# taz.de -- Bilanz der digitalen Einbürgerung: Einbürgerung leicht gemacht | |
> Seit einem Jahr können in Berlin die Anträge zur Einbürgerung auch online | |
> eingereicht werden. Seitdem haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. | |
Bild: Antrag digital, das Dankeschön aber noch analog: Einbürgerungsfest in B… | |
Berlin taz | Nam Nguyen* ist seit vier Wochen deutscher Staatsbürger. Den | |
Einbürgerungsantrag haben der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter und seine Frau | |
im August online gestellt. Es hatte einige Wochen gedauert, bis sie alle | |
notwendigen Papiere zusammen hatten. Drei Stunden brachte das Ehepaar damit | |
zu, den digitalen Fragebogen der Einbürgerungsbehörde beim Landesamt für | |
Einwanderung (LEA) auszufüllen und die Dokumente einzeln hochzuladen. | |
Mit Erfolg. Nach ein paar Wochen meldete sich ein Amtsmitarbeiter per Mail | |
mit Rückfragen. Nachdem Nguyen diese beantwortet hatte, bekam er die | |
Einladung zur Überreichung der Einbürgerungsurkunde. Nam Nguyen zeigt der | |
taz das Foto der feierlichen Prozedur. Es zeigt auch: Verwaltungsvorgänge | |
können selbst in Berlin digital und verhältnismäßig rasch abgewickelt | |
werden. | |
Seit einem Jahr sind für Einbürgerungen nicht mehr die Bezirke zuständig, | |
sondern eine zentrale Stelle im LEA. Wobei die Digitalisierung für eine | |
enorme Zeitersparnis sorgt. Dafür hatte sich noch der rot-grün-rote | |
Vorgängersenat starkgemacht. Das Ergebnis: Die Zahl der Einbürgerungen hat | |
sich 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Bis November | |
bürgerte Berlin nach LEA-Angaben 21.000 Menschen ein. Im gesamten Jahr 2023 | |
waren es gerade mal 9.000, davor zwischen 6.000 und 7.000 pro Jahr. Für | |
2025 hat sich das LEA 40.000 Einbürgerungen als Zielmarke gesetzt. | |
„Angesichts routinierterer Arbeitsabläufe und weiterer Personalzuwächse ist | |
das Ziel ambitioniert, aber erreichbar“, sagt ein LEA-Sprecher zur taz. | |
Waren in allen Bezirken zusammen nur 90 Mitarbeiter für Einbürgerungen | |
zuständig, verfügt die neue Abteilung über 178 Stellen, die alle auch | |
besetzt sein sollen. | |
## Ältester Antrag seit 2016 | |
Das hohe Tempo reicht allerdings noch nicht aus. Denn die neue | |
Einbürgerungsstelle im LEA übernahm im vergangenen Jahr 40.000 | |
unbearbeitete Einbürgerungsanträge von den Bezirken. Also fast doppelt so | |
viele Fälle, wie sie 2024 bewältigen konnte. „Der älteste offene Antrag | |
stammt aus dem Jahr 2016“, sagt der Grünen-Abgeordnete Jian Omar. | |
Zudem gilt seit dem Sommer ein neues Einbürgerungsrecht. Damit können | |
Einbürgerungswillige bereits nach fünf statt bisher acht Jahren | |
rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland die Einbürgerung beantragen, ohne | |
die bisherige Staatsangehörigkeit zwangsläufig aufgeben zu müssen. | |
Letzteres war für den 61-jährigen Nam Nguyen ein Grund, endlich Deutscher | |
zu werden. Er lebt bereits seit DDR-Zeiten im Land. Seinen vietnamesischen | |
Pass wollte er aber nicht verlieren, sagt er. „Darum habe ich früher nie | |
den deutschen Pass beantragt.“ | |
Und noch eine Erleichterung gibt es für ihn als ehemaligen | |
DDR-Vertragsarbeiter: Wie die früheren Gastarbeiter in der Bundesrepublik | |
muss auch er keinen Sprachtest mehr absolvieren, um Deutscher zu werden. Ob | |
Nguyen den bestanden hätte? Er ist sich da nicht sicher. „Ich habe ja in | |
der DDR nur vier Wochen Deutsch gelernt. Danach habe ich mein Leben lang | |
gearbeitet und hatte keine Zeit dafür.“ Zwar hat der Imbissbetreiber im | |
Umgang mit Kunden viel Deutsch dazu gelernt. „Aber eine schriftliche | |
Prüfung habe ich mir nicht zugetraut“, sagt er zur taz. | |
Während etwa der Türkische Bund bei älteren Türken eher eine Zurückhaltung | |
beobachtet, hat das neue Gesetz unter ehemaligen vietnamesischen | |
Vertragsarbeitern eine regelrechte Einbürgerungswelle ausgelöst. Dies um so | |
mehr, als in Facebook-Gruppen die Befürchtung geäußert wird, dass mit einer | |
neuen CDU-geführten Bundesregierung die Regelungen zur doppelten | |
Staatsangehörigkeit wieder rückgängig gemacht werden. | |
Insgesamt gehen beim LEA dem RBB zufolge seit dem neuen Gesetz 120 | |
Einbürgerungsanträge pro Tag ein. Ist das nicht nur ein kurzfristiger | |
Trend, dann sind das erneut mehr Anträge, als bearbeitet werden können. | |
Petra Schlagenhauf, die als Rechtsanwältin Mandanten im | |
Einbürgerungsverfahren unterstützt, berichtet, dass viele Menschen, die | |
2024 einen neuen Einbürgerungsantrag stellten, so rasch eingebürgert wurden | |
wie Nam Nguyen. „Das Problem sind die Altfälle, also diejenigen, die ihre | |
Anträge noch bis 2023 bei den Bezirken gestellt hatten.“ Deren Anträge | |
mussten zuerst digitalisiert werden, bevor jemand sie bearbeitete. | |
„Viele Altfälle fallen hinten weg, besonders dann, wenn der Einzelfall | |
schwierig ist und sich die Mitarbeiter durch eine dicke Akte durcharbeiten | |
müssen“, sagt Schlagenhauf. Mehreren betroffenen Mandanten wird die | |
Anwältin zu einer Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht raten. „Aber | |
ein Richter sagte mir bereits, es würden rund 100 solche Klagen pro Monat | |
eingehen.“ Für die Mandanten bedeutet so eine Klage, dass sie 800 Euro | |
Gerichtskosten plus Anwaltskosten erst einmal auslegen müssen. Da fast alle | |
diese Klagen aber gewonnen werden, trage am Ende das Land Berlin diese | |
Kosten und die Mandanten bekämen das Geld zurück. | |
Es gibt einen weiteren Weg, die Einbürgerung zu beschleunigen: Den alten | |
Antrag einfach noch einmal digital stellen. Grünen-Politiker Jian Omar | |
sagt, inzwischen rate er das manchen, die ihn im Wahlkreisbüro aufsuchen, | |
weil sie sich über die nicht erfolgte Einbürgerung beschweren. „Da müssen | |
sie aber pro Person noch einmal 255 Euro Gebühren zahlen.“ Bei einer großen | |
Familie sei das finanziell oft nicht möglich. „Den Grünen-Antrag, dieses | |
Geld zu erlassen, wenn man es nachweisbar bereits beim ersten Antrag | |
bezahlt hat, hat die Koalition leider abgelehnt“, sagt Omar zur taz. | |
Bei dem Abgeordneten melden sich auch viele Härtefälle, denen wegen der | |
nicht erfolgten Einbürgerung Nachteile erwachsen. So beispielsweise ein | |
IT-Ingenieur, der eine Stelle im öffentlichen Dienst nicht bekommen habe, | |
weil er dafür verbeamtet werden müsse. „Wenn ich mich als Abgeordneter in | |
solchen Fällen an die Verwaltung wende, habe ich oft Erfolg und der Fall | |
wird vorgezogen. Aber das ist nicht immer so.“ | |
Omar kritisiert, dass es keine Beschwerdestelle für das | |
Einbürgerungsverfahren gibt. „Außerdem gibt es keinen geordneten Weg, die | |
Altfälle abzuarbeiten. Das empfinden viele als ungerecht. Das muss sich | |
dringend ändern.“ | |
*Name geändert | |
2 Jan 2025 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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