# taz.de -- Gedenken an Völkermord: Koloniale Gegenwart | |
> Vor 120 Jahren begann der deutsche Völkermord in Namibia. An die | |
> Aktualität seiner Ursachen hat ein Festakt am Bremer Mahnmal erinnert. | |
Bild: Kolonialverbrechern wie Carl Peters errichtete man Denkmale. Helgoland ha… | |
Bremen taz | Gedenkfeiern produzieren keine Nachricht. Da macht auch der | |
Akt am gestrigen Sonntag in Bremen keine Ausnahme: Schwarze Community, | |
dekoloniale Vereine, Rathaus, Landeszentrale für politische Bildung und | |
andere Akteure erinnerten gemeinsam an den ersten Völkermord des 20. | |
Jahrhunderts, die weitgehende Vernichtung von Ovaherero, Ovambanderu und | |
Nama. | |
Knapp 100 Menschen sind gekommen zu der kleinen Zeremonie am einschlägigen | |
Mahnmal [1][im Nelson-Mandela-Park, gleich vor dem Backstein-Elefanten]: | |
Diese kolonialrevisionistische, begehbare Tierplastik war 1990 zum | |
Antikolonial-Denkmal umgewidmet worden. Darauf, dass dieser monumentale | |
Figur dennoch ihre Macht eingeschrieben bleibe, macht Jasmin Alley in ihrer | |
Festrede aufmerksam, Direktorin des Emder Ostfriesischen Landesmuseums. | |
Blumen werden niedergelegt, es gibt Musik, ein Bürgermeistergrußwort und | |
Reden, eine Freiluft-Fotoausstellung und etwas zu essen. Äußerlich besehen | |
passiert halt nichts bei Gedenkfeiern, vielleicht damit sie tatsächlich | |
eine Art [2][Lücke in die Zeit reißen können für das, was geschehen ist]. | |
## Mit völkermörderischer Absicht | |
So auch Sonntag. Am 11. August 1904, vor 120 Jahren, begann mit der | |
Schlacht von Ohamakari – auf Deutsch: [3][der Schlacht am Waterberg] – der | |
nachweislich mit genozidalen Absichten geführte Krieg der deutschen | |
Kolonialtruppen gegen die Menschen Namibias. Diese hatten angefangen, sich | |
nach Jahrzehnten informeller Versklavung zu wehren gegen die kolonialen | |
Besatzer und ihr Herrschaftssystem, das auf den zwei Pfeilern Landraub und | |
Zwangsarbeit errichtet war und auf Rassismus fußte. | |
Vier Jahre dauerte die brutale Niederschlagung dieser Revolte. Überlebende | |
Aufständische wurden in die Kalahari-Wüste getrieben, die Kriegsgefangenen | |
in, ja: Konzentrationslager gesperrt. Dort missbrauchte man sie zu | |
medizinischen Versuchen oder quälte sie einfach so zu Tode. | |
Der 2009 vom heutigen Präsidenten Namibias [4][Nangolo Mbumba] und dem | |
damaligen Bremer Bausenator Reinhard Loske (Grüne) eingeweihte Steinkreis | |
im Schatten des Backstein-Elefanten ist bis heute das einzige für dieses | |
Verbrechen gegen die Menschheit geschaffene Mahnmal in Deutschland. Eine | |
materielle Entschädigung der Opfernachfahren gehört nach wie vor zu den | |
politischen Forderungen, [5][die bundespolitisch offensiv verdrängt | |
werden.] | |
Aber auch jenseits davon stellt Gedenken Ansprüche: „Kolonialismus ist | |
Gegenwart“, mahnt Manfred O. Hinz, der zweite sonntägliche Redner: Der | |
Bremer Jura-Professor hat nach der Unabhängigkeit Namibias an der | |
Verfassung des jungen Staats mitgewirkt und am Aufbau der ersten | |
rechtswissenschaftlichen Fakultät in Windhuk. | |
Auch seine Worte sind ein Appell, sich des Fortwirkens von Rassismus und | |
der Spuren jener verhängnisvollen Kontakte auch im Alltag bewusst zu | |
werden: Gedenkkultur bedeutet eben, sich deren Ausmaße vor Augen – oder, im | |
Rahmen des sehr schönen „Lausch-Orte“- Projekts als digital abrufbare, | |
literarisch [6][durchgeformte Reflexion vor Ohren zu führen]. | |
Will man gemeinsam eine Zukunft nach dem Kolonialismus haben, ist es | |
notwendig, eine Ahnung davon zu bekommen, welche Verletzungen er bewirkt | |
hat – Verletzungen, die vielleicht nie vernarben. Es geht dabei nicht immer | |
um Offensichtliches. | |
Zum Wesen des Kolonialismus gehöre, so Alley, „dass er seine eigene Gewalt | |
verschweigt“. Die Wahrnehmung braucht also einerseits eine | |
gesellschaftliche Wachheit fürs Verdeckte und Unerzählte. Die ist in Bremen | |
durchaus anzutreffen: Seit den 1970ern gibt es hier viele | |
Dekolonisierungs-Inis, von Versuchen, durch die Nazis | |
kolonialrevisionistisch benannte Straßen umzubenennen bis hin zur direkten | |
Zusammenarbeit etwa mit der Swapo auf landespolitisch höchster Ebene. | |
Die „South West Africa People’s Organisation“ galt der CDU als Terrorband… | |
Entsprechend schimpfte ihre Fraktion damals gegen den Senat. Das Engagement | |
bremsen konnte sie dadurch nicht. | |
## Ein dekolonialer Stadtführer | |
Auch auf diese Traditionen gestützt, haben nun Norman Aselmeyer, Historiker | |
an der Bremer Uni, und Virginie Kamche, Mitgründerin des Vereins Afrika | |
Netzwerk Bremen, eine wirklich umfassende Zusammenschau kolonialer Spuren | |
herausgegeben. Am Montag erscheint ihr Buch „Stadt der Kolonien, das sie am | |
Donnerstag im Haus der Wissenschaft vorstellt: Es zeigt, „wie Bremen den | |
deutschen Kolonialismus prägte“, so der Untertitel. | |
Es ist ein regelrechter Führer durch den oft verschütt gegangenen | |
kolonialen Hintergrund der Stadt. Er beruht nicht auf eigener Forschung, | |
macht aber sehr viele neue Ergebnisse allgemein zugänglich. 50 gut lesbare | |
Beiträge erhellen 50 Aspekte der Bremer Teilhabe an der gesamteuropäischen | |
Bewegung des Raffens und der Expansion. Geografisch reicht der Horizont von | |
Bremer Sklavenhaltern auf karibischen Zuckerrohrplantagen bis zur Deutschen | |
Südsee-Phosphat-AG mit Postanschrift gleich neben der Kirche Unser Lieben | |
Frauen. Erfasst werden [7][Waren], [8][Tätigkeitsfelder], | |
museal-kuratorische Strategien im Umgang mit dem Erbe. | |
Und spezifische Gegenstände: So wirkt wie eine Anekdote, dass sich ein | |
findiger Bremer Hutmacher ab 1900 in Deutschland, der Schweiz und in den | |
USA seinen neuartigen Tropenhelm patentieren ließ, das Kleidungsstück des | |
Kolonialismus. | |
Der war in jedem Moment Gewalttat: Grundlage von Ludwig Bortfeldts | |
Tropenhelmmonopol war nämlich ein fünfteiliger, klappbarer Nackenschirm: | |
„Sein Design ermöglichte den Trägern, ungehindert mit der aufgesetzten | |
Kopfbedeckung zu schießen“, schildert Laura Haendel, Kuratorin des | |
Deutschen Panzermuseums Munster, die Pointe der Erfindung, „sogar im | |
Liegen.“ | |
Als ältester Hinweis auf dieses Denken treten auf: die | |
protokolonialistischen mittelalterlichen Missionszüge, die das Bistum | |
Bremen-Hamburg mithilfe der Schwertbrüder ins Baltikum unternimmt. Als | |
neueste Erscheinung wird das deutsche Bestreben erwähnt, den | |
Tsau-||Khaeb-Nationalpark [9][verwüsten zu lassen]. | |
## „Grüner Landraub“ | |
Denn das ist nötig, damit eine von [10][einem deutschen] und einem | |
[11][britischen Unternehmen] gegründete namibische Firma mit [12][weißem] | |
Chef und Schwarzer Rezeptionistin sogenannten „grünen Wasserstoff“ für den | |
Export herstellen kann. So spannt sich der 140-jährige Bogen vom Bremer | |
Kaufmann Lüderitz – der betrügerisch große Teile des heutigen Namibia in | |
Besitz nahm – „bis zum ‚grünen Landraub‘ in der ehemaligen Kolonie“, | |
resümiert Henning Melber in seinem Beitrag. | |
„Stadt der Kolonien“ ist ein Nazi-Begriff. Der Buchtitel setzt ihn in daher | |
auch in Anführungszeichen. Es geht auch nicht um einen sündenstolzen | |
Versuch, das Verbrechen zu monopolisieren, also die Einschätzung unter | |
umgekehrtem Vorzeichen zu bestätigen. | |
Im Gegenteil, der Blick beispielsweise auf die lokale Verstrickung ließe | |
sich vielversprechend nicht nur auf die Seemacht Hamburg, sondern nahezu | |
jede Stadt übertragen: Flensburgs Rumdestillen, Hannovers Gummireichtum und | |
Osnabrücks Leinen-Exporte gehören zu den Spielarten derselben Bewegung. Sie | |
bildet den Grundbass des Kapitalismus. Erst die unterschiedlichen, aber | |
konsequent lokal verankerten Blicke [13][ermöglichen, den eigenen Standort | |
globalhistorisch zu bestimmen]. | |
12 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bremen-und-das-koloniale-Erbe/!5031843 | |
[2] /Erbe-des-Kolonialismus-in-Bremen/!5257406 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_am_Waterberg | |
[4] /Namibias-Praesident-ist-tot/!5987072 | |
[5] /Aufarbeitung-des-deutschen-Kolonialismus/!5949531 | |
[6] https://lauschorte.de/antikolonialdenkmal-elefant/ | |
[7] /Bremer-Baumwollboerse/!5876116 | |
[8] /175-Jahre-Norddeutsche-Mission/!5122632 | |
[9] /Deutsches-Exportgeschaeft-in-Namibia/!6022790 | |
[10] https://enertrag.com/this-is-enertrag/management-board | |
[11] https://princapital.com/ | |
[12] https://hyphenafrica.com/team-experts/ | |
[13] /Umgang-mit-Kolonialgeschichte/!5971721 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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