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# taz.de -- Das Lachgas ist zurück: Haha, na klar, Sahne
> Großmutter, warum hast du so große Sahnesprüher? Damit die Enkel das
> Lachgas einatmen können! Die erstaunliche Karriere eines Betäubungsgases.
Bild: Die Utensilien für den kurzen Lachgas-Kick
Hach, Kaffeekränzchen, was gibt es Schöneres. Die Familie versammelt sich
um Omas selbst gestickte Spitzentischdecke, dann wird das gute
Wildrose-Geschirr aus dem Schrank geholt und der selbst gebackene oder noch
fix besorgte Kuchen drapiert. Und oben drauf, na klar, ein ordentlicher
Löffel Schlagsahne! So oder so ähnlich müssen die Nachmittage etlicher
junger Leute aussehen. Jedenfalls, wenn man einmal hochrechnet, wie viele
Kartuschen und Flaschen Treibgas zum Sahneschäumen zurzeit verkauft werden,
in den Spätis, Kiosks, Shisha-Bars und den etlichen Onlineshops natürlich.
„The bigger, the better! Get excited, get exotic!“, heißt es in einer
Werbung für absurd große Gasflaschen. Im Spot tanzen zwei Pärchen am
Strand, in weißen Leinenklamotten, mit Drinks in den Händen und einem
großen Obstkorb an der Liege. Sahne ist da zwar keine zu sehen,
Gaskartuschen aber schon. Und natürlich die beworbenen Vier-Liter-Flaschen
Gas, in den Geschmacksrichtungen Mango, Melone, Erdbeer, Kokos. Damit ließe
sich locker eine Badewanne voll Sahne schäumen.
Wer um alles in der Welt braucht so viel Schlagsahne? Natürlich niemand.
Selbst wenn: Die Flaschen hätten nicht einmal den richtigen Aufsatz, um
einen Sahnespender anzuschließen. Für Luftballons hingegen sitzt das Ventil
perfekt. Denn das Treibgas, um das es hier geht, ist Distickstoffmonoxid,
kurz N2O, besser als Lachgas bekannt. Und Lachgas berauscht.
Es zischt aus der Flasche und bläht den gelben Ballon mit dem aufgedruckten
Smiley auf. Tief ausatmen, den gefüllten Ballon ansetzen, Lippen
zusammenpressen, sanft lösen. Der Ballon schrumpft, ein süßlicher Geschmack
passiert die Zungenspitze, die Lunge füllt sich. Sie nimmt es überhaupt
nicht krumm, dass kein bisschen absorbierbarer Sauerstoff reinkommt, der
Atemzug scheint wie jeder andere.
Von einem Zug wird man aber noch nicht high. Deshalb der Trick mit dem
Ballon. Man muss das inhalierte Gas zurück in den Ballon pusten. Gas
ausatmen und wieder einatmen, ausatmen und wieder rein damit. Zug für Zug
dringt das Gas in die Lungenbläschen, der Ballon wird kleiner. Dreimal,
viermal, dann fängt es allmählich an zu scheppern. Augen zu, fünf, sechs,
sieben, und zoom, schon kommen wir der tatsächlichen Freizeitgestaltung
näher. So viel zum Kaffeekränzchen.
Alles hallt und kreiselt. Das Gesicht kribbelt, hinter den Augenlidern
flimmert es. Nicht wirklich psychedelisch wild, eher so, als ob man zu
schnell aufgestanden sei. Der Körper ist in Watte gepackt, das Universum
dreht sich, die eigenen Sinne schlurfen träge hinterher. Geräusche bauen
sich zu kolossalen Soundkulissen auf, dazwischen die Wortfetzen vertrauter
Stimmen, schon zischt der nächste Ballon. Ein paar Sekunden später ist
alles vorbei, bevor man überhaupt merkt, dass man weg war.
## Das Lachgas-Revival
Lachgas ist zurück. Schon wieder. Es rauscht aus den Ballons über die
Kapillaren ins Blut und von dort ins Zentrale Nervensystem, um die
Nervenrezeptoren zu blocken und ein leicht taubes bis euphorisches Gefühl
mit leichten auditiven Halluzinationen hervorzurufen. Ein Sekunden-High,
das schon vor Ewigkeiten auf Jahrmärkten zur Belustigung verkauft wurde.
Ein kurzer Rausch, der auch in den Neunzigern immer wieder mal ein Gag auf
Technopartys war.
Und heute: Laut dem [1][Frankfurter Centre for Drug Research] haben 17
Prozent der befragten Jugendlichen schon einmal Lachgas inhaliert, 6
Prozent von ihnen erst kürzlich. Höhere Quoten erreichen nur Alkohol, Tabak
und Cannabis. „Lachgas ist schon immer mit einigen Prozentpunkten Teil
unserer Befragung“, erklärt Leiter Bernd Werse. „Die aktuellen Werte dazu
sind aber schon deutlich erhöht. Auffällig ist auch die Zahl derjenigen,
die anscheinend regelmäßiger konsumieren.“ Die Frankfurter Studie ist die
einzige, die gezielt nach dem Konsum von Lachgas fragt. Daten aus ganz
Deutschland und jenseits des Schulhofs gibt es bislang nicht.
Über die Gründe für den neuen Lachgastrend lässt sich daher nur mutmaßen.
„Es hat wohl einerseits damit zu tun, dass das Thema häufig auf Social
Media verbreitet wird“, sagt Werse. „Vor allem aber, weil sich der Markt
verändert hat. Früher wurde aus kleinen Sahnekapseln konsumiert. Das war
mit viel Aufwand verbunden. Heute ist der Konsum viel leichter.“
Lachgas als kurzer Kick ist steinalt. Neu sind die Werbung, das Marketing,
die HipHop-Clips mit den Ballons, die Tiktok-Videos von Ballonpartys, der
Verkauf der großen N2O-Flaschen, die unverhohlene Vermarktung zum Zweck der
Berauschung.
Lachgas findet seine Anwendung in vielen Bereichen. Den Verpackungen der
quasi überall erhältlichen Flaschen und Kapseln ist zu entnehmen: Die
Lebensmittelindustrie erzeugt damit Schäume. Das Gas ist fettlöslich,
ungiftig und somit ein anerkannter Lebensmittelzusatzstoff mit dem
Kennzeichen E 942. Wenn sich die Kids also inoffiziell begasen, dürfen sich
die Treibgashersteller offiziell entzückt zeigen ob des absurd gestiegenen
Sahneaufschäumbedarfs.
In der Kfz-Tuningszene und im Raketenbau erfüllt N2O oder auch Nitro einen
weiteren Zweck: Das N2, also Stickstoff, hält ein zusätzliches O bereit,
also Sauerstoff, der sich bei hohen Temperaturen löst und verbrannt werden
kann. Eine Lachgaseinspritzung steigert so die Leistung eines
Verbrennungsmotors.
Und schließlich ist Lachgas auch ein Betäubungsmittel, das sich, sinnvoll
dosiert, in der Medizin einsetzen lässt. N2O beruhigt
Angstpatient*innen und wird in Zahnarztpraxen zur schonenden Sedierung
benutzt, insbesondere bei Kindern. Auch in der Geburtshilfe ist Lachgas
seit Jahrzehnten ein bewährtes Mittel.
In höheren und regelmäßigeren Dosen eingenommen, gefährdet das Gas die
Gesundheit. Neurolog*innen warnen, dass der kurze Rausch Nerven- und
Organschäden verursachen kann. „Bei Überdosierung, insbesondere durch
Mischkonsum, kommt es zur Benommenheit bis hin zur Narkose und zerebralen
Krampfanfällen“, sagt Tanja Brunnert vom Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzt*innen. „Bei chronischem Gebrauch von mehr als fünf bis zehn
Kapseln im Monat kann sich ein schwerer Mangel von Vitamin B12 bis hin zur
Querschnittslähmung entwickeln.“ Fünf bis zehn Kapseln entsprechen fünf bis
zehn Ballons. Die Flaschen, die aktuell verkauft werden, füllen bis zu 100
Ballons. Die Überdosierung und der Vitaminmangel sind quasi inklusive.
Doch weil Lachgas eben auch jenseits des Kicks ziemlich praktisch und
nützlich sein kann, lässt es sich kaum unter das Betäubungsmittelgesetz
fassen. „Eine Reglementierung ist schwierig“, sagt Tanja Brunnert. „Man
könnte dafür sensibilisieren und hoffen, dass die Abgabe nur in
haushaltsüblichen Mengen erfolgt.“
Einige Länder mit bedenklichen Konsumquoten bemühen sich trotzdem um
Beschränkungen. Im US-Bundesstaat New York wurde der Verkauf von Sprühsahne
an Minderjährige gesetzlich verboten. Das war’s dann mit der
Extraschlemmerei bei Kaffee und Kuchen für alle unter 21. In Dänemark ist
Sahneschäumen in Schulen, Einkaufszentren und auf der Straße verboten. Im
Vereinigten Königreich ist der Lachgasflash nur noch für
Mediziner*innen und Gastronom*innen erlaubt. In den Niederlanden
kann man schon seit einem Jahr nur noch die kleinen Patronen kaufen.
## Ein leicht erhältlicher Kick
In Deutschland bleibt Lachgas ein kinderleicht und auch in großen Flaschen
erhältlicher Kick. In Parks und auf Schulhöfen liegen unzählige Kapseln und
Ballons herum, im Netz kursieren „Voll auf N2O“-Videos, die Rapszene feiert
den superkurzen Rausch. Dort ist hier und da zu hören, dass Unmengen
Lachgas doch nicht ganz so harmlos sind. Der Rapper Haftbefehl brach
zusammen, nachdem er monatelang 50 Flaschen am Tag weggezogen haben soll.
Sein Kollege Capital Bra berichtet, seine Lunge sei mit einer Thrombose
kollabiert.
Immerhin hebt die erleichterte Konsumform aus den großen Flaschen die
unmittelbare Verletzungsgefahr auf. Das unter Druck zur Flüssigkeit
komprimierte Gas verdampft bei knapp minus 90 Grad und friert seine
Umgebung ein, wenn es entweicht. Die Gefahr: angefrorene Finger,
gefrierverbrannte Lippen, Eislunge. Deshalb musste unsereins früher die
kleinen Sahnekapseln aus dem Supermarkt in Handschuhen aufhämmern. Die Kids
von heute würden sich totlachen.
26 Dec 2023
## LINKS
[1] https://download.taz.de/MoSyD-Studie_2022.pdf
## AUTOREN
Philipp Brandstädter
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