# taz.de -- Aus für Galeries Lafayette in Berlin: Die Friedrichstraße hat fer… | |
> Mit der Schließung des Luxuskaufhauses ist die Wiederbelebung der | |
> Friedrichstraße gescheitert. Viel spannender ist die Entwicklung am | |
> Mehringplatz. | |
Bild: Steht im Regen: Die Friedrichstraße, hier noch mit den Galeries Lafayette | |
Berlin taz | Ein Luxuskaufhaus in der Friedrichstraße? Da waren die Punks | |
nicht weit. [1][„Chaos-Tage“] wurden den Galeries Lafayette zu ihrer | |
Eröffnung im Frühjahr 1996 prophezeit. Kurzerhand sperrte die Polizei die | |
Straße weiträumig ab. Am Ende erwiesen sich die Flugblätter mit der Drohung | |
als autonomer Scherz. Die Chaos-Tage blieben aus. | |
28 Jahre später stellt sich die Frage, ob nicht sogar die linksradikale | |
Szene mit ihrem Fake-Chaos einem unrealistischen Versprechen auf den Leim | |
gegangen ist – die Wiederbelebung der legendären Friedrichstraße als | |
Luxusmeile. Die ist nun endgültig und krachend gescheitert. [2][Am letzten | |
Julitag schließen die Galeries Lafayette] ihre gläsernen Eingangstüren. Die | |
Friedrichstraße hat fertig. | |
Es war ein Niedergang mit Ansage. „Die Friedrichstraße ist auch ein Symbol | |
für das Berlin nach der Wende“, [3][sagte Guido Herrmann vor genau fünf | |
Jahren zur taz]. Herrmann ist Mitglied der Geschäftsleitung des | |
Friedrichstadt-Palasts und war lange Vorsitzender des Vereins „Die Mitte“, | |
in dem sich die Gewerbetreibenden der Friedrichstraße organisiert haben. | |
2019 sagte er noch: „Hier soll die Stadt zusammenwachsen. Und die Galeries | |
Lafayette sind das Synonym für diese neue Friedrichstraße.“ | |
So viel Hoffnung. So viel Pfeifen im Walde. So viele hausgemachte Fehler. | |
Der größte davon, sagt ein Branchenkenner, sei der gewesen, nach der Wende | |
alleine auf Einzelhandel statt auf einen Mix aus Geschäften, Kultur und | |
Gastronomie zu setzen. „Nördlich der Weidendammer Brücke sehen wir, dass | |
dieser Mix funktioniert.“ | |
Zwischen Unter den Linden und Leipziger Straße sei die Friedrichstraße | |
dagegen schon lange tot gewesen. Nicht einmal H&M habe mehr auf den | |
Standort vertraut. Dazu kam die Insolvenz des Luxus-Quartiers im Block 206 | |
zwischen Jägerstraße und Taubenstraße. „Doch das wollte damals keiner | |
sehen“, sagt der Branchenkenner. | |
## Mythos der Weltstadt | |
Wie geht es nun weiter? Um wirklich etwas Neues entstehen zu lassen, heißt | |
es vielleicht loszulassen und Abschied zu nehmen. Abschied von einem großen | |
Namen, der nicht einmal mehr als Marketing-Claim funktioniert hat. Nichts | |
erinnert an der mittleren Friedrichstraße mehr an das, was ihren Spirit in | |
der Kaiserzeit und der Weimarer Republik ausmachte. | |
Damals war die Friedrichstraße neben dem Potsdamer Platz ein Symbol der | |
Weltstadt Berlin. Legendär die [4][Kaisergalerie], die einst vom Boulevard | |
Unter den Linden zur Friedrichstraße, Ecke Behrenstraße führte. Oder die | |
[5][Friedrichstraßenpassage], Ecke Oranienburger. Ein Hauch von Paris und | |
Mailand streifte Berlin damals. | |
Und auch eine Vorstellung von Zukunft in Gestalt des [6][gläsernen | |
Hochhauses von Mies van der Rohe aus dem Jahre 1922] – vielleicht das | |
berühmteste nicht gebaute Gebäude der Architekturgeschichte. Dazu der | |
Bahnhof, die Ikone großstädtischer Mobilität und der Auflösung von Zeit und | |
Raum. Die Varietés, die Restaurants. Die Friedrichstraße war Sinnbild von | |
Tradition und Moderne zugleich. | |
Heute ist sie ein Sinnbild des Scheiterns. Gescheitert der Versuch, die | |
schon zu DDR-Zeiten geplanten [7][Friedrichstadtpassagen zwischen | |
Französischer und Mohrenstraße] durch Abriss und Neubau profitabel zu | |
machen. Dabei wurden sie unter die Erde verbannt, was nie funktioniert hat. | |
Gescheitert auch die städtebauliche Einbindung des Checkpoint Charlie in | |
das Gewerbe der Stadt, ohne die Spuren der Teilung zu verwischen. | |
Gescheitert schließlich der Versuch, die Totgeburt als Fußgängerzone zu | |
reanimieren. | |
## ZLB wäre ein Weiter so | |
Loslassen also, nicht mehr hinschauen, mit Verachtung strafen. Das sollte | |
sich vielleicht auch Kultursenator Joe Chialo (CDU) zu Herzen nehmen. | |
[8][Ein Umzug der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB]) wäre der x-te | |
Versuch der Wiederbelebung. Warum so viel Geld ausgeben, wenn auch dieses | |
Projekt scheitern wird? | |
Besser wäre es, diesen Teil der Friedrichstraße einfach sich selbst zu | |
überlassen. Soll sich das Immobilienkapital dort austoben dürfen und | |
zeigen, welche Stadt es hervorbringt. Das wäre nur konsequent. Dann könnte | |
man auch die Straßenschilder abschrauben und jeden Einzelabschnitt nach dem | |
jeweiligen Investor benennen. Die Investorenstadt müsste sich dann einen | |
anderen Mythos suchen. | |
Ohnehin wird die Friedrichstraße in Zukunft vor allem von ihren Enden her | |
wahrgenommen werden. Nördlich der Weidendammer Brücke ist es ein ähnlicher | |
Investorenmix wie an der mittleren Friedrichstraße, nur dass dieser, wenn | |
auch auf obszöne Art und Weise, funktioniert. | |
Und mit einem anderen Mythos als Treiber. Statt dem verlorenen Glanz der | |
Friedrichstraße verleiht die Erinnerung an den rauen Charme des ehemaligen | |
Kunsthauses Tacheles dem [9][gleichnamigen Stadtquartier] einen satten | |
Mehrwert. Für zehn Millionen Euro ging hier Berlins teuerste | |
Eigentumswohnung über den Tisch – ein Quadratmeterpreis von 40.000 Euro. | |
Als kulturelles Alibi muss das Fotografiemuseum [10][Fotografiska] | |
herhalten. | |
Auch hier kann man getrost wegschauen, selbst wenn [11][Jochen Sandig, | |
Anfang der 1990er Jahre Sprecher des Kunsthauses, sagt: „Ich bin entrüstet | |
und wütend. Man hat die Marke Tacheles einfach übernommen. Ein | |
Namensklau.“] Heute ist Sandig mit Sasha Waltz Betreiber des Radialsystems, | |
er hat die Friedrichstraße also losgelassen, auch wenn das Tacheles nicht | |
ganz unschuldig ist an der Megagentrifizierung an deren nördlichen Ende. | |
Noch zu Sandigs Zeiten war ein Teil der Künstlerinnen und Künstler selbst | |
auf Investorensuche gegangen. | |
Der Norden brummt aber nicht nur wegen des schillernden Namens Tacheles. | |
Das neue Quartier nach den Plänen des Schweizer Architekturbüros Herzog & | |
de Meuron ist auch eingebettet in das urbane Umfeld der Oranienburger und | |
der Spandauer Vorstadt. Eine Ausgehgegend,gut vernetzt mit anderen | |
lebendigen Quartieren. Die vom städtischen Umfeld isolierte mittlere | |
Friedrichstraße dagegen lebte alleine vom Namen und klappte abends ihre | |
Bürgersteige hoch. | |
## Im Süden spielt die Musik | |
Viel wichtiger ist das südliche Ende der Straße. Anders als in der Mitte | |
und im Norden ist die öffentliche Hand im Süden der Friedrichstraße an | |
vielen Stellen involviert. Ohne ein Konzeptverfahren wäre aus dem | |
ehemaligen Blumengroßmarkt nicht das Kreativquartier geworden, das es heute | |
ist. Die taz hat ebenfalls davon profitiert. | |
Auch am Mehringplatz wurde investiert. Sieben Millionen Euro hat die | |
Neugestaltung des Platzes gekostet, die 2022 abgeschlossen wurde. Den | |
weiteren Niedergang des Quartiers hat sie nicht aufhalten können. | |
„Das infernalische Gebrüll der Trinker und haltlosen Jugendlichen begleitet | |
unser aller Nächte wie Eiszapfen in den Ohren“, [12][schrieb die | |
Schriftstellerin und Anwohnerin Manja Präkels] schon 2022. Inzwischen droht | |
die Lage zu eskalieren, obwohl der große Teil der 1.500 Wohnungen von den | |
landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Gewobag und Howoge vermietet wird. | |
Mit dem Neubau von Wohnungen versuchen die Unternehmen inzwischen, gegen | |
den weiteren Niedergang anzubauen. Das kann aber nur gelingen, wenn die | |
soziale Infrastruktur mitwächst. Zuletzt war eher das Gegenteil der Fall. | |
Noch immer konnte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht mit der | |
Sanierung des [13][baufälligen Stadtteilzentrums in der Friedrichstraße 1] | |
beginnen. Es fehlt das Geld. | |
Keine Rolle spielt für das Bezirksamt dagegen ein Plan, der immer wieder | |
diskutiert wird: ein Durchbruch der Friedrichstraße zum Halleschen Tor. | |
Warum ein solches Denkverbot? Warum nicht auch solche Alternativen prüfen? | |
Warum nicht Denkmalschutz und Quartiersentwicklung abwägen? | |
Wäre die Friedrichstraße keine Sackgasse mehr, könnte dereinst doch noch | |
die Zentral- und Landesbibliothek an ihr beheimatet sein: am alten und | |
hoffentlich künftigen Standort am Blücherplatz. | |
31 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!1470852/ | |
[2] https://galerieslafayette.de/ | |
[3] /Berliner-Friedrichstrasse-in-der-Krise/!5607068 | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kaisergalerie | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Kunsthaus_Tacheles | |
[6] https://www.bauhaus.de/de/sammlung/highlights/211_architektur/513 | |
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrichstadt-Passagen | |
[8] https://www.zlb.de/ | |
[9] https://amtacheles.de/ | |
[10] https://berlin.fotografiska.com/de | |
[11] https://www.spiegel.de/kultur/luxusimmobilie-in-berlin-wie-das-tacheles-se… | |
[12] /Suedliche-Friedrichstadt-und-Mehringplatz/!5717253 | |
[13] /Soziale-Infrastruktur-am-Mehringplatz/!6016292 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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