-Demos haben wir bemerkt, | |
dass es eine neue, junge, rechtsextreme Generation gibt, die gewaltbereit | |
ist. [5][Als wir gegen den AfD-Parteitag in Jüterbog protestiert haben], da | |
standen uns plötzlich Zehntklässler gegenüber, die den Hitlergruß zeigten. | |
Und das ist genau die Jugend, die die AfD für sich gewinnen will und die | |
sie weiter radikalisiert. | |
Es ist umso wichtiger, dass wir weitermachen. Dass wieder solche | |
AfD-Anträge kommen, die unsere Förderung streichen wollen, damit müssen wir | |
rechnen. Aber wir wollen uns davon nicht einschüchtern lassen. Wenn die | |
Grünen und Linken im Landtag jetzt fehlen, dann müssen wir uns jetzt noch | |
mehr mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen vernetzen. Und wir müssen | |
alle noch mal diskutieren, was langfristig unsere Strategie ist, um aus der | |
Defensive zu kommen. Da fehlen mir gerade auch noch die Antworten. Aber das | |
Wichtigste ist, dass alle, die in Brandenburg gegen rechts und für die | |
Demokratie eintreten, jetzt zusammenhalten und noch mehr zusammenwachsen. | |
Und dass wir nicht aufgeben.“ | |
Augusto Jone Munjunga ist Mitgründer und Vorsitzender des [6][Kulturvereins | |
Palanca] in Eberswalde: | |
„Es ist eine kritische Lage. Als migrantischer Verein werden wir in Zukunft | |
vielleicht viele Sachen nicht mehr tun können. Durch die neue politische | |
Lage könnte unsere finanzielle Unterstützung blockiert werden. Wenn das | |
passiert, bremst das unsere Vereinsarbeit und bedroht schlussendlich unsere | |
Existenz. Und das kann auch vielen anderen Vereinen passieren. | |
Wir diskutieren in den nächsten Tagen unsere Zukunft mit unseren | |
Mitgliedern. Ich weiß aber auch jetzt schon, dass die Angst derzeit bei uns | |
allen dominiert. Die AfD in Eberswalde und im Landkreis Barnim hat bei den | |
Wahlen dazugewonnen, sie stellt jetzt den stellvertretenden Landrat. | |
Die Arbeit von Palanca sollte weitergehen, trotz des schlechten | |
Ergebnisses, das es jetzt gibt. Genauso müssen die Politiker:innen | |
weitermachen. Die sollen nicht einfach denken: „Na ja wir haben verloren, | |
wir packen unsere Sachen und wir gehen.“ Damit gewinnt die AfD nur noch | |
mehr. Egal welche Ergebnisse kommen, wir müssen weiterkämpfen. Wir können | |
den Raum nicht einfach der AfD überlassen. | |
Ich vergleiche es immer mit den neunziger Jahren, weil ich damals viele | |
rassistische Sachen erleben musste. Nach der [7][Ermordung von Amadeu | |
Antonio 1990] haben wir auch gesagt, wir müssen weiterkämpfen. Wir waren | |
nicht viele damals, vielleicht 20 Menschen. Dann haben wir Palanca | |
gegründet. | |
Wenn ich jetzt sehe, dass diese Zeiten zurückkommen, macht mir das Angst. | |
Ich bin keine junge Person mehr. Es liegt jetzt auch in der Hand der jungen | |
Menschen. Sie werden viel kämpfen müssen, um die Zukunft zu schützen. | |
Es ist wie im Fußball. Wenn ich eine Gelbe Karte bekomme, muss ich es | |
besser machen, damit ich keine Rote bekomme, und ich muss gut spielen, um | |
zu gewinnen. Das brauchen wir jetzt genauso: Eine gute Strategie, um die | |
AfD wieder runterzubekommen. Und dafür brauchen wir die Zivilgesellschaft, | |
aber auch die Politik. | |
Von der Zivilgesellschaft erhoffe ich mir, dass das Zusammenleben | |
weitergeht. Die Deutschen und die Migrant:innen sollen zusammenwachsen, | |
alle sollen zusammenarbeiten, zusammenleben. Damit auch die | |
Migrant:innen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit gesehen | |
werden. Aber das geht nur, wenn Migrant:innen und Deutsche nah | |
aneinander dran sind. Nur so können wir die Probleme, die es gibt, | |
verbessern.“ | |
Der [8][Palanca e.V.] war einer der Nominierten des diesjährigen [9][taz | |
Panter Preis] in [10][Brandenburg]. | |
Angelika Rix engagiert sich bei den Omas gegen rechts in Potsdam: | |
„Ich war am Sonntagabend zu Hause und habe die Wahlergebnisse mit meinem | |
Mann vor dem Fernseher geguckt. Bei der ersten Prognose war ich | |
erleichtert, aber das hat sich dann in Traurigkeit und Frustration | |
gewandelt. Die AfD ist nicht stärkste Kraft, was ein Erfolg ist. Aber es | |
ist eine Katastrophe, dass so viele Parteien aus dem Landtag ausgeschieden | |
sind. Es gibt keine wirkliche Auswahl für Koalitionen unter Ausschluss der | |
AfD. | |
Mit den [11][Omas gegen rechts] müssen wir uns viel mehr an jüngere Leute | |
richten. Bisher haben wir in unserer Kommunikation vor allem ältere | |
Menschen angesprochen. Seit zwei Wochen sind wir bei Tiktok, von so was | |
brauchen wir noch viel mehr. Außerdem müssen wir uns überlegen, wie wir | |
junge Leute auf dem Land ansprechen. Wir sind hier in Potsdam in einer | |
Blase. Hier bekommen wir viel positives Feedback von jungen Leuten, aber | |
die denken anders als die jungen Menschen auf dem Land. Wir können nicht | |
einfach übertragen, was sie fühlen und denken. | |
Ich habe gelesen, dass bei jungen Leuten die AfD zwar stärkste Kraft ist, | |
aber die Kleinstparteien auch sehr hohe Zustimmungswerte haben. Das macht | |
mir große Hoffnung. Die jungen Leute denken diverser. Bei den älteren bin | |
ich ein bisschen ratlos. Wir waren mit den Omas gegen rechts vor den Wahlen | |
das erste Mal außerhalb von Potsdam in Brandenburg unterwegs. Da haben | |
gerade junge Familien mit kleinen Kindern sehr negativ auf uns reagiert. | |
Das hat mich erschrocken, weil ich das so aus Potsdam nicht kenne.“ | |
Daniel Domscheit-Berg ist Mitbetreiber des offenen Kreativraums | |
[12][Verstehbahnhof] in Fürstenberg/Havel: | |
„Das Wahlergebnis ist eine massive Katastrophe. Die AfD ist nur ganz knapp | |
an einer Mehrheit vorbeigerutscht, die Rechtsextremen haben einen enormen | |
Zulauf von jungen Wählern. Das kommt alles nicht überraschend, aber es ist | |
richtig bitter. An diesem Ergebnis kann man nichts schönreden. Im Moment | |
ist die einzige Hoffnung, die ich irgendwie habe, dass diese brutale | |
Realität jetzt bei allen mal durchsickert, dass alle verstehen, was hier | |
eigentlich passiert. | |
Ich war am Samstag beim CSD in Oranienburg: Es ist mir unbegreiflich, dass | |
ich mit Mitte 40 heute zu so einer Veranstaltung gehen muss, weil ich dort | |
Solidarität zeigen muss, weil ich Angst um meinen Nachwuchs habe. Das hätte | |
ich mir in meinem Leben nicht träumen lassen. Und ich verstehe den Hass | |
nicht. Da sind am Samstag auch rechte Jugendliche aus Fürstenberg | |
angereist, die ich kenne, um gegen den CSD zu demonstrieren. Mit welcher | |
Missachtung die uns gegenüberstanden – unbegreiflich. Warum können solche | |
Leute, die sich stark fühlen wollen, nicht die Champions der Schwachen sein | |
statt sich gegen die Schwächsten zu wenden? Ich verstehe es nicht. | |
Umso engagierter müssen wir jetzt nach dieser Wahl sein, wie auch immer das | |
gehen soll. Wir sind ja schon alle ganz schön engagiert. Aber vielleicht | |
müssen wir noch mal reflektieren, auf welchen Wegen wir Menschen erreichen. | |
Wir haben da auch als Verstehbahnhof eine Riesenaufgabe vor uns: Wir sind | |
ja ein Bildungsprojekt und es gibt ein massives Bildungsproblem, gerade bei | |
den jungen Menschen, aber nicht nur dort. Daran müssen wir aktiv arbeiten. | |
Wir müssen mit Leuten reden, müssen versuchen, sie abzuholen, dort, wo sie | |
gedanklich stehen und ihnen erklären, warum die AfD keine Politik macht, | |
die ihnen und anderen nützt. Dass das vollkommen wahnwitzige Ideen sind. | |
Das ist aber eine Aufgabe für uns alle: Reden mit den Nachbarn, mit den | |
Eltern in unseren Schulen, mit den Leuten in unseren Sportvereinen. Wir | |
müssen den Diskurs suchen, egal, wie unangenehm der auch sein mag. Das ist | |
das Allerwichtigste. Niemand hier in Brandenburg kann sich mehr verstecken | |
und das an irgendjemand anderen abgeben. | |
Natürlich wird unser Projekt im Visier der AfD stehen. Die nehmen ja alle | |
ins Visier. Selbst die Feuerwehren, wenn die Partei etwa fordert, den | |
Landesjugendring nicht mehr zu fördern. Und in den Feuerwehren sind nun mal | |
die jungen Leute. Da sind den meisten die gesellschaftlichen Konsequenzen | |
dieser AfD-Forderungen überhaupt nicht bewusst. | |
Mit dem Verstehbahnhof versuchen wir, uns jetzt finanziell bestmöglich | |
unabhängig zu machen. Aber das wird nicht leicht. Vieles kann man | |
ehrenamtlich machen, aber wenn wir irgendwann die Miete nicht mehr zahlen | |
können, dann ist Schluss. Aber wir müssen alle weitermachen. Wir dürfen | |
jetzt nicht umziehen, nicht den Kopf in den Sand stecken, nicht unsere | |
Projekte infrage stellen. Wir dürfen denen nicht das Feld überlassen. Im | |
Gegenteil. Alles, was wir machen, ist heute relevanter denn je. Wir | |
brauchen jeden Einzelnen. Und wir müssen uns organisieren, damit die | |
Schwächsten geschützt werden können für den Tag, an dem der Damm bricht. | |
Die Neunziger dürfen sich nicht wiederholen.“ | |
Der [13][Verstehbahnhof] ist Gewinner des diesjährigen [14][taz Panter | |
Preis] in [15][Brandenburg]. | |
23 Sep 2024 | |
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[11] /Omas-gegen-Rechts/!t6033233 | |
[12] /taz-Panter-Preis/!6035232 | |
[13] https://www.youtube.com/watch?v=2BfCU-yAgLk&list=PLEG8RZE9Ihf8jFmyMYUC… | |
[14] /Sich-stark-machen/!v=4269299f-23bb-40f2-a4ea-2b1b1ae40192/ | |
[15] /taz-Panter-Preis-fuer-Brandenburg/!vn6035263/ | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Louise Ringel | |
Amelie Sittenauer | |
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