# taz.de -- Wahlen in Brandenburg: Es regiert die Angst | |
> Die AfD ist zwar unter 30 Prozent geblieben. Doch sie schafft eine | |
> Stimmung, in der Widerspruch ständige Gefahr bedeutet. | |
Bei den einen brennt es hinter dem Haus. Der andere wird auf der Straße | |
geschubst. Die Nächste wird verprügelt. Es sind Freund:innen, denen so | |
etwas passiert. Freunde von Freunden. Bekannte und Freundinnen von | |
Bekannten. Es passiert ihnen in den Wochen vor der Wahl. Vor den 29,2 | |
Prozent für die AfD, bevor sie [1][zweitstärkste Partei hinter der SPD] | |
wird und damit eine Sperrminorität im Brandenburger Landtag hat. | |
Die Menschen, die diese Gewalt erfahren, sind schwul, sie haben Plakate | |
aufgehängt, die nicht für AfD, [2][Der III. Weg] oder eine andere | |
rechtsextreme Partei werben, sie arbeiten am Theater, betreiben das | |
irgendwie linke, alternative Kulturding zwischen Jugendclub und Café in | |
einer Kleinstadt, haben Eltern, die nicht aus Deutschland kommen, sind | |
Politiker:innen im Stadt- oder Gemeinderat. Manche sind bedroht | |
worden, bevor ihnen Gewalt angetan wurde, für andere kam es überraschend. | |
Sie alle wollen nicht öffentlich reden. Sie wollen nicht, dass darüber | |
geschrieben wird, jedenfalls nicht so, dass sie erkennbar sind. Sie alle | |
haben keine Anzeige erstattet. | |
„Dann fühlen die sich ermutigt.“ | |
„Anderen passiert Schlimmeres.“ | |
„Auf keinen Fall, in der Anzeige würde mein Name stehen.“ | |
„Ich habe Kinder.“ | |
## Ständige Drohung | |
Journalist:innen werden in den nächsten Tagen über Koalitionen | |
schreiben. Es wird [3][Erleichterung zu lesen] sein, darüber, dass die AfD | |
nicht mitregiert. Erleichterung gab es im Fernsehen bei manchen schon | |
gleich nach der Wahl. [4][Weniger als 30 Prozent für die AfD] fühlen sich | |
für die, die sich diese Erleichterung leisten können, an wie weniger als | |
fünf Prozent. Wer aber nicht zu hören sein wird, sind diejenigen, über die | |
ich diesen Text schreibe, ohne wirklich über sie zu schreiben. | |
Die AfD wird in keinem ostdeutschen Bundesland mitregieren. Aber die Angst | |
vor ihr regiert bereits. Oder genauer: Es regiert die Angst davor, was die | |
Partei mit ihren Erfolgen im täglichen Miteinander befördert. Allem | |
Nicht-Zustimmen, allem Streit, allem Sich-erkennbar-anders-Zeigen ist eine | |
Drohung eingeschrieben. | |
Man fragt sich: Ist das gerade eine politische Diskussion mit den Männern | |
im Verein oder schon die erste Stufe einer Schlägerei? Sage ich in der | |
Eltern-Whatsapp-Gruppe noch was zu denen, die darüber schreiben, alle | |
Grünen aufzuhängen, oder bin ich lieber still? Warum ist die Lehrerin, die | |
sonst immer den Mund aufgemacht hat, plötzlich so ruhig? | |
In Brandenburg hat die AfD [5][Stichwaffen als Wahlkampfgeschenke] | |
verteilt. Sie hat nach der Wahl ein Partyvideo veröffentlicht, in dem | |
AfD-Politiker:innen [6][übers Abschieben singen und dazu tanzen]. Um sie | |
herum und die anderen rechtsextremen Parteien hat sich eine rechte | |
Zivilgesellschaft gebildet. Vereine, Bürgerinitiativen, lose Cliquen von | |
Unterstützern. | |
## Man murmelt übers Murmeln | |
Es ist eine journalistische Zumutung, diesen Text so zu schreiben. | |
Journalist:innen sollen sagen, was ist. „Stattdessen murmelt man über | |
ein Murmeln“, sagt eine Kollegin, die in Brandenburg wohnt. Ich rufe sie an | |
und bitte um Rat, wie man über Menschen schreibt, die nicht wollen, dass | |
man über sie schreibt. Sie hat keinen. | |
Es kann sein, dass es in Brandenburg, in Ostdeutschland, erst einmal wieder | |
leiser wird. Dass gar nicht so viel zu lesen und zu hören sein wird über | |
Bedrohungen durch Rechtsextreme, über Einschüchterungen, über Gewalt. Dass | |
man in den kommenden Wochen und Monaten in Berlin und Köln und vielleicht | |
auch in Leipzig den Eindruck gewinnen könnte, es sei doch gar nicht so | |
schlimm gekommen mit dieser AfD. | |
Es wird in Ostdeutschland eine Realität geben, die sich nicht widerspiegeln | |
wird in der Kriminalstatistik, in Zitaten in Zeitungen, in Gesichtern im | |
Fernsehen. Verantwortlich dafür sind nicht allein die Rechtsextremen. | |
Es wird genügend Bürgermeister:innen in Ostdeutschland geben, die das, | |
was an Gewalt doch an die Öffentlichkeit kommt, kleinreden werden. Unser | |
Ort hat kein Naziproblem. | |
## Die Angst ist universell | |
Es wird genügend Wohlmeinende geben, die sagen, dass im Osten nicht alle | |
Nazis sind. | |
Es wird genügend Lokalzeitungen geben, die über vieles nicht schreiben. | |
Oder vielleicht schreiben sie, aber dann von einer Schlägerei zwischen | |
Jugendlichen, auch wenn es ein Angriff Rechtsextremer war. | |
Es wird das alles geben. Das alles gibt es seit Jahrzehnten. In den 1990er | |
Jahren konnte man sich in Ostdeutschland nicht einmal auf linke | |
Politiker:innen verlassen, wenn es darum ging, rassistische und | |
nazistische Gewalt zu benennen. | |
Die Angst, man könnte der nächste von Faschisten Bedrohte sein, wenn man | |
etwas gegen sie sagt, ist universell. Man kann sie bei alten Kommunistinnen | |
unter süditalienischer Sommersonne erleben und bei jungen | |
Journalist:innen in westdeutschen geklinkerten Mittelstädten. | |
Ich überlege mir inzwischen selbst sehr gut, an welchen Orten ich was sage. | |
Ich lasse mich von Freund:innen und Verwandten von Veranstaltungen | |
abholen. An dieser Stelle keine wohlfeilen Ratschläge aus Berlin. | |
24 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /AfD-bei-Wahlen-in-Brandenburg/!6037863 | |
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[4] /AfD-Erfolg-in-Brandenburg/!6038024 | |
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-brandenburg-kotre-ku… | |
[6] https://www.tagesschau.de/inland/regional/brandenburg/afd-feiert-mit-abschi… | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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