# taz.de -- Zum Tod von Kriegsfotograf Paul Lowe: Die bosnische Tragödie hört… | |
> Paul Lowe porträtierte Täter, Opfer, Alltag im Krieg. Seine Bilder von | |
> der „Sniper Alley“ in Sarajevo gingen um die Welt. Nun wurde er selbst | |
> getötet. | |
Bild: Tragischer Tod: Der Fotograf Paul Lowe wurde erstochen | |
[1][Kriegsfotograf*innen werden für ihren Mut bewundert.] Sie begeben | |
sich freiwillig zwischen die Fronten, legen sich in Schützengräben, | |
begleiten Soldaten beim Vorrücken in besetzte Gebiete, gucken Zivilisten in | |
die Augen, die gerade ermordet wurden oder gerade gesehen haben, wie jemand | |
ermordet wurde, porträtieren Täter und Opfer, aber auch den [2][Alltag im | |
Krieg]. | |
Sie dokumentieren die brutale Wahrheit darüber, welche entmenschlichenden | |
Folgen menschliches Handeln hat. Viele von ihnen wollen lieber | |
Friedensfotograf oder Zeuge genannt werden und hoffen, dass sie mit ihrer | |
Arbeit eine abschreckende Wirkung haben: So sieht Gewalt aus, lasst es | |
sein. | |
Der Brite Paul Lowe war so einer. Anfangs wurde er berühmt für seine Bilder | |
von küssenden Pärchen vor der fallenden Berliner Mauer und vom lachenden | |
Nelson Mandela bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Dann kamen die | |
1990er Jahre. | |
Lowes Fotos, die Freiheit, Versöhnung, das Ende von Kaltem Krieg und | |
sinnloser Gewalt versprachen, waren schnell vergessen. Russland marschierte | |
in Tschetschenien ein, und Lowe war dabei, wie die Stadt [3][Grosny in | |
Schutt und Asche] gelegt wurde. Er fuhr nach Somalia, um die dortige | |
Hungerkatastrophe, nach Ruanda, um den dortigen Genozid zu dokumentieren. | |
Jugoslawien zerfledderte sich in blutigen Sezessionskriegen, und Lowe fuhr | |
in die belagerte Stadt Sarajevo. Seine Fotos von den Zivilisten, die dort | |
über die „Sniper Alley“ rannten – die breite Straße, auf der serbische | |
Scharfschützen Frauen, Kinder und Alte erschossen –, gingen um die Welt, so | |
wie die von der Miss-Sarajevo-Wahl, bei der die Models auf der Bühne ein | |
Banner in den Händen hielten: „Don’t let them kill us“. | |
Hier in Sarajevo entstand auch sein berühmtestes Foto: [4][Ein junges | |
Mädchen in Latzhose springt auf einer leeren Straße einem Ball hinterher, | |
den sie gerade in die Luft geworfen hat.] Direkt hinter ihr auf den | |
Straßenbahnschienen steht eine großes Kreuz aus Metallstangen. Die | |
Schatten, die das Kind, die Häuser, das Sonnenlicht und die Panzersperre | |
werfen, die helleren und dunkleren Flecken des Schwarz-Weiß-Fotos sind | |
miteinander so verschränkt wie die Unbekümmertheit des spielenden Kindes | |
mit dem durch die Panzersperre symbolisierten Krieg, der hinter jeder | |
Hausecke lauert. | |
## Widerstand, Mut, Humor und Kreativität dokumentieren | |
Lowe war Professor an der University of the Arts London, wo er auch War | |
Studies am King’s College lehrte. Sein Bildband „Bosnians“ dokumentiert | |
nicht nur den Krieg in Bosnien, in dem etwa 100.000 Menschen starben, | |
sondern auch die Zeit danach. Sein mit dem Journalisten Kenneth Morrison | |
publiziertes Buch [5][„Reporting the Siege of Sarajevo“] setzt sich | |
intensiv mit der Rolle der Medien in dieser Belagerung auseinander. | |
Nachwuchsjournalist*innen Ethik in der journalistischen Dokumentation | |
von Konflikten zu vermitteln, war sein zentrales Anliegen in den letzten | |
Jahren. | |
In Interviews betonte Lowe, der eine Bosnierin geheiratet hatte und in | |
London und Sarajevo lebte, dass es ihm nie nur darum gegangen sei, den | |
Horror zu dokumentieren, sondern auch die Widerstandsfähigkeit, den Mut, | |
den Humor und die Kreativität Sarajevos in seiner dunkelsten Zeit: „[6][Es | |
ging mir darum zu zeigen, was gewöhnliche Menschen in außergewöhnlichen | |
Situationen tun].“ | |
Vergangenen Samstag wurde Lowe tot in den San Gabriel Mountains bei Los | |
Angeles gefunden. Laut Polizei sei er dort erstochen worden. Als | |
Tatverdächtiger wurde sein Sohn, der 19-jährige Emir Abadzic Lowe, | |
verhaftet. Laut [7][New York Times] habe die Mutter gesagt, ihr Sohn leide | |
seit Jahren unter einer Psychose. | |
Paul Lowes tragischer Tod trifft ein ohnehin verunsichertes Bosnien: | |
[8][Nach den tödlichen Überschwemmungen vor zwei Wochen] droht eine | |
Umweltkatastrophe an der Adria. Bosnien braucht dringend Hilfe. | |
18 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Film-ueber-Kriegsfotografin-Lee-Miller/!6034294 | |
[2] /Buch-zur-Ardennenoffensive-der-Nazis/!5395675 | |
[3] /Anzor-Maskhadov-ueber-Wladimir-Putin/!5857694 | |
[4] https://www.theguardian.com/artanddesign/2022/aug/03/a-girl-plays-in-the-st… | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=8bDHyYaWbzk | |
[6] https://www.nzz.ch/feuilleton/kriegsfotograf-paul-lowe-sarajevo-war-unser-v… | |
[7] https://www.nytimes.com/2024/10/16/us/paul-lowe-dead.html | |
[8] /Wahlen-und-Ueberschwemmungen-in-Bosnien/!6040947 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
## TAGS | |
Sarajevo | |
Bosnien | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Bosnienkrieg | |
Fotografie | |
Kriegsberichterstattung | |
GNS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Bosnienkrieg | |
Parteigründung | |
Kolumne Geraschel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tag der Pressefreiheit 2025: Der Krieg um Informationen | |
Infowars bewegen sich zwischen Aufklärung, Propaganda und Fadenkreuz. Heute | |
spielen soziale Medien, Blogs und Telegram-Kanäle eine wichtige Rolle. | |
Bestseller „Sarajevo Marlboro“ wird 30: Wenn die kleinen Dinge zuerst sterb… | |
1995 publizierte Miljenko Jergović seinen Erzählband über den Bosnienkrieg. | |
Jetzt erscheint eine Fortsetzung, die an aktuelle Kriegsfolgen erinnert. | |
Austritte bei den Grünen: Soll man eine neue Partei gründen? | |
Vielen erscheint im Moment die Gründung einer „richtig linken“ Partei die | |
Lösung zu sein. Unser Kolumnist findet: Dafür ist keine Zeit mehr. | |
Eine neue Partei muss her: Volle Kraft nach Westen! | |
Jetzt treten lauter Linke aus ihren Parteien aus. Aber wo wollen sie hin? | |
Ganz einfach: Es ist Zeit für BWD – Bündnis West-Deutschland! |