# taz.de -- Autor über die US-Neonazi-Szene: „Sie wollen das System zerstör… | |
> Spencer Sunshine beobachtet die extreme Rechte in den USA. Der Autor über | |
> Rechtsterrorismus und darüber, was ein Trump-Sieg bedeuten könnte. | |
Bild: Charlottesville 2017: Ein Rechtsextremer rast in eine Menschenmenge | |
taz: Herr Sunshine, Sie haben ein Buch über den US-amerikanischen Neonazi | |
James Mason geschrieben, der als „Godfather“ des Rechtsterrorismus gilt. | |
Eine faire Beschreibung? | |
Spencer Sunshine: Diesen Titel hat sicherlich William Pierce verdient, der | |
„The Turner Diaries“ geschrieben hat – einen furchtbaren Neonazi-Roman aus | |
den 1970er Jahren, der sich um einen Rassenkrieg handelt und in dem New | |
York und Tel Aviv mit Atombomben angegriffen werden. Pierce inspirierte | |
zum Beispiel den Bombenanschlag in Oklahoma City 1995, bei dem 168 Menschen | |
ums Leben kamen. Der Roman hat sich 500.000-fach verkauft und wurde in | |
unzählige Sprachen übersetzt. Ein Exemplar wurde beim NSU gefunden. Mason | |
hat ihn natürlich auch gelesen, Pierce war sein Mentor. Aber Masons | |
„Siege“ ist noch extremer. „Siege“ ist die „Turner Diaries“ der Gen… | |
Z und der Millennials. | |
Inwiefern? | |
„Siege“ wurde zwar in den 1980ern geschrieben – zunächst als Newsletter … | |
den „National Socialist Liberation Front“. Aber seine Ideen waren damals | |
sehr unpopulär. 1993 erschienen die Newsletter erstmals in Buchform: Die | |
erste Auflage umfasst rund 450 Seiten, mit jeder weiteren wird es durch | |
Einleitungen und Anhänge noch länger. Aber erst in den vergangenen Jahren | |
hat Mason seine Anhänger auf Imageboards und in Telegramgruppen gefunden – | |
und Neonazi-Netzwerke wie „Atomwaffen Division“ inspiriert. | |
Woran liegt die neugefundene Popularität? | |
Um 2015 entdeckte eine kleine Gruppe Neonazis Masons Schriften, sie suchten | |
ihn in seiner kleinen Wohnung in Denver auf und er wurde zu einer Art | |
Vaterfigur. Aber der „Unite the Right“-Aufmarsch 2017 in Charlottesville | |
war der Wendepunkt: Mason hat schon immer gesagt, dass es sinnlos sei, sich | |
durch legale politische Arbeit zu engagieren. Charlottesville war eine | |
Bestätigung seiner Thesen: Die rechtsextreme Kundgebung wurde kurz nach | |
Beginn aufgelöst. Und dann [1][fuhr ein Rechtsextremer sein Auto in eine | |
Menschenmasse und ermordete die Antifaschistin Heather Heyer]. Danach | |
wollten plötzlich alle wissen, was „Siege“ ist. | |
Wie würden Sie die Ideologie dahinter beschreiben? | |
Das Hauptziel ist, das System komplett zu zerstören – durch Massaker, | |
Serienmorde und andere Gewalttaten. Erst danach würden Nationalsozialisten | |
den Staat errichten können, den sie anstreben. Es gibt bislang keine Belege | |
dafür, dass der Christchurch-Attentäter „Siege“ gelesen hatte, aber der | |
Anschlag in Neuseeland ist genau die Art von „Mass Casualty Events“, die | |
Masons Schriften befürworten. Auch der Halle-Attentäter war von dieser | |
Ideologie, vor allem der „Atomwaffen Division“, inspiriert. | |
Mason war mit Charles Manson eng befreundet. Welcher Einfluss hatte der | |
Serienmörder auf ihn? | |
Mason wurde im Grunde Mitglied der [2][Manson-Familie, er erklärte Manson | |
sogar zum neuen Hitler]. Er bewunderte das Aussteigerleben seiner Sekte. | |
Als Mason an „Siege“ arbeitete, führte er einen regen Briefwechsel mit | |
Manson. Aber gleichzeitig blieb Mason auch unabhängig von ihm, er | |
fusionierte seine eigenen nationalsozialistischen Ideen mit den Lehren | |
Mansons. Und das hat Manson nicht gefallen. | |
James Mason propagiert einen „führerlosen Widerstand“ – mit dezentral und | |
autonom agierenden Tätern. Was steckt dahinter? | |
Mason trat mit 14 der American Nazi Party bei, das war 1966. Aber bis Mitte | |
der 1970er Jahre gab es rund zehn Splittergruppen, die mit dem | |
hierarchischen Anführer der Partei nicht glücklich waren. Mason, der | |
letztlich einen nationalsozialistischen Staat unter Führung einer | |
hitlerähnlichen Figur anstrebt, hielt das aber im Moment nicht für eine | |
nützliche Organisationsform. Er wollte diese Splittergruppen zu Gewalt | |
animieren, aber der Plan ging nicht auf und er wurde immer | |
desillusionierter. Auch angesichts staatlicher Repression gegen | |
traditionell organisierte Strukturen. | |
Sie haben schon Kontakt zu Mason gehabt. Wie würden Sie ihn als Person | |
beschreiben? | |
Er ist sehr höflich. Ich habe ihm zwei Fragenkataloge mit jeweils 25 Fragen | |
per Post geschickt und er hat alle beantwortet. Er hat sich bei mir für | |
mein Buch bedankt und will mir auch sein neues Buch schicken. Aber ich | |
denke auch, dass er den Kopf eines 14-Jährigen hat. Er wurde in der | |
Vergangenheit mehrmals festgenommen, weil er Nacktfotos von 15- und | |
16-Jährigen machte. Seine nihilistische Strategie ist für Teenager sehr | |
ansprechend: Es geht um Serienmorde und Bombenanschläge, nicht um | |
politische Organisierung. | |
„[3][Siege“ findet online immer jüngere Fans.] 2021 wurde in Großbritanni… | |
ein 13-Jähriger, der einen britischen Ableger der neonazistischen Gruppe | |
„Feuerkrieg Division“ gründete, wegen Terrordelikten verurteilt. | |
Abgesehen von Islamisten sehen wir nun zum ersten Mal, dass Jugendliche als | |
Terroristen rekrutiert werden. Social Media macht das möglich. Früher waren | |
die Hürden viel höher: Man musste sich zunächst in einer radikalen | |
politischen Bewegung engagieren und dann Kontakt zum militanten Flügel | |
suchen, bevor man überhaupt rekrutiert werden konnte. Das war viel | |
hierarchischer. | |
Im November wird in den USA gewählt, Donald Trump könnte der nächste | |
Präsident sein. Welche Bedrohung geht von der extremen Rechten aus? | |
Es gibt eine ernstzunehmende Bedrohung, dass Rechtsextreme, die „Siege“ | |
gelesen haben oder davon inspiriert wurden, zur Tat schreiten. Sie warten | |
nur auf den richtigen Moment. Wenn Donald Trump die Wahl verliert, dann | |
wird der rechte Rand der US-amerikanischen Gesellschaft wohl noch weiter | |
nach rechts rücken – und womöglich militantere Taktiken anwenden. Nach der | |
Wahlschlappe 2020 haben viele gehofft, dass die Graswurzelbewegung um Trump | |
auseinanderfallen würde. Aber das Gegenteil ist leider der Fall gewesen. | |
Und wenn er wieder gewinnt? | |
Trump wird die Staatsgewalt missbrauchen, um etwa LGBTQ*-Menschen und | |
Migrant*innen das Leben schwer zu machen. Und er wird seine Anhänger | |
dazu aufstacheln, ihre Gewalt auf die Straße zu tragen. Auch | |
Rechtsterroristen sind nach wie vor eine Gefahr, sie gehen nicht weg, | |
sondern sind sehr resilient. | |
29 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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