# taz.de -- Regierungsbildung in Hamburg-Harburg: Nonstop Nonsense | |
> In Hamburg-Harburg soll eine neue Bezirksamtsleitung gewählt werden. | |
> Abtrünnige SPDler und ein belauschtes Gespräch beim Friseur erschweren | |
> das stark. | |
Bild: Ein Bild aus weniger peinlichen Zeiten: Klaus Thorwarth (links) spricht 2… | |
Hamburg taz | Der eher unscheinbare Hamburger Bezirk Harburg tauchte in den | |
vergangenen Wochen erstaunlich oft in den Medien auf. Seit der Bezirkswahl | |
im Juni geht es hier drunter und drüber. Größtes Streitthema ist die | |
Besetzung der Bezirksamtsleitung. | |
Vor sechs Jahren hatte eben diese Frage die damalige Koalition von CDU und | |
SPD gesprengt. Während die CDU damals den ehemaligen SPDler Klaus Thorwarth | |
vorschlug, wollte die SPD die parteilose Sophie Fredenhagen an der Spitze | |
sehen. Die SPD kündigte schließlich die Koalition auf, wählte Fredenhagen | |
gemeinsam mit den Stimmen von Grünen und Linken ins Amt und regierte fortan | |
mit den Grünen. | |
Seit der [1][Wahl im Juni] hat Rot-Grün nun keine Mehrheit mehr. Den Sommer | |
über fanden wieder Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD statt. „Die | |
Gespräche mit der SPD liefen konstruktiv ab, und wir hatten viele | |
Schnittmengen. Ich hatte das Gefühl, dass es eine große | |
Kompromissbereitschaft gab“, sagt dazu der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer | |
Bliefernicht. | |
Wäre da nicht der Elefant im Raum: die Personalie Fredenhagen. Die SPD will | |
sie unbedingt, die CDU auf keinen Fall. Bliefernicht brachte nun wieder | |
Thorwarth ins Spiel, der zuletzt bei allen Parteien hausieren ging, um für | |
sich als Bezirksamtsleiter zu werben. „Klaus Thorwarth ist kein offizieller | |
Kandidat der CDU, weder von Partei noch von Fraktion“, betont der | |
CDU-Kreisvorsitzende André Trepoll auf taz-Nachfrage. Dennoch arrangierte | |
der CDU-Fraktionsvorsitzende Bliefernicht die Treffen von Thorwarth mit den | |
anderen Parteien. | |
Nur mit einem Treffen hatte Bliefernicht nichts zu tun: Thorwarth entschied | |
im Alleingang, auch mit der [2][AfD] ein Bier trinken zu gehen. Vergangene | |
Woche dann der Eklat: Beim Friseur erzählte Thorwarth freimütig von seinen | |
vertraulichen Gesprächen mit den anderen Parteien. Über die AfD sagte er, | |
dass er sie als Bezirksamtsleiter genauso wie alle anderen Fraktionen | |
behandeln wolle – sie würde ja, käme sie an die Macht, „nicht gleich den | |
Reichstag abfackeln“. | |
Was Thorwarth nicht wusste: Zufällig saß auch Claudia Loss beim Friseur, | |
die am Wochenende zur Kreisvorsitzenden der SPD in Harburg gewählt wurde. | |
„Anfangs war ich schon irritiert, wie er da aus vertraulichen Gesprächen | |
mit anderen Fraktionen berichtete“, sagt Loss der taz. „Als er dann auch | |
noch die AfD verharmloste, musste ich ihn zur Rede stellen. Also bin ich zu | |
ihm gegangen und habe ihn konfrontiert.“ Thorwarth ist für die taz nicht zu | |
erreichen, um sich zu dem Vorfall zu äußern. | |
Sowohl Bliefernicht als auch der CDU-Kreisvorsitzende Trepoll betonen, es | |
käme nicht infrage, dass Thorwarth bei einer Bezirksamtsleiterwahl auf die | |
Stimmen der AfD angewiesen wäre. „Deren Stimmen zählen wir natürlich nicht. | |
Wir wollen eine demokratische Mehrheit“, sagt Bliefernicht der taz. | |
Für Claudia Loss ist nach dem Vorfall beim Friseur klar: Thorwarth darf auf | |
keinen Fall Bezirksamtsleiter werden. Damit ist sie nicht allein. „Das | |
Gespräch mit Herrn Thorwarth war im Wesentlichen ein Vortrag von ihm über | |
sich selbst“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Bianca Blomenkamp. „Er | |
hat uns Frauen weitestgehend ignoriert. Für uns steht nicht nur deshalb | |
fest, dass wir ihn auf keinen Fall als Bezirksamtsleiter wählen werden.“ | |
Auch die Linke war nicht überzeugt von Thorwarths Vorstellung. „Wir würden | |
ihn definitiv nicht wählen“, sagt Linken-Fraktionsvorsitzender Jörn | |
Lohmann. | |
Nun kommt es in Harburg voraussichtlich zu einer Koalition, die es in | |
Hamburg bisher noch nie gegeben hat: Am Wochenende beschloss die Harburger | |
SPD, in Rot-Rot-Grüne Koalitionsverhandlungen treten zu wollen. Auch | |
Vertreter von Grünen und Linken sagen der taz, dass sie dafür bereitstehen. | |
Die Linke wird dies am 11. September bekanntgeben, die Grünen werden am | |
Samstag darüber abstimmen, wobei es sich nur noch um eine Formalie handeln | |
dürfte. Es wäre das erste Mal, dass die Linke in Hamburg in | |
Regierungsverantwortung kommt. | |
Für die Koalition gibt es aber noch ein großes Hindernis: Zwei Abgeordneten | |
der SPD-Fraktion in Harburg wird vorgeworfen, sich an der [3][Zerstörung | |
von Wahlplakaten ihrer eigenen Vize-Fraktionsvorsitzenden beteiligt zu | |
haben]. Gegen sie und weitere Parteimitglieder laufen strafrechtliche | |
Ermittlungen. Obwohl die Unschuldsvermutung gilt, sprach die SPD ein | |
Betätigungsverbot für die beiden Abgeordneten innerhalb der Partei aus. Sie | |
gelten als aussichtsreiche Kandidaten für die Wahl zur Hamburgischen | |
Bürgerschaft im kommenden Jahr, dürfen nun aber nicht antreten. | |
„Unabhängig davon, dass natürlich die Unschuldsvermutung gilt, ist es die | |
Aufgabe des Landesvorstands, Schaden von der Partei fern zu halten. | |
Insofern halte ich das Vorgehen für vertretbar“, sagt Loss. Die Betroffenen | |
weisen die Vorwürfe zurück. Bis Redaktionsschluss hat der Anwalt der Beiden | |
auf Nachfrage der taz keine Stellungnahme abgegeben. | |
Drei weitere Abgeordnete sind ebenfalls nicht zufrieden mit der | |
Fraktionsspitze und boykottierten am Wochenende die | |
Kreismitgliederversammlung. Damit ist ein Drittel der Harburger | |
SPD-Fraktion nicht auf Linie. | |
## Der lachende Dritte | |
„Die SPD muss ihre internen Streitigkeiten in den Griff kriegen, ansonsten | |
kann es keine Koalition geben“, sagt der Linke Lohmann. Tatsächlich würde | |
nur eine Rot-Rot-Grün-Koalition 27 Abgeordnete stellen, 26 braucht es für | |
die Mehrheit. | |
Der lachende Dritte ist derzeit CDU-Mann Rainer Bliefernicht. „Ich sehe | |
nicht, wie die SPD diese Abgeordneten wieder einfangen will. Insbesondere | |
nicht die beiden, gegen die sie sogar Strafverfahren eingeleitet hat“, sagt | |
er der taz. „Die Unzufriedenheit von bis zu fünf Abgeordneten in der SPD | |
ist so groß, dass keine Mehrheit für eine weitere Amtszeit von Frau | |
Fredenhagen gewährleistet ist.“ | |
In dieser Rechnung tauchen noch nicht die drei Abgeordneten von Volt auf, | |
die eine solche [4][Mehrheit sichern könnten]. Deren Fraktionsvorsitzende | |
Isabel Wiest sagt der taz, dass sie Fredenhagen grundsätzlich für eine | |
geeignete Kandidatin hält. Allerdings möchte Volt – wie auch die CDU – die | |
Nachfolge der Bezirksamtsleitung am liebsten über eine öffentliche | |
Ausschreibung klären, weshalb ihre Stimmen für Fredenhagen mindestens | |
unsicher sind. | |
Wenn es zur Ausschreibung kommt, ist mit einem Bewerber ganz sicher zu | |
rechnen: Klaus Thorwarth. | |
11 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Marta Ahmedov | |
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