Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gewalt im Gazastreifen: Gangster-Miliz von Netanjahus Gnaden
> Bewaffnete Palästinenser sollen Hilfslieferungen in Gaza plündern und auf
> die eigenen Leute schießen. Israel hat sie aufgerüstet. Nur warum?
Bild: Immer wieder fallen an Orten, an denen Hilfsgüter verteilt werden, Schü…
Kairo taz | Hilfsorganisationen werfen ihr vor, für eine großen Teil der
Plünderungen von Hilfslieferungen im Gazastreifen verantwortlich zu sein.
Palästinensische Augenzeugen machen sie mitverantwortlich für Schüsse, die
auf Hungernde an den neuen [1][Ausgabestellen der Gaza Humanitarian
Foundation (GHF) abgefeuert wurden]. Für die israelische Armee sind sie ein
Experiment, um eine Alternative zur Hamas aufzubauen, die Hamas selbst
bezeichnet sie als Kollaborateure der Besatzung. Und die Familien der
Mitglieder distanzieren sich von ihr: Eine von Israel unterstützte neue
Palästinenser-Miliz gerät immer mehr in die Schlagzeilen.
Sie nennen sich selbst „Volkskräfte“, bekannt auch unter dem Namen ihres
Anführers als Yasser Abu Shabab, als Abu-Shabab-Bande. Rein militärisch
eher unbedeutend, wird diese Miliz auf 300 Mann geschätzt. Sie operiert
ausschließlich in Gebieten im Süden des Gazastreifens, die direkt von der
israelischen Armee kontrolliert werden.
Angeführt wird diese Miliz von Yasser Abu Shabab, einem Mann in den
Dreißigern, der eine prominenten Beduinenfamilie angehört. Unter der
Hamas-Herrschaft saß er wohl als Drogendealer im Gefängnis, bevor er bei
der israelischen Offensive nach dem Massaker des 7. Oktober 2023 freikam.
Die Truppe, die er um sich scharte – oft mit einer ähnlichen Biografie, wie
der seinen –, machte sich in den letzten Monaten einen Namen als Plünderer
von Hilfslieferungen.
Auch beim neuen Verteilungssystem für Nahrungsmittel der
amerikanisch-israelischen Gaza Humanitarian Foundation (GHF) spielt diese
Miliz eine Rolle. Sie tauchte diese Woche scheinbar immer wieder rund um
die neuen Ausgabestellen der GHF auf. Palästinensische Augenzeugen
bezichtigen sie, Schüsse auf Menschen abgefeuert zu haben, die dort um
Essen anstanden. Am Montag berichteten sie erstmals, dass neben der
israelischen Armee auch bewaffnete Palästinenser auf sie geschossen hätten,
die mit der Armee zusammengearbeitet hätten. Ein Augenzeuge berichtete
gegenüber dem arabischen Dienst der BBC, dass er bei einer der
GHF-Ausgabestellen in Tel Sultan in Rafah eine Gruppe in Zivil mit
vermummten Gesichtern gesehen hätte. „Erst dachten wir, dass sind ein paar
palästinensische Jugendliche, die gekommen sind, um bei der Ausgabe zu
helfen. Aber dann begannen sie auf uns zu schießen“, berichtete Hisham
Saeed Salem. „Selbst auf jene, die es geschafft haben eine Kiste mit
Nahrungsmitteln zu ergattern, wurde geschossen. Wir wissen nicht, wer die
Angreifer genau sind, aber sie haben uns alles weggenommen“, erzählt er.
„Vorher hat immer die israelische Armee geschossen, aber nun sind wir
geschockt über die Anwesenheit von Banden und Milizen“, erzählt auch
Mohammad Sakout, ein anderer Augenzeuge.
## Diebstahl von Hilfsgütern unter den Augen des Militärs
Die Milizen scheinen auch Vorrang bei der Essenausgabe zu bekommen. Laut
Muhammad Shadada, der für das European Council on Foreign Relations die
Lage in Gaza analysiert, werden „vor Sonnenaufgang von der israelischen
Armee und dem GHF zunächst Kollaborateure, Bandenmitglieder und
Subcontractors vorgelassen, die sich die [2][wertvollsten Dinge, wie
Speiseöl], sichern, um sie dann auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen“.
Die Bande ist seit Monaten dafür bekannt, Hilfslieferungen rauben. „Israel
hat öffentlich behauptet, dass die UN- und NGO-Hilfe von der Hamas
abgezweigt wird. Aber das hält einer Überprüfung nicht stand. Der
eigentliche Diebstahl von Hilfe seit Beginn des Krieges wurde von
kriminellen Banden unter der Aufsicht israelischer Streitkräfte verübt, und
sie durften in der Nähe des Grenzübergangs Kerem Shalom nach Gaza
operieren“, so Jonathan Whittall, Leiter des Büros der Vereinten Nationen
für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in den besetzten
palästinensischen Gebieten am 28. Mai.
Endgültig ins Rampenlicht geriet die Miliz am 5. Juni, als ihre Existenz
erstmals öffentlich in Israel debattiert wurde. Der ehemalige
Verteidigungsminister Avigdor Lieberman beschuldigte den israelischen
Premier Benjamin Netanjahu im staatlichen israelischen Fernsehen, „einer
Gruppe von Kriminellen und Schwerverbrechern“ unter der Führung von Abu
Shabab, der sogar eine Nähe zur Terrorgruppe „Islamischer Staat“ nachgesagt
werde, Waffen zu geben. Er kritisierte, dass Netanjahu ohne Zustimmung des
Sicherheitskabinetts diese Milizen in Gaza bewaffnet habe, und
charakterisierte das Ganze als „völligen Wahnsinn“.
Daraufhin veröffentlichte Netanjahu in den sozialen Medien ein Video, in
dem er zugab, dass Israel auf Anraten von „Sicherheitsbeamten“ einige
palästinensische Clans in Gaza „aktiviert“ habe. Er fragte: „Was ist dar…
schlimm? Es ist eine gute Sache und rettet das Leben unserer Soldaten.“ Ein
nicht namentlich genannter israelischer Sicherheitsbeamter erläuterte
gegenüber dem israelischen Nachrichtenportal Ynet, dass die Bewaffnung der
Abu-Shabab-Milizen vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Beth „geplant
und gesteuert“ sei – mit dem Ziel, die Verluste der eigenen Armee zu
reduzieren und die Hamas durch die Förderung rivalisierender Kräfte
systematisch zu untergraben. Der israelische Fernsehsender Channel 12
zitierte eine andere israelische Sicherheitsquelle, laut der dies „erst der
Anfang ist“. Die israelische Armee erwäge dieses Experiment auf weitere
Gebiete auszuweiten, nach den „Erfolgen des Pilotprojekts in [3][Rafah]“.
## Wer ist der Tarabin-Clan?
Erstmals in Erscheinung traten diese Gangs im Mai letzten Jahres, als die
Verteilung der Hilfsgüter noch ausschließlich von der UNO geleitet wurde.
Im Dezember häuften sich die Meldungen, dass ein Großteil der
Hilfslieferungen direkt hinter dem israelischen Grenzübergang von
kriminellen Banden ausgeraubt und die Hilfsgüter dann auf dem freien Markt
in Gaza verkauft würden. Die Washington Post zitierte damals aus einem
internen UN-Memo. Dort hieß es, dass die kriminellen Banden direkt oder
indirekt vom Wohlwollen der israelischen Armee profitierten und sogar von
ihr beschützt würden. Danach gebe es sogar eine Art militärisches Lager der
Banden, „in einem Gebiet mit eingeschränktem Zugang, kontrolliert und
patrouilliert von der israelischen Armee“. Die israelische Armee stritt
damals jegliches Wissen darüber ab. Wer genau hinter den Banden steckte,
blieb damals nebulös. Aber schon damals wurden einige beduinische Familien
des Tarabin-Stammes genannt, denen schon zuvor kriminelle Aktivitäten
nachgesagt wurden.
Nun hat das Ganze mit Yasser Abu Shabab einen Namen und ein Gesicht
bekommen. Dessen Clan, der dem prominenten Tarabin-Stamm angehört, der
sowohl in Gaza als auch im Norden des Sinai in Ägypten zu Hause ist, hat
sich inzwischen von ihm distanziert und fordert dessen Blut. „Wir
bekräftigen, dass wir Yassers Rückkehr in die Familie nicht akzeptieren
werden. Wir haben keinen Einwand dagegen, dass ihn die Menschen in seinem
Umfeld sofort liquidieren, und wir sagen ihnen, dass sein Blut verwirkt
ist“, heißt es in dessen Erklärung.
Die Hamas bezeichnet Abu Shabab als Verräter: „Wir geloben vor Gott,
weiterhin die Verstecke dieses Kriminellen und seiner Bande zu bekämpfen,
egal welche Opfer wir bringen müssen.“ Yassers Bruder wurde bereits von der
Hamas getötet. Yasser selbst überlebte bislang mindestens zwei
Mordversuche. Es existiert eine eigene Hamas-Einheit namens „Sahm“, zu
Deutsch „Pfeil“, deren selbsternannte Aufgabe es ist, als Kollaborateure
gebrandmarkte Menschen zu exekutieren. Diese Woche kam es erstmals zu einem
Schusswechsel zwischen der Abu-Shabab-Miliz und Sahm, bei dem die
Abu-Shabab-Miliz nach eigenen Aussagen einen Hinterhalt gelegt und sechs
Mitglieder der Sahm getötet haben soll.
Die Gruppierung selbst bestreitet, ein Werkzeug der israelischen Besatzung
zu sein. In den sozialen Medien präsentiert sich Abu Shabab als „die Stimme
des Volkes, das des Chaos, des Terrorismus und der Spaltung überdrüssig
ist“. Gegenüber dem US-Fernsehsender CNN beschrieb Yasser Abu Shabab seine
Miliz als „eine Gruppe von Bürgern“, die sich freiwillig gemeldet habe, um
humanitäre Hilfe vor Plünderungen und Korruption zu schützen.
## Wer soll die Kontrolle über Gaza übernehmen?
Was Israels mit dem Aufbaus der Miliz bezwecken will, scheint klar: Sie
soll langfristig als Mittler zwischen der Bevölkerung in Gaza und der
israelischen Armee aufgebaut werden. Doch bisher ist ihr strategischer Wert
gering und ihr Operationsgebiet und Größe sind begrenzt. Es stellt sich
aber die Frage, wer langfristig die Verwaltung des Gazastreifens von der
Hamas übernehmen soll. Israels Premier Netanjahu will auf jeden Fall
verhindern, dass die Palästinensische Autonomiebehörde oder irgendeine
andere politische Gruppierung hier eine Rolle bekommt.
Der große Vorteil der Gangster-Milizen für [4][Netanjahu]: Sie überleben
wohl nur mit israelischen Waffen und Gefälligkeiten. Sie stellen keine
politische Bedrohung, die eine Zweistaatenlösung und einen
palästinensischen Staat fordert, dar. Sie dienen lediglich als verlängerter
Arm der israelischen Besatzung.
10 Jun 2025
## LINKS
[1] /Verteilungszentren-in-Gaza/!6088611
[2] https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=gaza+schaf&amp…
[3] /Beziehungen-zwischen-Israel-und-Aegypten/!6008709
[4] /Israels-Plaene-fuer-Gaza/!6083480
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Hamas
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Gaza-Krieg
Gaza
Milizen
GNS
Benjamin Netanjahu
Propaganda
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Internettrend: Propaganda, auf die wir alle hereingefallen sind
Ein neuer Trend im Internet nennt quasi alles Propaganda. Doch auch zu
strikte Definitionen des Begriffs sind falsch – denn: Jedes Land betreibt
sie.
Opferfest in Gaza: 5.000 Euro für ein Schaf
Im Gazastreifen steht am Freitag der höchste muslimische Feiertag an. Durch
den Krieg können sich nur noch die Wenigsten Tiere zum Schlachten leisten.
Hamas-Geiseln: Die letzte Reise von Judi und Gadi Weinstein-Haggai
Am Donnerstag hat die israelische Armee die Leichen von zwei israelischen
Geiseln aus dem Gazastreifen nach Israel zurückgebracht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.