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# taz.de -- Sächsische Gemeinden im Vergleich: Same same, but different
> Markkleeberg und Taucha ähneln sich in Größe, Demografie und Idylle.
> Warum kommt die AfD an beiden Orten ganz unterschiedlich gut an?
Bild: Dem „Frühjahrsputz“ noch nicht zum Opfer gefallen: Graffitis an eine…
Markkleeberg/Taucha taz | Knallrote Blumen zieren die vielen Fenster des
Markkleeberger Rathauses, ein pompöser ehemaliger Gasthof mit Türmchen auf
dem Dach und angebautem Ratskeller. Im Innenhof, dem früheren Biergarten,
spenden Linden Schatten, ihre Blätter rauschen im Wind. Ein paar
Mitarbeitende der Stadtverwaltung essen plaudernd zu Mittag. Die
Anspannung, die sachsenweit kurz vor der [1][Landtagswahl] zu spüren ist,
scheint hierhin kaum vorzudringen.
Auch die AfD hat im südlich an Leipzig angrenzenden Markkleeberg
vergleichbar große Probleme, Fuß zu fassen. Bei der Europawahl fuhr sie
hier mit knapp 20 Prozent der Stimmen ihr sachsenweit zweitschlechtestes
Ergebnis ein. Nur in Leipzig stimmten weniger Menschen für die vom
sächsischen Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte
Partei. Anders im nordöstlich ebenso bei Leipzig gelegenen Taucha. Dort
wählten 29 Prozent die AfD. Fast so viele wie im sächsischen Durchschnitt –
und deutlich mehr als in Markkleeberg.
Warum? Karsten Schütze, gebürtiger Markkleeberger und seit 11 Jahren
Oberbürgermeister der Stadt, sitzt an einem der Gartentische im Rathaushof
und versucht, Erklärungen zu finden. Vielleicht liege es am Wohlstand der
Gemeinde, vielleicht an der Stadtgeschichte: „1999 gab es einen
erfolgreichen Volksentscheid gegen die Eingemeindung nach Leipzig, da haben
die Menschen hier gefühlt, dass die Demokratie funktioniert“, sagt er. Auch
den 57-Jährigen habe das politisiert. Aber genau wisse er nicht, weshalb
die AfD in seiner Gemeinde einen schlechteren Stand hat als anderswo. „Wenn
ich ein Rezept hätte, ich würde es überall hin verschenken“, sagt er.
Gemeinsam mit dem Institut für Rechtsextremismusforschung der Universität
Tübingen (IRex) versucht die taz, vor den [2][Landtagswahlen in Sachsen,
Thüringen und Brandenburg] zu ergründen, warum bestimmte Gemeinden weniger
leicht der AfD verfallen als andere. Theoretische Erklärungen dafür gibt es
einige: Profitieren Menschen von der gesellschaftlichen Modernisierung,
leben eher städtisch und haben einen guten Zugang zu öffentlicher
Infrastruktur, können sie weniger anfällig für rechtsextreme Propaganda
sein. Das ist aber nicht zwingend der Fall. Viele Faktoren beeinflussen,
wen Menschen wählen.
Um zu messen, welche das genau sind und wie sie wirken, haben die
Sozialwissenschaftler des IRex eine ganze Reihe von Strukturdaten
zusammengetragen: Bevölkerungsdichte, Altersdurchschnitt, räumliche Nähe zu
einer Stadt mit Volluniversität, Steuereinnahmekraft pro Kopf und viele
mehr. Schaut man sich die Strukturdaten verschiedener Gemeinden an, können
sie potenziell Aufschluss über die politischen Neigungen ihrer
Bewohner*innen geben.
Nicht jedoch, wenn man Markkleeberg und Taucha vergleicht. Hier erklären
die Daten wenig, denn beide Orte unterscheiden sich strukturell kaum. Von
allen 12 im Speckgürtel der Universitätsstadt Leipzig liegenden Gemeinden
sind sie sich statistisch betrachtet am ähnlichsten. Zwar leben in Taucha
mit fast 16.000 Bewohner*innen etwa 9.500 Menschen weniger als in
Markkleeberg, doch sind sie im Schnitt etwa gleich alt, der männliche
Anteil der Bevölkerung ist mit ungefähr 48 Prozent ähnlich niedrig. Beide
Gemeinden sind in den vergangenen Jahren leicht gewachsen. Der
„Ausländeranteil“ beider Orte ist vergleichbar klein. In beiden sind
geflüchtete Menschen dezentral untergebracht. Weshalb wählen weniger
Menschen in Markkleeberg als in Taucha die AfD?
Schaut man sich im Markkleeberger Stadtkern um, sieht es dort kaum anders
aus als im nahegelegenen linksalternativen Connewitz oder in der hippen
Leipziger Südvorstadt. Die vielen Restaurants fühlen sich nach Großstadt
an, zentral gelegene Stadtvillen erinnern an die gutbürgerliche
Vergangenheit der Stadt.
Taucha hingegen besitzt den Charme einer ländlichen Kleinstadt. Rings um
das hellgelbe Rathaus, das dem in Markkleeberg ähnelt, bestimmen
zweistöckige Häuschen und ein paar Geschäfte das Stadtbild. Stadtauswärts,
Richtung Leipzig, deuten sanierte DDR-Altneubauten und 1990er Jahre
Neubauten auf eine eher proletarisch geprägte Stadtgeschichte hin. In den
äußeren Ortsteilen mischen sich Wiesen, kleine Wäldchen, Mais- und
Weizenfelder mit Einfamilienhäusern und Bauernhöfen.
Leben die Menschen in Markkleeberg städtischer als in Taucha und wählen
deshalb seltener die AfD? Die Strukturdaten beider Gemeinden lassen diesen
Schluss nicht zu. In beiden Orten fahren die Menschen ähnlich kurz zur
nächsten Apotheke oder Hausärztin. Beide sind ähnlich dicht besiedelt.
Taucha sogar etwas dichter. Aus dem Leipziger Zentrum reist oder pendelt es
sich in beide Gemeinden etwa gleich kurz. Viel Grün und ländliches Leben
gibt es auch im Markkleeberger Umland. Zwar etwas weniger Landwirtschaft,
dafür mehr Wald. Und zwei idyllische ehemalige Tagebauseen, den
Markkleeberger und den Cospudener See.
Hört man sich in Markkleeberg um, vermutet nicht nur Oberbürgermeister
Schütze, dass der relativ hohe Wohlstand der Gemeinde der AfD die Tour
vermiesen könnte. Auch Katja Kühn zum Beispiel, eine der umtriebigsten
Aktivistinnen des Orts, glaubt daran. „Den Menschen hier geht es
finanziell sehr gut“, sagt sie. „Wer einen Dienstwagen hat oder sich
einfach ein E-Auto kaufen kann, muss sich nicht sorgen, wenn die Politik
ein Verbrennerverbot diskutiert.“ Außerdem sei der ÖPNV in Markkleeberg
super ausgebaut.
Kühn lebt schon viele Jahre in Markkleeberg. Als Ärztin für innere Medizin
arbeitet die 49-Jährige in einer Leipziger Praxis. In ihrer Freizeit
engagiert sie sich vor allem klimapolitisch, gerade geht es ihr aber eher
um das gesellschaftliche Klima des Freistaats. Einen heißen
Montagnachmittag verbringt Kühn in der Markkleeberger Innenstadt: „Um
aufzuklären“, sagt sie. Ihre Botschaft: „Die [3][AfD] ist keine
Protestpartei.“
Vom Dönerladen läuft sie zur Stadtbibliothek und weiter zu einem
Supermarkt. Klebt Plakate an Schaufenster, legt Flyer in Infoständer – und
spricht mit neugierigen Passant*innen. „Nicht die AfD wählen?“, fragt ein
älterer Mann, der sich gerade einen Döner geholt hatte. „Nee, die AfD darf
nicht stärkste Kraft werden. Viele Menschen in Sachsen leiden schon jetzt
massiv unter dem zunehmenden Rechtsruck“, sagt Kühn. „Wen denn sonst?“,
fragt der Mann. „Die Linkspartei, oder die Grünen“, entgegnet Kühn.
Markkleeberg sei Sachsens einkommensstärkste Gemeinde, sagt
Oberbürgermeister Schütze tags zuvor im Rathausgarten. „Etwa 60 Prozent der
leitenden Angestellten des Leipziger Uniklinikums leben hier. Und ein
Großteil der Fußballer von RB Leipzig.“ Daten der Bundesagentur für Arbeit,
die [4][Zeit Online] ausgewertet hat, belegen das und zeigen zudem: In ganz
Ostdeutschland liegen die Gehälter fast nur in Markkleeberg über dem
bundesweiten Durchschnitt.
Etwa 30 Minuten Fahrtzeit von Markkleeberg entfernt erklärt Tobias Meier im
Tauchaer Rathaus, dass auch seine Gemeinde wirtschaftlich gut dastehe. Der
46-Jährige ist in Taucha aufgewachsen, hat jahrelang im Ort Kabarett
gespielt und in Leipzig als Studioleiter beim Fernsehen gearbeitet. Seit
2015 ist er Tauchas Bürgermeister. Dieses Amt fülle er unabhängig von
seiner FDP-Mitgliedschaft aus, sagt er, „für alle Menschen in Taucha“. Die
meisten Tauchaer*innen profitierten vom wirtschaftlichen Aufschwung im
nördlichen Leipziger Umland, sagt Meier. „Porsche, BMW, Amazon sind nur
wenige Kilometer entfernt: Viele Menschen aus Taucha arbeiten dort.“ Zudem
hätten sich auch in Taucha einige kleine und mittelständische Unternehmen
angesiedelt.
Die Daten der Bundesagentur für Arbeit bestätigen auch das. Die
durchschnittlichen Einkommen der Tauchaer*innen haben sich in den
vergangenen Jahren positiv entwickelt und liegen sachsenweit im oberen
Mittelfeld. Bundesweit sind sie jedoch leicht unterdurchschnittlich. Und
gerade mittlere und hohe Einkommen sind in Taucha im Schnitt etwa 500 Euro
geringer als in Markkleeberg. Erklärt das das unterschiedliche
Wahlverhalten beider Gemeinden?
Bjarne Pfau vom Tübinger IRex sagt, das sei zu einfach gedacht. Dass
Menschen rechtsextremen Parteien zustimmen, sei ein „multifaktorielles“
Problem. Es gebe also mehrere Gründe für Menschen, bei der Wahl ihr Kreuz
rechtsaußen zu setzen. Wirtschaftlichen Ungleichheiten ausgesetzt zu sein,
könne einer davon sein. Ein geringes Gehalt gehe jedoch auch häufig mit
einem niedrigeren Bildungsabschluss einher. Das heiße aber nicht, dass
Menschen mit weniger absolvierten Schuljahren und ohne Studium vermehrt die
AfD wählen, sagt Pfau. Ein Universitätsabschluss bedeute zunächst nur,
„dass Menschen in ihrer Ausbildungszeit womöglich ein weltoffeneres
Miteinander erlebt und verinnerlicht haben“, sagt Pfau.
Die kürzlich veröffentlichten [5][Daten des Zensus] zeigen: In Markkleeberg
haben die Menschen im Vergleich zu den Tauchaer*innen etwas höhere
Bildungsabschlüsse. Auch besuchen, anteilig betrachtet, mehr Markkleeberger
Kinder das Gymnasium. „Bildungswege und der Zugang dazu, hängen in
Deutschland stark von den Bildungsgraden und dem sozioökonomischen Status
der Eltern ab. Das könnte auch in Markkleeberg die höhere Quote an
Gymnasiast*innen erklären“, sagt Pfau.
Fakten seien das eine, Gefühle das andere: „Wenn Menschen befürchten, ihr
Status sei gefährdet, können sie empfänglicher sein für die
Bedrohungsnarrative der AfD, dass beispielsweise ‚Ausländer‘ einem die
gutbezahlten Jobs wegschnappen“, sagt Pfau.
Wie sich ihre Bewohner*innen fühlen, das haben beide Gemeinden in den
vergangenen Jahren in Bürgerbefragungen ermittelt. Etwa 500 Menschen aus
unterschiedlichen Stadtteilen und gesellschaftlichen Gruppen haben in
Taucha und Markkleeberg jeweils beantwortet, wie zufrieden sie in ihrer
Gemeinde sind und welche Probleme sie dort sehen.
Zwar bewegen Statusverlust und Ungleichheit die Befragten in Taucha und
Markkleeberg fast gleich wenig. Doch haben die Menschen in Taucha mehr
Angst davor, Opfer einer Straftat, beispielsweise eines Fahrraddiebstahls
zu werden. Das überrascht, denn laut der sächsischen Kriminalitätsstatistik
2022 ist Taucha sicherer als Markkleeberg. Dort wurden anteilig weniger
Straftaten verübt, auch in 2021. Und obwohl die befragten Tauchaer*innen
im Schnitt bereits wesentlich häufiger die Polizei und das Ordnungsamt im
Ort sahen, wünschten sie sich noch mehr Präsenz der Behörden. Die stärker
verbreitete Angst vor Kriminalität und der kontrafaktische Wunsch nach mehr
Sicherheit in Taucha könne bedeuten, „dass die Menschen dort empfänglicher
sind für Wahlprogramme, die auf mehr innere Sicherheit und Abschottung
pochen“, sagt Pfau.
Unterwegs in Taucha offenbaren sich schließlich Hinweise auf einen weiteren
bedeutsamen Unterschied zwischen beiden Gemeinden, der sämtlichen
Statistiken bisher entging. „D3W-Area“ und „NJR-Zone“ sind groß auf ein
Stromhäuschen am Stadtpark zwischen einem Pflegeheim und dem
Geschwister-Scholl-Gymnasium gesprüht. „D3W“ steht für die neonazistische
Kleinstpartei [6][Der 3. Weg]. Die „NRJ“ ist seine militante
Nachwuchsorgansiation Nationalrevolutionäre Jugend. Zwar sind einige der
Schmierereien zum Teil übersprüht und nur noch ihre Konturen erkennbar,
doch scheint die rechtsextreme Szene im Ort selbstbewusst zu agieren. Auch
an einigen Straßenlaternen kleben Sticker, die gegen
Antifaschist*innen hetzen oder den Nationalsozialismus verherrlichen.
Das Portal [7][chronik.LE], das rechtsextreme Vorfälle in und um Leipzig
listet, verdeutlicht, dass Taucha eine durchaus lebendige rechtsextreme
Szene beheimatet. 17 Vorfälle wurden dem Portal jeweils für die Jahre 2022
und 2023 gemeldet. In diesem Jahr waren es bereits 15. Zum Vergleich: Für
Markkleeberg wurden dem Portal seit 2022 insgesamt 17 Vorfälle gemeldet.
In beiden Orten entfallen viele Meldungen auf die Kategorie „Propaganda“,
wie beispielsweise das Verschandeln von Wahlplakaten mit rechtsextremen
Botschaften. Doch auch andere Vorfälle listet das Portal, vor allem für
Taucha. Im Sommer 2022 soll ein 14-Jähriger dort von zwei Jugendlichen
mehrere Stunden lang festgehalten, geschlagen und misshandelt worden sein.
Immer wieder habe es zudem rassistische Beleidigungen gegen als
Migrant*innen gelesene Personen gegeben.
Im Herbst 2023 haben Rechtsextreme zunächst mit rassistischer Hetze das
örtliche Deutsche Rote Kreuz dazu bewegt, eine geplante Unterkunft für 20
unbegleitete Minderjährige nicht zu eröffnen. Wenige Wochen später wurde
ein Mann namens Klaus-Dieter Jacob mehrfach angefeindet.
Jacob ist in Taucha aufgewachsen und Teil der aktiven Tauchaer
Zivilgesellschaft, die versucht, den Rechtsextremen im Ort Einhalt zu
gebieten. Der 40-jährige Seniorenassistent kennt die Spots der jungen
Neonazis. Wenn er rechte Sticker sieht, kratzt er sie ab. Der Preis, den er
für sein Engagement zahlt, ist hoch. „Seit ich begonnen habe, mich gegen
die rechte Landnahme zu stellen, haben die Anfeindungen zugenommen“, sagt
er. Auf den Kieker der Tauchaer „Faschos“ sei er jedoch schon früher
geraten, weil er punkig oder „links“ aussehe, Buttons und Kleidung mit
antifaschistischen Botschaften sowie lange, teils bunte Haare trägt. Auch
dass er die Drohungen gegen sich publik gemacht hat, passe der rechten
Szene im Ort nicht, sagt er. Manche Orte müsse er heute zu bestimmten
Zeiten meiden.
Die Rechtsextremisten seien besonders aufgrund ihrer Nähe zu den
gewaltbereiten Hooligans des Fußballvereins Lok Leipzig gefährlich, sagt
Jacob. „Zum Teil trainieren die zusammen Kampfsport. Lange gab es in Taucha
ein privates Studio, den Imperium Fightclub.“ Die Nähe der Szenen ist auch
auf der Straße sichtbar, an einigen Stellen mischen sich rechtsextreme und
Lok-Leipzig-Propaganda.
Aber Jacob kämpft dagegen nicht allein. Gemeinsam mit anderen
Tauchaer*innen hat er den Verein [8][Solidarische Alternative für Taucha
(SAfT)] aufgebaut. Seit mehreren Jahren organisiert diese
Informationsveranstaltungen, meldet rechtsextreme Vorfälle, unterstützt
Betroffene und entfernt im sogenannten Frühjahrsputz mit Jugendlichen
rassistische und antisemitische Propaganda im Ort.
Das gefalle nicht allen Tauchaer*innen, sagt Jacob. Teile des Stadtrats und
die Stadtgesellschaft würden rechtsextreme Vorfälle verharmlosen. „Das
seien nur Jugendstreiche, wurde uns gesagt. Auch, dass es in Taucha kein
Problem mit Rechtsextremismus gebe und wir das Ansehen des Ortes nicht
beschädigen sollen.“ Der Tauchaer Bürgermeister Tobias Meier sagt, der
Verein SAfT mache wichtige Arbeit, polarisiere jedoch auch. Deshalb werde
er von Teilen des Stadtrats kritisch gesehen.
In Markkleeberg scheinen Zivilgesellschaft und lokale Politik klarer und
geschlossener gegen aufkeimenden Rechtsextremismus vorzugehen. Nachdem im
Markkleeberger Hildebrand-Gymnasium rechtsextreme Schmierereien
auftauchten, schloss sich die Schule 2021 der Initiative „Schule mit
Courage“ an.
Der Markkleeberger Oberbürgermeister Karsten Schütze sagt, die Polizei und
das Ordnungsamt im Ort seien auf rechtsextreme Propaganda sensibilisiert
und würden diese unverzüglich entfernen lassen, wenn sie darauf stoßen. Oft
gehe das schnell. „Meistens sind das dieselben paar Leute aus dem
Lok-Leipzig-Umfeld. Nachdem sie am Bahnhof waren, müssen wir nach ihren
Stickern und Schmierereien nicht lange suchen“, sagt Schütze und lacht.
Ärztin und Aktivistin Katja Kühn sagt, zwar könne in Markkleeberg noch viel
mehr gegen rechts gemacht werden. Doch sei Rechtsextremismus im Ort
verschrien. „Das sieht man auch an den Kommunalwahlen“, so Kühn. Nur einen
Kandidaten konnte die AfD im Ort aufstellen. Stimmen erhielt sie dennoch
für fünf Plätze, von denen nun vier im neuen Stadtrat leer bleiben.
Auch in Taucha hätte die AfD fünf Stadträte stellen können. Hier war der
Personalmangel weniger akut. Vier Personen zogen schließlich in den
Stadtrat ein. Lange sei die AfD auch in Taucha verpönt gewesen, sagt Tobias
Meier. Mittlerweile würden die Menschen dort jedoch offener sagen, dass sie
die AfD wählten.
Weder ist Markkleeberg eine Hochburg des Antifaschismus noch Taucha eine
rechtsextreme No-go-Area. Doch, so scheint es, ist rechtes und
rechtsextremes Gedankengut in beiden Stadtgesellschaften ganz
unterschiedlich stark normalisiert, gehört verschieden stark zum
öffentlichen Leben und zum Alltag dazu: in Taucha mehr, in Markkleeberg
weniger. Das könne durchaus erklären, weshalb die AfD in Markkleeberg
weniger stark verfängt als in Taucha, sagt Bjarne Pfau vom Tübinger IRex.
„Wenn weniger Menschen an einem Ort die AfD für wählbar halten,
rechtsextreme Haltungen und Äußerungen als Problem empfinden und ihnen
widersprechen, dann würden potenziell auch ihre Mitmenschen im
Freundeskreis, Sportverein oder in der freiwilligen Feuerwehr kritischer
darüber nachdenken, ob sie dieser Partei ihre Stimme geben wollen“, erklärt
der Sozialwissenschaftler. Das funktioniere leider auch umgekehrt.
Weshalb Menschen an unterschiedlichen Orten rechtsextreme Positionen
normaler finden als an anderen, könne historische Gründe haben, sagt Pfau.
„Vielerorts reichen rechtsextreme Denkmuster bis in die NS-Zeit zurück und
überdauern Generationen.“ So offenbar auch verstärkt in Taucha. Nach
taz-Recherchen erzielten rechtsextreme Parteien wie NDP und DVU dort bei
allen Wahlen seit 1994 teils deutlich bessere Ergebnisse als in
Markkleeberg.
[9][Die Bundeszentrale für politische Bildung] schreibt, dass besonders
Kinder rechtsextremer Familien zu Neonazis werden – weil sie von klein auf
mit Drill, Gehorsam, Gewalt oder menschenfeindlichen Denkmustern
großgezogen werden. Ein Teil der alteingesessenen Tauchaer Bevölkerung wird
seine Verflochtenheit mit dem NS-Regime kritisch aufgearbeitet und hinter
sich gelassen haben. Womöglich nicht alle.
Wie verankert rechtsextremes Gedankengut in Teilen der Tauchaer Bevölkerung
ist, wisse Bürgermeister Meier nicht. Er bemühe sich jedoch um eine aktive
Erinnerungskultur und unterstütze sämtliche Gedenkveranstaltungen an die
Opfer der NS-Diktatur, die im Ort stattfinden. Wichtig sei es aber auch,
den Blick auf die vielen Menschen zu richten, die sich
zivilgesellschaftlich für ein weltoffenes Taucha einsetzen, sagt er.
Besonders ihr Engagement wolle er stärken. Als Begegnungsort sollen eine
neue Bibliothek und ein Versammlungsraum entstehen.
Klaus-Dieter Jacob sieht vor allem die lokale Politik in der Pflicht, klar
an der Seite der Zivilgesellschaft gegen Gewalt und Hetze im Ort
vorzugehen. Der Verein SAfT forderte den Stadtrat in einem [10][offenen
Brief] auf, der AfD-Fraktion gegenüber kritisch zu bleiben: „Den Feinden
einer vielfältigen, offenen und demokratischen Gesellschaft sollten wir auf
die Finger schauen, wenn sie versuchen sollten, Hand an die demokratischen
Institutionen zu legen.“
31 Aug 2024
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[8] https://saft.noblogs.org/
[9] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/22389…
[10] https://saft.noblogs.org/files/2024/08/Aufruf_Stadtratsarbeit-kritisch-beg…
## AUTOREN
Tobias Bachmann
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