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# taz.de -- Internettrend: Propaganda, auf die wir alle hereingefallen sind
> Ein neuer Trend im Internet nennt quasi alles Propaganda. Doch auch zu
> strikte Definitionen des Begriffs sind falsch – denn: Jedes Land betreibt
> sie.
Bild: Finde den Unterschied: Ein russischer Propaganda-Panzer in Moskau am 9. M…
Es gibt diesen Trend im Internet, der eigentlich schon längst wieder vorbei
ist – spätestens seit Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) auf ihn
aufsprang. In kurzen Videos mit der Überschrift „propaganda I’m not falling
for“ listen Instagram- und Tiktok-User*innen vermeintliche
„Propaganda-Erzählungen“ auf, auf die sie selbst nicht hereingefallen
seien.
Als Propagandatheorie-Nerd hätte ich mich schon fast über den Trend
gefreut. Fällt das Wort Propaganda überhaupt mal, dann nämlich meist nur in
Verbindung mit Russland, China oder Nazideutschland – Autokraten, die
gezielt Desinformationen verbreiten. Diese weitverbreitete Verwendung des
Begriffs ist zwar nicht falsch, aus politikwissenschaftlicher Sicht aber
einfach extrem verkürzt.
Der Tiktoktrend katapultierte die Begriffsdeutung nur leider ins andere
Extrem. Neben Dingen, die tatsächlich als Propagandaerzählungen durchgehen
könnten, listen Nutzer*innen in den Videos willkürliche Begriffe auf,
die das Wort bis zur Unkenntlichkeit verwässern: Katzen, Matcha Latte oder
DIY-Lipgloss – also einfach Dinge, die viele Leute hypen, die ihnen aber
persönlich nicht gefallen.
Klar, es ist ein Internettrend, die Videos sind nur halb ernst gemeint und
dienen vor allem der Selbstdarstellung. Der Trend offenbart aber: Obwohl
Propaganda so allgegenwärtig ist, wissen weder Instagram-User noch
Journalist*innen, die den Trend einzuordnen versuchen, was das Wort genau
bedeutet. Der Grund dafür ist ein jahrzehntealter Propagandatrick.
## Aus „Propaganda“ wird „Public Relations“
Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Begriff, der vom lateinischen
„propagare“ (verbreiten) kommt, neutral besetzt. Noch im Ersten Weltkrieg
bezeichneten westliche Staaten ihre Informationsaktivitäten ganz
selbstverständlich als Propaganda. Großbritannien etwa gründete 1914 das
British War Propaganda Bureau, um die deutsche Kriegspropaganda zu kontern
und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen.
Mit Joseph Goebbels – Adolf Hitlers „Reichsminister für Volksaufklärung u…
Propaganda“ – begann das Wort dann mit Manipulation und Lügen assoziiert zu
werden.
Der Begriff war also verbrannt. Bedeutete das, dass Staaten auf diese Form
der Machtausübung verzichteten? Natürlich nicht. Man hat sich einfach neue,
netter klingende Wörter für dieselbe Praxis ausgedacht. Public Relations,
Public Diplomacy oder strategische Kommunikation sind alles Euphemismen für
das Wort Propaganda. Oder wie der Publizistik-Forscher Michael Kunczik es
auf den Punkt bringt: „Unterscheidungen zwischen Werbung, PR und
Propaganda“ sind nichts weiter als „semantische Spielereien“.
In der BBC-Dokumentation „Century of the Self“ (2002) erinnert sich der
ehemalige US-Propagandist und Vater der Propagandatheorie, Edward Bernays:
„Propaganda wurde zu einem Schimpfwort, weil die Deutschen es benutzten.
Also versuchte ich, einen anderen Begriff zu finden, und wir dachten uns
den Begriff Public Relations aus.“
## Alle betreiben Propaganda
Seither wird das Wort Propaganda fast ausschließlich verkürzt
propagandistisch als Schimpfwort für die Propaganda der anderen benutzt –
frei nach dem Motto: Wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit, unsere
politischen Feinde betreiben Propaganda. Eine [1][russische Militärparade]
ist ganz selbstverständlich eine Propagandaveranstaltung. Wenn Deutschland
in Litauen mit Panzern seine militärische Macht zur Schau stellt, würde das
natürlich kein ernst zu nehmender Hauptstadtjournalist so bezeichnen.
Die Hamas betreibt offensive Kriegspropaganda – das stimmt nicht nur, es
scheut sich auch keiner, sie so zu benennen. Wenn Israel Millionen
Dollar in Youtube-Werbeclips steckt, die zur Unterstützung der IDF
aufrufen, oder mit bezahlten Bots versucht, den Internetdiskurs zu
beeinflussen, kommt das Wort Propaganda kaum jemandem über die Lippen –
oder eben nur jenen, die gegen die israelische Regierung Stimmung machen
wollen.
Wer einmal die wissenschaftliche Definition von Propaganda kennt, merkt
schnell, dass einfach alle Staaten, alle Parteien, alle Unternehmen und
Lobbygruppen [2][Propaganda betreiben]. Propaganda ist nämlich nicht mehr
und nicht weniger als der Versuch staatlicher und nichtstaatlicher Akteure,
durch das strategische Verbreiten von Informationen die öffentliche
Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Lügen und Desinformation können Teil einer Propagandastrategie sein –
müssen es aber nicht. Wenn [3][Politiker oder Pressesprecher] immerzu
dieselben Halbwahrheiten aneinanderreihen oder gezielte Framings wählen, um
bei den Rezipient*innen bestimmte Gefühle auszulösen, ist das genauso
Propaganda wie die Verbreitung von Desinformationen.
## Und in Deutschland?
Natürlich, das muss betont werden, gibt es qualitative Unterschiede
zwischen autokratischer und demokratischer Propaganda. In autokratischen
Systemen werden zum Beispiel Gegenöffentlichkeiten aggressiv bekämpft,
indem man widerständigen Aktivismus diffamiert und kriminalisiert,
Demonstrationen verbietet oder kleinprügeln lässt.
In einem Land wie Deutschland würde so etwas nicht passieren. Außer man
klebt sich für das Klima auf die Straße, protestiert gegen israelische
Kriegsverbrechen oder bekennt sich öffentlich dazu, den Kapitalismus
abschaffen zu wollen.
10 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Pauline Jäckels
## TAGS
Propaganda
Desinformation
Meme
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Kolumne Feed Interrupted
Hamas
TikTok
8. Mai 1945
Schwerpunkt Pressefreiheit
Propaganda
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