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# taz.de -- Berichterstattung über Nahostkonflikt: „Es geht hier nicht um De…
> In der deutschen Berichterstattung über Israel und Palästina wird oft
> eigene Geschichte verhandelt, kritisiert Nahostwissenschaftler Tom K.
> Würdemann.
Bild: Das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt nach dem Ende des israelischen Ein…
taz: Herr Würdemann, lesen Sie gerne deutsche Medien, um sich über den
Nahostkonflikt zu informieren?
Tom Khaled Würdemann: Ich lese viele Nachrichten aus Deutschland zu diesem
Thema, aber ich tue es meistens nicht gerne.
taz: Warum nicht?
Würdemann: Ich finde, dass die deutsche Berichterstattung zu Israel und
Palästina oft vielmehr deutsche Innenpolitik und deutsche Identitäten
verhandelt, als sich mit dem eigentlichen Konflikt zu beschäftigen.
taz: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Würdemann: Den Springer-Verlag sehe ich hier generell als negatives
Beispiel: Nach dessen Logik ist Israel die erste Verteidigungslinie des
Westens gegen Islamisierung und Migration. Und Bild und Welt vermutlich die
zweite. Ein extremes Beispiel: Ende Oktober haben auch bekannte deutsche
Journalisten wie Jan Fleischhauer ein Video geteilt, in dem gesagt wird,
die Hamas sei schlimmer als die SS, weil die SS wenigstens noch so etwas
wie ein schlechtes Gewissen beim Holocaust empfunden hätte.
taz: Welche Fragen von „deutscher Identität“ stecken dahinter?
Würdemann: Für viele Deutsche ist der Israel-Palästina-Konflikt eine Art
Verlängerung der Frage um deutsche Verantwortung für das jüdische Volk.
Darauf gründet die historische deutsche Israelsolidarität – das ist völlig
okay. Problematisch wird es, wenn statt einer friedlichen Lösung für
Israelis und Palästinenser dann die Erlösung von der deutschen
Vergangenheit im Zentrum steht, so wie im eben genannten Beispiel: Guck,
die Palästinenser sind noch viel schlimmer als Opa. Denn es geht hier nicht
um Deutschland, es geht um einen tragischen Konflikt mit zwei Seiten.
taz: Die Linguistin Monika Schwarz-Friesel kommt zu dem Schluss, dass
deutsche Medien eigentlich kaum ein Land so oft kritisieren wie Israel.
Würdemann: In der Vergangenheit wurde deutschen Medien zu Recht
vorgeworfen, dass sie einseitige Schlagzeilen produzierten, nach denen die
Aggression von der israelischen Armee ausgegangen sei, wenn es sich
eigentlich um eine Reaktion gehandelt hat. Im derzeitigen Krieg sehe ich
aber häufig das Gegenteil: Pressemitteilungen der israelischen Armee werden
häufig ohne weitere Kontextualisierung reproduziert. Und es folgt keine
eigene Hintergrundrecherche. Oft fehlt in deutschen Redaktionen gute
Fachexpertise zum Thema, anders als bei englischsprachigen Medien.
taz: Zum Beispiel während der Operation am Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza im
November: Die israelische Armee hatte diese damit begründet, dass unter dem
Krankenhaus ein wichtiger Stützpunkt der Hamas liege. Bei der New York
Times hieß es: „Der Druck steigt, während Israel ein Gaza-Krankenhaus nach
der Hamas durchsucht.“ Am selben Tag bei der Zeit hingegen: „Israelische
Armee findet Hamas-Einsatzzentrum im Schifa-Krankenhaus“.
Würdemann: Das ist ein gutes Beispiel. Am Ende gab es Beweise, dass
zumindest Teile des Krankenhaus-Komplexes für militärische Zwecke benutzt
wurden. Eine große „Kommandozentrale“ wurde aber nicht nachgewiesen.
Gleichzeitig muss man sagen: Die Berichterstattung deutscher Medien ist
sicherlich immer noch besser als die in vielen anderen Staaten,
beispielsweise in der arabischen Welt. Dort ist es mittlerweile zur
Mehrheitsmeinung geworden, dass man die Hamas überhaupt nicht kritisieren
soll.
taz: Was machen deutsche Medien richtig?
Würdemann: Sie bemühen sich relativ oft darum, Stimmen zu finden und zu
fragen – israelische sowie palästinensische –, die sich tatsächlich für
positive Friedensideen einsetzen. Die taz ist ein gutes Beispiel: Dass die
Zeitung polarisiert, wirkt authentisch – mehrere Meinungen kommen vor.
Gleichzeitig wird in Deutschland die Breite der Perspektiven in diesen
beiden Gesellschaften zu wenig abgebildet. Die israelische Linke zum
Beispiel wird viel häufiger porträtiert, obwohl die politische Rechte den
israelischen Diskurs viel mehr bestimmt. Für die palästinensische Seite
gilt das Gleiche.
taz: Manche berufen sich lieber auf [1][den arabischen Sender Al Jazeera],
der auch ein englischsprachiges Angebot hat. Eine verlässliche Quelle aus
Ihrer Sicht?
Würdemann: Al Jazeera leistet professionelle Vorort-Berichterstattung mit
vielen Ressourcen. Sie haben einen riesigen technischen Vorteil gegenüber
deutschen Medien und haben viele Kriegsverbrechen durch IDF-Soldaten
dokumentiert. Aber der Sender betreibt auch eine sehr klare und aggressive
Agenda, nach der die Hamas einfach nur eine Widerstandsorganisation gegen
die „zionistische Besatzung“ sei. Der 7. Oktober wird als eine reine
„Militäroperation“ abgetan – ähnlich wie Putin seinen Angriff auf die
Ukraine darstellt.
taz: Unterscheidet sich der arabische von dem englischsprachigen Auftritt?
Würdemann: Früher schon, AJ English war eher antiimperialistisch-links als
islamisch-konservativ. Seit dem 7. Oktober sind die Unterschiede aber
geringer geworden.
taz: Al Jazeera wird vorgeworfen, der islamistischen Muslimbruderschaft,
aus der die Hamas hervorgegangen ist, nahezustehen. Zu Recht?
Würdemann: Al Jazeera wird von Katar finanziert, ein Land, das der
weltgrößte Sponsor der Muslimbruderschaft ist. Die inhaltliche Nähe
zwischen Al Jazeera und der Ideologie der Muslimbruderschaft war in der
Vergangenheit sehr offensichtlich und hat die arabische
Medienöffentlichkeit über Jahrzehnte geprägt. Es ist aber nicht so, dass
der Sender 24 Stunden am Tag Werbung für die Muslimbrüder macht, sondern
ein vielfältigeres Angebot hat.
taz: Wie sieht es in anderen arabischen Ländern aus?
Würdemann: Ein interessantes Beispiel ist Saudi-Arabien: Mittlerweile
werden auch proisraelische Stimmen in die Talkshows eingeladen. Die
saudischen Medien berichten über die Hamas inzwischen deutlich weniger
einseitig als andere arabische Medien, sie orientieren sich auch stärker an
der Idee der Zwei-Staaten-Lösung. Aber wer sich in einem autoritären Regime
jetzt plötzlich nicht mehr antiisraelisch äußert, wird nicht
notwendigerweise ausgeglichen humanistisch berichten – und so finden dort
zunehmend rechte und sogar rassistische israelische Positionen auch Raum.
taz: Im englischsprachigen Raum fällt der britische Guardian oft mit einer
sehr kritischen Blattlinie auf, was Israel betrifft. Ist die Zeitung das
propalästinensische Pendant zum proisraelischen Springer-Verlag?
Würdemann: Ich finde den Guardian sehr einseitig propalästinensisch, aber
nicht diskurszerstörend einseitig. Er ergreift klar Partei, aber das geht
nicht so weit wie die Israel-Solidarität der Springer-Presse in
Deutschland.
taz: Die [2][New York Times gewann dieses Jahr den Pulitzer-Preis] für ihre
Berichterstattung zum Nahostkonflikt. Verdient?
Würdemann: Ich finde ihre Arbeit zu diesem Thema relativ gut. Die Tatsache,
dass die New York Times von beiden Seiten oft scharf angegriffen wird,
spricht für sie. Und ihre Meinungssektion hatte schon immer die Tradition,
anders als viele deutsche Zeitungen, ein sehr breites Spektrum abzubilden.
taz: Welche israelischen Medien lesen Sie gerne?
Würdemann: Ich spreche kein Hebräisch, aber die Haaretz auf Englisch ist
und bleibt das Beste aus meiner Sicht. Auch die Times of Israel hat mich
seit dem 7. Oktober positiv überrascht: Sie hat eine Fähigkeit zur
Selbstkritik bewahrt. Und das +972 Magazine fand ich vor dem Hamas-Angriff
zu utopisch und einseitig antizionistisch. Aber es liefert wertvolle,
kritische Recherchen über die israelische Kriegsführung und das ist
notwendig. Es hat wegen seiner Radikalität keine Schmerzgrenzen.
taz: Oft übernehmen Medien die Zahlen der Todesfälle in Gaza direkt von der
der Hamas unterstehenden Gesundheitsbehörde, letzter Stand: mehr als 40.000
getötete Palästinenser*innen seit Beginn des aktuellen Kriegs. Die
Zahlen dürften laut Experten größtenteils stimmen, sie weisen allerdings
statistische Ungereimtheiten auf, was die Zahl der getöteten Kinder und
Frauen betrifft, und unterscheiden nicht zwischen Zivilist*innen und
Kämpfern. Wie sollen Medien mit solchen Zahlen umgehen?
Würdemann: Die Zahlen werden von beiden Seiten instrumentalisiert. Ein
bekannter Wissenschaftler hat zum Beispiel neulich behauptet, dass Israel
„40.000 Zivilisten“ getötet hätte, bevor er sich auf Nachfrage korrigiert…
Es gibt auch Menschen, die diese Zahlen überkritisch verwenden. Auch in
deutschen Medien wird zu Recht gesagt: Diese Zahlen können nicht unabhängig
überprüft werden. Das kann aber in manchen Fällen zu einer Anzweiflung der
humanitären Katastrophe in Gaza führen. Wir haben mittlerweile eine
Situation, in der niemand mehr genau sagen kann, wie viele Menschen in Gaza
gestorben sind, weil die Infrastruktur zusammengebrochen ist.
taz: Gibt es besonders hartnäckige Falschmeldungen?
Würdemann: Das beste Beispiel ist weiterhin die Explosion, mutmaßlich einer
abgestürzten Hamas-Rakete, nahe dem Al-Ahli-Krankenhaus am 17. Oktober.
Medien schrieben diese zunächst Israel zu und verbreiteten zunächst auch
unkritisch übertriebene Opferzahlen. Auf der anderen Seite ist die
Vorstellung immer noch weitverbreitet, dass die israelische Armee besonders
große Rücksicht auf palästinensische Zivilisten nehme – viele Videos und
Interviews von israelischen Soldaten selbst zeigen allerdings das
Gegenteil.
taz: Viele informieren sich über den Nahostkonflikt fast nur noch über
Instagram und Tiktok. Es herrscht ein Krieg der Bilder – gefüttert mit KI,
Desinformation und Videos aus anderen Kriegen. Macht das Ihnen Sorgen?
Würdemann: Ja. Das Problem in diesem Kontext ist auch, dass von extremen
Kräften auf beiden Seiten ein Narrativ gestrickt wird: Die andere Seite sei
zu bösartig, um mit ihr zu koexistieren. Diese Narrative müssen faktisch
dekonstruiert und humanistisch kritisiert werden. In den sozialen Medien
geschieht aber das genaue Gegenteil. Oft denke ich: Ohne die extremen
Emotionen, die der Konflikt in aller Welt auslöst, wäre er vermutlich schon
gelöst.
3 Sep 2024
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## AUTOREN
Nicholas Potter
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Kritik.
7. Oktober – ein Jahr danach: Einbürgerung wegen Likes gefährdet
Palästinenser:innen in Deutschland werden seit Jahren kriminalisiert.
Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Situation noch verschärft.
Pulitzer-Preise verliehen: „New York Times“ gewinnt
Das Medienhaus wurde unter anderem für seine Gaza-Berichterstattung
ausgezeichnet. Auch Reuters und die „Washington Post“ erhielten Preise.
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Ost-Jerusalem geräumt, Equipment beschlagnahmt. Kritik folgte prompt.
Al Jazeera im Nahostkonflikt: Die Propagandakanone
Al-Jazeera verkauft sich als seriöser Nachrichtensender, verbreitet aber
gerade fast nur Hamas-Propaganda. Das gefährdet auch die Palästinenser.
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