| # taz.de -- Linke Grüne über die Wahl in Thüringen: „Duckmäusertum hilft … | |
| > Astrid Rothe-Beinlich hat viele Jahre für die Grünen in Thüringen Politik | |
| > gemacht. Dass sie jetzt aufhört, liegt auch an der politischen Lage im | |
| > Land. | |
| Bild: Will keine „alte weiße Frau“ werden, die alles besser weiß: Astrid … | |
| taz: Frau Rothe-Beinlich, Sie sind 25 Jahre in der Politik und hören jetzt | |
| auf. Sie lagen so oft mit Ihrer Partei über Kreuz, warum sind Sie überhaupt | |
| so lange bei den Grünen geblieben? | |
| Astrid Rothe-Beinlich: Stimmt, ich stand oft in Opposition zu meiner | |
| eigenen Partei. Ich komme aus der [1][Bürgerbewegung], also aus der | |
| kirchlichen Oppositionsbewegung in der DDR, war lange in unterschiedlichen | |
| Bewegungen aktiv – Antifa, [2][Anti-Atomkraft], Flüchtlingssolidarität. Ich | |
| bin dann in die Partei gegangen, die ich als Vertretung der Bewegungen | |
| verstanden habe. Das müssen die Grünen auch heute noch sein. Deshalb bin | |
| ich geblieben. | |
| taz: Sie hatten bei den Grünen viele Positionen, im Bundesvorstand und in | |
| Thüringen, seit 2020 sind Sie Fraktionschefin im Landtag. Jetzt sind Sie 50 | |
| und treten bei der Landtagswahl im September nicht mehr an. Was geht da für | |
| Sie zu Ende? | |
| Rothe-Beinlich: Ich habe 25 Jahre hauptamtliche Politik für Bündnis 90/Die | |
| Grünen gemacht. Das ist wirklich sehr lang, vorher war ich ehrenamtlich | |
| aktiv. Jetzt endet für mich „das Formale“, also für die Partei ein Stück | |
| weit das Gesicht zu sein. | |
| taz: Heißt das, sich auch in gewissen Zwängen zu bewegen? | |
| Rothe-Beinlich: Na ja, was heißt Zwang? Ich fahre nur Fahrrad, und es ist | |
| schon so: Ich traue mich nicht, über eine rote Ampel zu fahren, weil es | |
| dann sofort heißt, die Grüne fährt über eine rote Ampel. Oder ein Kaugummi | |
| auszuspucken. Nicht, dass ich das unbedingt machen will. Aber dieses | |
| Gefühl, ständig unter Beobachtung zu sein, auch früher mit den Kindern, das | |
| ist schon belastend. Man ist nie privat. Irgendwann mal einkaufen zu gehen | |
| und nicht gleich drei politische Diskussionen am Knie zu haben, das hätte | |
| was. | |
| taz: Waren die Jahre in der Politik eine gute Zeit? | |
| Rothe-Beinlich: Superspannend auf jeden Fall. Ich wurde im Jahr 2000 | |
| Landessprecherin. Damals war ja unsere erste Regierungsbeteiligung im Bund | |
| mit dem [3][Kosovokrieg] und der Einführung von Hartz IV, danach lagen wir | |
| hier in Thüringen bei 2 Prozent, der Landesverband hat die Hälfte seiner | |
| Mitglieder verloren. Ich war immer Teil der Minderheit unserer Partei, die | |
| solche Sachen nicht mitgetragen hat. Und bin dann trotzdem Landessprecherin | |
| und auch zweimal Spitzenkandidatin geworden. Nach zehn Jahren | |
| außerparlamentarischer Opposition ist es uns wieder gelungen, in den | |
| Landtag einzuziehen, das war eine wahnsinnig tolle Erfahrung. Und der | |
| zweite, wirklich große Schritt war 2014, als wir in Thüringen eine | |
| Regierung ohne die CDU gebildet haben. Das war damals fast unvorstellbar, | |
| die CDU hält das ja bis heute für einen Betriebsunfall. | |
| taz: Rot-Rot-Grün mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident. | |
| Rothe-Beinlich: Für ein progressives Regierungsbündnis habe ich lange | |
| gestritten. Wir haben die für uns wichtige [4][Präambel im | |
| Koalitionsvertrag] zum Unrechtsstaat verhandelt und klargestellt, dass | |
| Menschen, die für die Staatssicherheit oder die politische Polizei | |
| gearbeitet haben, keine tragenden Funktionen übernehmen können. Wir haben | |
| diese Koalition geschmiedet mit einer Stimme Mehrheit – das war ein | |
| riesengroßer Erfolg. | |
| taz: Als Sie Ihren Rückzug aus der Politik angekündigt haben, sagten Sie: | |
| „Das schlaucht alles so.“ Das klingt nach großer Erschöpfung. | |
| Rothe-Beinlich: Ich hab mich schon nach zwei Legislaturperioden im Landtag | |
| gefragt, wie lange ich das eigentlich machen will. Ich stand und stehe ja | |
| immer voll unter Strom. Und dann haben CDU und FDP gemeinsam mit der AfD | |
| [5][Thomas Kemmerich] zum Ministerpräsidenten gewählt. Das war ein | |
| Dammbruch, und das war jedem im Saal klar. Das Schenkelklopfen, wie einige | |
| die Arme hochgerissen haben, weil sie sich so gefreut haben – ich krieg das | |
| nicht mehr aus dem Kopf. Und dann nahm Kemmerich auch noch die Wahl an. | |
| taz: Klingt nach Schock. | |
| Rothe-Beinlich: Allerdings. Die absolut richtige Geste an diesem Tag war | |
| die von Susanne Hennig-Wellsow, die damals Fraktionschefin der Linken war. | |
| Sie war so geistesgegenwärtig, ihm den Blumenstrauß vor die Füße zu werfen. | |
| Für mich kam dazu: Meine Mutter ist an dem Tag 70 geworden, und ich habe | |
| gesagt, wir wählen hier noch und dann komme ich. Und ich bin natürlich | |
| nicht gekommen. Meine Mutter ist im vergangenen Jahr gestorben, und im | |
| Rückblick denke ich: Wie oft war ich eigentlich bei ganz wichtigen Sachen | |
| privat nicht da, weil immer was anderes war? Und dann fragt man sich schon, | |
| was ist eigentlich wirklich wichtig? | |
| taz: Haben Sie da schon überlegt, aufzuhören? | |
| Rothe-Beinlich: Nein. Bodo Ramelow wurde einige Wochen später zum Glück | |
| doch noch gewählt, wir haben den Stabilitätsmechanismus mit der CDU | |
| ausgehandelt, die fest vereinbarten Neuwahlen hat die CDU aber platzen | |
| lassen. Diese dann folgende Minderheitsregierung hat total geschlaucht. | |
| Und die zunehmende Hetze und der Hass der AfD, einer faschistischen Partei, | |
| die uns ganz offen als Feind auserkoren hat, erst recht. | |
| taz: Wie kräftezehrend ist die tägliche Auseinandersetzung mit der AfD im | |
| Landtag? | |
| Rothe-Beinlich: Im normalen politischen Geschäft kriegt man von der AfD | |
| wenig mit. Die Ausschüsse tagen in Thüringen nicht öffentlich, das | |
| interessiert sie nicht. Aber jedes Plenum ist eine Bühne der | |
| Auseinandersetzung, die gefilmt und dann in Schnipseln gepostet wird. | |
| Besonders wenn Frauen nach vorne gehen, insbesondere von uns, nimmt die | |
| Lautstärke zu, dann kommt diese Gehässigkeit, diese Verächtlichmachung. Da | |
| wirst du ausgelacht und beschimpft, „Quotenfrauen, ihr könnt nichts“ ist | |
| fast freundlich. Das macht schon was mit einem. | |
| taz: Pumpen Sie sich vor dem Landtagsplenum innerlich ein bisschen auf? | |
| Rothe-Beinlich: Für uns war immer wichtig, dass wir niemals genauso werden | |
| wie die AfD, dass wir uns auf diesen Populismus eben nicht einlassen. Im | |
| letzten Plenum gab es eine aktuelle Stunde zur Bilanz der Koalition. Es ist | |
| mein Job als Fraktionsvorsitzende, in die Debatte reinzugehen, die | |
| Provokationen nicht im Raum stehen zu lassen und die AfD trotzdem nicht | |
| aufzuwerten. Das ist extrem anstrengend. Das Tolle am Parlamentarismus ist | |
| eigentlich, dass wir um die beste Lösung streiten können. Dieses Streiten | |
| im positiven Sinne, das liegt uns Ossis ja eh nicht so, weil wir das nicht | |
| richtig gelernt haben. Aber hier geht es mitunter völlig verloren. | |
| taz: Sie waren schon früh politisch aktiv, mit 15 haben Sie die | |
| Stasi-Zentrale in Erfurt mit besetzt. Welche Rolle hat das für Ihr | |
| politisches Leben gespielt? | |
| Rothe-Beinlich: Das war extrem prägend. Mein Vater war Jugendpfarrer in | |
| Erfurt, meine Mutter hat unter dem Dach der Kirche als Psychologin | |
| gearbeitet. Meine Eltern haben immer gesagt: Wenn du 14 bist, kannst du dir | |
| auch überlegen, wo du dich politisch engagieren willst. Ich bin in die | |
| kirchliche Umweltbewegung gegangen. Dann gab es die große | |
| Auseinandersetzung, weil ich die militärische Frühausbildung abgelehnt | |
| habe, deshalb sollte ich nicht zum Abitur zugelassen werden. Die | |
| Stasi-Zentrale war der Ort von Macht und Ohnmacht zugleich, da hat uns die | |
| erste Demonstration in Erfurt im Herbst 89 hingeführt. Niemand wusste | |
| damals, ob geschossen wird oder nicht. Als es dann gelungen ist, die | |
| Stasi-Zentrale zu besetzen und dort Bürgerwachen einzurichten, habe ich | |
| gedacht, hier kann ich mich einbringen. | |
| taz: Ihre Eltern fanden das für eine 15-Jährige nicht zu gefährlich? | |
| Rothe-Beinlich: Meine Eltern waren selber in der Oppositionsbewegung und | |
| sehr beschäftigt in der Zeit, und ich war extrem selbstständig. Am | |
| Hungerstreik durfte ich mich aber nicht beteiligen, weil ich noch keine 18 | |
| war. Wir haben die Taschen kontrolliert von den Leuten, die rausgegangen | |
| sind, damit sie keine Unterlagen mitnehmen. Ich bin in der Stasi-Zentrale | |
| 16 geworden, ich habe dort Weihnachten verbracht. Das war eine | |
| Wahnsinnserfahrung. | |
| taz: Sie haben mal in einem Zeitungsbeitrag geschrieben, die DDR habe Sie | |
| mehr geprägt, als Sie sich gerne eingestehen. Was heißt das? | |
| Rothe-Beinlich: Ich war nie stolz auf die DDR, im Gegenteil. Trotzdem habe | |
| ich über die Jahre feststellen müssen, dass die DDR mich natürlich geprägt | |
| hat. Ich musste lernen, zwischen den Zeilen zu lesen und wie existenziell | |
| Freiheit ist. Ich bin seit der ersten Demonstration in Erfurt auf fast | |
| jeder Demo gewesen, und als dann im Dezember diese schwarz-rot-goldenen | |
| Fahnen auftauchten, die Leute nur noch „Wir sind ein Volk“ geschrien haben, | |
| da habe ich mich fremdgeschämt. | |
| taz: Das hatten Sie sich anders vorgestellt. | |
| Rothe-Beinlich: Dank friedlicher Revolution konnte ich wieder an die Schule | |
| zurück und Abitur machen, das ist eigentlich alles irre! Aber wir hatten ja | |
| die Idee, eine basisdemokratische Verfassung zu erarbeiten. Doch dann kam | |
| ganz schnell die Vereinigung und das Grundgesetz. Das war nicht alles gut, | |
| so wie es gelaufen ist. Und dann hatten viele das Gefühl, sich im Westen | |
| neu beweisen zu müssen, obwohl sie jahrelang in ihrem Beruf gearbeitet | |
| hatten. Das alles wirkt nach. | |
| taz: Es wird oft beklagt – und Sie haben das eben auch getan –, dass in | |
| Ostdeutschland zu viel geschwiegen und zu wenig konstruktiv gestritten | |
| wird. Wie haben Sie das Streiten gelernt? | |
| Rothe-Beinlich: Wenn man in der DDR Sachen in Frage gestellt hat, galt man | |
| schnell als Störenfried. Meine Eltern haben aber eine sehr rege | |
| Streitkultur gepflegt. Ich habe mir das irgendwann zur Passion gemacht, was | |
| für viele in meinem Umfeld extrem anstrengend war. Als ich mit 18 in ein | |
| besetztes Haus gezogen bin, hat mein Vater irgendwann gefragt, warum ich | |
| immer kämpfen müsse, er wünschte sich mal eine Demo, an der ich nicht | |
| beteiligt bin. Und ich merke diese Rastlosigkeit in mir manchmal heute | |
| noch. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Rothe-Beinlich: Ich bin bis vor Kurzem wirklich auf nahezu jeder Demo | |
| gewesen, und es fällt mir manchmal noch schwer, mir zu sagen, du musst da | |
| nicht unbedingt hin. Ich muss mir das selbst verordnen. Mich nicht immer | |
| für alles verantwortlich zu fühlen, das übe ich gerade noch. | |
| taz: Sie engagieren sich in der Flüchtlingspolitik. Hat das auch mit der | |
| DDR zu tun? | |
| Rothe-Beinlich: Ja, ich bin mit tödlichen Grenzen aufgewachsen. Wir haben | |
| Menschen verloren, weil sie auf der Flucht gestorben sind oder weil sie in | |
| den Westen geflohen sind. Mein Mann war als ganz junger Mann als Soldat an | |
| der Grenze eingesetzt. Ich dachte, diese Grenzen hätten wir überwunden. Wie | |
| man auf die Idee kommen kann, Grenzen wieder tödlich zu machen und Europa | |
| zur Festung auszubauen, verstehe ich nicht. Da bin ich dann auch | |
| leidenschaftlich und nehme meiner eigenen Partei übel, wenn sie keine | |
| klaren Worte findet. | |
| taz: Die Grünen haben in der Flüchtlingspolitik viele Prinzipien über Bord | |
| geworfen, inzwischen ist von „Humanität und Ordnung“ die Rede, genau so | |
| formuliert es die CDU. Wie sehr hadern Sie mit Ihrer Partei? | |
| Rothe-Beinlich: Diese Plakate, „Humanität und Ordnung“, würde ich weder | |
| anfassen noch aufhängen. Ich finde, das ist das völlig falsche Narrativ. | |
| Mein Narrativ ist – und das mögen manche platt finden –, dass kein Mensch | |
| illegal ist und dass alle Menschen die gleiche Würde haben. Ich würde mir | |
| so sehr wünschen, dass die Grünen wieder mutiger werden. Natürlich, alle | |
| treten gerade auf uns rum, aber Duckmäusertum hat noch nie geholfen. | |
| taz: Sie haben in Ihrer Mitteilung zu Ihrem Abtritt auch geschrieben: „Ich | |
| kann mich nicht bis zur Unkenntlichkeit verbiegen.“ Bezieht sich das auf | |
| die Flüchtlingspolitik? | |
| Rothe-Beinlich: Das ist sehr grundsätzlich gemeint. Aber ja, es hat auch | |
| viel mit unserem Land zu tun, die Zustände hier in der Erstaufnahme sind | |
| eine Katastrophe. Uns ist es auch als Rot-Rot-Grün nicht gelungen, die | |
| Flüchtlingspolitik wirklich gut aufzustellen. | |
| taz: Dass Sie als Parteilinke mit der eigenen Partei zu kämpfen haben, | |
| wurde 2009 sehr deutlich. Da haben Sie die Grünen als Spitzenkandidatin | |
| zurück in den Landtag geführt, Fraktionschefin sind Sie trotzdem nicht | |
| geworden. Vom [6][Putsch von den Realos um Katrin Göring-Eckardt] war | |
| damals in der taz zu lesen. Wie ist es, wenn man von den eigenen Leuten so | |
| ausgebremst wird? | |
| Rothe-Beinlich: Na ja, schön war das nicht. Ich konnte das erst gar nicht | |
| glauben. Ich hatte im Wahlkampf hunderte Veranstaltungen bestritten, ich | |
| habe mit meinem Mann 1.200 Plakate aufgehängt, wir zwei, ohne Auto, mit | |
| Handwagen. Und das waren nicht diese Wahlplakate von heute, sondern diese | |
| scheiß-schweren Dinger, wo einem das Sägemehl in die Augen rieselt, wenn | |
| man sie an den Mast hängt. Nach dem Sprung in den Landtag wurde mir dann am | |
| zweiten Tag erklärt: Schön, dass wir jetzt drin sind, aber du wirst nicht | |
| Fraktionsvorsitzende. Das ist dann Anja Siegesmund aus dem Bundestagsbüro | |
| von Katrin Göring-Eckardt geworden. Sie war ganz neu und bis dato fast | |
| nicht verankert, aber sie ist machtbewusst da reingesprungen – quasi als | |
| Vertretung für Katrin. | |
| taz: Wie sind Sie damit umgegangen? | |
| Rothe-Beinlich: Das hat mich natürlich getroffen. Ich stand vor der Frage: | |
| Geht es mir jetzt um mich und mach ich durch einen öffentlichen Machtkampf | |
| das kaputt, was wir gerade geschafft haben? Oder füge ich mich und sage: | |
| „Okay, ich mache halt wie in den letzten zehn Jahren weiterhin die Arbeit“? | |
| Ich habe mich für das Arbeiten entschieden. | |
| taz: Warum? Sie müssen doch wütend und verletzt gewesen sein. | |
| Rothe-Beinlich: Ja, aber in gewisser Weise bin ich so eine, die die Arbeit | |
| macht. Da steckt auch protestantisches Arbeitsethos in mir. Ich habe so | |
| dafür gekämpft, dass wir in den Landtag kommen, dass ich dachte: Wenn es | |
| mir jetzt nur darum geht, dass ich Fraktionsvorsitzende werde, dann habe | |
| ich irgendwas nicht verstanden. Ich bin dann Parlamentarische | |
| Geschäftsführerin und Vizepräsidentin des Landtags geworden. Und zu der | |
| Zeit war ich außerdem im Bundesvorstand. Und als uns 2014 die | |
| Koalitionsverhandlungen für Rot-Rot-Grün geglückt sind, war quasi die | |
| Bedingung, dass nur Realos in die Regierungsfunktionen kommen. | |
| taz: Wie das? | |
| Rothe-Beinlich: Das war in der Partei klar. Wir Linken wollten Rot-Rot-Grün | |
| sowieso, und die anderen mussten auf dem Parteitag ja auch zustimmen. | |
| taz: Das muss für Sie doch total bitter gewesen sein. | |
| Rothe-Beinlich: Ministerin zu werden war nicht mein Lebenstraum. Mein Traum | |
| war aber Rot-Rot-Grün – ökologisch, sozial und gerecht, und das wussten | |
| alle. Deswegen habe ich vieles mitgemacht. | |
| taz: War Ihnen klar, dass es für Sie einen weiteren Karrieresprung – etwa | |
| im Bund – nicht geben würde? Haben Sie sich damit abgefunden? | |
| Rothe-Beinlich: Was heißt „abgefunden“? Ich wollte immer gern | |
| Fraktionsvorsitzende werden, und das bin ich jetzt. Bundespolitik an der | |
| Spitze konnte ich mir für mich nie so recht vorstellen. Hier in Thüringen | |
| weiß ich, was ich tue, insofern war das schon der richtige Platz. Und eine | |
| zweite Katrin wollte ich nicht werden. Sie ist 1998 zum ersten Mal in den | |
| Bundestag eingezogen, seitdem geht sie da nicht mehr weg. | |
| taz: Die Realos würden sagen: Mit Leuten wie Ihnen kleben die Grünen in | |
| der Nische. Wenn man Einfluss nehmen will, muss man sich bewegen. | |
| Rothe-Beinlich: Ich habe hier gezeigt, dass ich kompromissfähig bin. Aber | |
| meine Überzeugungen werde ich nicht aufgeben. Manche sind so | |
| wandlungsfähig, so will ich in der Tat nicht werden. | |
| taz: Was kommt für Sie nach der Wahl im September? | |
| Rothe-Beinlich: Das weiß ich noch nicht, und das ist wirklich so. | |
| taz: Das darf man jetzt als Seitenhieb auf Anja Siegesmund verstehen, sie | |
| ist 2022 als Umweltministerin zurückgetreten und inzwischen Präsidentin des | |
| Bundesverbands der Deutschen Entsorgungswirtschaft. | |
| Rothe-Beinlich: Bei der Abfallwirtschaft, herzlich willkommen. Anja hat uns | |
| als Fraktion erst kurz vor ihrer Pressekonferenz informiert und mir und | |
| allen anderen dann gesagt: dass sie noch keinen neuen Job habe. Dass das | |
| nicht so war, wissen wir nun. | |
| taz: Haben Sie Angst, im Herbst in ein Loch zu fallen? Sie haben Ihr halbes | |
| Leben mit sehr viel Arbeit hauptamtlich bei den Grünen verbracht, das ist | |
| dann vorbei. | |
| Rothe-Beinlich: Mal sehen. Ich kann mir gut vorstellen, für NGOs zu | |
| arbeiten, oder ich unterrichte Deutsch, was ich mal studiert habe. Keine | |
| Ahnung. Und dann gibt es ja leider noch diese zweite Option, die keine | |
| werden darf: Wenn wir aus dem Landtag fliegen, dann wickele ich das nächste | |
| halbe Jahr die Fraktion ab. | |
| taz: Vieles deutet auf ein Bündnis von CDU und BSW nach der Wahl hin, wären | |
| die Grünen gegebenenfalls dabei? | |
| Rothe-Beinlich: Demokraten müssen im Gespräch bleiben. Aber die Thüringer | |
| CDU muss sich wirklich überlegen, ob sie komplett in die Populisten-Ecke | |
| abkippt oder noch die Kurve kriegt. Wir bräuchten hier dringend so etwas | |
| wie eine bürgerliche Mitte – dass ich das mal sage, ist auch schon irre. | |
| Aber Mario Voigt, der Spitzenkandidat der CDU, ist total getrieben, der hat | |
| seinen eigenen Laden nicht hinter sich. | |
| taz: Was meinen Sie, steht er zu seiner Aussage, nicht mit der AfD | |
| zusammenzuarbeiten? | |
| Rothe-Beinlich: Da steht überhaupt nichts. Voigt ist ein Karrierist. | |
| taz: Und was sagen Sie zu einer Koalition der Grünen mit dem BSW? | |
| Rothe-Beinlich: Dann wäre es vielleicht besser, wir gehen in die | |
| Opposition. Aber dazu will ich mich eigentlich nicht äußern. Ich habe mir | |
| wirklich vorgenommen, keine alte weiße Frau zu werden, die vermeintlich | |
| alles besser weiß. | |
| 3 Aug 2024 | |
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