# taz.de -- Africa Women Journalism Project: „Viele Frauen üben Selbstzensur… | |
> Frauen in Afrika werden besonders heftig belästigt, wenn sie sich | |
> politisch äußern, sagt Journalistin Catherine Gicheru. Sie beobachtet | |
> vermehrt Cyberstalking. | |
Bild: Catherine Gicheru aus Kenia leitet das Africa Women Journalist Project | |
taz: Journalist:innen sind überall auf der Welt [1][Anfeindungen] | |
ausgesetzt. Doch afrikanische Frauen in der Medienbranche haben es | |
besonders schwer. Warum ist das so, Frau Gicheru? | |
Catherine Gicheru: Es sind vor allem kulturelle Normen, die Frauen daran | |
hindern, beruflich voranzukommen. Konservative Ansichten über die Rolle der | |
Frau in der Gesellschaft schränken ihren Zugang zu Ressourcen ein und | |
begrenzen ihre Mobilität. Journalistinnen sind mit festgefahrenen | |
Geschlechterstereotypen konfrontiert, die ihre Fähigkeit infrage stellen, | |
über bestimmte Themen zu berichten oder in einem schwierigen Umfeld zu | |
arbeiten. Die patriarchalische Dynamik in den Redaktionen verschärft das | |
noch. Frauen werden nur selten über bestimmte Ebenen hinaus befördert. Es | |
gibt eine gläserne Decke oder, im Falle afrikanischer Journalistinnen, eine | |
Betondecke. Das verhindert beruflichen Aufstieg und führt häufig zu | |
ungleicher Bezahlung. Zudem leidet die Karriere von Journalistinnen stark, | |
wenn sie Mütter werden – ein allgemeines Problem auf der ganzen Welt. Sie | |
haben auch mit sexueller Belästigung, Beleidigungen und Sexismus am | |
Arbeitsplatz und bei der Ausübung ihrer Arbeit zu kämpfen. Was ich aber am | |
meisten hasse, ist die Online-Belästigung, die Frauen, insbesondere | |
Journalistinnen, aus diesen Bereichen verdrängt. | |
Weshalb? | |
Es ist ein allgegenwärtiges Problem, aber speziell Journalistinnen in | |
Afrika und Kenia werden belästigt, wenn sie sich zu einem bestimmten Thema | |
äußern. Viele dieser Angriffe gehen auf das Konto von Trollen, die von | |
Organisationen oder Politikern gegen Bezahlung für Online-Attacken | |
angeheuert werden. Aus einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage | |
geht hervor, dass etwa drei von vier Journalistinnen aufgrund der Themen, | |
über die sie berichten, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres | |
Geschlechts wegen online belästigt worden sind. Trotzdem gelingt es den | |
Redaktionen nicht, die Journalistinnen angemessen vor solchen Angriffen zu | |
schützen. Diese Normalisierung der Online-Belästigung ermutigt | |
frauenfeindliche Personen, hasserfüllte Inhalte zu verbreiten und sich | |
darauf zu berufen, dass sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung | |
wahrnehmen. Darüber hinaus bieten die Redaktionen den Frauen nur sehr | |
wenige oder gar keine Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung. So | |
fragen sich viele, was sie da eigentlich hält – und gehen. | |
Welche Art der Übergriffe beobachten Sie häufig? | |
Cyberstalking, Mobbing, unerlaubtes Fotografieren und Verleumdung sowie die | |
Einrichtung von Parodiekonten sind häufige Formen des Angriffs. Die | |
Parodie-Konten verbreiten falsche Nachrichten, meist sexueller Natur. Diese | |
oft frauenfeindlichen Angriffe gehen in der Regel unter die Gürtellinie, | |
indem sie die Arbeit von Journalistinnen untergraben, ihre Meinung | |
ablehnen, in ihre Privatsphäre eindringen, ihre Motive infrage stellen und | |
alle möglichen anderen unsinnigen Vorwürfe erheben. Diese Angriffe richten | |
sich nicht nur gegen Journalistinnen, sondern auch gegen andere Frauen, die | |
es wagen, im Internet und zunehmend auch offline ihre Meinung zu sagen. | |
Wenn sie ihre Meinung äußern, werden sie beschuldigt, sexuelle Beziehungen | |
zu jemandem zu haben, oder es wird ihnen unterstellt, sexuelles Interesse | |
zu haben. Es ist immer irgendwie auf das Sexualleben gerichtet. | |
Welche Folgen hat das? | |
Die Folge ist ganz klar. Es gibt zu wenige und [2][immer weniger weibliche | |
Stimmen in der Öffentlichkeit]. Viele Frauen wollen sich nicht mehr äußern, | |
üben Selbstzensur. Je häufiger das geschieht, desto größer ist der Verlust | |
für die Gesellschaft insgesamt. Was bleibt, sind Echokammern, in denen | |
Männer mit Männern reden. | |
Wir sind nicht dabei, 51 Prozent der Gesellschaft reden nicht mit. Das ist | |
traurig. Neulich etwa hat man das besonders gut im kenianischen Fernsehen | |
gesehen. Da gab es eine Talkrunde zu der Frage, ob die Steuer auf | |
Menstruationsprodukte gesenkt werden solle – und es redeten nur Männer und | |
auch in den Beiträgen wurden nur Männer befragt. Sogar zu diesem Thema! Was | |
wissen die denn darüber? Wenn man dann die zuständigen Journalisten fragt, | |
warum sie keine Frauen in die Talkrunde eingeladen haben, sagen sie, dass | |
es keine Frauen gab, die sich äußern wollten. | |
Glauben Sie das? | |
Natürlich gibt es für Journalisten keine Entschuldigung dafür, verschiedene | |
Stimmen und Meinungen nicht zu berücksichtigen. Es stimmt, dass | |
Journalisten immer unter Zeitdruck arbeiten und immer mehr Zeit brauchen. | |
Aber sie sollten dafür sorgen, dass verschiedene Stimmen in ihren Berichten | |
die Regel sind, nicht die Ausnahme. Bedauerlicherweise sind einige | |
Journalisten nicht daran interessiert, die Stimmen von Frauen zu | |
verstärken. | |
Wo ist die Lage am schlimmsten? | |
Laut The Chilling, einer globalen Studie über Online-Gewalt gegen | |
Journalistinnen, stuften viele Facebook als die am wenigsten sichere | |
Social-Media-Plattform ein. Es ist jedoch offensichtlich, dass X, ehemals | |
Twitter, heute die frauenfeindlichste Plattform ist. Das Umfeld hat sich | |
dort erheblich verschlechtert, sodass es für Frauen immer schwieriger wird, | |
ihre Ansichten frei zu äußern. Das erstreckt sich auch auf geschlossene | |
Chaträume. Es frustriert mich, dass der Rückzug aus diesen Plattformen | |
bedeutet, dass Frauen die Teilnahme an dem so wichtigen globalen Gesprächen | |
verpassen. Es ist für sie aber weder gesund noch produktiv, sich weiterhin | |
in solch feindlichen Umgebungen zu engagieren. | |
Welche Schuld haben die Unternehmen an dieser Lage? | |
Die neuen Medien unterstützen die negative Darstellung von Frauen und tun | |
nichts oder nur sehr wenig, um diese schädlichen Stereotype zu beseitigen. | |
Frauen stark objektiviert, vor allem durch Memes. X und andere | |
Tech-Unternehmen reagieren nicht auf Meldungen oder Anträge auf Entfernung | |
und behaupten, die Drohungen würden nicht gegen ihre Community-Regeln | |
verstoßen. Von dieser Inkonsequenz sind Journalistinnen unverhältnismäßig | |
stark betroffen, was sie anfälliger für Online-Belästigungen macht. Die | |
Unternehmen könnten den Bedenken von Journalistinnen aus dem Globalen Süden | |
mehr Aufmerksamkeit schenken. Es ist frustrierend, zu versuchen, | |
beleidigende oder gefährliche Beiträge zu entfernen. Meistens klappt es | |
nicht. | |
Ihre Kritik wird seit einiger Zeit durchaus hörbar vorgebracht. Hat sich | |
etwas gebessert? | |
In anderen Regionen, aber nicht in meiner. Trotz der Absicht, sichere und | |
gleichberechtigte Räume zu schaffen, zeigen soziale Medienplattformen keine | |
Motivation, die vorherrschenden Ungleichheiten anzusprechen. Sie behalten | |
Doppelstandards bei, die Journalistinnen im Globalen Süden | |
unverhältnismäßig stark benachteiligen. | |
11 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/immer-laeng… | |
[2] /Journalismus-in-Westafrika/!5969229 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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