| # taz.de -- Queere Menschen in Litauen: „Wir sind wütend“ | |
| > Litauen ist eines der queerfeindlichsten Länder Europas. Doch immer mehr | |
| > Menschen gehen gerade auf die Straße, um für ihre Rechte zu | |
| > demonstrieren. | |
| Bild: In dieser Teilnehmendengröße nicht selbstverständlich: die litauische … | |
| Zuerst sieht man die Gegner der Vielfalt. Auf dem Kathedralenplatz im | |
| Zentrum von Vilnius halten sie Kreuze und Ikonen in den Händen, schwenken | |
| die litauische Nationalflagge oder Plakate. „Wir beten für eure | |
| Konversion“, steht drauf, „Schützt die Kinder“ oder „Stoppt die Zerst�… | |
| Litauens“. | |
| Doch nur ein paar Meter weiter, hinter dem Denkmal für den Großfürsten | |
| Gediminas, bietet sich an diesem Samstag im Juni ein anderes Bild. Tausende | |
| sind gekommen, um bei der diesjährigen Pride-Parade für die Sichtbarkeit | |
| und die Rechte queerer Menschen zu demonstrieren. Unzählige | |
| Regenbogenfahnen sind zu sehen, die Stimmung ist gut. Mehrere Wagen stehen | |
| bereit, um durch die Innenstadt zu fahren, sogar der Bürgermeister kommt | |
| kurz vorbei, um die Teilnehmenden zu begrüßen. | |
| In Litauen ist das keine Selbstverständlichkeit. Der liberale Ruf des | |
| Baltikums täuscht in diesem Fall, das Land gehört zu den queerfeindlichsten | |
| in Europa. Anders als in [1][Estland] und [2][Lettland] haben homosexuelle | |
| Paare hier kein Recht auf Heirat oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Ein | |
| Gesetz, das die Thematisierung von Homosexualität gegenüber Minderjährigen | |
| verbietet, kam zwar bisher nur selten zum Einsatz, aber im Gesetzbuch steht | |
| es noch immer. | |
| In Umfragen zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität und trans | |
| Personen belegt Litauen regelmäßig EU-weit einen der letzten Plätze. Im | |
| Jahr 2023 hielt fast die Hälfte der Bevölkerung Homosexualität für eine | |
| „unsittliche Ideologie“, nur 22 Prozent sprachen sich für LGBTQ-Rechte aus. | |
| Gerade mal ein Viertel der Bürger*innen gibt an, dass sie ihr Kind | |
| unterstützen würden, wenn sie erfahren würden, dass es trans ist. | |
| Und doch hat sich in den letzten Jahren etwas getan: Die erste Pride in | |
| Vilnius im Jahr 2010 musste noch vor Gericht erkämpft werden, die | |
| Stadtverwaltung wollte sie verbieten. Etwa 350 Personen versammelten sich | |
| damals in einem abgesperrten Areal abseits des Zentrums, ihnen standen | |
| mehrere Tausend Gegendemonstrant*innen gegenüber. | |
| Vierzehn Jahre später sind es 17.000 queere Menschen und Allys, die vorbei | |
| an der Stanislaus-Kathedrale und dem Parlamentsgebäude mitten durch die | |
| Innenstadt ziehen. Die Gegenproteste von weniger als hundert Personen gehen | |
| unter in diesem Meer an Regenbogenfahnen. Die Parade endet im Vingispark, | |
| wo bis spät abends Dragqueens und litauische Popstars auftreten. Vor der | |
| Bühne wird ausgelassen getanzt, weiter hinten sitzen Gruppen beisammen und | |
| picknicken, Kinder und Hunde rennen über die Wiese. An diesem Tag könnte | |
| man glatt vergessen, dass für queere Menschen in Litauen Diskriminierung | |
| und Anfeindungen noch immer zum Alltag gehören. | |
| ## Ein einsamer Kämpfer im Parlament | |
| Einer, der seit Jahren dafür kämpft, dass sich die queere Community nicht | |
| nur einmal im Jahr sicher in der Öffentlichkeit fühlen kann, ist Tomas | |
| Vytautas Raskevičius. Der einzig offen schwule Abgeordnete im litauischen | |
| Parlament tanzt während der Pride-Parade mit ausladenden Engelsflügeln in | |
| Regenbogenfarben auf dem Wagen seiner Partei. | |
| Ein Kontrast zur Atmosphäre im Parlamentsgebäude, wo einem auf den Gängen | |
| vor allem gesetztere Herren in dunklen Anzügen begegnen. Die Engelsflügel | |
| trägt Raskevičius hier zwar nicht, aber ein wenig Regenbogendeko darf in | |
| seinem Abgeordnetenbüro nicht fehlen. Dass in diesem Jahr so viele Menschen | |
| an der Pride teilgenommen haben, findet der 35-Jährige „absolut großartig�… | |
| Die große öffentliche Sichtbarkeit queerer Menschen und ihrer | |
| Unterstützer*innen sei „eine sehr, sehr starke politische Botschaft“. | |
| Bevor Raskevičius in die Politik ging, war er Aktivist und stand als Anwalt | |
| Mitgliedern der LGBTQ-Community vor Gericht zur Seite. Das sei erfüllend | |
| gewesen, sagt Raskevičius. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich zwar | |
| Einzelnen helfen kann, aber dann steht am nächsten Tag eine andere Person | |
| mit genau denselben Problemen in meinem Büro. Und dann dachte ich, okay, | |
| das löst nicht wirklich die Wurzel des Problems.“ | |
| Er nahm sich vor, LGBTQ-Rechte auf die politische Agenda zu setzen. Im Jahr | |
| 2020 wurde er für die liberale Freiheitspartei ins Parlament gewählt und | |
| trat mit dem Versprechen an, dass bald ein Gesetz zur zivilen | |
| Lebenspartnerschaft verabschiedet würde. Doch obwohl seine Partei zur | |
| Regierungskoalition gehört, ist das bis heute nicht geschehen. „Wir hatten | |
| zwar diese sehr progressive Regierung gebildet, aber dann sind all die | |
| schlimmen Dinge passiert: Covid, die Instrumentalisierung von Migration, | |
| der Krieg in der Ukraine. Es gab eine sehr große Mobilisierung der | |
| konservativen Elemente in der Gesellschaft und alles lief schief“, blickt | |
| Raskevičius zurück. | |
| ## Wahlkampf mit dem Schlagwort der „traditionellen Familie“ | |
| Im Mai 2021 gingen mehr als 10.000 Leute in einem „Familienmarsch“ gegen | |
| das geplante Gesetz auf die Straße. In einer Online-Petition wurde | |
| gefordert, Raskevičius aufgrund seiner Homosexualität den Vorsitz im | |
| Menschenrechtsausschuss des Parlaments zu entziehen. | |
| Seitdem haben sich die Wogen zwar wieder etwas geglättet, aber es gibt | |
| weiterhin nur wenige Politiker*innen, die sich offen für LGBTQ-Rechte | |
| einsetzen. Was die Verabschiedung des Partnerschaftsgesetzes angeht, ist | |
| Raskevičius trotzdem optimistisch. Schon zweimal hat das Parlament dem | |
| Gesetzesentwurf zugestimmt, es fehlt nur noch die dritte Abstimmung. Doch | |
| falls der Präsident ein Veto einlegen sollte, muss ein viertes Mal | |
| abgestimmt werden – und im Herbst stehen schon die nächsten Wahlen an. Dass | |
| das Parlament anschließend queerfreundlicher sein wird, ist | |
| unwahrscheinlich. | |
| In Litauen ist zwar kein so deutlicher Rechtsruck spürbar wie etwa in | |
| Deutschland, doch LGBTQ-Themen haben in den letzten Jahren eine starke | |
| Politisierung erfahren. Im Europawahlkampf warben mehrere Parteien mit dem | |
| Schlagwort der „traditionellen Familie“ um Stimmen, Homosexualität wurde | |
| als Bedrohung für Familie, Tradition und Nation dargestellt. Der für seine | |
| extreme Queerfeindlichkeit berüchtigte Politiker Petras Gražulis stürmte | |
| bei der ersten Pride die Absperrungen und musste von der Polizei | |
| weggetragen werden. Nun wurde er als einer von elf litauischen Abgeordneten | |
| ins EU-Parlament gewählt. | |
| ## Der Katholizismus in Litauen ist aggressiv | |
| „Die Opposition muss etwas finden, worauf sie sich einigen kann, und das | |
| ist Homophobie. Das stärkt sie leider, denn mit homophober Propaganda kann | |
| man immer noch Stimmen gewinnen, vor allem im weniger gebildeten Teil der | |
| Gesellschaft“, meint Monika Antanaitytė von der Lithuanian Gay League | |
| (LGL), der einzigen NGO in Litauen, die sich ausschließlich für die Rechte | |
| queerer Menschen einsetzt – und innerhalb der Community wegen ihrer | |
| Monopolstellung umstritten ist. „Leider sind unsere Gegner viel weniger | |
| gespalten als wir. Sie konsolidieren sich immer mehr und sammeln | |
| Ressourcen“, so Antanaitytė. In queerfeindlichen Medien wie Respublika und | |
| auf Social Media wird Stimmung gegen queere Menschen gemacht. | |
| Warum gerade in Litauen Queerfeindlichkeit so weit verbreitet ist, dafür | |
| gibt es verschiedene Gründe. Zum einen wirken homofeindliche Narrative aus | |
| der Zeit der sowjetischen Okkupation noch heute nach. Zum anderen ist die | |
| katholische Kirche sehr stark. Der Katholizismus nimmt im ohnehin eher | |
| konservativen Litauen „eine sehr aggressive Form an“, erläutert | |
| Antanaitytė. „Die Kirche genießt viele Privilegien.“ | |
| Das hat auch damit zu tun, dass die Kirche ähnlich wie in Polen als | |
| wichtiger Akteur der Befreiung von der sowjetischen Herrschaft gesehen | |
| wird. Laut Tomas Raskevičius kommt noch etwas hinzu: „Ich denke, der | |
| Hauptgrund ist, dass im Laufe der Geschichte, und ich meine nicht nur in | |
| der sowjetischen Geschichte, sondern auch in der mittleren Neuzeit oder im | |
| Mittelalter, das Überleben unserer Nation, wenn man so will, auf einer | |
| geschlossenen Gemeinschaft beruhte.“ So habe sich Litauen zu Sowjetzeiten | |
| stärker gegen die Ansiedlung von Russ*innen gewehrt als Estland und | |
| Lettland. Das Thema LGBTQ werde nun „als Öffnung für Unterschiede und | |
| Individualität wahrgenommen“ und damit als Gefahr für die geschlossene | |
| Gemeinschaft. | |
| Homosexualität und queere Identitäten werden in rechten Narrativen oft als | |
| Bedrohung der Nation von außen dargestellt, als eine bewusste feindliche | |
| Beeinflussung mit dem Ziel, das Kollektiv zu schwächen. In der russischen | |
| Propaganda wird seit Jahren die Behauptung, LGBTQ sei eine westliche | |
| Ideologie und Bedrohung der „traditionellen Werte“, breitgetreten – und v… | |
| Rechten in anderen Ländern aufgegriffen, auch in Litauen. | |
| Zugleich ist die überwältigende Mehrheit der Litauer*innen proeuropäisch | |
| eingestellt. Russland wird als ehemalige Kolonialmacht und aktuelle | |
| Bedrohung gesehen, die Litauer*innen haben Angst vor einem Einmarsch wie | |
| in der Ukraine. Queerfeindlichkeit in Litauen hat entsprechend zwar oft | |
| ähnliche Inhalte [3][wie die russische Propaganda] – ist aber gleichzeitig | |
| antirussisch. Auf einem Plakat von Protestierenden gegen die Pride-Parade | |
| in Vilnius steht folgende Parole: „Zerstört nicht Litauen, [4][wie Putin es | |
| will].“ | |
| ## Manche Aktivist*innen fordern politischere Prides | |
| Die Lithuanian Gay League, die die diesjährige Pride organisiert hat, will | |
| einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens schaffen, um der | |
| Queerfeindlichkeit im Land zu begegnen. Für die Parade wählte die | |
| Organisation deshalb mit „Choose Love“ einen positiven Slogan, der | |
| möglichst wenig Anstoß erregen und Unterstützer*innen nicht mit | |
| Radikalität verschrecken sollte. „Die Botschaft mag positiv sein, aber ich | |
| denke, sie passt eher zu einer Feier am Valentinstag oder einer Einladung | |
| in die Kirche“, schrieb die Genderforscherin Rasa Navickaitė in einem | |
| kritischen Text auf Facebook. | |
| In ihren Augen ist das Motto zu offen gewählt, denn „schließlich denken die | |
| Gruppen, die vor der Kathedrale mit ‚Sodom und Gomorrha‘-Plakaten | |
| protestieren, wahrscheinlich auch, dass sie ‚Liebe wählen‘.“ Navickaitės | |
| Post wird in den Tagen nach der Pride häufig geteilt. | |
| Viele in der Community hätten sich ein politischeres Motto und konkrete | |
| Forderungen gewünscht, wie in den letzten Jahren, als linke Gruppen | |
| nichtkommerzielle Pride-Paraden in Vilnius organisierten. „Ich glaube, man | |
| kann etwas ändern, indem man ein bisschen radikaler ist, die Regierung ein | |
| bisschen mehr unter Druck setzt. Wenn wir ein paar spezifische Forderungen | |
| stellen, dann werden natürlich viele Homophobe und Transphobe sagen: Oh, | |
| was soll das denn? So entsteht ein Gespräch. Auch wenn es kein sehr | |
| positives Gespräch ist, erfahren zumindest mehr Leute davon“, sagt der | |
| Künstler und trans Aktivist Saša Kochan, der zu den Organisator*innen | |
| der politischeren Prides gehörte. | |
| Am Abend der diesjährigen Pride findet südlich des Zentrums in einem Keller | |
| eine Party statt, die den Stimmen Raum gibt, die zwischen den professionell | |
| gestalteten, mit Werbebotschaften großer Firmen bedruckten Wagen und den | |
| Konzertauftritten bekannter Stars nicht zu Wort kamen. In zwei Räumen läuft | |
| Techno, in einem langen Gang dazwischen sind Plakate mit politischen | |
| Forderungen angebracht, auf einem Banner steht „Assimiliation is not | |
| Liberation“. Beim Open Mic können sich alle, die wollen, zu Wort melden. | |
| Einige erzählen ihre Coming-out-Geschichten oder tragen erotische Gedichte | |
| vor. Andere fordern eine politische Pride oder erklären ihre Solidarität | |
| mit Palästina. „Wir sind nicht nur fröhlich, wir sind wütend“, bringt ei… | |
| Person es auf den Punkt. | |
| Jedes Jahr findet die Party hier statt, die Einnahmen gehen an queere | |
| Graswurzelinitiativen. Die Aktivistin Viktorija Kolbešnikova gehört zu den | |
| Mitinitiator*innen. Los ging es 2016 zur Baltic Pride. Auf dem Frontbanner | |
| stand damals der Slogan „We are People, not Propaganda“ – eine Reaktion a… | |
| die queerfeindliche Behauptung, bei der Sichtbarkeit queerer Identitäten | |
| handele es sich um Propaganda, die einen schädlichen Einfluss auf die | |
| Gesellschaft habe. | |
| Kolbešnikova und anderen gefiel das nicht: „Wir dachten: Was soll der | |
| Scheiß? Warum sollen wir uns immer entschuldigen, immer erklären, dass wir | |
| auch Menschen sind? Wir mochten diesen rechtfertigenden Ton nicht.“ Für den | |
| Titel der nichtkommerziellen Partyreihe beschloss man also kurzerhand, sich | |
| den Begriff „Propaganda“ anzueignen und ein eigenes, radikaleres | |
| Verständnis von Pride zu feiern: „We are propaganda.“ | |
| ## Für trans Menschen ist es noch mal schwerer | |
| Eine der Initiativen, die die Partyreihe mit ihren Einnahmen unterstützt, | |
| ist „Trans Autonomija“, bei der sich Saša Kochan engagiert. Das Projekt | |
| entstand 2021 aus einer Gruppe linker Aktivist*innen, die bereits einige | |
| queere Veranstaltungen in Vilnius auf die Beine gestellt hatten. Trans | |
| Autonomija setzt sich für die Rechte von trans Personen ein und dient | |
| gleichzeitig als Plattform für die gegenseitige Unterstützung und die | |
| Vernetzung der Community. | |
| „Wir haben immer noch keine offiziellen Gesetze zu Trans-Rechten. Nur ein | |
| paar Papiere vom Ministerium, die keine wirklichen Gesetze sind und | |
| jederzeit wieder aufgehoben werden können“, sagt Saša. Um seine Dokumente | |
| ändern zu lassen, muss man vor Gericht gehen, und für medizinische | |
| Transitionen gibt es keine klaren Regelungen. Um eine Hormontherapie zu | |
| beginnen, ist die Diagnose eines Psychiaters erforderlich – und man muss | |
| oft viel selbst bezahlen. Dass die Community zusammenhält und sich mit | |
| Infos versorgt, zum Beispiel darüber, welche Ärzt*innen vertrauenswürdig | |
| sind, ist deshalb besonders wichtig. | |
| Trans Personen haben in Litauen nicht nur mit fehlender rechtlicher | |
| Anerkennung, sondern auch mit Vorurteilen, Unwissen und Hass zu kämpfen. | |
| Kochan erzählt von seinen Erfahrungen in der Öffentlichkeit: „Ich bemerke | |
| immer, wie die Leute mich anschauen, besonders außerhalb des Stadtzentrums. | |
| Sie fragen sich: Wer ist denn das? Normalerweise trage ich Kopfhörer, aber | |
| wenn nicht, dann höre ich sie über mich reden.“ | |
| ## Keine Frage, die nur die liberale Elite in Vilnius betrifft | |
| In der Hauptstadt könne man sich als Person, die nicht genderkonform | |
| aussieht, noch relativ sicher fühlen, außerhalb wird es schwieriger. In den | |
| ländlichen Regionen trifft sich die trans Community vor allem online. Einer | |
| der wenigen Safe Spaces außerhalb von Vilnius ist das Emma Social Center in | |
| Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, die um einiges konservativer ist | |
| als die Hauptstadt. | |
| Das selbst organisierte Zentrum in Kaunas, das nach der hier geborenen | |
| Anarchistin Emma Goldman benannt ist, eröffnete im Jahr 2016 im ersten | |
| Stock eines blauen Holzhauses nicht weit entfernt von der zentralen | |
| Fußgängerzone. Es gibt hier eine Bibliothek, eine Küche und ausreichend | |
| Platz für Veranstaltungen wie Diskussionsrunden, Filmvorführungen oder | |
| Partys. | |
| In Kaunas gibt es keine queeren Bars oder Clubs, hier ist einer der wenigen | |
| Orte, wo sich die Community treffen kann, erzählt Viktorija Kolbešnikova, | |
| die auch im Emma Social Center aktiv ist. Doch das Zentrum ist ein | |
| bedrohter Safe Space. Kolbešnikova deutet auf die Regenbogenflagge in einem | |
| der Fenster: „Als wir sie aufgehängt haben, flog ein Stein durch das | |
| Fenster.“ Es war nicht der einzige Angriff. Es gab mehrere Attacken mit | |
| Schmierereien und Ähnlichem, aber auch eine selbstgebastelte Bombe, die in | |
| den Hof geworfen wurde. Verletzt wurde zum Glück niemand, aber die | |
| Botschaft ist klar. | |
| Die Angreifer sind Neonazis, Kolbešnikova verfolgt ihre Aktivitäten online: | |
| „Es ist offensichtlich, dass das Hauptproblem, das sie mit diesem Ort | |
| haben, queere Themen sind. Es kommen ganz verschiedene Gruppen hierher, | |
| aber die LGBT-Frage ist die heißeste für sie, nicht die Bücher von Karl | |
| Marx in der Bibliothek.“ | |
| Obwohl in Kaunas die Lage für queere Personen sehr viel angespannter ist | |
| als in Vilnius, hat Kolbešnikova zusammen mit Gleichgesinnten 2021 eine | |
| Pride-Parade in Kaunas organisiert – die erste und bisher einzige in der | |
| Stadt. Ähnlich wie früher in Vilnius versuchte die Stadtverwaltung, die | |
| Veranstaltung zu verbieten. | |
| Der Gegenprotest war stark, die Polizei musste mit Gewalt gegen | |
| queerfeindliche Protestierende vorgehen, die die Paradenroute blockierten. | |
| Trotz der Angriffe habe die Pride in Kaunas ein wichtiges Zeichen gesetzt, | |
| meint Kolbešnikova. „Unser Slogan war ‚Wir sind überall‘, wir hatten die | |
| Botschaft, dass LGBTQ-Personen überall leben. Es ist keine Frage, die nur | |
| die liberale Elite in Vilnius betrifft.“ | |
| ## Politische Maßnahmen für finanzielle Sicherheit und Bildung sind nötig | |
| Doch in Dörfern und kleinen Städten gibt es in der Regel keine | |
| Community-Strukturen, keine Safe Spaces und die meisten LGBTQ-Personen | |
| haben Angst, sich zu outen, weil sie mit Ablehnung in der Familie, im | |
| Freundeskreis und am Arbeitsplatz rechnen. Was die Zukunft angeht, ist | |
| Viktorija Kolbešnikova deshalb nicht sehr zuversichtlich. Das | |
| Partnerschaftsgesetz werde sicher in den nächsten ein, zwei Jahren | |
| verabschiedet. „Aber ich weiß nicht, ob das eine große Veränderung | |
| bedeutet. Denn wenn Leute in Vilnius öffentlich heiraten können, heißt das | |
| nicht, dass Leute in Rokiškis sich das auch trauen.“ | |
| Der Abgeordnete Tomas Vytautas Raskevičius ist da optimistischer. „Solange | |
| uns Russland nicht angreift, wird alles gut“, meint er. Veränderungen | |
| brauchten Zeit, aber sein Job sei es, dafür zu sorgen, dass sie so schnell | |
| wie möglich geschehen. | |
| „Die Menschen müssen sich in ihrem täglichen Leben gut fühlen, damit sich | |
| ihre Wut nicht auf andere richtet“, meint Kolbešnikova. Dafür seien | |
| politische Maßnahmen nötig, die für finanzielle Sicherheit und Bildung | |
| sorgten. | |
| Rasa Navickaitė schrieb in ihrem kritischen Post zur Pride-Parade in | |
| Vilnius: „Wir haben noch einen langen, langen Weg vor uns, mit Sicherheit | |
| länger als von der Kathedrale bis zum Vingispark.“ | |
| Dieser Text ist entstanden im Rahmen von „[5][Perspectives]“, einem | |
| Programm für unabhängigen, transeuropäischen Journalismus, kofinanziert von | |
| der EU, koordiniert vom Goethe-Institut. | |
| 3 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Norma Schneider | |
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