| # taz.de -- Hamburger Kommunalpolitik: Senat will Bezirkschefs bestimmen | |
| > Rot-Grün will Bezirksamtsleiter:innen ohne Wahl durch die | |
| > Bezirksversammlungen ernennen, wenn diese sich neun Monate lang nicht | |
| > einigen können. | |
| Bild: Oberbillwerder im Bezirk Bergedorf: Hier gibt es keine Mehrheit für die … | |
| Hamburg taz | Rot-Grün will in Hamburg mehr Kontrolle bei der Neubesetzung | |
| von Bezirksamtsleitungen. Der Senat hat der Bürgerschaft einen | |
| Gesetzentwurf vorgelegt, der das Besetzungsverfahren anpasst. Künftig soll | |
| der Senat eingreifen dürfen, [1][wenn eine Bezirksversammlung nach Ablauf | |
| der Amtszeit neun Monate lang keine neue Amtsleiter:in wählt]. Das sei | |
| eine pragmatische Lösung für „schwierige politische Konstellationen“, | |
| findet der Senat. Die Opposition sieht darin eine schleichende Entmachtung | |
| der Bezirke. | |
| Die Bezirksamtsleitungen sind in Hamburg die Verwaltungsspitzen der sieben | |
| Bezirke, die mit je 130.000 bis 450.000 Einwohner:innen Großstadtgröße | |
| erreichen. Die Bezirksämter sind die zentralen Schnittstellen der | |
| Verwaltung für die Bürger:innen und verwalten essenzielle Aufgaben wie | |
| Baugenehmigungen, Sozialhilfe, Jugendhilfe, Grünflächenpflege und lokale | |
| Infrastrukturprojekte. | |
| Eine Bezirksamtsleitung übernimmt die organisatorische und strategische | |
| Leitung, setzt politische Beschlüsse um und ist das Bindeglied zur | |
| Bezirksversammlung. Diese übt als gewähltes „Kommunalparlament“ | |
| demokratische Kontrolle aus, fasst Beschlüsse über lokale Projekte oder | |
| Verkehrskonzepte und beeinflusst die Amtsleitung durch ihr Wahl- und | |
| Misstrauensvotumsrecht. Sie sichert die demokratische Legitimation der | |
| Verwaltung. | |
| Die Wahl der Bezirksamtsleiter:innen regelt das | |
| [2][Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG)], das die Wahl durch die | |
| Bezirksversammlungen vorschreibt. Der Senat hat aber ein | |
| Letztentscheidungsrecht, das in Hamburgs Status als Einheitsgemeinde | |
| wurzelt, in der es keine rechtlich selbstständigen Kommunen gibt, sondern | |
| die Bezirke administrative Untereinheiten der Stadt sind. | |
| ## Bezirke sollen handlungsfähig bleiben | |
| [3][Der Senat schlägt nun eine Ergänzung zu Paragraf 34 vor]: Wenn die | |
| Versammlung innerhalb von neun Monaten nach Amtsende keinen Vorschlag | |
| macht, kann der Senat eine Person für die Amtsleitung ernennen. Der Entwurf | |
| erfasst bei Inkrafttreten auch bestehende Vakanzen. Vor der Bestellung muss | |
| die Versammlung innerhalb von zwei Monaten angehört werden und hat noch die | |
| Chance, selbst zu wählen. | |
| In Zeiten von Fachkräftemangel, Digitalisierung und steigenden Ansprüchen | |
| an eine „moderne, serviceorientierte Verwaltung“ solle so sichergestellt | |
| werden, dass es jederzeit „eine handlungsfähige politische Leitung“ gibt, | |
| begründet Andreas Dressel (SPD), Senator für Finanzen und Behörden, die | |
| Änderung. „Hängepartien“ belasteten die Verwaltung und gefährdeten die | |
| Handlungsfähigkeit bei Themen wie Wohnungsbau oder Infrastruktur. | |
| Insgesamt sei der Gesetzentwurf „ein guter Kompromiss zwischen Wahrung der | |
| Rechte der Bezirkspolitik und den gesamtstädtischen Interessen an | |
| handlungsfähigen Bezirken“, betont er. Der Änderungsvorschlag sei ein | |
| Einstieg „in weitergehende Reformüberlegungen für unsere Bezirke“. | |
| Die CDU-Fraktion kritisiert die Änderung. „Für die Unabhängigkeit von | |
| Bezirken ist die Überlegung des Senats eher als Drohung zu verstehen“, sagt | |
| Kaja Steffens, Sprecherin für Bezirke. Der Senat nehme so „direkten | |
| politischen Einfluss auf die Bezirksversammlung und die darin beschlossenen | |
| politischen Maßnahmen“. Politische Entscheidungen im Bezirk könnten | |
| gestoppt und auf die lange Bank geschoben werden, „bis der Senat die nach | |
| seinem Empfinden richtige Personalie als Bezirksamtsleiter implementiert | |
| hat“, befürchtet Steffens. | |
| ## Kritik aus der Opposition | |
| Es gehe dem Senat dabei um die Erweiterung seiner Kompetenzen, „nicht | |
| senatsgenehme Entscheidungen in den Bezirken rückgängig zu machen“. Ein | |
| Beispiel: der neue Stadtteil Oberbillwerder, [4][wo der Senat die | |
| Verantwortung an sich gezogen hatte], weil die neue Mehrheit in der | |
| Bergedorfer Bezirksversammlung gegen die Pläne ist. | |
| Auch die Linksfraktion ist gegen die Änderung. „Das ist ein weiterer | |
| Angriff auf die leider ohnehin schon begrenzte Hoheit der Bezirke“, sagt | |
| ihr bezirkspolitischer Sprecher Marco Hosemann zur taz. | |
| „Wenn der Senat die Handlungsfähigkeit der Bezirke sichern möchte, sollte | |
| er lieber etwas gegen die vielen unbesetzten Stellen in den Bezirksämtern | |
| tun.“ Zu den jüngsten Vakanzen habe das „Machtgerangel“ der Senatspartei… | |
| selbst geführt, SPD und Grüne seien Teil des Problems. | |
| Auch die Partei Volt, in Hamburg in einigen Bezirksversammlungen vertreten, | |
| lehnt den Vorschlag ab. Er schwäche die demokratische Legitimation vor Ort. | |
| Statt den Bezirken Entscheidungskompetenz zu entziehen, müssten deren | |
| Ermessensspielräume erweitert und Teilhabe ausgebaut werden. Volt verweist | |
| auf Alternativen wie Stichwahlen oder moderierte Vermittlungsverfahren, um | |
| Pattsituationen aufzulösen, ohne die Rechte der Bezirksversammlungen zu | |
| beschneiden. | |
| ## Konflikte in Harburg und Nord | |
| Die FDP kritisiert gegenüber der taz, dass die „Unfähigkeit einzelner zur | |
| Lösungsfindung“ nicht „zur weiteren Zentralisierung und Schwächung der | |
| Bezirke“ genutzt werden dürfe. Das Ansinnen des Senats sei nachvollziehbar, | |
| die Verantwortung müsse aber weiter in den Bezirken bleiben. | |
| Ein zentraler aktueller Konflikt im Hintergrund des Gesetzentwurfs ist die | |
| lange [5][Vakanz der Bezirksamtsleitung in Harburg]. Seit August 2024 | |
| führte der parteilose Stellvertreter Dierk Trispel das Amt interimsmäßig, | |
| nachdem die bisherige Leiterin Sophie Fredenhagen (SPD) ihre Bewerbung | |
| zurückgezogen hatte. | |
| Die Neubesetzung verzögerte sich, weil die Stelle neu ausgeschrieben werden | |
| musste. Erst im Juli dieses Jahres wählte die Bezirksversammlung den | |
| Sozialdemokraten Christian Carstensen zum neuen Behördenchef. | |
| Auch im Bezirk Nord war der Konflikt um die Bezirksamtsleitung eskaliert. | |
| Die SPD schloss dort bei den Bezirkswahlen 2024 [6][ein Bündnis mit CDU, | |
| FDP und Volt], um die als stärkste Kraft verbliebenen Grünen | |
| auszumanövrieren und den grünen Amtsinhaber Michael Werner-Boelz vorzeitig | |
| abzusetzen. Werner-Boelz wurden unter anderem Alleingänge in der | |
| Verkehrspolitik vorgeworfen. | |
| Schließlich [7][stieg Volt aus dem Vierer-Bündnis aus]. Im Dezember sprach | |
| die Bezirksversammlung Werner-Boelz das Misstrauen aus und [8][wählte die | |
| Sozialdemokratin Bettina Schomburg zur neuen Leiterin]. | |
| 4 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bezirkswahlen-Hamburg/!t5590765 | |
| [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/94589/23_01318_entwurf_ein… | |
| [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/94589/23_01318_entwurf_ein… | |
| [4] /Senat-macht-Oberbillwerder-zur-Chefsache/!6043343 | |
| [5] /Regierungsbildung-in-Hamburg-Harburg/!6032672 | |
| [6] /Vier-Parteien-Buendnis-gegen-Gruene/!6028348 | |
| [7] /Bezirkspolitik-in-Hamburg/!6050917 | |
| [8] /Mobilitaetswende-in-Hamburger-Bezirken/!6055110 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
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