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# taz.de -- Schwere Unruhen in Großbritannien: Rechtsextreme machen mobil
> In vielen britischen Städten kommt es zu Krawallen gegen Migranten und
> Muslime. Die Regierung erwägt hartes Durchgreifen.
Bild: Rechtsextreme protestieren in über britischen Städten, hier in Leeds am…
London taz | Noch vor wenigen Wochen glaubten so manche in Großbritannien,
das Problem des Rechtsextremismus sei eines von EU-Staaten, gegen dass man
im Vereinigten Königreich immun sei. Doch die [1][Unruhen seit dem Mord an
drei Mädchen in der nordwestenglischen Stadt Southport] am vergangenen
Montag lassen dies anders aussehen. Nicht nur wegen der [2][gewalttätigen
Ausschreitungen in Southport am Dienstag], und danach in Hartlepool und
Manchester, sondern wegen der Mobilisierung Rechtsextremer im ganzen Land
danach.
Am Wochenende gingen Rechtsextreme im unzähligen englischen Städten auf die
Straßen: Sunderland, Stoke-on-Trent, Blackburn, Bolton. Leeds, Hull,
Bristol, Newcastle, Liverpool, Preston, Portsmouth Blackpool, Nottingham,
vom Süden bis zum Norden und vom Westen bis zum Osten Englands. Sogar im
nordirischen Belfast, wo pro-irische katholische und pro-britische
protestantische Rechte gemeinsam gegen Migration auf die Straße gingen.
In über 30 Städten wurde gegrölt und geschrien, wurden Fahrzeuge in Brand
gesetzt, Flaschen und Feuerwehrkörper geworfen, Läden zerstört und
leergeräumt und Menschen verprügelt. Die Randalierer waren oftmals vermummt
und hüllten sich in die rot-weiße englische Flagge – sie denken, sie
handeln im Namen Englands.
In Sunderland wurde eine Polizeiwache in Brand gesetzt, und es sollen
einige sogar versucht haben, uralte Grabsteine aus dem Friedhof der
Kathedrale zu reißen, um sie als Wurfmunition zu benutzen.
## Gewaltaufrufe verbreiteten sich schnell über Social Media
In Hull und in Aldershot waren die Ziele der Meute Hotels, in denen
Asylsuchende untergebracht sind. In Stoke-on-Trent war es eine Moschee.
Einige Szenen wurden von den wütenden Mobs live gestreamt. Ihre Opfer waren
neben Polizeibeamten auch Menschen mit dunkler Hautfarbe. An verschiedenen
Orten gab es immerhin antirassistische Gegenproteste. So nahmen Aktivisten
in Bristol ein Flüchtlingshotel in Schutz, in Liverpool stellten sich die
einen den anderen gegenüber und fauchten sich gegenseitig an.
Manchmal waren es nur ein paar Dutzend Personen, anderorts mehrere
Hunderte, oft von andernorts in die Gegend gereist. Einer der meistgehörten
Sprüche dabei war: „We want our country back“, – wir wollen unser Land
zurückhaben, eine bekannte Parole aus den Zeiten des Brexit-Referendums
2016. Diesmal richtet er sich nicht gegen die EU, sondern als Schlachtruf
gegen Muslime und Asylsuchende, manchmal gemeinsam mit „England, bis ich
sterbe!“ Den Spruch begleiteten manche mit dem Hitlergruß, nicht gerade die
patriotische englische Art.
Die Parolen und Gewaltaufrufe verbreiteten sich mithilfe von TikTok, X und
Telegram, auch über „Channel 3 Nows“, ein bisher kaum bekannter Kanal, der
AI-bearbeitete Nachrichten über die USA und das Vereinigte Königreich in
den sozialen Medien verbreitet, darunter [3][Fake News zu dem Attentäter
von der Messerattacke] am Montag. So wurde der Attentäter – ein
17-jähriger, dessen Eltern als Flüchtlinge aus Ruanda kamen und der in
Großbritannien geboren wurde – frei erfunden als muslimischer
Bootsflüchtling bezeichnet. Dies verbreitete laut einer Recherche der Times
die Mitte 50-Jahre alte Leiterin einer Bekleidungsfirma, die in einer
Millionärsvilla auf dem Land wohnt und mit einem Künstler verheiratet ist.
Früher machte sie sich als Aktivistin gegen Impfungen während der
Covid-19-Pandemie einen Namen. Es sind also nicht nur Mobs mit
Bierflaschen, die hier mitzumischen scheinen.
Ebenfalls aus dem Hintergrund in den sozialen Medien agiert [4][Tommy
Robinson], ein altbekannter Aktivist der britischen rechtsextremen Szene
und Mitgründer der rechtsextremen English Defence League. Er hat erst vor
einer Woche in London eine rechtsextreme Demonstration angeführt. Aufgrund
eines Filmes, den er zeigte, in dem er falsche Angaben zu einem syrischen
Flüchtling machte, der als Teenager Opfer eines rassistischen Angriffs war,
hätte er am vergangenen Montag vor Gericht erscheinen sollen, aber
stattdessen floh Robinson ins Ausland, von wo aus er weiter postete.
## Opposition nutzt die Krise
Die neue britische Labour-Innenministerin Yvette Cooper konnte mit ihren
Worten, dass dieses rüpelhafte Benehmen der Gewalt und Unruhen, wie sie es
nannte, keinen Platz auf den Straßen hätten, nicht sofort für Ruhe sorgen.
Der Krisenstab der Regierung traf sich am Samstag, um weitere Maßnahmen zu
besprechen. Dazu gehört eine Aufstockung der in Bereitschaft stehenden
Staatsanwälte, Tag und Nacht arbeitender Sondergerichte und mehr
Unterbringungsmöglichkeiten in britischen Strafanstalten. 4.000 zusätzliche
Sicherheitsbeamt:innen wurden inzwischen in den Bereitschaftsdienst
gestellt.
Dutzende Personen wurden bereits am Freitag und Samstag von der Polizei
festgenommen. Die harten Maßnahmen erinnern an die Aufstände im zahlreichen
britischen Städten im Sommer 2011 nach einem tödlichen Polizeischuss im
Londoner Stadtteil Tottenham, als erstmals Gerichte rund um die Uhr
Plünderer und Randalierer in Schnellverfahren zu teils harten Haftstrafen
verurteilten. Das war ein Härtetest für die damals neue konservative
Regierung – aber der britische Generalstaatsanwalt, der die Verfahren vor
Gericht verantwortete, hieß damals Keir Starmer und ist heute der
Labour-Premierminister.
Die konservative Opposition nutzt die Krise zur Profilierung. Labour habe
seinerzeit gegen Verschärfungen der Polizeibefugnisse gestimmt, sagte
Ex-Innenminister James Cleverly, dessen Familie aus Sierra Leone stammt.
Die nigerianischstämmige Kemi Badenoch, die sich ebenso wie Cleverly um die
Nachfolge Rishi Sunaks an der konservativen Parteispitze bewirbt, ließ sich
über Integrationsprobleme von Einwanderer:innen aus. Der ehemalige
Migrationsminister Robert Jenrick, ebenfalls Kandidat um Sunaks Nachfolge,
veröffentlichte ein Wahlkampfvideo mit einem afghanischen Flüchtling, der
im Januar mit Säure eine Frau schwer verletzt hatte, sich dabei selber
verätzte und danach Suizid mit einem Sprung in die Themse beging. So als
stünde er für alle Flüchtlinge.
Geradezu bestätigt fühlt sich die rechtspopulistische Partei „Reform UK“
von Nigel Farage. Labour sei selbst schuld, lautet dessen Botschaft. Reform
UK erinnerte daran, dass die heutige Labour-Finanzministerin Rachel Reeves
2016 Aufstände vorhergesagt habe für den Fall, dass die Einwanderung nach
Großbritannien nicht gebremst werde. Im rechten TV-Sender GB News sagt der
Gewerkschafter Paul Embery, dass zwar einige der Übeltäter rechtsextrem
seien, aber es sich vor allem um eine Rebellion der Arbeiterklasse handele.
Die Botschaft der Rechtspopulisten: Hier ist sie also, die Revolte, von der
Nigel Farage vor der Wahl vom 4. Juli sprach. Aber eines kann niemand mehr
im Vereinigten Königreich tun: Mit dem Finger auf Frankreich, Deutschland,
die Niederlande, Dänemark, Ungarn oder Italien zeigen und behaupten, dass
Rechtsextremismus bloß ein Problem jener auf der anderen Seite des
Ärmelkanals sei. Manches verbindet Europa eben doch noch. Und das, während
schwarze Athlet:innen gerade für „Team GB“ in Paris Medaillen ernten und
sich in den Union Jack hüllen.
4 Aug 2024
## LINKS
[1] /Rechtsextreme-Krawalle-in-England/!6027706
[2] /Nach-Messerangriff-in-England/!6027295
[3] /Rechtsextreme-in-England/!6027344
[4] /Verfahren-gegen-britischen-Neonazi/!5526295
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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