| # taz.de -- Extremismusforscher über England: „Die meisten sind keine Rassis… | |
| > Die Ausschreitungen vereinen rechte Influencer, rassistische Aktivisten | |
| > und unpolitische Mitläufer, sagt Matthew Feldman – und damit eigene | |
| > Ansätze. | |
| Bild: Bin ich rechtsextrem?“, fragt das Schild dieser Demonstrantin gegen Mig… | |
| taz: Herr Feldman, Sie forschen seit langem über die extreme Rechte. Sind | |
| Sie von den [1][Ereignissen der vergangenen Tage in Großbritannien] | |
| überrascht? | |
| Matthew Feldman: Schockiert, aber nicht überrascht. Das Muster ist | |
| vertraut: Hetze auf sozialen Medien bringt nach ein, zwei Tagen Menschen | |
| auf die Straße und es gibt schweren Aufruhr. Wir sehen eine Pipeline, in | |
| der Desinformation bei einzelnen politischen Akteuren landet, diese | |
| Online-Influencer stacheln dann die Leute an, auf die Straße zu gehen, und | |
| das führt zu Gewalt in der realen Welt – die wieder zurück ins Netz | |
| schwappt. | |
| taz: Sind die Leute, die auf die Straße gehen, Mitläufer oder Hardliner? | |
| Feldman: Da muss man genau unterscheiden. Zum einen gibt es Anführer. Auch | |
| wenn es nicht die eine Bewegung gibt, sind Menschen von Gruppen wie Britain | |
| First oder Patriotic Alternative dabei, die von Twitter geblockt waren und | |
| inzwischen wieder zugelassen wurden, wie Tommy Robinson und Andrew Tate, | |
| die Falschnachrichten verbreiten und Leute dazu bringen, auf die Straße zu | |
| gehen. Das ist die erste Gruppe, die Influencer. Die zweite Gruppe ist die | |
| der Menschen auf der Straße, die der extremen Rechten zuzuordnen sind. Sie | |
| können ein rassistisches Weltbild haben, Nazis sein, sich mit Gruppen | |
| identifizieren wie der English Defence League, die es zwar seit über zehn | |
| Jahren nicht mehr gibt, aber deren Verbindungen noch da sind. Die dritte | |
| Gruppe ist die der Mitläufer und für mich ist sie die wichtigste. Sie sind | |
| nicht unbedingt rechtsextrem. Sie teilen möglicherweise manche Sorgen über | |
| Einwanderung und Multikulturalismus oder Islam oder das Judentum, aber es | |
| sind keine Aktivisten. Was wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, | |
| ähnelt eher einem Karneval: Man geht einfach hin und guckt zu, und | |
| vielleicht vermummt man sein Gesicht und macht ein bisschen mit, nicht weil | |
| man gegen Schwarze oder Muslime ist, sondern weil es Samstag ist und man | |
| Bier trinken kann und es interessanter ist als Fußball. | |
| taz: Wie ist damit umzugehen? | |
| Feldman: Man muss die drei Gruppen unterschiedlich behandeln. Mit der | |
| ersten Gruppe der Ideologen ist es eine Sache der Strafverfolgung, wenn sie | |
| zu Gewalt aufhetzen oder Terror verherrlichen oder die Bestimmungen | |
| sozialer Medien verletzen. Die zweite Gruppe ist eine politische | |
| Angelegenheit. Deutschland ist sehr gut darin, gewalttätige Gruppen zu | |
| verbieten, die sich gegen den Staat richten, und auch wir müssen uns | |
| angucken, ob es in diesen Gruppen kriminelles Verhalten gibt. Und | |
| politische Parteien, etwa Reform von Nigel Farage, müssen sich klar von | |
| politischer Gewalt distanzieren. Die dritte Gruppe, die der Mitläufer, ist | |
| die größte und schwierigste. Man muss mit ihnen gesellschaftlich und | |
| kulturell in den Austausch treten. Den Leuten zu sagen, sie seien dumm und | |
| rassistisch, wird wenig ändern. Man muss andere Narrative verbreiten. | |
| taz: Ausgangspunkt der Unruhen war die [2][Ermordung von drei Mädchen in | |
| Southport] und das Narrativ, der Täter sei ein muslimischer Flüchtling … | |
| Feldman: Er ist nicht einmal Muslim! Man muss dem entgegentreten und sagen, | |
| dass der mutmaßliche Mörder ein in Großbritannien geborener Brite ist, der | |
| sein ganzes Leben hier verbracht hat. Wenn die extreme Rechte dann sagt, er | |
| sei aber ein Schwarzer, greift sie zum Stereotyp, wonach es bei Schwarzen | |
| mehr Kriminalität gibt: Damit sagt sie, es sei egal, dass der Täter in | |
| Großbritannien geboren wurde, und es zähle nur die Hautfarbe. Für so ein | |
| Argument gibt es viel weniger Zuspruch in der Mitte der Gesellschaft. Die | |
| meisten der Mitläufer sind keine Rassisten. Man kann nicht einem Viertel | |
| der Gesellschaft sagen, ihr seid dumm, geht in eure Höhle zurück. Man | |
| sollte aber auch nicht ihre Argumente legitimieren. Es gibt einen | |
| Unterschied zwischen Zuhören und Zustimmen. | |
| taz: Wie bewerten Sie die Reaktion der Regierung? | |
| Feldman: Premierminister Keir Starmer hat richtig reagiert, indem er die | |
| Lage ernst genommen hat und schnell handelt. Er spricht nun von einer | |
| nationalen Polizeieinheit, die im ganzen Land direkt eingreifen können | |
| sollte, und das ist zu begrüßen. Aber etwas Ähnliches braucht es auch für | |
| die Online-Welt. Da geht es um mehr als Gesetze gegen Hass im Internet, es | |
| geht um Desinformation und Hass. In der realen Welt sind manche der Städte, | |
| in denen wir jetzt Unruhen erlebt haben, Frontstädte zwischen der extremen | |
| Rechten und dem Mainstream. Auch Teile der sozialen Medien und des | |
| Internets sind Frontlinien. | |
| 4 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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