| # taz.de -- Sächsische Gemeinden im Vergleich: Same same, but different | |
| > Markkleeberg und Taucha ähneln sich in Größe, Demografie und Idylle. | |
| > Warum kommt die AfD an beiden Orten ganz unterschiedlich gut an? | |
| Bild: Dem „Frühjahrsputz“ noch nicht zum Opfer gefallen: Graffitis an eine… | |
| Markkleeberg/Taucha taz | Knallrote Blumen zieren die vielen Fenster des | |
| Markkleeberger Rathauses, ein pompöser ehemaliger Gasthof mit Türmchen auf | |
| dem Dach und angebautem Ratskeller. Im Innenhof, dem früheren Biergarten, | |
| spenden Linden Schatten, ihre Blätter rauschen im Wind. Ein paar | |
| Mitarbeitende der Stadtverwaltung essen plaudernd zu Mittag. Die | |
| Anspannung, die sachsenweit kurz vor der [1][Landtagswahl] zu spüren ist, | |
| scheint hierhin kaum vorzudringen. | |
| Auch die AfD hat im südlich an Leipzig angrenzenden Markkleeberg | |
| vergleichbar große Probleme, Fuß zu fassen. Bei der Europawahl fuhr sie | |
| hier mit knapp 20 Prozent der Stimmen ihr sachsenweit zweitschlechtestes | |
| Ergebnis ein. Nur in Leipzig stimmten weniger Menschen für die vom | |
| sächsischen Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte | |
| Partei. Anders im nordöstlich ebenso bei Leipzig gelegenen Taucha. Dort | |
| wählten 29 Prozent die AfD. Fast so viele wie im sächsischen Durchschnitt – | |
| und deutlich mehr als in Markkleeberg. | |
| Warum? Karsten Schütze, gebürtiger Markkleeberger und seit 11 Jahren | |
| Oberbürgermeister der Stadt, sitzt an einem der Gartentische im Rathaushof | |
| und versucht, Erklärungen zu finden. Vielleicht liege es am Wohlstand der | |
| Gemeinde, vielleicht an der Stadtgeschichte: „1999 gab es einen | |
| erfolgreichen Volksentscheid gegen die Eingemeindung nach Leipzig, da haben | |
| die Menschen hier gefühlt, dass die Demokratie funktioniert“, sagt er. Auch | |
| den 57-Jährigen habe das politisiert. Aber genau wisse er nicht, weshalb | |
| die AfD in seiner Gemeinde einen schlechteren Stand hat als anderswo. „Wenn | |
| ich ein Rezept hätte, ich würde es überall hin verschenken“, sagt er. | |
| Gemeinsam mit dem Institut für Rechtsextremismusforschung der Universität | |
| Tübingen (IRex) versucht die taz, vor den [2][Landtagswahlen in Sachsen, | |
| Thüringen und Brandenburg] zu ergründen, warum bestimmte Gemeinden weniger | |
| leicht der AfD verfallen als andere. Theoretische Erklärungen dafür gibt es | |
| einige: Profitieren Menschen von der gesellschaftlichen Modernisierung, | |
| leben eher städtisch und haben einen guten Zugang zu öffentlicher | |
| Infrastruktur, können sie weniger anfällig für rechtsextreme Propaganda | |
| sein. Das ist aber nicht zwingend der Fall. Viele Faktoren beeinflussen, | |
| wen Menschen wählen. | |
| Um zu messen, welche das genau sind und wie sie wirken, haben die | |
| Sozialwissenschaftler des IRex eine ganze Reihe von Strukturdaten | |
| zusammengetragen: Bevölkerungsdichte, Altersdurchschnitt, räumliche Nähe zu | |
| einer Stadt mit Volluniversität, Steuereinnahmekraft pro Kopf und viele | |
| mehr. Schaut man sich die Strukturdaten verschiedener Gemeinden an, können | |
| sie potenziell Aufschluss über die politischen Neigungen ihrer | |
| Bewohner*innen geben. | |
| Nicht jedoch, wenn man Markkleeberg und Taucha vergleicht. Hier erklären | |
| die Daten wenig, denn beide Orte unterscheiden sich strukturell kaum. Von | |
| allen 12 im Speckgürtel der Universitätsstadt Leipzig liegenden Gemeinden | |
| sind sie sich statistisch betrachtet am ähnlichsten. Zwar leben in Taucha | |
| mit fast 16.000 Bewohner*innen etwa 9.500 Menschen weniger als in | |
| Markkleeberg, doch sind sie im Schnitt etwa gleich alt, der männliche | |
| Anteil der Bevölkerung ist mit ungefähr 48 Prozent ähnlich niedrig. Beide | |
| Gemeinden sind in den vergangenen Jahren leicht gewachsen. Der | |
| „Ausländeranteil“ beider Orte ist vergleichbar klein. In beiden sind | |
| geflüchtete Menschen dezentral untergebracht. Weshalb wählen weniger | |
| Menschen in Markkleeberg als in Taucha die AfD? | |
| Schaut man sich im Markkleeberger Stadtkern um, sieht es dort kaum anders | |
| aus als im nahegelegenen linksalternativen Connewitz oder in der hippen | |
| Leipziger Südvorstadt. Die vielen Restaurants fühlen sich nach Großstadt | |
| an, zentral gelegene Stadtvillen erinnern an die gutbürgerliche | |
| Vergangenheit der Stadt. | |
| Taucha hingegen besitzt den Charme einer ländlichen Kleinstadt. Rings um | |
| das hellgelbe Rathaus, das dem in Markkleeberg ähnelt, bestimmen | |
| zweistöckige Häuschen und ein paar Geschäfte das Stadtbild. Stadtauswärts, | |
| Richtung Leipzig, deuten sanierte DDR-Altneubauten und 1990er Jahre | |
| Neubauten auf eine eher proletarisch geprägte Stadtgeschichte hin. In den | |
| äußeren Ortsteilen mischen sich Wiesen, kleine Wäldchen, Mais- und | |
| Weizenfelder mit Einfamilienhäusern und Bauernhöfen. | |
| Leben die Menschen in Markkleeberg städtischer als in Taucha und wählen | |
| deshalb seltener die AfD? Die Strukturdaten beider Gemeinden lassen diesen | |
| Schluss nicht zu. In beiden Orten fahren die Menschen ähnlich kurz zur | |
| nächsten Apotheke oder Hausärztin. Beide sind ähnlich dicht besiedelt. | |
| Taucha sogar etwas dichter. Aus dem Leipziger Zentrum reist oder pendelt es | |
| sich in beide Gemeinden etwa gleich kurz. Viel Grün und ländliches Leben | |
| gibt es auch im Markkleeberger Umland. Zwar etwas weniger Landwirtschaft, | |
| dafür mehr Wald. Und zwei idyllische ehemalige Tagebauseen, den | |
| Markkleeberger und den Cospudener See. | |
| Hört man sich in Markkleeberg um, vermutet nicht nur Oberbürgermeister | |
| Schütze, dass der relativ hohe Wohlstand der Gemeinde der AfD die Tour | |
| vermiesen könnte. Auch Katja Kühn zum Beispiel, eine der umtriebigsten | |
| Aktivistinnen des Orts, glaubt daran. „Den Menschen hier geht es | |
| finanziell sehr gut“, sagt sie. „Wer einen Dienstwagen hat oder sich | |
| einfach ein E-Auto kaufen kann, muss sich nicht sorgen, wenn die Politik | |
| ein Verbrennerverbot diskutiert.“ Außerdem sei der ÖPNV in Markkleeberg | |
| super ausgebaut. | |
| Kühn lebt schon viele Jahre in Markkleeberg. Als Ärztin für innere Medizin | |
| arbeitet die 49-Jährige in einer Leipziger Praxis. In ihrer Freizeit | |
| engagiert sie sich vor allem klimapolitisch, gerade geht es ihr aber eher | |
| um das gesellschaftliche Klima des Freistaats. Einen heißen | |
| Montagnachmittag verbringt Kühn in der Markkleeberger Innenstadt: „Um | |
| aufzuklären“, sagt sie. Ihre Botschaft: „Die [3][AfD] ist keine | |
| Protestpartei.“ | |
| Vom Dönerladen läuft sie zur Stadtbibliothek und weiter zu einem | |
| Supermarkt. Klebt Plakate an Schaufenster, legt Flyer in Infoständer – und | |
| spricht mit neugierigen Passant*innen. „Nicht die AfD wählen?“, fragt ein | |
| älterer Mann, der sich gerade einen Döner geholt hatte. „Nee, die AfD darf | |
| nicht stärkste Kraft werden. Viele Menschen in Sachsen leiden schon jetzt | |
| massiv unter dem zunehmenden Rechtsruck“, sagt Kühn. „Wen denn sonst?“, | |
| fragt der Mann. „Die Linkspartei, oder die Grünen“, entgegnet Kühn. | |
| Markkleeberg sei Sachsens einkommensstärkste Gemeinde, sagt | |
| Oberbürgermeister Schütze tags zuvor im Rathausgarten. „Etwa 60 Prozent der | |
| leitenden Angestellten des Leipziger Uniklinikums leben hier. Und ein | |
| Großteil der Fußballer von RB Leipzig.“ Daten der Bundesagentur für Arbeit, | |
| die [4][Zeit Online] ausgewertet hat, belegen das und zeigen zudem: In ganz | |
| Ostdeutschland liegen die Gehälter fast nur in Markkleeberg über dem | |
| bundesweiten Durchschnitt. | |
| Etwa 30 Minuten Fahrtzeit von Markkleeberg entfernt erklärt Tobias Meier im | |
| Tauchaer Rathaus, dass auch seine Gemeinde wirtschaftlich gut dastehe. Der | |
| 46-Jährige ist in Taucha aufgewachsen, hat jahrelang im Ort Kabarett | |
| gespielt und in Leipzig als Studioleiter beim Fernsehen gearbeitet. Seit | |
| 2015 ist er Tauchas Bürgermeister. Dieses Amt fülle er unabhängig von | |
| seiner FDP-Mitgliedschaft aus, sagt er, „für alle Menschen in Taucha“. Die | |
| meisten Tauchaer*innen profitierten vom wirtschaftlichen Aufschwung im | |
| nördlichen Leipziger Umland, sagt Meier. „Porsche, BMW, Amazon sind nur | |
| wenige Kilometer entfernt: Viele Menschen aus Taucha arbeiten dort.“ Zudem | |
| hätten sich auch in Taucha einige kleine und mittelständische Unternehmen | |
| angesiedelt. | |
| Die Daten der Bundesagentur für Arbeit bestätigen auch das. Die | |
| durchschnittlichen Einkommen der Tauchaer*innen haben sich in den | |
| vergangenen Jahren positiv entwickelt und liegen sachsenweit im oberen | |
| Mittelfeld. Bundesweit sind sie jedoch leicht unterdurchschnittlich. Und | |
| gerade mittlere und hohe Einkommen sind in Taucha im Schnitt etwa 500 Euro | |
| geringer als in Markkleeberg. Erklärt das das unterschiedliche | |
| Wahlverhalten beider Gemeinden? | |
| Bjarne Pfau vom Tübinger IRex sagt, das sei zu einfach gedacht. Dass | |
| Menschen rechtsextremen Parteien zustimmen, sei ein „multifaktorielles“ | |
| Problem. Es gebe also mehrere Gründe für Menschen, bei der Wahl ihr Kreuz | |
| rechtsaußen zu setzen. Wirtschaftlichen Ungleichheiten ausgesetzt zu sein, | |
| könne einer davon sein. Ein geringes Gehalt gehe jedoch auch häufig mit | |
| einem niedrigeren Bildungsabschluss einher. Das heiße aber nicht, dass | |
| Menschen mit weniger absolvierten Schuljahren und ohne Studium vermehrt die | |
| AfD wählen, sagt Pfau. Ein Universitätsabschluss bedeute zunächst nur, | |
| „dass Menschen in ihrer Ausbildungszeit womöglich ein weltoffeneres | |
| Miteinander erlebt und verinnerlicht haben“, sagt Pfau. | |
| Die kürzlich veröffentlichten [5][Daten des Zensus] zeigen: In Markkleeberg | |
| haben die Menschen im Vergleich zu den Tauchaer*innen etwas höhere | |
| Bildungsabschlüsse. Auch besuchen, anteilig betrachtet, mehr Markkleeberger | |
| Kinder das Gymnasium. „Bildungswege und der Zugang dazu, hängen in | |
| Deutschland stark von den Bildungsgraden und dem sozioökonomischen Status | |
| der Eltern ab. Das könnte auch in Markkleeberg die höhere Quote an | |
| Gymnasiast*innen erklären“, sagt Pfau. | |
| Fakten seien das eine, Gefühle das andere: „Wenn Menschen befürchten, ihr | |
| Status sei gefährdet, können sie empfänglicher sein für die | |
| Bedrohungsnarrative der AfD, dass beispielsweise ‚Ausländer‘ einem die | |
| gutbezahlten Jobs wegschnappen“, sagt Pfau. | |
| Wie sich ihre Bewohner*innen fühlen, das haben beide Gemeinden in den | |
| vergangenen Jahren in Bürgerbefragungen ermittelt. Etwa 500 Menschen aus | |
| unterschiedlichen Stadtteilen und gesellschaftlichen Gruppen haben in | |
| Taucha und Markkleeberg jeweils beantwortet, wie zufrieden sie in ihrer | |
| Gemeinde sind und welche Probleme sie dort sehen. | |
| Zwar bewegen Statusverlust und Ungleichheit die Befragten in Taucha und | |
| Markkleeberg fast gleich wenig. Doch haben die Menschen in Taucha mehr | |
| Angst davor, Opfer einer Straftat, beispielsweise eines Fahrraddiebstahls | |
| zu werden. Das überrascht, denn laut der sächsischen Kriminalitätsstatistik | |
| 2022 ist Taucha sicherer als Markkleeberg. Dort wurden anteilig weniger | |
| Straftaten verübt, auch in 2021. Und obwohl die befragten Tauchaer*innen | |
| im Schnitt bereits wesentlich häufiger die Polizei und das Ordnungsamt im | |
| Ort sahen, wünschten sie sich noch mehr Präsenz der Behörden. Die stärker | |
| verbreitete Angst vor Kriminalität und der kontrafaktische Wunsch nach mehr | |
| Sicherheit in Taucha könne bedeuten, „dass die Menschen dort empfänglicher | |
| sind für Wahlprogramme, die auf mehr innere Sicherheit und Abschottung | |
| pochen“, sagt Pfau. | |
| Unterwegs in Taucha offenbaren sich schließlich Hinweise auf einen weiteren | |
| bedeutsamen Unterschied zwischen beiden Gemeinden, der sämtlichen | |
| Statistiken bisher entging. „D3W-Area“ und „NJR-Zone“ sind groß auf ein | |
| Stromhäuschen am Stadtpark zwischen einem Pflegeheim und dem | |
| Geschwister-Scholl-Gymnasium gesprüht. „D3W“ steht für die neonazistische | |
| Kleinstpartei [6][Der 3. Weg]. Die „NRJ“ ist seine militante | |
| Nachwuchsorgansiation Nationalrevolutionäre Jugend. Zwar sind einige der | |
| Schmierereien zum Teil übersprüht und nur noch ihre Konturen erkennbar, | |
| doch scheint die rechtsextreme Szene im Ort selbstbewusst zu agieren. Auch | |
| an einigen Straßenlaternen kleben Sticker, die gegen | |
| Antifaschist*innen hetzen oder den Nationalsozialismus verherrlichen. | |
| Das Portal [7][chronik.LE], das rechtsextreme Vorfälle in und um Leipzig | |
| listet, verdeutlicht, dass Taucha eine durchaus lebendige rechtsextreme | |
| Szene beheimatet. 17 Vorfälle wurden dem Portal jeweils für die Jahre 2022 | |
| und 2023 gemeldet. In diesem Jahr waren es bereits 15. Zum Vergleich: Für | |
| Markkleeberg wurden dem Portal seit 2022 insgesamt 17 Vorfälle gemeldet. | |
| In beiden Orten entfallen viele Meldungen auf die Kategorie „Propaganda“, | |
| wie beispielsweise das Verschandeln von Wahlplakaten mit rechtsextremen | |
| Botschaften. Doch auch andere Vorfälle listet das Portal, vor allem für | |
| Taucha. Im Sommer 2022 soll ein 14-Jähriger dort von zwei Jugendlichen | |
| mehrere Stunden lang festgehalten, geschlagen und misshandelt worden sein. | |
| Immer wieder habe es zudem rassistische Beleidigungen gegen als | |
| Migrant*innen gelesene Personen gegeben. | |
| Im Herbst 2023 haben Rechtsextreme zunächst mit rassistischer Hetze das | |
| örtliche Deutsche Rote Kreuz dazu bewegt, eine geplante Unterkunft für 20 | |
| unbegleitete Minderjährige nicht zu eröffnen. Wenige Wochen später wurde | |
| ein Mann namens Klaus-Dieter Jacob mehrfach angefeindet. | |
| Jacob ist in Taucha aufgewachsen und Teil der aktiven Tauchaer | |
| Zivilgesellschaft, die versucht, den Rechtsextremen im Ort Einhalt zu | |
| gebieten. Der 40-jährige Seniorenassistent kennt die Spots der jungen | |
| Neonazis. Wenn er rechte Sticker sieht, kratzt er sie ab. Der Preis, den er | |
| für sein Engagement zahlt, ist hoch. „Seit ich begonnen habe, mich gegen | |
| die rechte Landnahme zu stellen, haben die Anfeindungen zugenommen“, sagt | |
| er. Auf den Kieker der Tauchaer „Faschos“ sei er jedoch schon früher | |
| geraten, weil er punkig oder „links“ aussehe, Buttons und Kleidung mit | |
| antifaschistischen Botschaften sowie lange, teils bunte Haare trägt. Auch | |
| dass er die Drohungen gegen sich publik gemacht hat, passe der rechten | |
| Szene im Ort nicht, sagt er. Manche Orte müsse er heute zu bestimmten | |
| Zeiten meiden. | |
| Die Rechtsextremisten seien besonders aufgrund ihrer Nähe zu den | |
| gewaltbereiten Hooligans des Fußballvereins Lok Leipzig gefährlich, sagt | |
| Jacob. „Zum Teil trainieren die zusammen Kampfsport. Lange gab es in Taucha | |
| ein privates Studio, den Imperium Fightclub.“ Die Nähe der Szenen ist auch | |
| auf der Straße sichtbar, an einigen Stellen mischen sich rechtsextreme und | |
| Lok-Leipzig-Propaganda. | |
| Aber Jacob kämpft dagegen nicht allein. Gemeinsam mit anderen | |
| Tauchaer*innen hat er den Verein [8][Solidarische Alternative für Taucha | |
| (SAfT)] aufgebaut. Seit mehreren Jahren organisiert diese | |
| Informationsveranstaltungen, meldet rechtsextreme Vorfälle, unterstützt | |
| Betroffene und entfernt im sogenannten Frühjahrsputz mit Jugendlichen | |
| rassistische und antisemitische Propaganda im Ort. | |
| Das gefalle nicht allen Tauchaer*innen, sagt Jacob. Teile des Stadtrats und | |
| die Stadtgesellschaft würden rechtsextreme Vorfälle verharmlosen. „Das | |
| seien nur Jugendstreiche, wurde uns gesagt. Auch, dass es in Taucha kein | |
| Problem mit Rechtsextremismus gebe und wir das Ansehen des Ortes nicht | |
| beschädigen sollen.“ Der Tauchaer Bürgermeister Tobias Meier sagt, der | |
| Verein SAfT mache wichtige Arbeit, polarisiere jedoch auch. Deshalb werde | |
| er von Teilen des Stadtrats kritisch gesehen. | |
| In Markkleeberg scheinen Zivilgesellschaft und lokale Politik klarer und | |
| geschlossener gegen aufkeimenden Rechtsextremismus vorzugehen. Nachdem im | |
| Markkleeberger Hildebrand-Gymnasium rechtsextreme Schmierereien | |
| auftauchten, schloss sich die Schule 2021 der Initiative „Schule mit | |
| Courage“ an. | |
| Der Markkleeberger Oberbürgermeister Karsten Schütze sagt, die Polizei und | |
| das Ordnungsamt im Ort seien auf rechtsextreme Propaganda sensibilisiert | |
| und würden diese unverzüglich entfernen lassen, wenn sie darauf stoßen. Oft | |
| gehe das schnell. „Meistens sind das dieselben paar Leute aus dem | |
| Lok-Leipzig-Umfeld. Nachdem sie am Bahnhof waren, müssen wir nach ihren | |
| Stickern und Schmierereien nicht lange suchen“, sagt Schütze und lacht. | |
| Ärztin und Aktivistin Katja Kühn sagt, zwar könne in Markkleeberg noch viel | |
| mehr gegen rechts gemacht werden. Doch sei Rechtsextremismus im Ort | |
| verschrien. „Das sieht man auch an den Kommunalwahlen“, so Kühn. Nur einen | |
| Kandidaten konnte die AfD im Ort aufstellen. Stimmen erhielt sie dennoch | |
| für fünf Plätze, von denen nun vier im neuen Stadtrat leer bleiben. | |
| Auch in Taucha hätte die AfD fünf Stadträte stellen können. Hier war der | |
| Personalmangel weniger akut. Vier Personen zogen schließlich in den | |
| Stadtrat ein. Lange sei die AfD auch in Taucha verpönt gewesen, sagt Tobias | |
| Meier. Mittlerweile würden die Menschen dort jedoch offener sagen, dass sie | |
| die AfD wählten. | |
| Weder ist Markkleeberg eine Hochburg des Antifaschismus noch Taucha eine | |
| rechtsextreme No-go-Area. Doch, so scheint es, ist rechtes und | |
| rechtsextremes Gedankengut in beiden Stadtgesellschaften ganz | |
| unterschiedlich stark normalisiert, gehört verschieden stark zum | |
| öffentlichen Leben und zum Alltag dazu: in Taucha mehr, in Markkleeberg | |
| weniger. Das könne durchaus erklären, weshalb die AfD in Markkleeberg | |
| weniger stark verfängt als in Taucha, sagt Bjarne Pfau vom Tübinger IRex. | |
| „Wenn weniger Menschen an einem Ort die AfD für wählbar halten, | |
| rechtsextreme Haltungen und Äußerungen als Problem empfinden und ihnen | |
| widersprechen, dann würden potenziell auch ihre Mitmenschen im | |
| Freundeskreis, Sportverein oder in der freiwilligen Feuerwehr kritischer | |
| darüber nachdenken, ob sie dieser Partei ihre Stimme geben wollen“, erklärt | |
| der Sozialwissenschaftler. Das funktioniere leider auch umgekehrt. | |
| Weshalb Menschen an unterschiedlichen Orten rechtsextreme Positionen | |
| normaler finden als an anderen, könne historische Gründe haben, sagt Pfau. | |
| „Vielerorts reichen rechtsextreme Denkmuster bis in die NS-Zeit zurück und | |
| überdauern Generationen.“ So offenbar auch verstärkt in Taucha. Nach | |
| taz-Recherchen erzielten rechtsextreme Parteien wie NDP und DVU dort bei | |
| allen Wahlen seit 1994 teils deutlich bessere Ergebnisse als in | |
| Markkleeberg. | |
| [9][Die Bundeszentrale für politische Bildung] schreibt, dass besonders | |
| Kinder rechtsextremer Familien zu Neonazis werden – weil sie von klein auf | |
| mit Drill, Gehorsam, Gewalt oder menschenfeindlichen Denkmustern | |
| großgezogen werden. Ein Teil der alteingesessenen Tauchaer Bevölkerung wird | |
| seine Verflochtenheit mit dem NS-Regime kritisch aufgearbeitet und hinter | |
| sich gelassen haben. Womöglich nicht alle. | |
| Wie verankert rechtsextremes Gedankengut in Teilen der Tauchaer Bevölkerung | |
| ist, wisse Bürgermeister Meier nicht. Er bemühe sich jedoch um eine aktive | |
| Erinnerungskultur und unterstütze sämtliche Gedenkveranstaltungen an die | |
| Opfer der NS-Diktatur, die im Ort stattfinden. Wichtig sei es aber auch, | |
| den Blick auf die vielen Menschen zu richten, die sich | |
| zivilgesellschaftlich für ein weltoffenes Taucha einsetzen, sagt er. | |
| Besonders ihr Engagement wolle er stärken. Als Begegnungsort sollen eine | |
| neue Bibliothek und ein Versammlungsraum entstehen. | |
| Klaus-Dieter Jacob sieht vor allem die lokale Politik in der Pflicht, klar | |
| an der Seite der Zivilgesellschaft gegen Gewalt und Hetze im Ort | |
| vorzugehen. Der Verein SAfT forderte den Stadtrat in einem [10][offenen | |
| Brief] auf, der AfD-Fraktion gegenüber kritisch zu bleiben: „Den Feinden | |
| einer vielfältigen, offenen und demokratischen Gesellschaft sollten wir auf | |
| die Finger schauen, wenn sie versuchen sollten, Hand an die demokratischen | |
| Institutionen zu legen.“ | |
| 31 Aug 2024 | |
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