# taz.de -- Liebessymbole im Museum: Viel Spaß mit gebrochenen Herzen | |
> Herzluftballons an der Decke und Nelken im Müll: Das Künstlerinnenduo | |
> Fort hat in der Bremer Weserburg ein Fantasy Island errichtet. | |
Bild: Alles Fort: Aus Schlecker wird Leck. Eine Installation von 2015 Foto: Tob… | |
Mit einem schwebenden Wald der Liebessymbole bespielt das Künstlerinnenduo | |
Fort einen Durchgangsraum des Bremer Museums [1][Weserburg]. Im „Broken | |
Hearts Club“, so der Werktitel, erkunden plastikgrellrote Herzchenballons | |
die Decke nach Möglichkeiten, sich in noch größere Höhen zu erheben. | |
Andere sinken bereits herab, taumeln nur noch auf Augenhöhe herum. Einige | |
liegen erschlafft darnieder und werden von Besucherfüßen getreten. Allein | |
mit diesen Erfahrungen geisterten die Ballons in den ersten Nächten der | |
Ausstellung durchs Museum, was Bewegungsmelder aktivierte und die Polizei | |
ins Haus holte. | |
Seither müssen sich die Freiheit liebenden Herzen abends in einen Nebenraum | |
sperren lassen. Wohl bei jedem, der durch diese in ständiger Bewegung | |
befindliche Installation bummelt, werden eigene Geschichten von | |
himmelhochfliegender, erschöpfter, zermürbter, am Boden zerstörter oder | |
sicherheitshalber weggeschlossener Liebe wachgerufen. | |
Das ist die künstlerische Strategie der „Fantasy Island“ betitelten | |
Ausstellung, die ein Ort sein will, in dem Menschen mit ihren Ängsten, | |
Hoffnungen, Wünschen und den Fantasien ihrer Erfüllung sowie den Fragen | |
nach ihrer Notwendigkeit konfrontiert werden. | |
## Kunst mit erzählerischem Potenzial | |
Fort, das sind die gebürtige Bremerin Alberta Niemann (studierte freie | |
Kunst in der Klasse Andreas Slominski an der HfbK Hamburg) und die | |
Frankfurterin Jenny Kropp, Meisterschülerin bei Jean-François Guiton an der | |
HfK Bremen. Zum Wintersemester 2023/2024 erhielten sie die Professur für | |
Bildhauerei (Skulptur/Installation/Raumkonzeption) im Studiengang Freie | |
Kunst der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. | |
Seit 2008 arbeiten die Künstlerinnen zusammen und bedienen sich gern bei | |
vorgefundenen Materialien, transformieren und inszenieren also | |
Alltagsgegenstände, die durch solche Kontextverschiebungen mit | |
Bedeutungsmöglichkeiten aufgeladen werden. | |
In Bremen präsentieren sie auf einer Weserburg-Etage zwölf Werke mit großem | |
erzählerischem Potenzial. Über den emotionalen Moment der Begegnung können | |
Betrachtende auch ohne jede Kunsterfahrung die Werke für sich aufschließen. | |
Niemann/Kropp platzieren etwa eine Tüte Kunstschnee auf einem Heizkörper, | |
schreiben „Einsame Winter“ daneben, sodass bei den meisten Menschen wohl | |
sofort persönliche Assoziationen losrattern..Schräg gegenüber ist eine | |
Plastikmüllbox, bekannt von Straßenbahn-Haltstellen, an die Museumswand | |
gedübelt, darin steckt ein Strauß Nelken in Cellophan. | |
Auch diese „Guilty Flowers“ rufen prompt Empfindungen wach – wie Trauer, | |
Verzweiflung, Wut. Ja, da geht man ins Museum, will was Erhebendes, | |
intellektuell und ästhetisch Anregendes erleben, was Schönes sehen – und | |
muss plötzlich mit Erinnerungen an enttäuschte, verfehlte, geplatzte | |
Begegnungen kämpfen oder an andere Momente des Scheiterns denken. | |
Künstlerinnen können so gemein sein, wenn sie wie hier keine eindeutigen | |
Aussagen implizieren, aber mit eindeutigen Verweisen auf unser aller | |
Realität die Verantwortung dafür, was die Fort-Kunst bedeuten soll, aufs | |
Publikum schieben. Einerseits. | |
Andererseits kann man auch die kuratorischen Kommentare als Ausgangspunkt | |
ausladend sozialkritischer Betrachtung nehmen. Fort stellen beispielsweise | |
Wandelemente eines geschlossenen Eisenwarengeschäfts wie Bilder aus, auf | |
denen die einst dort aufgehängt angepriesenen Waren – etwa Ketten und Taue | |
– noch unscharf als Schattenriss zu erkennen sind. | |
Als Interpretation schlägt die Beschriftung neben der Werkgruppe vor, | |
angesichts des Titels „Bye Buy“ könne vom „Erinnerungsbild einer sich | |
wandelnden Gesellschaft“ gesprochen werden. Privat und politisch | |
wahrzunehmen ist auch „Leck“: Für die vor zehn Jahren anlässlich der | |
Drogerieketten-Pleite erdachte Arbeit hat das Duo einen Ausstellungsraum | |
[2][mit der komplett ausgeräumten Einrichtung einer ehemaligen | |
„Schlecker“-Filiale gefüllt]. Nur das Kassenband dreht noch ächzend seine | |
Endlosrunden. | |
Die Tristesse der Leere kann Rückblicke auf die Covidzeit, Erinnerungen an | |
Einsamkeit, Depression oder das kollektive Gedächtnis zum Thema Krieg | |
erwachen, aber auch Leerstände in der Bremer City assoziieren lassen. | |
Andere spüren vielleicht klammheimliche Freude über die Pleite des | |
Drogeriediscounters, der seine Beschäftigten besonders dreist ausgebeutet | |
hatte. | |
Besonders beeindruckend: eine fünf Meter hohe, schon ziemlich ramponierte | |
Kunststoff-Faust auf einem Eisenskelett [3][aus einem DDR-Kombinat], daran | |
gelehnt ein Fahrrad aus BRD-Fertigung der Marke „Hercules“, nach dem das | |
Werk benannt ist. Fort-Kunst macht nicht nur hier mal traurig, dort mal | |
wütend, sondern vor allem viel Spaß. | |
28 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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