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# taz.de -- Sinti und Roma im Holocaust: Der lange ignorierte Völkermord
> Am Freitag gedenkt Europa bei einem Festakt in Polen des Völkermords an
> den Sinti und Roma vor 80 Jahren. Ihr Schicksal wurde lange ignoriert.
Bild: 4300 Sinti und Roma wurden am 2. August 1944 im NS-Vernichtungslager Ausc…
Warschau taz | Es war in der Nacht des 2. August 1944, als SS-Männer ins
sogenannte Zigeunerfamilienlager mit 32 Baracken stürmten. Aus den Baracken
für einst über 20.000 Sinti und Roma vertrieben sie [1][die letzten 4.300
dort verbliebenen Gefangenen] zu den Gaskammern und ermordeten sie. Im
NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verübten die Deutschen in den
Jahren 1941–1945 gleich zwei Völkermorde – den an den europäischen Juden
und den an den europäischen Sinti und Roma.
An diesem Freitag jährt sich die Auflösung des „Zigeunerlagers“ zum
achtzigsten Mal. Zur Gedenkfeier um 12 Uhr in Birkenau werden Überlebende
und Angehörige der Opfer aus aller Welt erwartet, eine große Delegation des
Zentralrats der deutschen Sinti und Roma sowie des Verbands der Roma in
Polen, außerdem Vertreter von Kirchen, anderen Religionsgemeinschaften und
hochrangige Politiker.
Die Anerkennung des NS-Völkermords an rund 500.000 Sinti und Roma erfolgte
erst 1982 unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Noch in den späten
50er-Jahren war es möglich, dass ein bundesdeutsches Gericht die
Deportation der Sinti und Roma ins Generalgouvernement im deutsch besetzten
Polen als gerechtfertigte Maßnahme „gegen die Zigeunerplage“ beurteilen
konnte. Damit sprach es den rassistisch verfolgten Nazi-Opfern der Sinti
und Roma jede Form der Entschädigung ab. Erst Jahre später hob ein anderes
Gericht dieses Urteil auf.
Doch auch die internationale Anerkennung fehlte lange. Im Jahr 2005 legten
die Vereinten Nationen den Internationalen Holocaust-Gedenktag auf den 27.
Januar fest, den Tag der Befreiung des Konzentrations- und
Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Mit keinem Wort erwähnte die
Erklärung den [2][Porajmos], wie der NS-Völkermord an den Sinti und Roma
auf Romanes heißt. Erst 2015 entschied sich das Europäische Parlament, den
Europäischen Gedenktag für den Holocaust an den Sinti und Roma auf den 2.
August festzulegen. Auch dann noch ignorierten Politiker oft diesen
Gedenktag, als seien Sinti und Roma weniger wichtig als Juden und Polen,
deren Opfergedenktage ganz selbstverständlich in die Terminkalender
aufgenommen wurden.
## Antiziganismus auch heute noch aktuell
Dieses Jahr reisen zum 80. Jahrestag des Porajmos hochrangige
Politikerinnen aus Deutschland nach Oświęcim: [3][Bärbel Bas] und Manuela
Schwesig (beide SPD), die Präsidentinnen von Bundestag und Bundesrat,
werden da sein. Claudia Roth (Grüne), die Kulturstaatsministerin, reiste
bereits am Vorabend des Gedenktags in Polens Kulturmetropole Krakau an und
hörte sich das Oratorium „O Lungo (D)rom“ (Der lange Weg) von Ralf Yusuf
Gawlick an. Am Freitag besichtigt sie mit Bas und Schwesig die
Dauerausstellung zum Völkermord an den Sinti und Roma Europas in Auschwitz
I, dem sogenannten Stammlager. Auf der Gedenkfeier in Birkenau werden Roth
und Bas eine Rede halten.
Dass selbst heute, achtzig Jahre nach dem Völkermord, Sinti und Roma mit
rassistischem Antiziganismus konfrontiert sind und sich gegen alte und neue
Stereotype wehren müssen, wurde zudem am Donnerstag auf der ganztägigen
internationalen Konferenz „‚Mein Zeugnis ist für junge Menschen‘.
Weitergabe der Erinnerung für die Zukunft der Holocaust-Erinnerung und
Bildungsarbeit“ in Krakau thematisiert.
Der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma, der Verband der polnischen
Roma und die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau haben Wissenschaftler aus
aller Welt eingeladen, um sich über die neuesten Forschungen zu Geschichte
und Gegenwart der Sinti und Roma auszutauschen und ihre Ergebnisse einer
breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Eines der wichtigsten Themen wird
der Missbrauch der Sinti- und Roma-Kinder, insbesondere der Zwillinge, zu
medizinischen Versuchen sein. Auch die Dauerausstellung im sogenannten
Stammlager Auschwitz dokumentiert dieses dunkle Kapitel mit zahlreichen
Fotos, die die NS-Mediziner selbst aufgenommen hatten.
1 Aug 2024
## LINKS
[1] /Sinto-ueber-Mord-und-Erinnerung/!6023602
[2] /Porajmos/!t5586647
[3] /Baerbel-Bas/!t5809880
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Auschwitz
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Polen
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Antiziganismus
Verband Deutscher Sinti und Roma
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