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# taz.de -- Drug-Checking in Berlin: Berlins Drogen-TÜV
> Die Bilanz nach einem Jahr Drug-Checking fällt positiv aus. Doch wo es
> einen Ausbau bräuchte, bedrohen Sparpläne des Senats das Projekt.
Bild: In einem Jahr wurden 1.800 Proben ausgewertet und fast 850 Warnungen vor …
Berlin taz | Auf einem Pilztrip muss es sich anfühlen, wie ein Ausflug in
Alices Wunderland: Kaum sind die letzten Sonnenstrahlen am Dienstagabend
aus dem Innenhof des Oxi verschwunden, tauchen die beleuchteten Bäume den
Clubgarten in ein buntes Farbenspiel.
In dem Lichtenberger Club sitzen an diesem lauen Sommerabend etwa 60 Gäste
mit Bier und Limonade auf Paletten und Stühlen. In dem Holzpavillon, wo
sonst DJs Bässe pumpen, haben es sich Tamara Lüdke, Nina Pritzens, Felix
Blei und Vassili Franco auf einem Perserteppich in einer Stuhlrunde
gemütlich gemacht.
„Wir akzeptieren die Realität“, sagt Vassili Franco, innen- und
drogenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
„Menschen in dieser Stadt nehmen Drogen und wenn sie es tun, sollen sie es
so tun, dass es möglichst wenig Schaden anrichtet.“ Anlässlich des
einjährigen Bestehens des von der Senatsgesundheitsverwaltung geförderten
Projekts Drug-Checking Berlin hat das Safer Nightlife Projekt Sonar zur
Soiree eingeladen, um über Erkenntnisse aus dem vergangenen Jahr und die
Zukunft des Projekts zu diskutieren.
Seit Juni 2023 können Konsument*innen bei drei Beratungsstellen, Vista
in Kreuzberg, Fixpunkt in Neukölln und der Schwulenberatung in
Charlottenburg ihre psychoaktiven Substanzen kostenlos, legal und anonym
analysieren lassen. Innerhalb von drei Tagen wird geprüft, ob sie
gefährlich oder gestreckt sind und den Konsument*innen das Ergebnis
übermittelt.
## Expert*innen werten das Projekt als Erfolg
Der Andrang auf die Teststellen ist enorm: Im Zeitraum von Juli 2023 bis
Juni 2024 wurden rund 1.800 Proben ausgewertet und fast 850 Warnungen vor
gefährlichen oder verunreinigten Substanzen veröffentlicht. Das geht aus
einer Bilanz der Gesundheitsverwaltung hervor, die auf Nachfrage Francos
erstellt wurde. Auf der Website drugchecking.berlin, auf der die Warnungen
veröffentlicht werden, gab es im ersten Jahr über 200.000 Aufrufe. Jede
dritte Person muss aufgrund mangelnder Kapazitäten abgewiesen werden.
Das Projekt werten die vier Podiumsgäste daher als Erfolg. Doch der Weg
dahin war lang und beschwerlich, da sind sie sich einig. „Es gab viele
Vorbehalte und Widerstände, immer wieder mussten wir den
gesundheitspolitischen Ansatz und die Förderung der Konsumkompetenz
erläutern“, erzählt Nina Pritzens, Geschäftsführerin von der Drogen- und
Suchtberatung Vista, einer der drei Beratungsstellen.
„Das Projekt ist auch deshalb ein Erfolg, weil wir Menschen erreichen, die
das Gesundheitssystem und die Gesundheitspolitik des Landes zuvor nicht
erreicht hat“, sagt Franco. Die Bilanz der Senatsgesundheitsverwaltung
ergab, dass 82.5 Prozent der Nutzer*innen davor noch nie Kontakt zu
Drogen- oder Suchthilfeangeboten hatten.
Dennoch richtet sich das Angebot primär an eine Gruppe: Partygänger*innen.
Die am häufigsten analysierten Drogen sind typische Partydrogen. Am
häufigsten – 453 Mal – haben Konsument*innen MDMA und Ecstasy-Pillen
testen lassen. Unter den „Top 5“ sind daneben Kokain, Ketamin und Speed,
erzählt Martin Jasyk vom Landesinstitut für gerichtliche und soziale
Medizin Berlin, der die Substanzen analysiert.
## Verfall an Kokainqualität zu beobachten
Die häufigsten Warnungen, vor allem wegen Verunreinigung oder
Falschdeklaration, wurden bei MDMA und Ecstasy ausgesprochen. Vor allem bei
Kokain beobachteten sie einen „dramatischen Verfall an Qualität“. Dies wird
häufig gemischt mit dem Tierentwurmungsmittel Tetramisol. Der Wirkstoff
steht in Verdacht bei regelmäßigen Konsum gefährliche Nekrosen und
Gefäßerkrankungen zu verursachen.
„Heroin sehen wir sehr selten, würden es aber gern häufiger sehen“, sagt
Jasyk. Die Gruppe der Opiatverbraucher*innen gilt es verstärkt zu
erreichen, da diese etwa aufgrund von Überdosierungen und ihrer
Lebensumstände eine besonders hohe Mortalitätsrate aufweisen. Viele
Nutzer:innen leben auf der Straße.
Mit Blick auf die Zukunft wird deshalb diskutiert, ob es sinnvoller wäre,
ein mobiles Angebot zu schaffen, anstatt das bestehende stationäre Angebot
auszubauen. Denn dies ist sehr hochschwellig: Die Beratungsstellen sind nur
an drei Tagen in der Woche geöffnet, Konsument*innen müssen vor Ort die
Substanzen in einem Zeitfenster von nur 1 bis 2 Stunden am Tag abgegeben,
bis die Analyseergebnisse ankommen dauert es drei Tage.
Daher werden Stimmen laut, die kritisieren, dass das Drug-Checking ein
guter Ansatz ist, jedoch an der Lebensrealität der Berliner*innen
vorbeigehe. Der Drogenkonsum in Berlin steigt, die Zahlen für Amphetamine
und Kokain gehen nach oben, die Probleme an Drogenhotspots, wie am
Görlitzer Park oder Leopoldplatz explodieren. „Wir brauchen schnelle und
gut erreichbare Analysemethoden“, fordert daher Tamara Lüdke,
drogenpolitische Sprecherin der SPD, die sich für den Ausbau eines mobilen
Angebots ausspricht.
## Mobiles Drug-Checking-Angebot in Thüringen
Ein solches Angebot wird in Thüringen durch das Pilotprojekt Alive
(Analysebasierte Intervention) von Drug-Checking Miraculix bereits seit
2021 angeboten. Sie fahren zu Festivals und Partys und analysieren vor Ort
Substanzen und beraten Konsument*innen. „Dadurch ist der Zugang inklusiver
und wir erreichen mehr Menschen, die sonst schwer mit Prävention zu
erreichen sind“, sagt Felix Blei von Miraculix.
Auffallend sei, dass die Nachfrage nach „Blue Punisher“ seit letztem Jahr
angestiegen ist. Die Ecstasy-Pille ist vor allem für ihre unberechenbare
Dosierung bekannt. „Ab einem Wirkstoffgehalt von 120 Milligramm wird es
kritisch, im Durchschnitt haben die Substanzen, die wir analysieren 140
Milligramm, wir haben aber auch schon welche mit 400 Milligramm gesehen“,
sagt Blei.
Das Angebot des „Drogen-TÜVs“, wie die AfD in Thüringen sie bezeichnet
habe, sorge neben der akuten Schadensminimierung zu Konsum- und
Risikokompetenz, so Blei. Durch die Analyse der Substanzen vor den Augen
der Konsument*innen komme es zu einer Risikosensibilisierung für das
Klientel.
Für Berlin plädieren im Oxi einige für ein ähnliches Angebot. Doch für den
Ausbau des Drug-Checkings, das Vista-Geschäftsführerein Pritzens als
„unterfinanzierte Erfolgsgeschichte“ wertet, werden mehr Mittel benötigt.
„Aufgrund der Kontroverse um das politische Experiment mussten wir mit
einem geringen Finanzvolumen starten“, sagt Pritzens.
## Die Zukunft ist wegen Haushaltseinsparungen ungewiss
200.000 Euro waren das im ersten Jahr, die aber auch für 2024 und 2025
nicht erhöht wurden. Pritzens sagt: „Für 2024 und 2025 ist das Projekt
finanziert, aber es ist so auf Kante genäht, dass wir es so, wie wir es
derzeit anbieten, nicht dauerhaft leisten können.“
Angesichts des Defizits im Landeshaushalt müssen in den nächsten Jahren
Milliarden eingespart werden. Ob das Drug-Checking von den neuerlichen
Sparvorgaben für das kommende Jahr betroffen ist, kann die Senatsverwaltung
laut eigenen Angaben noch nicht absehen. Für den Doppelhaushalt 2026/2027
wünscht sich Pritzens eine Verdopplung der Mittel. Auch hierzu kann die
Senatsverwaltung derzeit keine Aussagen treffen.
Franco glaubt, das Projekt im selben Umfang aufrechtzuerhalten wird
„richtig hart“. Pritzens zeigt sich jedoch kämpferisch: „Wir müssen jed…
Euro erstreiten, den wir erstreiten können“, sagt sie. „Ich bin bereit, mit
ordentlicher Frisur zu allen Akteuren zu gehen und ihnen zu erklären, warum
Drug-Checking als Gesundheitsschutz wichtig ist.“
4 Sep 2024
## AUTOREN
Lilly Schröder
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