| # taz.de -- Bericht zu Antiziganismus: Das Z-Wort ist Alltag | |
| > Die Dokumentationsstelle Antiziganismus hat 210 Vorfälle in 2023 erfasst. | |
| > Sinti und Roma werden in allen Lebenslagen diskriminiert. | |
| Bild: Amaro Foro unterstützt Menschen aus anderen EU-Staaten bei Behördensach… | |
| Antiziganismus und Diskriminierung bleiben in allen Lebensbereichen ein | |
| großes Problem für Sinti und Roma. Das ist die Kernbotschaft der neuen | |
| Dokumentation Antiziganistischer Vorfälle im Jahr 2023, den die | |
| Selbstorganisation Amaro Foro am Dienstag vorgestellt hat. Seit 10 Jahren | |
| sammelt sie in der Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) Meldungen | |
| Betroffener. Im vergangenen Jahr wurden ihr so 210 Vorfälle bekannt. | |
| Insgesamt hat DOSTA seit 2014 genau 1.502 Fälle dokumentiert. Die Zahlen | |
| sind jedoch nicht repräsentativ, da von einem erheblichen Dunkelfeld | |
| auszugehen ist. | |
| Von Beginn an habe sich der „Kontakt mit Leistungsbehörden als der | |
| problematischste Lebensbereich gezeigt“, erklärte Projektleiterin Violeta | |
| Balog – [1][hierzu gab es im vorigen Jahr 48 Meldungen]. Antragsteller, die | |
| Roma und Sinti sind oder dafür gehalten werden, würden vor allem bei der | |
| Bundesagentur für Arbeit diskriminiert, aber auch bei der Familienkasse und | |
| anderen Behörden. Es würden Dokumente angefordert, die bereits eingereicht | |
| wurden oder unnötig seien, oft würden Leistungen schon bei der ersten | |
| Vorsprache versagt. „Häufig kommt es zu unverhältnismäßig langen | |
| Bearbeitungszeiten, was zu existenziellen Problemen führen kann“, sagt | |
| Balog. | |
| Dazu eines der vielen Fallbeispiele aus dem Bericht: Einer Person wird | |
| nicht geglaubt, dass sie sich in einem regulären Arbeitsverhältnis | |
| befindet, der Antrag auf Leistungen (als Aufstocker) wird aufgrund des | |
| angeblichen „Scheinarbeitsvertrages“ abgelehnt. Zusätzlich wird der | |
| digitale Mietvertrag einer großen deutschen Wohnungsbaugesellschaft auch | |
| als gefälscht bewertet. Die Familie bekommt im Eilverfahren beim | |
| Sozialgericht Leistungen zugesprochen. | |
| ## Täter-Opfer-Umkehr | |
| Die zweitmeisten Meldungen betrafen 2023 den Bereich Bildung. Es gebe | |
| Mobbing und Beschimpfungen durch Lehrkräfte, Schulleitungen und | |
| Sozialarbeiter sowie psychische und physische Gewalt, erklärt Balog. | |
| Während solche Erfahrungen dazu führten, dass manchmal die Kinder der | |
| Schule fernbleiben, werde in einer Täter-Opfer-Umkehr nicht selten den | |
| Familien „Schuldistanz“ vorgeworfen. Eltern würden zu Strafzahlungen | |
| verurteilt. In anderen Fällen werde über Monate kein Schulplatz angeboten. | |
| Sogar die rassistische Fremdzuschreibung (das Z-Wort) werde von Lehrern | |
| noch benutzt, „es steht bis heute in manchen Schulbüchern“, berichtet die | |
| Projektleiterin. Überhaupt sei das Z-Wort salonfähiger als je zuvor: „Es | |
| gehört zur Alltagssprache der Mehrheitsgesellschaft.“ Weitere | |
| Lebensbereiche, in denen Sinti und Roma laut der Dokumentation | |
| diskriminiert werden, sind der öffentliche Raum, bei der Sozialen Arbeit, | |
| bei Ordnungsbehörden und Justiz, im Gesundheitswesen und in der | |
| Arbeitswelt. | |
| In einem Rückblick auf 10 Jahre Dokumentationsarbeit fasste | |
| DOSTA-Mitarbeiterin Nina Ferch zahlreiche politische Ereignisse zusammen, | |
| die bis heute gravierende Auswirkungen auf Roma oder als solche gelesene | |
| Menschen haben. So erinnerte sie an die hetzerischen Diskussionen um | |
| „Armutszuwanderung“ und „Sozialmissbrauch“, als 2014 die volle | |
| Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren in Kraft trat – und in | |
| deren Folge die Freizügigkeit kurz darauf schon wieder beschränkt wurde. In | |
| Berlin konzentrierte sich diese Debatte vor allem um die Cuvry-Brache in | |
| Kreuzberg, wo damals viele obdachlose Menschen, darunter auch Roma, lebten. | |
| ## Brandbeschleuniger Pandemie | |
| Als „Brandbeschleuniger“ für Antiziganismus nennt der vorgelegte Bericht | |
| auch Maßnahmen aus den Pandemiejahren 2020 und 2021. Damals wurden in | |
| verschiedenen deutschen Städten ganze Wohnblocks abgeriegelt – und immer | |
| waren es Häuser, die dafür bekannt waren, dass dort viele Roma lebten | |
| beziehungsweise Menschen, die dafür gehalten werden. „Die Kommunikation war | |
| stark antiziganistisch geprägt“, heißt es im Bericht. | |
| Benachteiligt wurden Roma laut Bericht auch, als sie infolge des | |
| Ukraine-Kriegs nach Berlin fliehen mussten. Nicht selten sei ihnen | |
| abgesprochen worden, „richtige“ Flüchtlinge zu sein, am Hauptbahnhof sei | |
| ihnen etwa Hilfe versagt und der Zutritt zum „Willkommenszelt“ verwehrt | |
| worden. „Diesen Diskurs haben wir bereits 2021 in Bezug auf Geflüchtete aus | |
| Moldau beobachtet: Ihnen wird kollektiv eine Roma-Identität zugeschrieben | |
| und statt als schutzbedürftige Menschen werden sie als Bedrohung | |
| dargestellt und wahrgenommen“, heißt es im Bericht. | |
| Als Erfolg wertet Amaro Foro, dass die eigene Pionierarbeit beim Monitoring | |
| von Antiziganismus Fakten geschaffen habe. Inzwischen gibt es auch | |
| bundesweit eine Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA), an der | |
| sich DOSTA als Berliner Landesstelle beteiligt, es gibt einen Beauftragten | |
| der Bundesregierung gegen Antiziganismus und eine unabhängige Kommission | |
| Antiziganismus. „All diese Fortschritte haben den Antiziganismus noch | |
| sichtbarer gemacht, der schon längst in der Mitte der Gesellschaft | |
| angekommen ist, nicht nur in der rechten Szene“, schreibt Violeta Balog im | |
| Vorwort zum vorgelegten Bericht. | |
| Dies sei zugleich sehr besorgniserregend. Auch dass sich nach 10 Jahren | |
| Dokumentations- und Aufklärungsarbeit in Berlin nichts wirklich verbessert | |
| hat, sei frustrierend, gab Balog im Pressegespräch zu. Behördenleiter etwa | |
| würden das Problem häufig immer noch abstreiten. „Unsere Arbeit ist eine | |
| langwierige Sache.“ | |
| 17 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://amaroforo.de/wp-content/uploads/2024/09/Amaro-Foro_10-Jahre-DOSTA-G… | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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