# taz.de -- Roma-Denkmal im Berliner Tiergarten: Ein Ort der Stille wird ersch�… | |
> Der geplante Bau einer S-Bahn-Linie unter dem Sinti- und Roma-Denkmal in | |
> Berlin sorgt weiter für Ärger. 50 Einwendungen sind bei der Bahn | |
> eingegangen. | |
Bild: Das Denkmal für die von Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma im… | |
Berlin taz | Fast könnte man den Ort übersehen. Im Schatten des | |
Reichstagsgebäudes in Berlin steht das Mahnmal [1][für die ermordeten Sinti | |
und Roma Europas], in einer äußeren Nische des Tiergartens. Nur eine | |
Handvoll Touristen hat am Donnerstagmittag hier die tägliche Zeremonie | |
mitbekommen: Auf die dreieckige Stele, die in der Mitte eines Wasserbeckens | |
steht, wurde eine frische Wildblume gelegt. | |
Künstler Dani Karavan, der das Mahnmal schuf, wollte diesen Akt als Symbol | |
des „Lebens, der Trauer und der Erinnerung“ verstanden wissen. | |
Betroffeneninitiativen sehen heute diese Erinnerung an dem Mahnmal in | |
Gefahr, [2][weil die Deutsche Bahn hier einen neuen S-Bahn-Tunnel plant]. | |
„Zuversichtlich bin ich nicht“, sagt Romeo Franz telefonisch aus Oświęcim | |
in Polen. Der 57-jährige Generalsekretär der Bundesvereinigung Sinti und | |
Roma hat sechs Angehörige in der NS-Zeit verloren, sein Großonkel wurde in | |
Auschwitz, wie die Stadt in der NS-Zeit hieß, erschossen. Dort, im | |
ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, findet am | |
Freitag eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Völkermords an den Sinti | |
und Roma statt, zu der er angereist ist. | |
Franz kämpft für die Zukunft des Roma-Mahnmals im Berliner Tiergarten, das | |
nach langen Diskussionen vor zehn Jahren eröffnet wurde und nun schon | |
wieder in Gefahr ist. „Die Bedeutung und die Einzigartigkeit des Mahnmals | |
stehen nicht im Vordergrund“, sagt Franz, „das ist sehr traurig.“ | |
Seit Jahren gibt es Streit um den Gedenkort. Die Deutsche Bahn will eine | |
neue Nord-Süd-Verbindung für die S-Bahn bauen, die unterirdisch den | |
Hauptbahnhof mit dem Süden der Stadt verbinden und das Regierungsviertel | |
unterqueren soll. Ein Stück der Trasse soll direkt unter dem Mahnmal | |
verlaufen. | |
In einem offenen Brief, den zuletzt 240 Menschen unterzeichnet hatten, | |
kritisieren Roma-Angehörige und Kulturschaffende, dass der Tunnel nur einen | |
Meter unter der Erinnerungsstätte verlaufen soll. Sie fürchten, dass es | |
durch den künftigen S-Bahn-Verkehr zu Erschütterungen an dem Mahnmal kommen | |
könnte. Außerdem beanstanden sie, dass mehrere Bäume, die das Mahnmal | |
kreisförmig umgeben und zu dem stillen Gedenken an dem Ort beitragen | |
sollen, für das Bauvorhaben gefällt werden müssten. | |
Adressiert ist der offene Brief an das Eisenbahnbundesamt, das über die | |
Zulässigkeit des Bauvorhabens entscheiden muss. Dieser Entscheidungsprozess | |
könnte noch mehrere Monate in Anspruch nehmen, denn die Behörde muss | |
derzeit rund 50 Einwendungen und Stellungnahmen zu dem Bauvorhaben | |
bearbeiten, die an sie herangetragen wurden. | |
## Verkehrssenatorin will alles klären | |
Einer dieser Anträge kommt vom Berliner Senat. Dieser fordert die Deutsche | |
Bahn als Bauherrn auf, ein Konzept vorzulegen, wie sie das Mahnmal während | |
der Baumaßnahmen schützen will und die Gedenkstätte in der Zeit weiter | |
zugänglich bleibt. | |
Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) gab sich zuversichtlich und erklärte, | |
dass man gemeinsam davon ausgehe, kritische Punkte „hinsichtlich der | |
Zugänglichkeit von Gedenkstätten“ noch einvernehmlich klären zu können. | |
Alle „touristisch nachgefragten Bauwerke sowie Denk- und Mahnmale“ im | |
Berliner Tiergarten würden nach Auskunft der Bahn während der gesamten | |
Bauzeit „bestmöglich zugänglich und nutzbar sein“. | |
Doch nicht alle teilen diese Zuversicht. Zu den Kritikern gehören unter | |
anderem die Lagergemeinschaft Dachau, der Bundesverband der Roma und die | |
Bundesvereinigung der Sinti und Roma. Die größte Vereinigung von | |
Betroffenen in Deutschland, der Zentralrat der Sinti und Roma, hält sich | |
dagegen mit Kritik an dem Bauvorhaben zurück. | |
„Wenn die in Auftrag gegebenen Gutachten feststellen, dass durch die | |
Baumaßnahmen keine Schäden am Denkmal entstehen, dann werden wir mit der | |
Bahn und dem Berliner Senat ein abschließendes Gespräch über dieses | |
wichtige Infrastrukturprojekt führen“, erklärte ihr Vorsitzender Romani | |
Rose gegenüber der taz. „Der Zentralrat lehnt eine reine Blockadehaltung | |
ab.“ Die deutschen Sinti und Roma seien Teil der Gesellschaft und des | |
Landes und wendeten sich nicht gegen ein Infrastrukturprojekt, das für die | |
Berlinerinnen und Berliner eine Notwendigkeit sei, so Rose. | |
Die Roma-Selbstorganisation Romatrial, die den offenen Brief aufgesetzt | |
hatte, sieht in dem Bauvorhaben dagegen „ein politisch skandalöses Versagen | |
der politischen Gedenkkultur in Deutschland“. Unterzeichnet haben den | |
Protestbrief unter anderem der Direktor der Stiftung Denkmal für die | |
ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, der ehemalige französische | |
Kulturminister Jack Lang und der Filmregisseur Wim Wenders. | |
„Niemand käme auch nur auf die Idee, das Denkmal für die ermordeten Juden | |
Europas anzurühren“, heißt es in dem Schreiben. „Ganz offenbar wird der | |
Gedenkstätte der Sinti und Roma weniger Respekt entgegengebracht.“ | |
Auch der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, | |
sieht die S-Bahn-Pläne in Berlin mit Skepsis. Das Mahnmal habe für die | |
Minderheit eine „enorme Bedeutung“, sagte er Ende Mai. Eine halbe Million | |
Sinti und Roma seien in der NS-Zeit ermordet worden. Vor diesem Hintergrund | |
hätten die Nachfahren die Gespräche über die geplante S-Bahn-Trasse als | |
„oberflächlich“ empfunden. Bei einem so sensiblen Thema brauche es mehr | |
Transparenz. Er schlug deshalb eine Mediation vor. | |
## Betroffene wollen weiter kämpfen | |
In Deutschland leben schätzungsweise bis zu 150.000 deutsche Sinti und Roma | |
sowie etwa 100.000 zugewanderte Roma, vorwiegend aus Südosteuropa. Ende Mai | |
setzten Bund und Länder eine gemeinsame Kommission ein, um sie vor | |
Diskriminierung zu schützen. Die Melde- und Informationsstelle | |
Antiziganismus (MIA) hatte in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2023 | |
festgestellt, dass sich die Zahl der registrierten antiziganistischen | |
Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr glatt verdoppelt hat. | |
Das Spektrum der gemeldeten Vorfälle reicht von Beleidigungen, | |
Diskriminierung bei der Wohnungssuche, in der Schule oder durch die | |
Polizei. Überzogene Polizeieinsätze machen einen großen Teil der | |
dokumentierten Fälle aus. Viele Polizistinnen und Polizisten glauben, dass | |
Roma und Sinti generell zur Kriminalität neigen, und begegnen selbst Opfern | |
von Gewalt oder Diskriminierung mit dem Verdacht, diese seien selbst daran | |
schuld. | |
Hinzu kommt Gewalt gegen Erinnerungsorte. Ende Mai wurde in Flensburg eine | |
örtliche Gedenkstätte für die 1940 deportierten Sinti und Roma aus der | |
Region beschädigt. Laut Polizei wurde die Stele aus ihrer Verankerung | |
gerissen. Das Fachkommissariat für Staatsschutz nahm Ermittlungen auf, die | |
Empörung war groß. | |
Die Empörung über die Pläne am Berliner Mahnmal halten sich dagegen in | |
Grenzen. „Die Deutsche Bahn und der Berliner Senat werden ihrer | |
Verantwortung nicht gerecht“, sagt Romeo Franz. Die Vorstellung, eine | |
S-Bahn im Minutentakt unter dem Denkmal zu spüren, sei „makaber“, sagt er | |
mit Blick auf die Deportationszüge der Bahn in der NS-Zeit. | |
„Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um zu verhindern, dass das Denkmal | |
so beschädigt wird, wie wir das befürchten, gibt er sich jedoch | |
kämpferisch. Da bleiben wir weiter dran, und die Zahl unserer Mitstreiter | |
steigt. Der Protest nimmt zu.“ | |
1 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
Daniel Bax | |
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