# taz.de -- 7. Oktober – ein Jahr danach: Einbürgerung wegen Likes gefährdet | |
> Palästinenser:innen in Deutschland werden seit Jahren | |
> kriminalisiert. Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Situation noch | |
> verschärft. | |
Bild: Mittlerweile ließ Innenministerin Nancy Faeser die Parole „From the Ri… | |
Berlin taz | Am vergangenen Montag stürmte die Berliner Polizei fünf | |
Wohnungen in der Hauptstadt. Die Betroffenen stünden im Verdacht, | |
„propalästinensisch motivierte Straftaten“ begangen zu haben, teilte die | |
Polizei auf X lapidar mit. Bei den Razzien waren 125 Beamte im Einsatz. | |
Ermittler des Landeskriminalamts Berlin nahmen Handys, Computer und Laptops | |
mit, um sie nach strafbaren Social-Media-Posts zu durchsuchen. | |
[1][Demo-Verbote] und willkürliche Festnahmen, Razzien nur wegen Social | |
Media-Posts, Strafanzeigen und brutale Polizeigewalt: Menschen, die in | |
Deutschland gegen den Krieg in Gaza protestieren, werden auf vielfältige | |
Weise drangsaliert. Palästinenser:innen und ihre Freunde sind den | |
Behörden schon lange ein Dorn im Auge: Bereits 2022 und 2023 wurden in | |
Berlin über Wochen hinweg sämtliche Versammlungen, [2][bei denen Menschen | |
öffentlich der „Nakba“ – der Flucht und Vertreibung der Palästinenser a… | |
dem heutigen Israel vor 76 Jahren – gedenken wollten,] verboten. | |
Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Lage verschärft: Innenministerin | |
Nancy Faeser ließ Vereine und die Parole „From the River to the Sea“ | |
verbieten. Propalästinensische Proteste wurden noch stärker kriminalisiert, | |
die Polizei griff noch härter durch. | |
Bilder von deutschen Polizisten, die Menschen verfolgen und verprügeln, | |
sorgen in den sozialen Medien immer wieder für Aufsehen. Vor zwei Wochen | |
ging ein Video um die Welt, das zeigte, wie mehrere Polizisten mitten in | |
Berlin ein zehnjähriges Kind jagten, das eine Palästina-Flagge trug, und es | |
dann in Gewahrsam nahmen. | |
## Die Fäuste der Polizei sitzen locker | |
Vor einer Woche, beim Champions-League Spiel in Dortmund, wurde ein Fan des | |
Celtic Glasgow, der eine Palästina-Flagge getragen hatte, in den Katakomben | |
des Stadions von der Polizei verprügelt. Diese Szenen verbreiten sich | |
weltweit im Netz. | |
„Beim Thema Palästina sitzen bei der Polizei die Fäuste besonders locker“, | |
sagt der Anwalt Andreas Gorski. Und er findet: „Der Aufwand, den der Staat | |
betreibt, um propalästinensische Proteste zu verfolgen, ist teilweise | |
absurd.“ Er geht von tausenden Strafverfahren allein wegen | |
„Äußerungsdelikten“ aus. Behörden und Gerichte seien überlastet. „Der… | |
mobilisiert all seine Kräfte“, sagt Alexander Gorski. „Das ist völlig | |
unverhältnismäßig.“ | |
Gorski vertritt mit seinem Anwaltskollektiv fünf Mitglieder der | |
Frauengruppe Zora aus Berlin. Weil diese auf einem Flugblatt in einem | |
Halbsatz die PFLP als „fortschrittliche Kraft“ bezeichnet hatten, stürmte | |
die Polizei ihre Wohnungen. Die PFLP steht seit 2023 auf der Terrorliste | |
der EU. Den Frauen wird „Verbreitung von Propaganda einer terroristischen | |
Organisation“ vorgeworfen. Dass die Polizei ihre Wohnung stürmte „ist für | |
Ermittlungen nicht zwingend“, sagt Gorski. „Aber Politiker können damit | |
medienwirksam Stärke zeigen: wir tun was.“ Das diene auch der | |
Einschüchterung. | |
Vor zwei Wochen veröffentlichte das ARD-Politikmagazin „Panorama“ eine | |
Recherche. Wenn jemand i[3][m Netz die Parole „From the River to the Sea“ | |
postet,] kann ihm jetzt die Einbürgerung verweigert werden. So hat es das | |
Bundesinnenministerium in seinen „Anwendungshinweisen“ zum neuen | |
Staatsbürgerschaftsrecht verfügt, das Ende Juni in Kraft trat. Wenn es nach | |
Innenministerin Nancy Faeser geht, sollen Menschen künftig auch schon wegen | |
eines falschen „Like“ abgeschoben werden dürfen. | |
## Bagatellen oder ernstzunehmende Vorwürfe? | |
Auch die Razzien vom Montag in Berlin wirken überzogen, denn manche der | |
Vorwürfe klingen wie Bagatellen: Ein 25-jähriger Israeli, bei dem die | |
Polizei vor der Tür stand, soll im April auf Instagram den Slogan „From the | |
river to the sea“ und ein Video, in dem Demonstranten diese Parole | |
skandierten, gepostet haben. Einem 18-Jährigen Jugendlichen aus Gaza wird | |
vorgeworfen, „Teil einer Gruppe“ gewesen zu sein, die einen Monat zuvor bei | |
einer Veranstaltung gegen den [4][dort anwesenden Kultursenator Joe Chialo | |
(CDU) protestiert hatte.] Dabei soll ein Mikrofonständer in Richtung des | |
Senators geworfen worden sein. | |
Andere Vorwürfe wiegen schwerer. Ein 40-Jähriger soll vor einem Jahr, am 9. | |
Oktober 2023, den Angriff der Hamas auf Tiktok als „Sieg auf dem Weg hin zu | |
einer islamischen Welt“ bezeichnet haben. Ein 31-jähriger Berliner mit | |
türkischem Pass soll im Dezember 2023 auf Instagram den „Wunsch eines | |
erneuten Holocaust“ geäußert haben, so die Polizei. Ein 20-jähriger, | |
gebürtiger Berliner wiederum wird verdächtigt, Teil einer Gruppe gewesen zu | |
sein, die im Juli in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln mehrere Brände | |
gelegt und Gegenstände zerstört haben soll. | |
Dennoch stellt sich die Frage, ob das schon eine Hausdurchsuchung | |
rechtfertigt. | |
Daniel Bax ist im taz-Regieressort. Seit dem 7. Oktober ist ihm | |
Deutschland fremder geworden. | |
8 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Pro-Palaestina-Demonstrationen/!5970907 | |
[2] /Demonstration-zum-Nakba-Tag-in-Berlin/!6011025 | |
[3] /Umstrittene-Palaestinenserparole/!5969471 | |
[4] /Palaestina-Bewegung-in-Berlin/!6038680 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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