# taz.de -- Merkel zum Afghanistan-Abzug: „Ein furchtbares Scheitern“ | |
> Mit deutlichen Worten: Angela Merkel hat im | |
> Afghanistan-Untersuchungsausschuss zum übereilten Abzug ausgesagt. Und | |
> vor allem Kritik an den USA geübt. | |
Bild: Die Kanzlerin hatte sich für ihre Aussage vor dem Untersuchungsausschuss… | |
Berlin taz | Mit einprägsamen Aussagen zum Thema Afghanistan war Angela | |
Merkel (CDU) bisher nicht aufgefallen. „Unsere Sicherheit wird auch am | |
Hindukusch verteidigt“ stammt vom verstorbenen Peter Struck, | |
SPD-Verteidigungsminister unter ihrem Vorgänger Gerhard Schröder. Am | |
Donnerstag, bei der letzten Zeugenvernehmung im | |
Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags, lieferte sie immerhin | |
ein paar starke Worte. | |
Als „Ausstieg der USA aus dem NATO-Einsatz“ bezeichnete Merkel Trumps im | |
Alleingang beschlossenen und von Biden vollendeten Truppenabzug aus dem | |
mittelasiatischen Land. Das Ende des Einsatzes bedeute ein „furchtbares | |
Scheitern“. „Wir, die internationale Gemeinschaft, waren auf der Flucht vor | |
den Taliban“, so die damalige deutsche Kanzlerin. | |
Furchtbar sei das Scheitern auch „für die Millionen Afghaninnen und | |
Afghanen, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Bildung eingesetzt | |
haben.“ | |
Atmosphärisch hob sich Merkels Auftritt [1][deutlich von denen mehrerer | |
Mitglieder ihres damaligen Kabinetts ab], die in den vergangenen Wochen | |
aussagten. In einer ausführlichen Eingangserklärung legte die akribisch | |
vorbereitete Ex-Kanzlerin, die 16 der 20 Jahre des deutschen | |
Afghanistan-Einsatzes zu verantworten hat, die Gründe für das Desaster dar. | |
Außer bei der Terrorismusbekämpfung sei man „bei allen anderen Zielen“ | |
gescheitert, vom Staatsaufbau bis zu Frauen- und Mädchenrechten. | |
## Kaum Gehör im Weißen Haus | |
Sie sparte nicht mit Kritik an der US-Politik, formulierte hier allerdings | |
vorsichtiger. Bei der US-Administration sei für Deutschland und andere | |
NATO-Mitglieder „schwer durchzudringen“ gewesen, sie habe in ihren | |
Kontakten zu US-Präsidenten „keinen wirklichen Resonanzboden“ gefunden. | |
Bei der Aufarbeitung der Afghanistan-Pleite geht es allerdings nicht | |
vorrangig um tolle Zitate und Atmosphärisches. Was Merkel inhaltlich | |
lieferte, war dann doch zu wenig. Ihre Kritik an den USA wirkte – wie schon | |
bei anderen Ex-Minister*innen – wie ein Schutzschirm gegen Kritik an ihrer | |
eigenen Politik. | |
Merkel schilderte, wie sie versuchte, „die Amerikaner“ umzustimmen, ihren | |
Truppenabzug doch von Bedingungen abhängig zu machen und bis nach einer | |
Machtteilung in Kabul mit den Taliban zu verschieben. Die Frage, welche | |
Hebel ihr dafür zur Verfügung standen, konnte sie nicht beantworten. | |
Vor allem im Zusammenhang mit der viel zu späten Erkenntnis, dass die | |
afghanische Regierung den Taliban nicht standhalten würde, und der bis zum | |
letzten Moment verzögerten Evakuierung deutscher Staatsbürger*innen und | |
afghanischer Ortskräfte aus Afghanistan wirkt dieser Ansatz reichlich | |
illusionär. Die US-Regierung hatte schon lange vor Vertragsschluss mit den | |
Taliban die eigentlich verbündete afghanische Regierung von den | |
Verhandlungen ausgeschlossen und die Bedingung fallen gelassen, dass es vor | |
einem Truppenabzug eine Übergangsregierung aus allen Parteien geben müsse. | |
## Erschreckend schlecht informiert | |
Man müsse „auch in aussichtsloser Situation immer versuchen, das Beste | |
daraus zu machen“, so Merkel, die sich als Realistin bezeichnete. Das | |
„Quäntchen Hoffnung“, das dafür nötig sei, habe sie aus ihrem Naturell | |
geschöpft. | |
Bei der Anhörung wurde noch einmal [2][erschreckend deutlich, wie schlecht | |
Merkel und ihre Minister*innen informiert waren], oder wohl eher: sich | |
informieren ließen. Merkel sagte, ihre Mitarbeiter*innen hätten sie | |
stets „informiert, wenn ein qualitativ neuer Zustand“ in Afghanistan | |
entstanden sei. Das war augenscheinlich zu selten. | |
Sie wusste nicht, dass der Bundesnachrichtendienst schon Ende 2020 – also | |
erheblich vor dem Kollaps von Kabul – das als „Emirat 2.0“ bezeichnete | |
Szenarium einer Taliban-Machtübernahme für das wahrscheinlichste hielt. | |
Drei Wochen vor dem Fall Kabuls war die Ex-Kanzlerin folgerichtig „noch | |
nicht der Meinung“, dass die Lage „schon so gekippt ist“, dass die | |
Evakuierung ausgelöst werden müsste. | |
Und sie habe „nicht gedacht, dass vor Auslaufen des amerikanischen Abzugs | |
die Taliban die Macht übernehmen“ würden. Auch dass Frauen und Mädchen in | |
vielen Provinzen Afghanistans schon vor den Taliban nicht zur Schule gehen | |
durften, war ihr nicht bekannt, genau wie die Tatsache, dass bei der | |
Evakuierung 64 deutsche Staatsbürger in Afghanistan zurückgelassen wurden, | |
wie sie auf Anfrage zugab. | |
## Und die Fehler des Westens? | |
Bedenklich ist zudem Merkels kulturalistische Begründung des Scheiterns: | |
Die Afghanen seien „ein stolzes Volk mit komplizierter Geschichte in einer | |
schwierigen geostrategischen Lage“, und hätten nicht genügend Kräfte für | |
die Schaffung „freiheitlicherer“ Verhältnisse mobilisieren können. | |
Ethnische und kulturelle Faktoren seien „stärker“ gewesen, „als ich es m… | |
vorgestellt hatte“. | |
Die falsche Bündnispolitik Deutschlands und des Westens mit den Warlords, | |
die lokale Demokratiebestrebungen erstickte, war aber vor allem eine | |
politische Entscheidung. Merkels Schlussfolgerung, man müsse in Zukunft | |
„deutlich vorsichtiger“ sein, verheißt nichts Gutes für demokratische | |
Bewegungen in anderen Diktaturen. | |
6 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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