| # taz.de -- Tag der Pressefreiheit 2025: Der Krieg um Informationen | |
| > Infowars bewegen sich zwischen Aufklärung, Propaganda und Fadenkreuz. | |
| > Heute spielen soziale Medien, Blogs und Telegram-Kanäle eine wichtige | |
| > Rolle. | |
| Bild: Kriegsberichterstatter*innen im Vietnamkrieg – Bombardierung eines Dorf… | |
| Moderne Kriege sind unübersichtlich: Schlachtfelder sind weit verteilt, | |
| Waffen werden aus Tausenden von Kilometern Entfernung bedient und | |
| Kriegspropaganda hat mehr mediale Schauplätze als je zuvor. Von | |
| Kriegsberichterstatter*innen erhoffen wir uns zu erfahren, was in | |
| jenen chaotischen Verhältnissen wirklich passiert, wer im Verborgenen | |
| leidet und wer dafür verantwortlich ist. | |
| Im [1][Vietnamkrieg] klärten US-amerikanische Journalist*innen die | |
| Öffentlichkeit zuhause nicht nur über die Gräueltaten des amerikanischen | |
| Militärs auf, sie halfen, mit ihrer Berichterstattung eine Kehrtwende im | |
| Krieg herbeizuführen. In Zeiten von Desinformation, politisierten Medien | |
| und enormer Gewalt gegen Journalist*innen haben einzelne Fotos oder | |
| Berichte kaum mehr solch eine Wirkkraft. Wir Lesenden müssen | |
| Medienkompetenz und kritische Distanz mitbringen, um uns selbstständig eine | |
| Meinung zu bilden. | |
| Kriegsberichterstattung und staatliche Kriegspropaganda haben ein | |
| ambivalentes Verhältnis zueinander: Militär und Staat sind für die | |
| öffentliche Meinungsbildung auf Journalist*innen angewiesen. | |
| Journalist*innen profitieren häufig von neuen technologischen | |
| Entwicklungen, auch vorangetrieben durch Militärtechnologie. Das Militär | |
| ist Schutz, Bedrohung und Zensurbehörde zugleich. | |
| Im Vietnamkrieg verschränkten sich mediale Entwicklung und | |
| Kriegsberichterstattung: Mitte der 1960er Jahre hatten viele amerikanische | |
| Familien schon einen Fernseher und der Krieg wurde über abendliche | |
| Nachrichten in die Wohnzimmer getragen. Diese Nachrichten wiederholten | |
| offizielle Aussagen, die das U. S. Public Affairs Office in Saigon | |
| veröffentlicht hatte. | |
| ## Journalist*innen nutzen militärisches Transportsystem | |
| Doch auch wenn viele Journalist*innen in Saigon blieben, nutzten einige | |
| das militärische Transportsystem, um sich frei in den Kriegsgebieten zu | |
| bewegen und die Zensur zu umgehen. So gelang es dem Fotografen Ron Haeberle | |
| 1968, das Massaker von Mai Lai zu dokumentieren, dessen grausame Bilder das | |
| Image der rechtschaffenen US-Intervention in Vietnam in Frage stellten. | |
| Vietnam ist ein Beispiel, in dem Kriegsberichterstattung dazu beitrug, die | |
| öffentliche Meinung gegen den Krieg zu wenden. Dennoch blieben viele | |
| Journalist*innen dem übergeordneten amerikanischen Narrativ treu. Sie | |
| berichteten aus westlicher Perspektive, individualisierten das Leiden | |
| amerikanischer Soldaten und stellten Vietnamesen häufig als passive, | |
| anonyme Opfer oder als hinterlistige Feinde dar. | |
| Nach der Niederlage in Vietnam stellte das US-Militär seinen Umgang mit | |
| Berichterstattung komplett um. Während der Invasion Panamas 1989 und im | |
| ersten Golfkrieg 1991 baute das Militär ein Poolsystem auf, in dem | |
| ausgewählte Kriegsberichterstatter*innen von Soldaten an vorbereitete | |
| Kriegsschauplätze gebracht wurden. Dies führte dazu, dass | |
| Journalist*innen häufig erst nach Gefechten an die Schauplätze | |
| gelangten und das Militär ein sauberes Bild vom Krieg vermitteln konnte. | |
| Gleichzeitig hatten sich aber Medientechnologien weiterentwickelt und | |
| Nachrichtensender wie CNN konnten in Echtzeit aus dem Krieg berichten. Es | |
| konnte hautnah und direkt berichtet werden, doch aufgrund militärischer | |
| Kontrolle waren inszenierte oder kontextlose Bilder zu sehen. | |
| Medientheoretiker wie Jean Baudrillard kommentierten damals, dass nun die | |
| Selbstinszenierung der Nachrichtenmedien der eigentliche Inhalt der | |
| Kriegsberichterstattung geworden war. Sie vermittelte vermeintliche | |
| Live-Erfahrungen und Authentizität. | |
| Nach dem ersten Golfkrieg wurde von Pressevertretern und Öffentlichkeit | |
| mehr Transparenz gefordert. Die Glaubwürdigkeit von | |
| Kriegsberichterstatter*innen war ins Wanken geraten. Im Irakkrieg | |
| 2003 wurden Journalist*innen daraufhin in Einheiten integriert und | |
| konnten die Kriegshandlungen live miterleben. Es entstand der Eindruck, | |
| dass die Journalist*innen vor Ort und unverfälscht berichten könnten. | |
| ## Embedding führt zur Identifikation mit der Militäreinheit | |
| Doch das sogenannte Embedding erlaubte den Reporter*innen kaum, | |
| Zusammenhänge zu verstehen, da sie in kontrollierter Umgebung einer Gruppe | |
| zugeteilt waren. Darüber hinaus identifizierten sie sich mit den Einheiten, | |
| denn sie waren auf sie angewiesen. Die Berichte reproduzierten die | |
| westliche Perspektive. Wieder dominierte das Medienspektakel die | |
| Berichterstattung und ziviles Leiden und komplexe Berichterstattung standen | |
| nicht im Vordergrund. | |
| Eine Antwort auf diese Probleme der etablierten Berichterstattung waren | |
| digitale Medien. Schon im Kosovokrieg 1998 hatte es E-Mail-Verteiler und | |
| Websites gegeben, durch die Reporter*innen unzensiert berichteten. | |
| Im Irakkrieg 2003 konnte die Öffentlichkeit bei Bloggern wie Salam Pax | |
| direkt miterleben, wie es war, in Bagdad auf die US-Invasion zu warten. Der | |
| Infanterist Colby Buzzell beschrieb Gefechte aus nächster Nähe und postete | |
| das direkt in seinem Blog. Military Blogger in den USA lieferten die | |
| militärstrategische und politische Analyse. Soziale Medien schienen endlich | |
| die Nähe und Unverfälschtheit zu liefern, nach denen sich das westliche | |
| Publikum nach den Medienspektakeln am Ende des 20. Jahrhunderts sehnte. | |
| Doch spätestens seit dem Ukrainekrieg wurden diese digitalen | |
| Augenzeugenberichte und sozialen Medien Teil eines komplexen Infowars, den | |
| Medienkonsument*innen kaum noch durchschauen können. Die | |
| Kriegsparteien zensieren die Berichterstattung streng und sind gleichzeitig | |
| in einen [2][umfassenden Informationskrieg] verwickelt, der auf | |
| vielfältigen Kanälen stattfindet und mit psychologischer Kriegsführung | |
| arbeitet. | |
| ## Medienhäuser scheinen in nationale Narrative verfangen | |
| Telegram-Kanäle werden zu Informationsquellen, Instagram-Reels zeigen | |
| ziviles Leiden, Milblogger*innen und Journalist*innen kommentieren – | |
| doch in einer Welt von KI und Deepfakes ist die Faktizität stets unklar. | |
| Die etablierten Medienhäuser scheinen in nationalen Kriegsnarrativen | |
| verfangen. | |
| Zensur, Desinformation und eine politisierte Medienlandschaft | |
| charakterisieren auch den aktuellen Konflikt in Gaza. | |
| Nachrichtenorganisationen, die aus Israel oder Gaza über den Krieg | |
| berichten wollen, müssen ihr Material durch das israelische Militär | |
| zensieren lassen. Auch die Hamas erlaubt keine unabhängige | |
| Berichterstattung. Noch viel schwerer wiegt jedoch, dass | |
| Kriegsberichterstatter*innen in diesem Krieg selbst zu Zielen | |
| geworden sind und das israelische Militär anscheinend gezielt | |
| Journalist*innen tötet. Fast 200 sind in diesem Krieg bereits ermordet | |
| worden. | |
| ## Die eigene Medienkompetenz schärfen! | |
| Im Vietnamkrieg konnten Kriegsberichterstatter*innen einen Beitrag | |
| zur Aufklärung und Beendigung des Kriegs leisten. Nun müssen wir | |
| Medienkonsument*innen ihnen zur Seite stehen, nicht nur, indem wir | |
| das Ende der Journalist*innenmorde fordern, sondern auch, indem wir | |
| unsere Medienkompetenz schärfen. | |
| Jede*r von uns kann Quellen nachverfolgen, ihre Glaubwürdigkeit bewerten | |
| und investigativen Journalismus finanziell unterstützen. Wir können | |
| stereotype Feindbilder ablehnen und verharmlosenden Militärjargon | |
| erkennen. Wir müssen immer die Möglichkeit der Fälschung im Hinterkopf | |
| haben und die eigene Medienblase auf der Suche nach zuverlässiger | |
| Berichterstattung verlassen. Dann können Kriegsberichterstatter*innen | |
| wieder dazu beitragen, unsere Meinung zu einem Krieg gewissenhafter zu | |
| bilden. | |
| Johanna Roering ist Amerikanistin und hat zum Thema Military Blogs an der | |
| Universität Tübingen promoviert. | |
| Dieser Artikel ist am 3. Mai 2025 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage | |
| der [3][taz Panter Stiftung] und Reporter ohne Grenzen zum Tag der | |
| Pressefreiheit erschienen. | |
| 3 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /50-Jahre-Ende-des-Vietnamkriegs/!6081831 | |
| [2] /Von-Notz-ueber-russische-Desinformation/!5996657 | |
| [3] /stiftung | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Roering | |
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