| # taz.de -- Frauenrechte in Afghanistan: Hunger nach Bildung | |
| > In Afghanistan haben Frauen ihre Träume noch nicht begraben, trotz der | |
| > Taliban. Manche nähen, andere lernen heimlich Englisch. Aufgeben will | |
| > keine. | |
| Bild: Derzeit offline: Maryam* musste kürzlich ihren Instagramkanal löschen. … | |
| Kabul und Helmand taz | In einem kleinen Lokal im Kabuler Stadtteil | |
| Karte-e-Tschar (Viertel 4) sitzt Maryam*, ein Glas Mangosaft vor sich. Der | |
| nur künstlich erhellte Familienbereich liegt abgeschirmt hinter einem | |
| dicken schimmernden Vorhang. Der vordere Tageslichtbereich ist den Männern | |
| vorbehalten. | |
| Auf Maryams heller Haut hebt sich am Handgelenk dunkel ein Zeichen des | |
| Widerstandes ab. Ein Schriftzug – simple girl with beautiful eyes, | |
| einfaches Mädchen mit wunderschönen Augen – windet sich um ihren Arm; | |
| frisch gestochen. „Ich war bei einer Frau, die das jetzt zu Hause heimlich | |
| anbietet, weil ihr Beauty-Salon geschlossen wurde“, erklärt sie. | |
| Seit die Taliban [1][im August 2021] die Macht ergriffen haben, wurden | |
| Frauen und Mädchen schrittweise aus der Öffentlichkeit verdrängt. Doch | |
| genau da, im Verborgenen, geht das weiter, was von den Machthabern | |
| unerwünscht ist: Frauen arbeiten, Frauen bilden sich, Frauen klären auf. | |
| Die Taliban verhängten eine Hidschabpflicht, übermalten Frauengesichter auf | |
| Plakaten und in Schaufenstern, schlossen weiterführende Schulen und | |
| Universitäten für Mädchen und Frauen, verboten später den Besuch von | |
| Freizeitparks, öffentlichen Bädern und Fitnessstudios, nach und nach fast | |
| alle Berufe und zuletzt den Betrieb von Beauty-Salons. | |
| ## Nur die Realität, nichts Politisches | |
| Damit verschwand einer der letzten Treffpunkte und Rückzugsorte für Frauen. | |
| Es bleibt Frauen in Afghanistan nur noch das private Haus oder die oft sehr | |
| kleinen und meist dunklen Familienbereiche von Restaurants und Cafés, um | |
| sich im Geheimen zu treffen. Und das auch nur in bestimmten Provinzen. | |
| Bis vor Kurzem hat Maryam noch ihre Meinung – dass Frauen selbst über ihr | |
| Leben entscheiden können sollen oder Kritik am Bildungsverbot für Frauen – | |
| über ihren Instagramkanal verbreitet. Dann wurde sie vorsichtiger, hat nur | |
| mehr Geschichten erzählt von Menschen, die ihr auf der Straße begegnet | |
| sind; über Armut, Verzweiflung und Zwangsheirat, dazu Fotos geteilt. „Doch | |
| vor Kurzem wurde mein Vater von den Taliban bedroht, sie sind zu uns nach | |
| Hause gekommen und haben gesagt, er muss dafür sorgen, dass seine Tochter | |
| mit ihren Aktivitäten aufhört“, schildert sie wütend. | |
| „Ich habe doch gar nichts Politisches geschrieben; ich habe einfach nur die | |
| Realität der Menschen hier gezeigt“, sagt sie. Sie habe daher beschlossen, | |
| schnell das Land zu verlassen. In den Iran mag sie gehen und dann weiter | |
| irgendwohin, wo es besser und freier für sie ist. Das Visum fürs | |
| Nachbarland hat sie bereits beantragt. Doch bevor sie geht, möchte sie noch | |
| eine Freundin vorstellen, denn ihre Geschichte sei wichtig. | |
| Das Gespräch findet in einem anderen Lokal im selben Stadtteil statt. Hier | |
| ist der Familienteil immerhin taghell. Sharifa S. spricht schnell, obwohl | |
| sie nicht gewohnt ist, auf Englisch ihre Geschichte zu erzählen. Doch sie | |
| möchte ihre Perspektive mit der Welt teilen. „Es ist schwer, unter den | |
| Taliban zu leben“, sagt sie. | |
| ## „Die Frau ist ganz unten“ | |
| Sie gehört der ethnischen Minderheit der Hazara an, die von der | |
| De-facto-Regierung stark diskriminiert werden. Hazara sind eine | |
| ursprünglich buddhistische Volksgruppe – Zeugnis davon sind die übergroßen | |
| Buddhastatuen in der Provinz Bamyian aus vorislamischer Zeit, die [2][die | |
| Taliban 2001 in die Luft gesprengt] haben. Amnesty International berichtete | |
| vor Kurzem über gezielte Tötungen von Hazara. | |
| Sharifa versteht die Ablehnung nicht, auch wenn sie weiß, dass ihre | |
| Volksgruppe einer anderen muslimischen Strömung angehört. „Wir glauben alle | |
| an Allah, das sollte doch reichen“, sagt sie. Ihre Freundin Maryam nickt | |
| bekräftigend. Im Alltag spüre sie allerdings vor allem die Unterdrückung | |
| als Frau: „Wir sind in der Gesellschaft ganz unten, die Frau ist ganz | |
| unten.“ Wann immer sie das Haus verlasse, schlage ihr der Hass gegen Frauen | |
| entgegen. Allein dass sie überhaupt das Haus verlasse, stelle für viele ein | |
| Problem dar: „Sie finden, dass ich als Frau zu Hause bleiben, mich um den | |
| Haushalt kümmern und auch dass ich heiraten sollte.“ | |
| Doch die 22-Jährige möchte nicht heiraten, sie möchte ihr eigenes Leben | |
| gestalten. Aktuell ist ihr das kaum möglich. Doch zumindest hat sie einen | |
| Weg gefunden, ihre kranke Mutter und ihre Schwester zu ernähren: „Ich habe | |
| keinen Vater und keinen Bruder, ich bin wie der Mann.“ Viele berufliche | |
| Möglichkeiten blieben aktuell allerdings nicht. „Ich putze die Häuser | |
| anderer Leute“, erklärt sie. Reichere Familien bezahlten sie dafür. | |
| Das Geld sei sehr knapp, aber immerhin könnten sie sich die Miete und die | |
| Medikamente leisten, die ihre Mutter benötige – meistens jedenfalls. „Es | |
| ist wirklich hart, weil es niemanden gibt, der uns unterstützt“, sagt sie. | |
| Sie hofft auf eine bessere Zukunft in Afghanistan. Ein Land, in dem sie | |
| selbst entscheiden kann, wie sie ihr Leben führt, in dem Frauen jeder | |
| Arbeit nachgehen und alles studieren können, liegt nach ihrer Vorstellung | |
| ganz weit entfernt. Doch sie gibt nicht auf: „Ich möchte daran arbeiten, | |
| dass die Situation für mich und meine Mutter und meine Schwester besser | |
| wird.“ | |
| ## Billiger und sicherer: Digitale Kunst | |
| Ein anderes Café in Kabul, diesmal im immer noch belebten, wenn auch im | |
| Vergleich zu Republikzeiten deutlich ruhigeren Stadtteil Shareh Naw; hier | |
| ist der Familienbereich ein Garten, hell und angenehm. Das Treffen findet | |
| zur Sicherheit jedoch in einer Ecke statt, damit es nicht zu viele Mithörer | |
| geben kann. | |
| Kimia – so lautet ihr Künstlerinnenname – ist etwas vorsichtiger geworden, | |
| was die Inhalte auf ihren Socialmedia-Kanälen angeeht; zumindest zeitweise. | |
| Denn online gibt es zwar mehr Freiheit als im analogen Alltag, aber auch | |
| hier wird der Geheimdienst der Taliban immer aktiver und ordnet mehr und | |
| mehr der Profile realen Personen zu. Wie lange also mehr Freiheiten | |
| virtuell bestehen bleiben, ist derzeit unklar. Doch analoge Kunst mit | |
| Leinwänden und Farbe ist nicht nur kostspielig, sondern auch enorm | |
| gefährlich. | |
| Wenige Tage nach dem Gespräch lädt Kimia ein Werk hoch, das das Schulverbot | |
| für Mädchen explizit kritisiert. Immer wieder wurde sie für ihre Arbeit | |
| angefeindet und bedroht. „Die Taliban haben mich kontaktiert und mir | |
| gesagt, dass ich keine Gesichter malen darf. Ich soll Landschaften malen | |
| oder Kalligrafie machen“, schildert sie. Gesichter seien Gottes Werk, man | |
| dürfe sie daher nicht malen. | |
| „Aber ich mag Gesichter malen, sie sind wichtig für meine Bilder“, sagt sie | |
| mit erhobener Stimme und leuchtenden Augen. „Wenn ich male, kann ich der | |
| restlichen Welt zeigen, wie schwer das Leben hier als Mädchen und Frau | |
| ist“, sagt sie, wieder erhebt sie ihre Stimme. Es sei wichtig, Menschen zu | |
| erreichen, und mit Kunst sei das möglich: „Wenn ein Künstler malt, dann | |
| teilt er ein Stück seiner Seele mit anderen.“ Daher habe sie auch immer | |
| neue Wege gefunden, ihre Arbeit fortzusetzen. Inzwischen zeichne sie | |
| digital am Bildschirm. | |
| ## Nicht so schlimm wie früher | |
| Bereits die Kunst war für sie ein Plan B. Kimia hat eigentlich Journalismus | |
| studiert, sie graduierte gerade, als die Taliban die Macht an sich rissen. | |
| „Daher musste ich einen anderen Beruf für mich finden.“ Als | |
| Nachrichtensprecherin und Reporterin hätte sie nicht frei arbeiten können. | |
| Ihr großer Traum ist es, internationale Reichweite als Künstlerin zu | |
| bekommen, ihre Bilder ausstellen zu können, und zwar physisch und analog. | |
| „Dann würde ich am liebsten an einer Universität Kunst und Kultur | |
| vermitteln“, sagt sie, ihre Schwester Atifa* lächelt und ergreift das Wort: | |
| „Bildung ist sehr wichtig!“ | |
| Sie ist zwei Jahre älter und brennt ebenso wie die jüngere für | |
| Frauenrechte. Beide tragen beim Gespräch keinen Hidschab, sondern nur ein | |
| Tuch, das die Haare mehr schlecht als recht bedeckt – so wurden Kopftücher | |
| mehrheitlich auch zu Republikzeiten getragen – und dazu weit fallende, | |
| lockere Kleidung, aber keine schwarze Abaya oder gar blaue Burka, wie die | |
| Taliban sie bevorzugen. | |
| „Es gibt nichts Wichtigeres, als sich immerzu fortzubilden und | |
| weiterzuentwickeln“, sagt sie. Daher rate sie Frauen, denen derzeit Schulen | |
| und Universitäten verschlossen sind, zu Hause Bücher zu lesen und das | |
| Internet zu nutzen, auch wenn das in einem Land, in dem die Mehrheit der | |
| Bevölkerung nur über mobiles Netz verfügt, das je nach Provinz sehr | |
| instabil ist, nicht einfach ist. | |
| „Ja, es gibt viele Schwierigkeiten in unserem Land, aber wir haben zum | |
| Glück die moderne Technik“, sagt Atifa* optimistisch. „Es ist nicht mehr so | |
| wie damals, als die Taliban zum ersten Mal Bildung für Frauen verboten | |
| haben.“ Es sei leicht, online Bildungsangebote zu finden. | |
| Sie selbst steht – ebenfalls mit modernen Messengersystemen – in Kontakt | |
| mit ihren ehemaligen Schülerinnen. Die 27-Jährige ist nämlich eigentlich | |
| Lehrerin von Beruf, darf aber auch diesen Beruf nicht mehr ausüben. „Mein | |
| größter Traum ist wirklich, Lehrerin zu sein oder Dozentin. Wenn ich alles | |
| machen könnte, was ich machen wollte, dann wäre es eben genau das: zu | |
| unterrichten“, sagt sie. | |
| Vor einigen Monaten habe sie noch versucht, Unterricht online abzuhalten, | |
| doch das Projekt sei inzwischen eingestellt. „Die Schülerinnen hatten | |
| leider keine Möglichkeit, richtig teilzunehmen, das Internet war zu | |
| instabil“, sagt sie, „daher wurde das beendet.“ Immer wieder gebe sie | |
| Privatunterricht, räumt sie dann ein. „Wenn eine meiner ehemaligen | |
| Schülerinnen Fragen hat, versuche ich es über Whatsapp zu erklären oder ich | |
| lade sie zu mir nach Hause ein“, sagt sie. Auch Lerngruppen hätte sie so | |
| eingerichtet, etwa für Mathe und Englisch. „Es ist wichtig, dass man immer | |
| weitermacht, immer an sich selbst arbeitet“, betont sie. | |
| Ramin Sangin möchte vor allem über seine Schwestern sprechen. Der Arzt und | |
| Leiter einer Schule, die von einer NGO betrieben wird, ist selbst | |
| vielseitig engagiert, doch er lenkt immer wieder das Thema auf die beiden | |
| Frauen in seinem Leben. | |
| Das Gespräch findet während einer Autofahrt statt, mehr Zeit findet sich in | |
| diesen Tagen nicht in seinem Kalender. Die ältere Schwester ist Chirurgin | |
| und weiterhin als solche tätig. Die jüngere Schwester Sana*, selbst vom | |
| Schulverbot betroffen, unterrichtet seit Kurzem Englisch. „Ja, ich bin eine | |
| kleine Lehrerin“, kommentiert Sana stolz auf Whatsapp. | |
| Im Vorjahr hatte sie ihrer Verzweiflung im Gespräch mit der Reporterin Luft | |
| gemacht. „Ich will die Bomben wieder“, sagte sie damals wütend, „wenn ich | |
| dann auch wieder zur Schule gehen kann.“ Damals besuchte sie gerade zum | |
| zweiten Mal die sechste Klasse, weil die siebte Klassenstufe für Mädchen | |
| bereits verboten war. Wenige Wochen später hatte sie sich dann gemeldet, | |
| weinend, ebenfalls per Whatsapp. Ihr Schulrektor hatte sie zu sich ins Büro | |
| zitiert, das Mädchen darüber belehrt, dass sie nicht wiederkommen dürfe. | |
| Eine Wiederholung der sechsten Klasse sei ebenfalls verboten. | |
| ## Kein Abschluss, aber wenigstens lernen | |
| In diesen Tagen klingt Sana ein klein wenig positiver. Der Schulbesuch ist | |
| ihr nun wieder möglich, wenn auch auf eine etwas andere Art, als sie sich | |
| das vorgestellt hatte. Ihre teils in der Schule, teils in Selbststudium | |
| erworbenen Englischkenntnisse teilt sie nun selbstbewusst mit anderen. | |
| Stolz zeigt ihr Bruder Videos vom Unterricht, die als Dokumentation | |
| regelmäßig nach Österreich gesendet werden; dort unterstützt ein Verein das | |
| heimliche Schulprojekt, in dem Frauen und Mädchen ohne Altersgrenze noch | |
| lernen dürfen – solange die Taliban ihren Unterrichtsort nicht entdecken. | |
| Einen Abschluss können sie freilich nicht ablegen, schon im Vorjahr war der | |
| Zugang zum Konkur-Examen, dem Pendant zum deutschen Abitur als | |
| Hochschulzulassung, den Mädchen und Frauen untersagt. In den Videos wird | |
| auch deutlich, wie groß die Nachfrage ist. Alle Stühle sind voll besetzt, | |
| auf Fußboden und Treppenstufen drängen sich weitere Schülerinnen zusammen. | |
| Einige Distrikte entfernt, ganz in der Nähe des Cafés, in dem zuvor Maryam | |
| saß, rattern Nähmaschinen. In einer ruhigen Gegend hinter hohen Mauern | |
| findet sich eine kleine Oase mit schön gestaltetem Innenhof. In einem | |
| sonnenlichtdurchfluteten Raum des angrenzenden Gebäudes nähen Frauen pinke | |
| Stoffstreifen zu nachhaltigen Binden zusammen. | |
| Arezo Osmani hat das Konzept aus Dänemark hierhergebracht und gemeinsam mit | |
| ihrer Schwester ein kleines soziales und nachhaltiges Unternehmen mit | |
| gemeinnützigem Ansatz gegründet, das in dieser besonderen Zeit nicht nur | |
| dem Umweltschutz dient: [3][Safe Path Prosperity]. „Hier arbeiten Frauen, | |
| die nicht mehr das tun dürfen, was sie eigentlich machen wollen“, erklärt | |
| sie, während sie durch den kleinen Betrieb führt. | |
| ## Früher Neurowissenschaften, heute Nähunternehmen | |
| Sie führt kurze Gespräche mit ihren Mitarbeiterinnen, prüft da ein Stück | |
| Stoff, lächelt einer anderen zu und nickt. Da sind Studentinnen, die nicht | |
| mehr die Universität besuchen dürfen, und Frauen, denen die Ausübung ihres | |
| eigentlichen Berufs untersagt wurde. Denn selbst die Tätigkeit für | |
| internationale Nichtregierungsorganisationen ist Frauen in Afghanistan | |
| inzwischen verboten. Einer der letzten Bereiche, in dem Frauen fast | |
| uneingeschränkt tätig sein dürfen, ist das Gesundheitswesen, und genau dazu | |
| zählt das kleine frauengeführte Unternehmen. | |
| Die Geschichte von „Safe Path“ beginnt jedoch schon vor der Machtübernahme | |
| der Taliban; damals hatte Osmani keine Vorstellung davon, wie wichtig | |
| dieser Ort einmal für die Beschäftigten werden würde. „2020 haben meine | |
| Schwester und ich überlegt, was wir tun könnten, um Frauen zu unterstützen. | |
| Schließlich sind wir auf das dänische Konzept der nachhaltigen Binden | |
| aufmerksam geworden“, erinnert sie sich. | |
| Im Februar 2021 war ihr kleines Unternehmen registriert und nahm offiziell | |
| seinen Betrieb auf. Damals sei das für sie allerdings eher eine | |
| Nebentätigkeit gewesen, sagt sie: „Ich habe an der Kabuler Universität | |
| Psychologie und Philosophie studiert, später meinen Master in | |
| Neurowissenschaften in China gemacht. Eigentlich ist das auch mein Fokus: | |
| das Lehren.“ | |
| Inzwischen ist das Unternehmen ihr Hauptberuf. Sie schaut nachdenklich aus | |
| dem Fenster, nimmt eine Packung der nachhaltigen Binden, die auf ihrem | |
| Schreibtisch steht, in die Hand und stellt sie wieder hin. „Ich bin jetzt | |
| vor allem Arbeitgeberin von 35 Frauen“, sagt sie. Als Dozentin darf sie | |
| unter dem Talibanregime nämlich nicht mehr tätig sein. Ob sie das mit ihren | |
| Mitarbeiterinnen verbindet? Sie nickt, sie teilten im Grunde dasselbe | |
| Schicksal. | |
| ## Die Periode ist keine Sünde | |
| Doch die kleine Produktionsstätte bedeutet nicht nur Arbeitsplätze für | |
| Frauen, sondern übernimmt noch eine weitere wichtige Funktion. „Wir klären | |
| über die Periode auf“, sagt sie. Denn da gebe es noch viel Nachholbedarf. | |
| „Jede Frau in diesem Land hat ihre eigene Geschichte zu ihrer | |
| Menstruation“, ist sie überzeugt, meist handle es sich um eine sehr | |
| negative oder eine traurige. | |
| Sie erinnert sich an ein Mädchen, das von der eigenen Mutter verprügelt | |
| wurde, als sie zum ersten Mal blutete. „Sie sagte, solange ihre Tochter | |
| nicht verheiratet sei, mache sie nun ihre Eltern jeden Monat zu Sündern, | |
| solange sie mit ihr zusammenlebten“, sagt sie. Viele solcher negativen | |
| Vorurteile kursierten im Land, ihr Aufklärungsangebot richte sich daher an | |
| die ganze Familie, nicht nur die Frauen und Mädchen selbst: „Wir sagen | |
| ihnen, dass es normal und gesund ist, wenn ihre Tochter ihre Periode | |
| bekommt. Es ist eine gute Sache und sie sollten froh darüber sein.“ | |
| Sie ist froh, dass sie in einem Bereich arbeitet, den die Taliban für | |
| Frauen noch nicht eingeschränkt haben. Dennoch steht sie vor großen | |
| Herausforderungen. „Durch die vielen Stromausfälle benötigen wir | |
| Generatoren, um den Betrieb am Laufen zu halten; das Öl ist sehr teuer“, | |
| sagt sie. | |
| Auch die Aufträge seien stark zurückgegangen; sie hätten schon mehr als 80 | |
| Frauen beschäftigen können, nun seien es noch etwas mehr als 30. Das liege | |
| vor allem daran, dass internationale NGOs sich zurückgezogen hätten, seit | |
| die Taliban die Macht im Land übernommen hätten. „Für diese bieten wir | |
| nämlich Hygiene-Kits an, die sie dann weiterverteilen“, schildert sie. | |
| ## Versteckte Schulen | |
| Auch sonst trifft das kleine Unternehmen die politische Lage hart: | |
| Transportwege über Pakistan sind unsicher und nehmen viel Zeit in Anspruch: | |
| „Manchmal dauert es zwei oder drei Monate, bis wir alle Materialien für die | |
| Produktion haben.“ Osmani hofft, dass sie bald wieder mehr Abnehmer haben | |
| und so viele Frauen im Land mit Hygieneprodukten versorgen können. „Wir | |
| erreichen die Frauen am besten durch NGOs“, sagt sie, während sie selbst | |
| beim Abpacken der Binden hilft, routiniert faltet sie diese zusammen und | |
| steckt sie mit einem Tütchen zusammen in eine Box. | |
| Doch nicht nur in der Hauptstadt Kabul gibt es Menschen, die auf ihre Weise | |
| Widerstand leisten. Mitten in Helmand, der Provinz, die vor allem durch | |
| Krieg, dort hausende Taliban und striktere Geschlechtertrennung als in | |
| anderen Provinzen von sich reden macht, gibt es versteckt einen Ort, an dem | |
| Frauen weiter die Schulbank drücken. | |
| Shah* führt in das abgelegene Gebäude und dort in einen kleinen, etwas | |
| dunklen Unterrichtsraum. Ein Fenster an der Rückseite des Raums ist die | |
| einzige Lichtquelle. An einem Whiteboard stehen Übungssätze auf Englisch, | |
| drei junge Frauen kauern sich an den Schulbänken zusammen. Sie haben Angst, | |
| dass jemand erfahren könnte, dass sie heute hier sind. Mit der Presse | |
| möchten sie daher auch auf gar keinen Fall sprechen. | |
| Vermutlich sind auch deshalb nur so wenige Frauen überhaupt zum Unterricht | |
| gekommen, die Journalisten aus Deutschland waren angekündigt. Normalerweise | |
| werden hier bis zu 20 Frauen unterrichtet. Shah erklärt das Konzept des | |
| Orts. „Wir haben eigentlich ein Onlineangebot, aber damit erreichen wir | |
| viele Frauen nicht. Die Infrastruktur ist schlecht, vielen fehlt zu Hause | |
| stabiles Internet“. | |
| ## Darüber sprechen oder schweigen? | |
| Darum hätten sie sich entschieden, trotz des großen Risikos, weiterhin auch | |
| analog vor Ort Unterrichtseinheiten anzubieten. Shah erhielt bereits vor | |
| mehreren Jahren einen Drohbrief der Taliban, in dem stand, dass sie ihn | |
| umbringen würden, wenn er nicht seine Aktivitäten einstelle. Sie sind ein | |
| kleines Team; vier Lehrerinnen und drei Lehrer. Die Schülerinnen an diesem | |
| Tag sind zwischen 16 und 21 Jahre alt, ihnen ist nach Talibangesetzen | |
| keinerlei Zugang zu Bildung möglich. | |
| Schon vor der Machtübernahme durch die Taliban war Bildung vielen Frauen in | |
| Helmand vorenthalten; oft schlichtweg wegen mangelnder Angebote, teilweise | |
| durch konservative Rollenbilder innerhalb der Familien. Doch damals konnte | |
| Shah seine Computer- und Englischkurse zumindest öffentlich anbieten und | |
| bewerben, die Frauen daran teilnehmen, ohne staatliche Repressionen zu | |
| fürchten. | |
| Er hofft, dass zumindest die Onlineangebote irgendwann wieder mehr Mädchen | |
| und Frauen erreichen: „Leider fehlt uns die finanzielle Unterstützung; es | |
| ist so teuer, die notwendige Technologie zu beschaffen.“ Es brauche | |
| Internet und teilweise auch die passenden Endgeräte, Tablets am besten. | |
| Über Sach- und Geldspenden würde sich die kleine Gruppe sehr freuen. | |
| Ein großer Zwiespalt derer, die im Land noch aktiv sind ist, dass sie | |
| einerseits über ihre Aktivitäten sprechen müssen, um notwendige Mittel zu | |
| erhalten und Bedürftige zu erreichen. Gleichzeitig begeben sie sich damit | |
| in Gefahr. Es ist daher auch schwierig zu erfassen, wie viele solcher | |
| untergründigen Aktivitäten weiterlaufen. | |
| Offen bleibt auch, wie lang Projekte dieser Art, die dem Frauenbild der | |
| Taliban widersprechen, noch Bestand haben können. Sie können jederzeit | |
| durch neue Gesetze oder eine ausgebufftere Geheimdienstarbeit unterbunden | |
| werden. Doch die Hoffnung bleibt, dass die letzten kleinen Freiräume der | |
| Frauen entgegen allen Widerständen erhalten oder sogar erweitert werden | |
| können. | |
| *Namen von der Redaktion geändert | |
| 15 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ein-Jahr-Afghanistan-unter-den-Taliban/!5871472 | |
| [2] /Buddha-Statuen-in-Afghanistan/!5125831 | |
| [3] https://www.safepathafghanistan.com | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Reiner | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Feminismus | |
| Taliban | |
| Frauenrechte | |
| Mädchenbildung | |
| Karriere | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Marokko | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| Portugal | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Taliban | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ralf Stegner über Afghanistan-Einsatz: „Stellten Bürokratie über Humanitä… | |
| Drei Jahre nach dem Abzug der Nato spricht der Leiter des | |
| Afghanistan-Untersuchungsausschusses über Ignoranz und Fehler. Bald soll | |
| Merkel vor dem Gremium aussagen. | |
| Alleinerziehende Frauen in Marokko: Paragraf 490 drängt sie an den Rand | |
| Fatiha und Yasmine sind alleinerziehende Mütter in Marokko. Das dortige | |
| Familiengesetz macht ihnen das Leben schwer. Jetzt soll es reformiert | |
| werden. | |
| Africa Women Journalism Project: „Viele Frauen üben Selbstzensur“ | |
| Frauen in Afrika werden besonders heftig belästigt, wenn sie sich politisch | |
| äußern, sagt Journalistin Catherine Gicheru. Sie beobachtet vermehrt | |
| Cyberstalking. | |
| Aufklärung in Portugal: Die erste Schule für Feminismus | |
| Über Frauenrechte. Ungleichheit und Machtmissbrauch lernt man in Portugal | |
| wenig. Zwei Freundinnen wollen das ändern und haben eine Schule gegründet. | |
| Afghanistan unter den Taliban: Frauen „zahlen“ für Nato-Einsatz | |
| Die Taliban bestreiten, dass ihr Regime politische Gefangene hat. Doch | |
| zugleich nehmen sie Frauen wegen „unzureichender Verschleierung“ fest. | |
| Nach Anschlagserie in Afghanistan: Straßenproteste gegen die Taliban | |
| Nach Anschlägen demonstriert die schiitische Minderheit der Hasara für | |
| besseren Schutz. Die Taliban beschuldigen den IS und diskriminieren selbst. | |
| Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan: Weiter den Taliban ausgeliefert | |
| Die Bundesregierung nimmt wieder gefährdete Afghan*innen auf. Erst | |
| einmal sind die in Nachbarländer Geflohenen dran, aber viele harren im Land | |
| aus. | |
| Expertenbericht über Taliban: Ein Massengrab für Träume | |
| Die Taliban üben eine Art „Gender-Apartheid“ aus – zu diesem Schluss kom… | |
| eine UN-Arbeitsgruppe. Sie stellte dazu einen Expertenbericht vor. | |
| Frauenrechte in Afghanistan: Die heimlichen Unternehmerinnen | |
| Offiziell haben die Taliban Frauen in Afghanistan angewiesen, nicht zu | |
| arbeiten. In der Realität tun sie es doch – mit Erfolg. |