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# taz.de -- Frauenrechte in Afghanistan: Hunger nach Bildung
> In Afghanistan haben Frauen ihre Träume noch nicht begraben, trotz der
> Taliban. Manche nähen, andere lernen heimlich Englisch. Aufgeben will
> keine.
Bild: Derzeit offline: Maryam* musste kürzlich ihren Instagramkanal löschen. …
Kabul und Helmand taz | In einem kleinen Lokal im Kabuler Stadtteil
Karte-e-Tschar (Viertel 4) sitzt Maryam*, ein Glas Mangosaft vor sich. Der
nur künstlich erhellte Familienbereich liegt abgeschirmt hinter einem
dicken schimmernden Vorhang. Der vordere Tageslichtbereich ist den Männern
vorbehalten.
Auf Maryams heller Haut hebt sich am Handgelenk dunkel ein Zeichen des
Widerstandes ab. Ein Schriftzug – simple girl with beautiful eyes,
einfaches Mädchen mit wunderschönen Augen – windet sich um ihren Arm;
frisch gestochen. „Ich war bei einer Frau, die das jetzt zu Hause heimlich
anbietet, weil ihr Beauty-Salon geschlossen wurde“, erklärt sie.
Seit die Taliban [1][im August 2021] die Macht ergriffen haben, wurden
Frauen und Mädchen schrittweise aus der Öffentlichkeit verdrängt. Doch
genau da, im Verborgenen, geht das weiter, was von den Machthabern
unerwünscht ist: Frauen arbeiten, Frauen bilden sich, Frauen klären auf.
Die Taliban verhängten eine Hidschabpflicht, übermalten Frauengesichter auf
Plakaten und in Schaufenstern, schlossen weiterführende Schulen und
Universitäten für Mädchen und Frauen, verboten später den Besuch von
Freizeitparks, öffentlichen Bädern und Fitnessstudios, nach und nach fast
alle Berufe und zuletzt den Betrieb von Beauty-Salons.
## Nur die Realität, nichts Politisches
Damit verschwand einer der letzten Treffpunkte und Rückzugsorte für Frauen.
Es bleibt Frauen in Afghanistan nur noch das private Haus oder die oft sehr
kleinen und meist dunklen Familienbereiche von Restaurants und Cafés, um
sich im Geheimen zu treffen. Und das auch nur in bestimmten Provinzen.
Bis vor Kurzem hat Maryam noch ihre Meinung – dass Frauen selbst über ihr
Leben entscheiden können sollen oder Kritik am Bildungsverbot für Frauen –
über ihren Instagramkanal verbreitet. Dann wurde sie vorsichtiger, hat nur
mehr Geschichten erzählt von Menschen, die ihr auf der Straße begegnet
sind; über Armut, Verzweiflung und Zwangsheirat, dazu Fotos geteilt. „Doch
vor Kurzem wurde mein Vater von den Taliban bedroht, sie sind zu uns nach
Hause gekommen und haben gesagt, er muss dafür sorgen, dass seine Tochter
mit ihren Aktivitäten aufhört“, schildert sie wütend.
„Ich habe doch gar nichts Politisches geschrieben; ich habe einfach nur die
Realität der Menschen hier gezeigt“, sagt sie. Sie habe daher beschlossen,
schnell das Land zu verlassen. In den Iran mag sie gehen und dann weiter
irgendwohin, wo es besser und freier für sie ist. Das Visum fürs
Nachbarland hat sie bereits beantragt. Doch bevor sie geht, möchte sie noch
eine Freundin vorstellen, denn ihre Geschichte sei wichtig.
Das Gespräch findet in einem anderen Lokal im selben Stadtteil statt. Hier
ist der Familienteil immerhin taghell. Sharifa S. spricht schnell, obwohl
sie nicht gewohnt ist, auf Englisch ihre Geschichte zu erzählen. Doch sie
möchte ihre Perspektive mit der Welt teilen. „Es ist schwer, unter den
Taliban zu leben“, sagt sie.
## „Die Frau ist ganz unten“
Sie gehört der ethnischen Minderheit der Hazara an, die von der
De-facto-Regierung stark diskriminiert werden. Hazara sind eine
ursprünglich buddhistische Volksgruppe – Zeugnis davon sind die übergroßen
Buddhastatuen in der Provinz Bamyian aus vorislamischer Zeit, die [2][die
Taliban 2001 in die Luft gesprengt] haben. Amnesty International berichtete
vor Kurzem über gezielte Tötungen von Hazara.
Sharifa versteht die Ablehnung nicht, auch wenn sie weiß, dass ihre
Volksgruppe einer anderen muslimischen Strömung angehört. „Wir glauben alle
an Allah, das sollte doch reichen“, sagt sie. Ihre Freundin Maryam nickt
bekräftigend. Im Alltag spüre sie allerdings vor allem die Unterdrückung
als Frau: „Wir sind in der Gesellschaft ganz unten, die Frau ist ganz
unten.“ Wann immer sie das Haus verlasse, schlage ihr der Hass gegen Frauen
entgegen. Allein dass sie überhaupt das Haus verlasse, stelle für viele ein
Problem dar: „Sie finden, dass ich als Frau zu Hause bleiben, mich um den
Haushalt kümmern und auch dass ich heiraten sollte.“
Doch die 22-Jährige möchte nicht heiraten, sie möchte ihr eigenes Leben
gestalten. Aktuell ist ihr das kaum möglich. Doch zumindest hat sie einen
Weg gefunden, ihre kranke Mutter und ihre Schwester zu ernähren: „Ich habe
keinen Vater und keinen Bruder, ich bin wie der Mann.“ Viele berufliche
Möglichkeiten blieben aktuell allerdings nicht. „Ich putze die Häuser
anderer Leute“, erklärt sie. Reichere Familien bezahlten sie dafür.
Das Geld sei sehr knapp, aber immerhin könnten sie sich die Miete und die
Medikamente leisten, die ihre Mutter benötige – meistens jedenfalls. „Es
ist wirklich hart, weil es niemanden gibt, der uns unterstützt“, sagt sie.
Sie hofft auf eine bessere Zukunft in Afghanistan. Ein Land, in dem sie
selbst entscheiden kann, wie sie ihr Leben führt, in dem Frauen jeder
Arbeit nachgehen und alles studieren können, liegt nach ihrer Vorstellung
ganz weit entfernt. Doch sie gibt nicht auf: „Ich möchte daran arbeiten,
dass die Situation für mich und meine Mutter und meine Schwester besser
wird.“
## Billiger und sicherer: Digitale Kunst
Ein anderes Café in Kabul, diesmal im immer noch belebten, wenn auch im
Vergleich zu Republikzeiten deutlich ruhigeren Stadtteil Shareh Naw; hier
ist der Familienbereich ein Garten, hell und angenehm. Das Treffen findet
zur Sicherheit jedoch in einer Ecke statt, damit es nicht zu viele Mithörer
geben kann.
Kimia – so lautet ihr Künstlerinnenname – ist etwas vorsichtiger geworden,
was die Inhalte auf ihren Socialmedia-Kanälen angeeht; zumindest zeitweise.
Denn online gibt es zwar mehr Freiheit als im analogen Alltag, aber auch
hier wird der Geheimdienst der Taliban immer aktiver und ordnet mehr und
mehr der Profile realen Personen zu. Wie lange also mehr Freiheiten
virtuell bestehen bleiben, ist derzeit unklar. Doch analoge Kunst mit
Leinwänden und Farbe ist nicht nur kostspielig, sondern auch enorm
gefährlich.
Wenige Tage nach dem Gespräch lädt Kimia ein Werk hoch, das das Schulverbot
für Mädchen explizit kritisiert. Immer wieder wurde sie für ihre Arbeit
angefeindet und bedroht. „Die Taliban haben mich kontaktiert und mir
gesagt, dass ich keine Gesichter malen darf. Ich soll Landschaften malen
oder Kalligrafie machen“, schildert sie. Gesichter seien Gottes Werk, man
dürfe sie daher nicht malen.
„Aber ich mag Gesichter malen, sie sind wichtig für meine Bilder“, sagt sie
mit erhobener Stimme und leuchtenden Augen. „Wenn ich male, kann ich der
restlichen Welt zeigen, wie schwer das Leben hier als Mädchen und Frau
ist“, sagt sie, wieder erhebt sie ihre Stimme. Es sei wichtig, Menschen zu
erreichen, und mit Kunst sei das möglich: „Wenn ein Künstler malt, dann
teilt er ein Stück seiner Seele mit anderen.“ Daher habe sie auch immer
neue Wege gefunden, ihre Arbeit fortzusetzen. Inzwischen zeichne sie
digital am Bildschirm.
## Nicht so schlimm wie früher
Bereits die Kunst war für sie ein Plan B. Kimia hat eigentlich Journalismus
studiert, sie graduierte gerade, als die Taliban die Macht an sich rissen.
„Daher musste ich einen anderen Beruf für mich finden.“ Als
Nachrichtensprecherin und Reporterin hätte sie nicht frei arbeiten können.
Ihr großer Traum ist es, internationale Reichweite als Künstlerin zu
bekommen, ihre Bilder ausstellen zu können, und zwar physisch und analog.
„Dann würde ich am liebsten an einer Universität Kunst und Kultur
vermitteln“, sagt sie, ihre Schwester Atifa* lächelt und ergreift das Wort:
„Bildung ist sehr wichtig!“
Sie ist zwei Jahre älter und brennt ebenso wie die jüngere für
Frauenrechte. Beide tragen beim Gespräch keinen Hidschab, sondern nur ein
Tuch, das die Haare mehr schlecht als recht bedeckt – so wurden Kopftücher
mehrheitlich auch zu Republikzeiten getragen – und dazu weit fallende,
lockere Kleidung, aber keine schwarze Abaya oder gar blaue Burka, wie die
Taliban sie bevorzugen.
„Es gibt nichts Wichtigeres, als sich immerzu fortzubilden und
weiterzuentwickeln“, sagt sie. Daher rate sie Frauen, denen derzeit Schulen
und Universitäten verschlossen sind, zu Hause Bücher zu lesen und das
Internet zu nutzen, auch wenn das in einem Land, in dem die Mehrheit der
Bevölkerung nur über mobiles Netz verfügt, das je nach Provinz sehr
instabil ist, nicht einfach ist.
„Ja, es gibt viele Schwierigkeiten in unserem Land, aber wir haben zum
Glück die moderne Technik“, sagt Atifa* optimistisch. „Es ist nicht mehr so
wie damals, als die Taliban zum ersten Mal Bildung für Frauen verboten
haben.“ Es sei leicht, online Bildungsangebote zu finden.
Sie selbst steht – ebenfalls mit modernen Messengersystemen – in Kontakt
mit ihren ehemaligen Schülerinnen. Die 27-Jährige ist nämlich eigentlich
Lehrerin von Beruf, darf aber auch diesen Beruf nicht mehr ausüben. „Mein
größter Traum ist wirklich, Lehrerin zu sein oder Dozentin. Wenn ich alles
machen könnte, was ich machen wollte, dann wäre es eben genau das: zu
unterrichten“, sagt sie.
Vor einigen Monaten habe sie noch versucht, Unterricht online abzuhalten,
doch das Projekt sei inzwischen eingestellt. „Die Schülerinnen hatten
leider keine Möglichkeit, richtig teilzunehmen, das Internet war zu
instabil“, sagt sie, „daher wurde das beendet.“ Immer wieder gebe sie
Privatunterricht, räumt sie dann ein. „Wenn eine meiner ehemaligen
Schülerinnen Fragen hat, versuche ich es über Whatsapp zu erklären oder ich
lade sie zu mir nach Hause ein“, sagt sie. Auch Lerngruppen hätte sie so
eingerichtet, etwa für Mathe und Englisch. „Es ist wichtig, dass man immer
weitermacht, immer an sich selbst arbeitet“, betont sie.
Ramin Sangin möchte vor allem über seine Schwestern sprechen. Der Arzt und
Leiter einer Schule, die von einer NGO betrieben wird, ist selbst
vielseitig engagiert, doch er lenkt immer wieder das Thema auf die beiden
Frauen in seinem Leben.
Das Gespräch findet während einer Autofahrt statt, mehr Zeit findet sich in
diesen Tagen nicht in seinem Kalender. Die ältere Schwester ist Chirurgin
und weiterhin als solche tätig. Die jüngere Schwester Sana*, selbst vom
Schulverbot betroffen, unterrichtet seit Kurzem Englisch. „Ja, ich bin eine
kleine Lehrerin“, kommentiert Sana stolz auf Whatsapp.
Im Vorjahr hatte sie ihrer Verzweiflung im Gespräch mit der Reporterin Luft
gemacht. „Ich will die Bomben wieder“, sagte sie damals wütend, „wenn ich
dann auch wieder zur Schule gehen kann.“ Damals besuchte sie gerade zum
zweiten Mal die sechste Klasse, weil die siebte Klassenstufe für Mädchen
bereits verboten war. Wenige Wochen später hatte sie sich dann gemeldet,
weinend, ebenfalls per Whatsapp. Ihr Schulrektor hatte sie zu sich ins Büro
zitiert, das Mädchen darüber belehrt, dass sie nicht wiederkommen dürfe.
Eine Wiederholung der sechsten Klasse sei ebenfalls verboten.
## Kein Abschluss, aber wenigstens lernen
In diesen Tagen klingt Sana ein klein wenig positiver. Der Schulbesuch ist
ihr nun wieder möglich, wenn auch auf eine etwas andere Art, als sie sich
das vorgestellt hatte. Ihre teils in der Schule, teils in Selbststudium
erworbenen Englischkenntnisse teilt sie nun selbstbewusst mit anderen.
Stolz zeigt ihr Bruder Videos vom Unterricht, die als Dokumentation
regelmäßig nach Österreich gesendet werden; dort unterstützt ein Verein das
heimliche Schulprojekt, in dem Frauen und Mädchen ohne Altersgrenze noch
lernen dürfen – solange die Taliban ihren Unterrichtsort nicht entdecken.
Einen Abschluss können sie freilich nicht ablegen, schon im Vorjahr war der
Zugang zum Konkur-Examen, dem Pendant zum deutschen Abitur als
Hochschulzulassung, den Mädchen und Frauen untersagt. In den Videos wird
auch deutlich, wie groß die Nachfrage ist. Alle Stühle sind voll besetzt,
auf Fußboden und Treppenstufen drängen sich weitere Schülerinnen zusammen.
Einige Distrikte entfernt, ganz in der Nähe des Cafés, in dem zuvor Maryam
saß, rattern Nähmaschinen. In einer ruhigen Gegend hinter hohen Mauern
findet sich eine kleine Oase mit schön gestaltetem Innenhof. In einem
sonnenlichtdurchfluteten Raum des angrenzenden Gebäudes nähen Frauen pinke
Stoffstreifen zu nachhaltigen Binden zusammen.
Arezo Osmani hat das Konzept aus Dänemark hierhergebracht und gemeinsam mit
ihrer Schwester ein kleines soziales und nachhaltiges Unternehmen mit
gemeinnützigem Ansatz gegründet, das in dieser besonderen Zeit nicht nur
dem Umweltschutz dient: [3][Safe Path Prosperity]. „Hier arbeiten Frauen,
die nicht mehr das tun dürfen, was sie eigentlich machen wollen“, erklärt
sie, während sie durch den kleinen Betrieb führt.
## Früher Neurowissenschaften, heute Nähunternehmen
Sie führt kurze Gespräche mit ihren Mitarbeiterinnen, prüft da ein Stück
Stoff, lächelt einer anderen zu und nickt. Da sind Studentinnen, die nicht
mehr die Universität besuchen dürfen, und Frauen, denen die Ausübung ihres
eigentlichen Berufs untersagt wurde. Denn selbst die Tätigkeit für
internationale Nichtregierungsorganisationen ist Frauen in Afghanistan
inzwischen verboten. Einer der letzten Bereiche, in dem Frauen fast
uneingeschränkt tätig sein dürfen, ist das Gesundheitswesen, und genau dazu
zählt das kleine frauengeführte Unternehmen.
Die Geschichte von „Safe Path“ beginnt jedoch schon vor der Machtübernahme
der Taliban; damals hatte Osmani keine Vorstellung davon, wie wichtig
dieser Ort einmal für die Beschäftigten werden würde. „2020 haben meine
Schwester und ich überlegt, was wir tun könnten, um Frauen zu unterstützen.
Schließlich sind wir auf das dänische Konzept der nachhaltigen Binden
aufmerksam geworden“, erinnert sie sich.
Im Februar 2021 war ihr kleines Unternehmen registriert und nahm offiziell
seinen Betrieb auf. Damals sei das für sie allerdings eher eine
Nebentätigkeit gewesen, sagt sie: „Ich habe an der Kabuler Universität
Psychologie und Philosophie studiert, später meinen Master in
Neurowissenschaften in China gemacht. Eigentlich ist das auch mein Fokus:
das Lehren.“
Inzwischen ist das Unternehmen ihr Hauptberuf. Sie schaut nachdenklich aus
dem Fenster, nimmt eine Packung der nachhaltigen Binden, die auf ihrem
Schreibtisch steht, in die Hand und stellt sie wieder hin. „Ich bin jetzt
vor allem Arbeitgeberin von 35 Frauen“, sagt sie. Als Dozentin darf sie
unter dem Talibanregime nämlich nicht mehr tätig sein. Ob sie das mit ihren
Mitarbeiterinnen verbindet? Sie nickt, sie teilten im Grunde dasselbe
Schicksal.
## Die Periode ist keine Sünde
Doch die kleine Produktionsstätte bedeutet nicht nur Arbeitsplätze für
Frauen, sondern übernimmt noch eine weitere wichtige Funktion. „Wir klären
über die Periode auf“, sagt sie. Denn da gebe es noch viel Nachholbedarf.
„Jede Frau in diesem Land hat ihre eigene Geschichte zu ihrer
Menstruation“, ist sie überzeugt, meist handle es sich um eine sehr
negative oder eine traurige.
Sie erinnert sich an ein Mädchen, das von der eigenen Mutter verprügelt
wurde, als sie zum ersten Mal blutete. „Sie sagte, solange ihre Tochter
nicht verheiratet sei, mache sie nun ihre Eltern jeden Monat zu Sündern,
solange sie mit ihr zusammenlebten“, sagt sie. Viele solcher negativen
Vorurteile kursierten im Land, ihr Aufklärungsangebot richte sich daher an
die ganze Familie, nicht nur die Frauen und Mädchen selbst: „Wir sagen
ihnen, dass es normal und gesund ist, wenn ihre Tochter ihre Periode
bekommt. Es ist eine gute Sache und sie sollten froh darüber sein.“
Sie ist froh, dass sie in einem Bereich arbeitet, den die Taliban für
Frauen noch nicht eingeschränkt haben. Dennoch steht sie vor großen
Herausforderungen. „Durch die vielen Stromausfälle benötigen wir
Generatoren, um den Betrieb am Laufen zu halten; das Öl ist sehr teuer“,
sagt sie.
Auch die Aufträge seien stark zurückgegangen; sie hätten schon mehr als 80
Frauen beschäftigen können, nun seien es noch etwas mehr als 30. Das liege
vor allem daran, dass internationale NGOs sich zurückgezogen hätten, seit
die Taliban die Macht im Land übernommen hätten. „Für diese bieten wir
nämlich Hygiene-Kits an, die sie dann weiterverteilen“, schildert sie.
## Versteckte Schulen
Auch sonst trifft das kleine Unternehmen die politische Lage hart:
Transportwege über Pakistan sind unsicher und nehmen viel Zeit in Anspruch:
„Manchmal dauert es zwei oder drei Monate, bis wir alle Materialien für die
Produktion haben.“ Osmani hofft, dass sie bald wieder mehr Abnehmer haben
und so viele Frauen im Land mit Hygieneprodukten versorgen können. „Wir
erreichen die Frauen am besten durch NGOs“, sagt sie, während sie selbst
beim Abpacken der Binden hilft, routiniert faltet sie diese zusammen und
steckt sie mit einem Tütchen zusammen in eine Box.
Doch nicht nur in der Hauptstadt Kabul gibt es Menschen, die auf ihre Weise
Widerstand leisten. Mitten in Helmand, der Provinz, die vor allem durch
Krieg, dort hausende Taliban und striktere Geschlechtertrennung als in
anderen Provinzen von sich reden macht, gibt es versteckt einen Ort, an dem
Frauen weiter die Schulbank drücken.
Shah* führt in das abgelegene Gebäude und dort in einen kleinen, etwas
dunklen Unterrichtsraum. Ein Fenster an der Rückseite des Raums ist die
einzige Lichtquelle. An einem Whiteboard stehen Übungssätze auf Englisch,
drei junge Frauen kauern sich an den Schulbänken zusammen. Sie haben Angst,
dass jemand erfahren könnte, dass sie heute hier sind. Mit der Presse
möchten sie daher auch auf gar keinen Fall sprechen.
Vermutlich sind auch deshalb nur so wenige Frauen überhaupt zum Unterricht
gekommen, die Journalisten aus Deutschland waren angekündigt. Normalerweise
werden hier bis zu 20 Frauen unterrichtet. Shah erklärt das Konzept des
Orts. „Wir haben eigentlich ein Onlineangebot, aber damit erreichen wir
viele Frauen nicht. Die Infrastruktur ist schlecht, vielen fehlt zu Hause
stabiles Internet“.
## Darüber sprechen oder schweigen?
Darum hätten sie sich entschieden, trotz des großen Risikos, weiterhin auch
analog vor Ort Unterrichtseinheiten anzubieten. Shah erhielt bereits vor
mehreren Jahren einen Drohbrief der Taliban, in dem stand, dass sie ihn
umbringen würden, wenn er nicht seine Aktivitäten einstelle. Sie sind ein
kleines Team; vier Lehrerinnen und drei Lehrer. Die Schülerinnen an diesem
Tag sind zwischen 16 und 21 Jahre alt, ihnen ist nach Talibangesetzen
keinerlei Zugang zu Bildung möglich.
Schon vor der Machtübernahme durch die Taliban war Bildung vielen Frauen in
Helmand vorenthalten; oft schlichtweg wegen mangelnder Angebote, teilweise
durch konservative Rollenbilder innerhalb der Familien. Doch damals konnte
Shah seine Computer- und Englischkurse zumindest öffentlich anbieten und
bewerben, die Frauen daran teilnehmen, ohne staatliche Repressionen zu
fürchten.
Er hofft, dass zumindest die Onlineangebote irgendwann wieder mehr Mädchen
und Frauen erreichen: „Leider fehlt uns die finanzielle Unterstützung; es
ist so teuer, die notwendige Technologie zu beschaffen.“ Es brauche
Internet und teilweise auch die passenden Endgeräte, Tablets am besten.
Über Sach- und Geldspenden würde sich die kleine Gruppe sehr freuen.
Ein großer Zwiespalt derer, die im Land noch aktiv sind ist, dass sie
einerseits über ihre Aktivitäten sprechen müssen, um notwendige Mittel zu
erhalten und Bedürftige zu erreichen. Gleichzeitig begeben sie sich damit
in Gefahr. Es ist daher auch schwierig zu erfassen, wie viele solcher
untergründigen Aktivitäten weiterlaufen.
Offen bleibt auch, wie lang Projekte dieser Art, die dem Frauenbild der
Taliban widersprechen, noch Bestand haben können. Sie können jederzeit
durch neue Gesetze oder eine ausgebufftere Geheimdienstarbeit unterbunden
werden. Doch die Hoffnung bleibt, dass die letzten kleinen Freiräume der
Frauen entgegen allen Widerständen erhalten oder sogar erweitert werden
können.
*Namen von der Redaktion geändert
15 Nov 2023
## LINKS
[1] /Ein-Jahr-Afghanistan-unter-den-Taliban/!5871472
[2] /Buddha-Statuen-in-Afghanistan/!5125831
[3] https://www.safepathafghanistan.com
## AUTOREN
Lena Reiner
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