| # taz.de -- Landtagswahl in Sachsen: CDU und AfD Kopf an Kopf | |
| > Die CDU kann nach ersten Hochrechnungen in Sachsen weiterhin den | |
| > Ministerpräsidenten stellen. Höchstens knapp hinter ihr liegt die AfD. | |
| Bild: So sieht ein Sieger aus? Michael Kretschmer (CDU), amtierender Ministerpr… | |
| Berlin/Dresden taz | Zweimal brandete um 18 Uhr zumindest Beifall auf im | |
| großen Fraktionssaal der CDU im Sächsischen Landtag. Erwartbar, als die | |
| erste Prognose die Union mit rund 32 Prozent in Sachsen knapp vor der AfD | |
| sah. Fast noch längeren Applaus gab es dann für die Wahlbeteiligung im | |
| Bundesland von rund 74 Prozent. Für rauschhafte Begeisterungsausbrüche ist | |
| eine bürgerliche, um nicht zu sagen spießige Union nicht gerade bekannt. | |
| Aber selbst gemessen daran blieben die Reaktionen auf ihrer Wahlparty | |
| zunächst verhalten. | |
| Dann aber kommt ER mitsamt Entourage in den Saal: [1][Ministerpräsident | |
| Michael Kretschmer]. Jetzt ist der Beifall intensiv und ausdauernd. „Wir | |
| haben allen Grund zu feiern“, jubelt der 49-Jährige. | |
| Wenn man denn so will, gibt es ausweislich der ersten Zahlen sogar drei | |
| solcher Gründe: Erstens hat die CDU ihr Niveau von 2019 ungefähr gehalten. | |
| Zweitens wird sie voraussichtlich weiterhin den Ministerpräsidenten | |
| stellen, so wie durchgehend seit der Wiedervereinigung. Und drittens ist | |
| eben für Sachsen möglicherweise der Worst Case verhindert: die AfD als | |
| stärkste Kraft. | |
| Kretschmer selbst wird sich dadurch in seinem Kurs bestätigt sehen: Eine | |
| Zusammenarbeit mit der AfD auf Landesebene lehnte er zwar strikt ab. | |
| Inhaltlich aber hatte er es nicht erst seit diesem Wahlkampf auf eine | |
| Klientel rechts der Mitte abgesehen. So forderte er wiederholt eine | |
| Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Ukraine-Solidarität ist | |
| bei ihm demonstrativ schwächer ausgeprägt als bei der Bundes-CDU; seine | |
| Kritik an der Ampelkoalition in Berlin klingt dafür meist noch schärfer als | |
| die von Parteichef Friedrich Merz. „Die Menschen sind enttäuscht von dem, | |
| was in Berlin passiert!“, sagt er auch jetzt auf seiner Wahlparty. Deswegen | |
| hätten sie CDU gewählt. | |
| Auch seine eigenen Koalitionspartner auf Landesebene, SPD und vor allem | |
| Grüne, nahm Kretschmer im Wahlkampf von den Attacken nicht aus. Er setzte | |
| als Regierungschef auf Proteststimmung – und hatte damit einen gewissen | |
| Erfolg. | |
| ## Kein klarer Sieg | |
| Allerdings ist es höchstens ein Sieg mit starkem Beigeschmack. Erstens: | |
| Kleinbekommen hat auch Kretschmer die AfD nicht. Im Vergleich zur Wahl 2019 | |
| konnte auch sie noch einmal zulegen, am Wahlabend lag sie nur hauchdünn | |
| hinter der CDU. Entsprechend wurde auch auf der Wahlparty der | |
| Rechtsextremen gejubelt. Zweitens: Die Regierungsbildung wird für die CDU | |
| in den nächsten Wochen nicht ganz einfach. | |
| Die erste rechnerisch mögliche Option, ein Bündnis mit der AfD, scheidet | |
| faktisch aus. Noch nicht ganz klar war auf Basis der ersten Prognose, ob | |
| eine Koalition allein aus CDU und BSW im Landtag eine Stimmenmehrheit | |
| hätte. [2][Die Wagenknecht-Partei kam aus dem Stand] auf über 11 Prozent. | |
| Inhaltlich gäbe es Schnittmengen mit der Union, in der Migrationspolitik | |
| und in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen ticken schließlich beide | |
| Parteien rechts. In der Ukraine-Politik liegen zumindest zwischen | |
| Kretschmer und Wagenknecht auch keine Welten. Aus Sicht der Bundes-CDU wäre | |
| eine solche Koalition zwar schwieriger zu verkaufen, offiziell will man dem | |
| Landesverband aber freie Hand lassen. Als großes Hindernis bleibt die | |
| Frage, wie regierungsfähig und regierungswillig Wagenknechts Partei wenige | |
| Monate nach ihrer Gründung tatsächlich ist. | |
| Auf der Dresdner Wahlparty sorgt der Ausblick auf eine mögliche Koalition | |
| mit dem BSW zumindest für Augenrollen: Dort ist von zu vielen auffälligen | |
| Schnittpunkten Wagenknechts mit der AfD die Rede. In den Gesprächen darüber | |
| wird schon gar nicht mehr gehört, was Generalsekretär Carsten Linnemann im | |
| Fernsehen zum Thema zu Sagen hat. | |
| ## Grüne schielen auf Wahlkreise | |
| Und eine Neuauflage der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen? Vor der Wahl | |
| galt auch das als Option. Auf der atmosphärischen Ebene müssten die drei | |
| Parteien nach dem vergifteten Wahlkampf allerdings erst mal Hürden | |
| beseitigen – und am Sonntag war zunächst unklar, ob es rechnerisch | |
| überhaupt reicht. | |
| Unsicher war zunächst nämlich, ob die Grünen im neuen Landtag sitzen. Sie | |
| lagen knapp über 5 Prozent; schielten deswegen auch noch auf die laufenden | |
| Auszählungen in den Wahlkreisen: Auch [3][zwei Direktmandate würden für den | |
| Einzug in Fraktionsstärke reichen]. | |
| Die Verluste der Grünen (2019 holten sie noch ihr Rekordergebnis von 8,6 | |
| Prozent) haben viele Ursachen: unter anderem den negativen Trend im Bund, | |
| die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Ukraine-Hilfe, die | |
| Anti-Grünen-Sprüche des Ministerpräsidenten im Freistaat – aber auch dessen | |
| Aufrufe zum taktischen Wählen. Obgleich Kretschmer inhaltlich rechte | |
| Akzente setzte, wilderte er auch unter progressiven Wähler*innen. Die CDU | |
| warb auch bei ihnen damit, dass sie als stärkste Kraft vor der AfD bleiben | |
| müsse. | |
| Weniger Schaden als bei den Grünen richtete das offenbar bei der SPD an. | |
| Sie lag in den ersten Hochrechnungen mit knapp 8 Prozent auf einem | |
| ähnlichen Niveau wie 2019 – obwohl ihr Wiedereinzug als unsicher galt. | |
| Nicht, weil die Sachsen-SPD schlecht regiert hätte. Aber auch sie kämpfte | |
| so stark wie nie mit Gegenwind aus Berlin. Den schlechten Ruf der Ampel | |
| bekamen auch die Sozialdemokrat*innen im Wahlkampf zu spüren. Die | |
| angekündigte Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland und der Einsatz | |
| deutscher Waffen auf russischem Gebiet waren zusätzliches Gift. | |
| ## Komplexe Verhältnisse | |
| Dass das Wahlergebnis trotzdem glimpflich ausfiel, könnte auch an | |
| Sozialministerin Petra Köpping liegen. Die bodenständige Sächsin passt so | |
| gar nicht zu dem populistischen Feindbild der abgehobenen Politikerkaste. | |
| „Ich bin genauso froh wie ihr“, jubelte sie am Abend vor Genoss*innen | |
| auf der SPD-Wahlparty. In den Koalitionsgesprächen wird womöglich auch sie | |
| wieder eine Rolle spielen. | |
| Auf der CDU-Wahlparty lässt sich der Ministerpräsident noch nicht in die | |
| Karte schauen, zu welcher Konstellation er tendiert. Nur eine erste, vage | |
| Koalitionsbedingung stellt Kretschmer auf: „Ein Koalitionsvertrag wird | |
| zuerst mit dem Land und den Menschen gemacht, dann kommt eine Weile | |
| nichts.“ Ein solcher Vertrag werde nicht einfach, aber eine stabile | |
| Regierung für das Land könne gelingen. | |
| Im Laufe des Abends könnte sich die Lage aber noch etwas komplexer | |
| gestalten: Dann, wenn auch die Linke auf den letzten Metern noch den | |
| Wiedereinzug in den Landtag schafft und sich die Mandate zwischen sechs | |
| Parteien aufteilen. An der 5-Prozent-Hürde ist die Partei zwar gescheitert. | |
| Ein Debakel für die Ex-PDS, die in Sachsen seit der Wende stets zweistellig | |
| abgeschnitten hatte. Aus der Abspaltung des Lagers um Sahra Wagenknecht ist | |
| die verbliebene Linke eindeutig als Verliererin hervorgegangen. Aber auch | |
| sie konnte zunächst noch darauf hoffen, durch zwei Direktmandate doch | |
| wieder in Fraktionsstärke einzuziehen. | |
| Nicht mal mehr darauf kann dagegen die FDP spekulieren. Für sie verlief der | |
| Abend noch desaströser. Im Landtag saßen die Freidemokraten zwar auch | |
| bislang nicht, am Sonntag schmierte sie aber noch weiter auf unter 2 | |
| Prozent ab. Das erste, was nach 18 Uhr klar war: Für die Regierungsbildung | |
| spielt die FDP weder direkt noch indirekt eine Rolle. | |
| Update um 20.10 Uhr | |
| 1 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sachsens-Ministerpraesident-im-Wahlkampf/!6031590 | |
| [2] /BSW-Wahlkampf-in-Thueringen/!6029511 | |
| [3] /Kontroverse-im-saechsischen-Wahlkampf/!6030147 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
| Michael Bartsch | |
| Stefan Reinecke | |
| ## TAGS | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| AfD Sachsen | |
| Sachsen | |
| CDU | |
| Michael Kretschmer | |
| GNS | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024 | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Demonstrationen am Wahlsonntag: Antifaschistische Flutschfinger | |
| In Erfurt und Dresden demonstrieren Hunderte Menschen gegen die AfD. Sie | |
| wollen sich einander Mut machen, Ernüchterung ist spürbar. | |
| Landtagswahlen: AfD ist stärkste Kraft in Thüringen | |
| Die AfD fährt bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen Rekordergebnisse ein. | |
| In Thüringen ist sie stärkste Kraft, in Sachsen knapp hinter der CDU. | |
| Ergebnis der Sachsen- und Thüringen-Wahl: Letzte Ausfahrt: CDU | |
| Die CDU verbleibt als einzige größere demokratische Partei in Sachsen und | |
| Thüringen. Sie muss jetzt ihrer Verantwortung für alle | |
| Antifaschist*innen nachkommen. | |
| Analyse der Wahlergebnisse seit 1994: Wie Deutschland nach rechts rückte | |
| Ganz Deutschland ist in den letzten drei Jahrzehnten nach rechts gerückt, | |
| zeigt eine taz-Datenanalyse. Im Osten besonders drastisch. | |
| Aktivistin vor Landtagswahl in Thüringen: „Nicht alle jubeln Höcke zu“ | |
| Gemeinschaft schützt vor Extremismus. Lina Herzog vom Thüringer Bündnis | |
| „Dorfliebe für alle“ weiß, wie man der AfD die Stirn bietet. | |
| AfD bei den Landtagswahlen: Wer zur Wahl steht | |
| Die taz hat die Hintergründe von mehr als 150 AfD-Kandidat*innen | |
| recherchiert. Einige stellen wir hier vor. |