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# taz.de -- Ralf Stegner über Afghanistan-Einsatz: „Stellten Bürokratie üb…
> Drei Jahre nach dem Abzug der Nato spricht der Leiter des
> Afghanistan-Untersuchungsausschusses über Ignoranz und Fehler. Bald soll
> Merkel vor dem Gremium aussagen.
Bild: Taliban fahren am Mittwoch bei einer Parade über den Flughafen in Kabul,…
taz: Herr Stegner, im Rückblick: Warum ist der [1][Einsatz in Afghanistan
gescheitert?]
Ralf Stegner: Als die Russen abgezogen sind, hat es zweieinhalb Jahre
gedauert, bis die Mudschaheddin übernommen haben. Als der Westen abgezogen
ist, waren die Taliban nach zweieinhalb Tagen wieder da. Man muss sich
schon fragen, wie das sein kann. Wieso haben wir mit einer korrupten
Regierung zusammengearbeitet und uns dann gewundert, dass es ihr gegenüber
keine Loyalität gab? Wieso hatten wir so wenig Kenntnis über das Land?
Wieso haben wir die afghanischen Streitkräfte so radikal falsch
eingeschätzt?
taz: Ja, wieso?
Stegner: Es war mit Abstand der teuerste und längste Militäreinsatz nach
dem Zweiten Weltkrieg, und natürlich war nicht alles schlecht. Insbesondere
die Entwicklungszusammenarbeit, die war richtig gut. Unsere
Entwicklungshelfer haben sich von Korruption ferngehalten, deswegen haben
die Deutschen noch immer einen guten Ruf in Afghanistan – das gilt auch für
unsere Polizisten und Soldaten. Aber insgesamt ist natürlich das, was man
sich da vorgenommen hat, in keiner Weise aufgegangen. Und so war auch das
Ende des Einsatzes: Das, was da am Flughafen von Kabul stattgefunden hat,
war katastrophal. Dass wir nicht in der Lage sind, ohne amerikanische Hilfe
so einen Flughafen zu sichern, ist natürlich ein Problem.
taz: Wie würden Sie sich das alles denn erklären?
Stegner: Wir verwenden manchmal mehr Energie darauf, Zuständigkeiten zu
prüfen als Probleme zu lösen. Leider gilt häufig noch die historisch
belastete Logik: Wenn sich die Deutschen zwischen Bürokratie und Humanität
entscheiden müssen, entscheiden sie sich in der Regel für die Bürokratie.
Das ist etwas, was uns von anderen unterscheidet. Nicht, dass die anderen
alle karitativ unterwegs waren. Aber die Amerikaner haben wenigstens ihren
Ortskräften geholfen, direkt nach Islamabad oder nach Ramstein
auszufliegen. Die Deutschen prüfen intensiv, [2][ob jemand wirklich allen
Anforderungen genügt,] statt im Zweifelsfall zupackend zu helfen.
taz: Das kann man in einem anderen Fall wieder sehen. Gerade [3][hat die
Bundesregierung Gelder gekürzt], um Menschen aus der afghanischen
Zivilgesellschaft aufzunehmen. Bereits erteilte Zusagen für Leute, die
jetzt schon in Pakistan sind, wurden wieder zurückgezogen. Ihnen wird damit
gesagt: Geht zurück zu den Taliban.
Stegner: Einerseits ist da die Bürokratie. Andererseits stellen Kräfte wie
die AfD diese Leute als Sicherheitsrisiko dar. Ich würde es als eine
Mischung aus Ängstlichkeit und Obrigkeitsstaatlichkeit bezeichnen, die dazu
führt, dass bislang so wenige Menschen aufgenommen wurden. Und dazu kommt
dann noch diese moralische Hybris, mit der in Deutschland außenpolitisches
Nichthandeln verklärt wird. Da wird dann gesagt: Lass die Chinesen doch in
Kabul die Beziehungen haben, wir wollen keine. Dann darf ich mich natürlich
auch nicht wundern, dass all diese Programme nicht funktionieren können.
taz: Zuerst wollte man mit den Taliban nichts zu tun haben, alle Projekte
der Entwicklungszusammenarbeit wurden gestrichen. Jetzt will man mit den
Taliban reden, um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen. Ist das
nicht erschreckend?
Stegner: Ich glaube, dass es möglich ist, sich mit den Taliban darauf zu
verständigen, dass sie Leute zurücknehmen. Aber ich gehöre auch zu denen,
die sagen: Man muss mit den Taliban ja nicht Botschafter austauschen und
rote Teppiche ausrollen. Aber dass man Kontakte braucht, wenn man Einfluss
haben will – das ist mein Verständnis von Außenpolitik.
taz: Glauben Sie den Taliban, wenn sie sagen: Ja, wir nehmen Leute zurück,
die bei euch schwere Straftäter sind, und versprechen, dass wir denen
nichts tun?
Stegner: Also, was heißt glauben? Auch bei den Taliban gibt es Pragmatiker
und beinharte Ideologen.
taz: Ja, aber wenn man eine Vereinbarung mit ihnen hat, dann hat man ja
eine Unterschrift von jemanden, vom Außenminister zum Beispiel.
Stegner: Wir haben Kontakte, um sicherzustellen, dass Vereinbarungen
eingehalten werden, und Möglichkeiten, um das zu überprüfen.
taz: Hat Deutschland ein Interesse daran, das zu überprüfen? Das hat doch
unter der früheren afghanischen Regierung schon nicht funktioniert.
Stegner: Da teile ich Ihre Kritik. Wir müssen sicherstellen, dass Leute,
die abgeschoben werden, eben nicht gefoltert oder umgebracht werden. Das
kann man hinkriegen, wenn man das möchte. Wenn wir wollen, können wir
erfahren, ob Zusagen eingehalten werden. Und Afghanistan hätte ja ein
Interesse an einer Zusammenarbeit. Das Land ist komplett isoliert, da gibt
es bitterste Armut.
taz: Ihr [4][Parteifreund Andy Grote aus Hamburg] fordert, den subsidiären
Schutzstatus für Menschen aus Afghanistan abzuschaffen. Das würde bedeuten,
dass nicht nur Straftäter abgeschoben werden könnten.
Stegner: Meine Haltung zu der Flüchtlingsfrage ist: Wir dürfen das nicht
den Populisten überlassen. Jeder, der bereit ist, sich zu integrieren, zu
arbeiten und Recht und Gesetz zu beachten, sollte eine Chance kriegen.
Gewalttäter können nicht bleiben. Ich finde, darauf sollten wir uns
verständigen.
taz: Wie stehen Sie zum subsidiären Schutz für Afghaninnen und Afghanen in
Deutschland?
Stegner: Ich finde, ein Land wie Deutschland, mit unserer Geschichte und
mit den Möglichkeiten, die wir als größte Wirtschaftsnation in Europa
haben, muss immer auf Seiten der Humanität stehen. Das ist für mich der
Maßstab.
taz: Sie haben einmal gesagt, das Ende der Mission in Afghanistan sei
gruselig gewesen. Was würden Sie heute, drei Jahre nach dem Truppenabzug,
sagen: Wie groß war der Anteil Deutschlands an diesem Grusel?
Stegner: Da gibt es verschiedene Dimensionen. Die eine ist, dass der Abzug
innerhalb der Nato nicht vernünftig koordiniert wurde, dafür trägt in
erster Linie der amerikanische Präsident Donald Trump die Verantwortung.
Aber es ist eben auch Deutschland nicht gelungen, daran etwas zu ändern.
Die zweite Frage ist, was mit unseren Nachrichtendiensten war. Die
Informationslage, oder das, was man daraus gemacht hat, war nicht besonders
gut.
taz: Keine zwei Tage vor der Einnahme Kabuls durch die Taliban rechnete der
Bundesnachrichtendienst noch nicht damit, dass das so schnell geschehen
würde. Das hat ein Zeuge im Untersuchungsausschuss ausgesagt. Wie kam es zu
dieser gravierenden Fehleinschätzung?
Stegner: Diese Frage kann ich nicht vollständig beantworten. Entweder man
wollte sich nicht eingestehen, dass die eigenen Analyseansätze vielleicht
veraltet sind, oder aber man fand es nicht opportun, realistischeren
Einschätzungen zu folgen. Es gab ja auch andere nachrichtendienstliche
Quellen, und andere Länder haben ja bisschen früher erkannt, wie gravierend
die Lage war. Wir haben bei unseren Befragungen immer wieder gehört: Es
ging auch darum, den Eindruck zu vermeiden, wir machen uns da frühzeitig
vom Acker. Von einer Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Mitarbeitern
konnte man dagegen nicht ganz so viel sehen.
taz: Der Präsident des BND sagte im Ausschuss, die Kritik am
Nachrichtendienst sei eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Ist es das,
was im Ausschuss geschieht? Dass sich Leute gegenseitig die Verantwortung
für das Schlamassel zuschieben?
Stegner: Es gab Zeugen, die sich mit Zuständigkeiten herausgeredet haben
und andere haben erfreulich Klartext gesprochen und Verantwortung gezeigt.
Klar ist: Es gab Fehler bei den deutschen Diensten, aber die Dienste
anderer Länder waren auch nicht übertrieben gut informiert. Wir sind bei
den Befragungen jetzt auf der Entscheidungsebene, das heißt, jetzt muss man
schon nachvollziehen können, wer hat eigentlich was entschieden und warum.
Und da sehen wir zwischen Indifferenz, politisch gewünschter Einflussnahme
und Nicht-wissen-Wollen das ganze Spektrum.
taz: Sie erwarten in der kommenden Legislaturperiode Angela Merkel und
Horst Seehofer im Ausschuss. Überwogen die Interessen des Innenministeriums
und der damaligen Kanzlerin, weiter Menschen nach Afghanistan abzuschieben,
während die Taliban schon auf Kabul vormarschierten, alle andere Fragen?
Stegner: Was Seehofer angeht, deutet vieles darauf hin. Das
Innenministerium war in der heißen Phase vor drei Jahren gerade bei den
Visa-Fragen für deutsche Ortskräfte wenig hilfreich. Da wogen
innenpolitische Interessen schwerer. Beim Kanzleramt könnte man nach dem,
was wir bisher wissen, eher von Indifferenz sprechen. Wir wollen die Zeugen
erst dazu befragen, was sie dazu sagen, und dem will ich nicht
vorweggreifen. Grundsätzlich sehe ich das altmodisch: Die Verantwortung
wächst mit den Schulterklappen. Vielleicht werden wir von den Vertretern
der ehemaligen Bundesregierung auch ein paar selbstkritische Einschätzungen
hören. Sicher bin ich mir nicht. Aber versuchen werden wir das.
14 Aug 2024
## LINKS
[1] /Afghanistan-Untersuchungsausschuss/!5981114
[2] /Afghanistan-nach-dem-Machtwechsel/!5789732
[3] /Haushaltsentwurf/!6021098
[4] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburgs-Innensenator-Grote-rechnet-…
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
Thomas Ruttig
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