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# taz.de -- Queerness in Südostasien: Geknebelte Diskurse
> Dichterin Marylyn Tan und Wissenschaftlerin Khoo Ying Hooi sprachen auf
> dem Internationalen Literaturfestival Berlin über Zensur von
> LGBTQIA+-Themen.
Bild: Lyrikerin und Autorin Marylyn Tan
Indoktrinierung ist wie ein Analplug mit Fernbedienung. So in etwa lautet
eine Zeile aus dem Gedicht „Daddy Issues or SG50 Shades of Red“ von Marylyn
Tan. Die queere Dichterin aus Singapur spielt damit auf die staatliche
Kontrolle und Zensur von LGBTQIA+-Themen in ihrer Heimat an. Gemeinsam mit
der malaysischen Politologin Khoo Ying Hooi sprach sie auf dem
internationalen Literaturfest Berlin über [1][Queerness in Südostasien] und
queerfeministische Literatur als Mittel des Widerstands gegen Repressionen
und Diskriminierung.
Zu Beginn der gut besuchten Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung
kontextualisierte die Wissenschaftlerin und Professorin Khoo Ying Hooi das
Thema in Hinblick auf die rechtliche Lage und mediale Repräsentation.
Wichtig sei es, die Kolonialgeschichte mitzudenken. Singapur, zum Beispiel,
war bis zur erkämpften Unabhängigkeit 1965 eine britische Kolonie und die
koloniale Gesetzgebung besteht in Teilen bis heute.
Erst durch den British Penal Code Section 377A wurde Sex zwischen Männern
kriminalisiert. Dieses Verbot wurde 2023 in Reaktion auf Kampagnen von
aktivistischen Organisationen aufgehoben. Es scheine eine Bewegung hin zu
mehr Rechten und Akzeptanz für queere Menschen zu geben. Marylyn Tan stimmt
zu, aber betont, dass Entkriminalisierung nicht immer rechtlicher
Anerkennung entspreche: Unter Singapurs konservativen Regierung
beispielsweise dürfen queere Paare weder heiraten noch Kinder adoptieren.
## Verzerrte Narrativen
In politischen Debatten wird [2][Queerness oft zur Zielscheibe der
Konservativen], die argumentieren, vor Queerness gelte es zu schützen, es
sei ein Import aus dem Westen, der „traditionelle Familienwerte“ gefährde.
Queerness wird dabei als neuheitlich und als westlicher Import dargestellt.
Das sei widersprüchlich, so Khoo Ying Hooi, denn in Südostasien habe es
lange Zeit gesellschaftlich anerkannte Pluralität von Geschlechtern und
Sexualitäten gegeben.
Solche konservativen Einstellungen fordert Marylyn Tan mit ihrer Poesie
heraus. Die Lyrikerin provoziert gezielt, wenn sie explizit über
gesellschaftliche Tabus wie Bondage, BDSM, lesbischen Sex,
Körperflüssigkeiten und weibliche Lust schreibt. Literatur sei weniger von
der staatlichen Zensur betroffen als visuelle Medien und deswegen eine
Chance, den gesellschaftlichen Blick auf Queerness zu verändern, so Marylyn
Tan.
Ihr englischsprachiger Gedichtband „Gaze Back“ (2018) stellt Queerness und
Sexualität aus einer unzensiert selbstbestimmten Perspektive dar und
verlangt dadurch eine veränderte Auseinandersetzung mit den Themen.
## Kommerzialisierung statt echter Schutz
Auf die aktuellen rechtlichen Zugeständnisse in Ländern wie Singapur oder
Thailand, wo inzwischen jährlich international besuchte Pride-Paraden
stattfinden, blicken Marylyn Tan und Khoo Ying Hooi kritisch. Zwar seien
dies wichtige Schritte, aber sie dienten eher kommerziellen Zwecken als dem
Schutz queerer Menschen.
Beide betonen ebenfalls die Relevanz von transnationalen Solidaritäten und
LGBTQIA+-Bündnissen, aktivistische sowie künstlerische, über Staatsgrenzen
hinweg. Ohne Druck werde es keine Zugeständnisse der Regierungen geben, die
nur im Interesse der Machterhaltung agieren. „If you are not happy we can
talk about it, but first put on this ball-gag“, („wenn du nicht glücklich
bist, können wir darüber reden, aber leg zuerst diesen Knebel an“),
rezitiert Marylyn Tan in beißendem Tonfall aus ihrem Gedichtband. Es ist
ein wohl treffendes Bild für den restriktiven Diskurs.
12 Sep 2024
## LINKS
[1] /LGBTQ-Rechte-in-Malaysia/!5946117
[2] /Queeres-Tanztheater-in-Hamburg/!5912083
## AUTOREN
Ilo Toerkell
## TAGS
Literatur
Lyrik
Schwerpunkt LGBTQIA
Südostasien
Singapur
Literaturbetrieb
Schwerpunkt Myanmar
Postkolonialismus
Transfeindlichkeit
Kirche
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