# taz.de -- Debatte um Lachgas in Berlin: Wer zu lang zieht, hat nichts mehr zu… | |
> Lachgas wird unter jungen Menschen immer populärer, birgt aber große | |
> Risiken für sie selbst und andere. Noch ist es legal verkäuflich. | |
Bild: Kichern auf dem Dancefloor: Lachgaskonsum, hier bei einer Party in Großb… | |
Berlin taz | Vier Männer sitzen auf abgewetzten Sesseln in einem Büro. Auf | |
dem Tisch steht ein Sahnespender. Einer der Männer entleert eine | |
Lachgaskapsel hinein, setzt dann einen Ballon auf den Spender, füllt ihn | |
mit Gas und inhaliert daraus. Seine Kollegen machen es ihm nach. Kurz | |
darauf sinken alle benommen in ihre Sessel und kichern. | |
Nach einer Minute kommen sie wieder zu sich. „Wollen wir noch mal?“, fragt | |
der Erste. „Na klar“, antworten die anderen. Diese Szene könnte sich vor 20 | |
Jahren zugetragen haben. Heute gehören die Sahnespender weitgehend der | |
Vergangenheit an: Lachgas gibt es mittlerweile in bunten 2-Kilo-Flaschen zu | |
erwerben, komplett mit Luftballons, im Spätkauf oder online. | |
Obwohl konkrete Daten fehlen, deutet alles darauf hin, dass Lachgas als | |
Partydroge in den letzten Jahren bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen | |
immer beliebter geworden ist. Es ist eines der wenigen Rauschmittel, die | |
legal und ohne Altersbeschränkung erhältlich sind. | |
Daher fordern die Grünen im Abgeordnetenhaus vom Senat ein entschlossenes | |
Vorgehen dagegen. „Lachgas wird zunehmend konsumiert, das sehen alle, | |
[1][die in Partykiezen unterwegs sind]“, sagt die Grünen-Abgeordnete und | |
Gesundheitspolitikerin Silke Gebel. „Viele Spätis verkaufen die Kartuschen | |
auch an Minderjährige, weil bis heute eine Regulierung fehlt.“ | |
## „Gerade nichts vorrätig“ | |
Doch nicht in allen Spätis findet man die Kartuschen. Wenn man danach | |
fragt, aber nichts kauft, werden die Verkäufer einsilbig. „Die Leute kennen | |
ja ihre Grenzen“, behauptet einer. Am Schlesischen Tor ein ähnliches Bild: | |
Der erste Späti verkauft kein Lachgas, der zweite hat „gerade nichts | |
vorrätig“. Erst im dritten stehen 640-Gramm-Flaschen für 25 Euro. | |
Eine Person sei nach dem Konsum ganz „weggetreten“ gewesen, sagt der junge | |
Verkäufer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er hält | |
Lachgas überhaupt nicht für harmlos, sondern für schädlich und vor allem | |
„schlimm für Leute, die nicht das Rückgrat haben, nein zu sagen“. Er | |
wünscht sich mehr Aufklärung über die Gefahren. An Minderjährige würden sie | |
nicht verkaufen, betont der Mann, der selbst erst 21 Jahre alt ist. Im | |
Sommer werde mehr verkauft als jetzt, „aber ich bin mir sicher, dass der | |
Konsum deutlich gestiegen ist“, sagt er. | |
Dazu hätten auch die Medien und vor allem die Musikindustrie beigetragen, | |
vor allem Rap spiele eine große Rolle. In einem Interview 2023 behauptete | |
der Rapper Haftbefehl, er habe ein Konzert abbrechen müssen, [2][weil er zu | |
viel Lachgas konsumiert habe]. | |
Der Nachwuchsrapper Lil Shrimp veröffentlichte bereits 2022 den Song „Bunte | |
Ballons“, in dem er den Konsum von Lachgas feiert und im Musikvideo selbst | |
am Ballon zieht; er beschreibt Lachgas als besser und weniger gefährlich | |
als Yayo – ein Slangwort für Kokain – und erreicht mit dem Lied auf Youtube | |
inzwischen 350.000 Klicks. | |
## Senat sagt, er weiß von nichts | |
Bereits im September stellten Silke Gebel und ihr Kollege Vasili Franco, | |
drogenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, eine | |
Anfrage an den Senat, welche Erkenntnisse dieser zu Verkauf und Konsum von | |
Lachgas sowie zu Erkrankungen und Todesfällen im Zusammenhang mit dem | |
Konsum in Berlin hat. „Dazu liegen dem Senat keine Daten vor“, lautete die | |
nüchterne Antwort aus der Senatsgesundheitsverwaltung. | |
Ähnlich knapp formuliert es die Polizei: „Bei der Polizei Berlin wird der | |
Konsum von Lachgas nicht erfasst“, schreibt sie auf Anfrage der taz. „Da | |
Lachgas nicht unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fällt, ist der | |
Erwerb, Besitz und Konsum nicht verboten.“ | |
Erkenntnisse zum gestiegenen Konsum hat [3][allerdings die Berliner | |
Stadtreinigung]. „Bei der BSR werden aktuell bis zu 250 Kartuschen täglich | |
im Müllheizkraftwerk in Ruhleben gefunden“, schreibt die Senatsverwaltung | |
in ihrer Antwort an die Grünen. Nicht entleerte Kartuschen würden eine | |
Gefahr für die Mitarbeitenden darstellen und große Schäden im | |
Müllheizkraftwerk verursachen. | |
Auch deutschlandweit gibt es bisher kaum belastbare Zahlen, doch Fachleute | |
beobachten seit der Corona-Pandemie einen verstärkten Trend zur Partydroge | |
Lachgas. Die Konsument*innen sind überwiegend zwischen 16 und 30 Jahre | |
alt. Laut einer repräsentativen Umfrage unter Jugendlichen in Frankfurt am | |
Main haben 17 Prozent der 15- bis 18-Jährigen Erfahrungen mit Lachgas | |
gemacht. | |
## Ursprünglich Betäubungsmittel beim Zahnarzt | |
Lachgas ist eine Verbindung aus Stickstoff und Sauerstoff mit der | |
chemischen Bezeichnung Distickstoffmonoxid. Ursprünglich als | |
Betäubungsmittel beim Zahnarzt oder zum Sprühen von Sahne verwendet, ist es | |
längst ein beliebtes Rauschmittel. Der Onlinevertrieb von großen Gebinden | |
hat zuletzt stark zugenommen: Auf Webseiten wie „Lachgas direkt“ kann man | |
die 640-Gramm-Flasche „Exotic Whip“ ab 21,50 Euro bestellen, den | |
2-Kilo-Behälter ab 50 Euro. Im Krankenhaus könnten damit 30 bis 40 Menschen | |
betäubt werden. | |
Über einen Aufsatz wird das Lachgas in einen Ballon gefüllt und dann | |
mehrfach ein- und ausgeatmet. Der kurze Flash ist zunächst so harmlos wie | |
der Name: Die Wahrnehmung verändert sich, nach wenigen Sekunden setzt ein | |
Kribbeln und Flimmern ein, es kommt zu temporären Sprachstörungen, leichten | |
Halluzinationen und Kicheranfällen. Manche User*innen fallen um oder | |
treten komplett weg. Nach etwa einer Minute ist alles vorbei. Die | |
häufigsten Nebenwirkungen sind laut einer Studie Kopfschmerzen, Schwindel | |
und Kribbeln in den Armen. | |
„Gerade junge Menschen sollten diese heftigen Rauschzustände meiden, da | |
sich ihr Hirn noch entwickelt“, warnt Marc Pestotnik, Referent bei der | |
Berliner [4][Fachstelle für Suchtprävention]. „Da der Rausch nur von kurzer | |
Dauer ist, kann der Wunsch, erneut zu inhalieren, groß sein. Aber je | |
häufiger hintereinander inhaliert wird, desto größer ist das Risiko, | |
körperliche oder geistige Schäden davonzutragen.“ | |
Bei regelmäßigem Konsum kann Lachgas zu einer psychischen Abhängigkeit | |
führen, zusätzliche Risiken bestehen beim Mischkonsum mit anderen Drogen. | |
Wenn Lachgas mehrmals pro Woche über Monate hinweg konsumiert wird, kann | |
der Sauerstoffmangel das Nervensystem nachhaltig schädigen. Das führt bei | |
manchen Konsument*innen zu Inkontinenz und Lähmungen, in extremen | |
Fällen können sie nicht mehr laufen und landen dauerhaft im Rollstuhl. | |
## Konsum aus Langeweile | |
Mediziner*innen und Sozialarbeiter*innen berichten zudem von | |
einer „Egal-Haltung“: Die Leute konsumieren Lachgas aus Langeweile oder um | |
Probleme zu verdrängen, manche wirken teilnahmslos und distanziert, selbst | |
bei Langzeitschäden. | |
Abgesehen davon, dass Lachgas auch ein potentes Treibhausgas ist, kann sein | |
Konsum auch Dritte gefährden, wenn es am Steuer eines Autos konsumiert | |
wird. Lachgas kann bei einer Kontrolle nicht festgestellt werden, was | |
Konsument*innen dazu verleiten könnte, sich benebelt ans Steuer zu | |
setzen. Auch in Berlin ist es im Zusammenhang mit Lachgaskonsum schon zu | |
Unfällen gekommen. | |
Die wachsende Popularität von Lachgas ist nicht nur ein Berliner Problem. | |
In den Niederlanden hatte die Zahl schwerer Verkehrsunfälle unter | |
Lachgaseinfluss stark zugenommen, Lachgas war nach Alkohol die von | |
Schüler*innen am häufigsten konsumierte Droge. Seit Anfang 2023 ist der | |
Verkauf von Distickstoffmonoxid dort verboten, seit Ende 2023 auch in | |
Großbritannien. | |
Der Senat verweist bei seinen Handlungsempfehlungen auf den Bund. Bereits | |
im Juni verabschiedete der Petitionsausschuss des Bundestags eine | |
Beschlussempfehlung für ein Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige. | |
Lachgas könnte zudem in das „Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz“ aufgenommen | |
werden. | |
## Grüne fordern Lachgasmonitoring | |
Bis ein Verbot wie in den Niederlanden oder Großbritannien in Berlin | |
eingeführt wird, kann es noch eine Weile dauern. Die Grünen hoffen auf eine | |
schnelle Umsetzung der Beschlussempfehlung, Vasili Franco sagt aber auch: | |
„Der bestehende Trend wird sich nicht einfach durch Verbote in Luft | |
auflösen.“ Deshalb fordern die Grünen zudem ein „Lachgasmonitoring“ und | |
zumindest eine Auflage an die Verkaufsstellen, vor den gesundheitlichen | |
Risiken zu warnen. | |
Auch Marc Pestotnik von der Fachstelle für Suchtprävention befürwortet | |
„Maßnahmen zur Wahrung des Jugendschutzes beim Kauf von Lachgas“. Er | |
fordert, „Anreize für den Rauschkonsum“ zu reduzieren: „Es ist mehr denn… | |
an der Zeit, Suchtprävention zu stärken.“ | |
19 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Crack-in-Berlin/!6003090 | |
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[3] /Probleme-mit-Lachgas-in-Berlin/!6027077 | |
[4] /Berliner-Cannabispolitik/!5614376 | |
## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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