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# taz.de -- Prozess gegen kurdischen Aktivisten: Verfolgter oder Terrorist?
> Seit November steht Kenan Ayaz in Hamburg vor Gericht. Er soll
> Demonstrationen für die PKK organisiert haben. Kann es sich um
> Terrorismus handeln?
Bild: Ungebrochen: der Angeklagte Kenan Ayaz
Das Besucherzimmer in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis ist
stickig und eng. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann in blau-grün
karierten Hemd, mit randloser Brille und lichtem Haar. Die deutschen
Sicherheitsbehörden halten ihn für einen Terroristen. Er selbst sagt: „Ich
habe in meinem Leben keiner Ameise etwas zuleide getan“. Kenan Ayaz, 49
Jahre, Kurde aus der Türkei, sitzt seit 13 Monaten in Hamburg in
Untersuchungshaft. Bei einer Verurteilung drohen ihm viereinhalb Jahre
Haft.
Gewalttaten werden Ayaz, der als anerkannter politischer Flüchtling in
Zypern lebte, nicht vorgeworfen. Die [1][Bundesanwaltschaft hat ihn
angeklagt], weil er an der Organisation von „Propagandaveranstaltungen und
Versammlungen“ wie Demonstrationen und Festivals beteiligt und in
Spendensammlungen eingebunden gewesen sein soll. An sich sind das keine
Rechtsverstöße. Wäre da nicht der Terrorismusparagraf 129b des
Strafgesetzbuches. Weil Ayaz seine Tätigkeiten als verantwortlicher Kader
für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgeübt haben soll, wird das an
sich legale Verhalten zur [2][„Betätigungshandlung“ in einer
terroristischen Vereinigung].
Für die deutschen Sicherheitsbehörden ist die PKK „mit ihren etwa 14.500
Anhängern in Deutschland die [3][mitgliederstärkste terroristische
Vereinigung] auf deutschem Boden“. In Deutschland wurde die Organisation
1993 gesetzlich verboten, in einer Phase, als die PKK türkische
Einrichtungen angriff, Schutzgeld erpresste und man die öffentliche Ordnung
in Deutschland bedroht sah. Auf der europäischen Terrorliste landete sie im
Jahr 2002.
Doch es gibt noch eine andere Erzählung, nämlich die, dass die Gewalt der
PKK eine Reaktion ist auf die [4][Unterdrückung von Kurden in der Türkei].
Dass die PKK sich seit Jahren um Frieden bemüht, während der türkische
Präsident Recep Tayyip Erdoğan die [5][Verhandlungen 2015 zuletzt
abgebrochen hat]. Und vor allem: Dass die PKK in Deutschland schon seit
Mitte der 90er Jahre keinen terroristischen Akt mehr verübt hat. Ist das
Verfahren gegen Kenan Ayaz vor diesem Hintergrund verhältnismäßig, oder
reagiert die deutsche Politik gar auf Wünsche Erdoğans?
## Kein Einzelfall
Sechs schwere Türen aus Eisen und Panzerglas muss man durchschreiten und
mehrere Sicherheitskräfte passieren, um ins Besucherzimmer zu gelangen. Man
wird begleitet von einer Kurdisch-Dolmetscherin und einer Beamtin des LKA,
die in den kommenden 30 Minuten darauf achten wird, dass das Gespräch nicht
auf das Verfahren oder die PKK fällt.
Zur Begrüßung legt Kenan Ayaz seine Hand auf die Scheibe. Ein freundliches
Nicken. „Rojbaş“ – „Rojbaş“ – „Tu çawa ye?“ – „Danke, gu…
lächelt, es gehe ihm gut, sagt er. Besser als in Isolationshaft, wo er die
ersten Monate in Deutschland verbracht habe, erzählt er. „Mörder oder
andere Verbrecher sind nur wenige Tage in Isolationshaft, aber ich als
politischer Gefangener saß dort drei Monate“, sagt Ayaz.
Dass sein Fall für Deutschland von besonderer Bedeutung ist, zeigt seine
Festnahme. Am 15. März 2023 wurde er am Flughafen von Larnaka [6][in Zypern
festgenommen] und inhaftiert, als er auf dem Weg war, seine Familie in
Schweden zu besuchen. Grund dafür war ein Haftbefehl, der Mitte Mai 2022
durch den Generalbundesanwalt beantragt und dann auch vom Bundesgerichtshof
erlassen wurde. Das Gericht ist eine der höchsten juristischen Instanzen in
Deutschland. Ayaz wird behandelt wie ein Staatsfeind.
Der Fall Ayaz ist kein Einzelfall. Nach Informationen der kurdischen
Nachrichten-Plattform ANF wurde Anfang Juni das vermeintliche PKK-Mitglied
[7][Ferit Çelik aus Schweden ausgeliefert]. Die Generalstaatsanwaltschaft
Koblenz bestätigt zumindest dies: Der Beschuldigte eines
Ermittlungsverfahrens sei auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls in
Schweden festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden. Ob es sich
dabei um Çelik handelt, beantwortet die Generalstaatsanwaltschaft nicht und
verweist dabei auf den Datenschutz.
Ein weiterer Fall betrifft Mehmet Çakas. Vor dem Oberlandesgericht Celle
wurde Çakas am 10. April wegen der „mitgliedschaftlichen Beteiligung in
einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK)“ zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Rechtskräftig
ist das Urteil bisher nicht. Am 13. Juni wurde die kurdische
Frauenrechtsaktivistin Gülhatun Kara dem Portal ANF zufolge aufgrund eines
deutschen Auslieferungsgesuchs [8][in Frankreich festgenommen]. Die
Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bestätigt die Festnahme einer
Beschuldigten in Frankreich. Auch hier bleibt aus datenschutzrechtlichen
Gründen unklar, ob es sich um Kara handelt.
## Folter im türkischen Gefängnis
Wie es sich für Kenan Ayaz anfühlt, dass er nach der Verfolgung in der
Türkei nun in Deutschland erneut in Haft sitzt? Ein Lächeln huscht über
sein Gesicht. „Haben Sie sich mit meiner Biografie befasst?“, fragt Ayaz.
Seine Geschichte hat er in einer persönlichen Erklärung vor Gericht
dargelegt.
1975 wurde er im mehrheitlich kurdischen Dorf Halaxe, auf Türkisch Narli,
in der Provinz Mardin als siebtes von acht Kindern in eine kurdische
Familie geboren. Er erinnert sich noch heute an die Verwirrung an seinem
ersten Schultag, als er die Lehrer nicht verstand, weil diese, anders als
die Familie und Nachbarn, [9][türkisch sprachen]. „Es war der erste große
Schock meines Lebens, vielleicht sogar das erste Trauma“, so hat es Ayaz
vor Gericht auf Türkisch zu Protokoll gegeben.
Als er und die anderen Kinder auf dem Schulhof kurdisch sprachen, seien sie
von den Lehrern mit dem Stock grün und blau geschlagen worden, berichtet
Ayaz. Als es Ende der 80er Jahre in der Provinz immer häufiger zu
Zusammenstößen [10][zwischen der PKK und dem türkischen Militär] gekommen
und sein Vater immer wieder willkürlich verhaftet und verhört worden sei,
hätten sich die Eltern entschieden, ihn und seinen jüngeren Bruder auf eine
Schule im Touristenort Alanya zu schicken.
Am 9. September 1993 habe die türkische Polizei ihn zum ersten Mal
gemeinsam mit seinem 13-jährigen Bruder verhaftet. Gewalttaten seien ihm
nicht angelastet worden. Er sei beschuldigt worden, zwei Monate in einem
Bezirkskomitee für die PKK gearbeitet zu haben. Ayaz bestritt das.
Daraufhin [11][sei er gefoltert worden], erzählt er laut ANF vor Gericht.
„Sie haben mir am ganzen Körper Stromschläge verpasst, besonders an den
Händen und Zehen. Sie bespritzten mich mit kaltem Wasser, ich musste mich
nackt auf den feuchten Beton legen. Sie zwangen mich zu Boden und schlugen
mir viele Male auf die Fußsohlen.“
Laut seiner Anwältin Antonia von der Behrens wurde er aufgrund des
erfolterten Geständnisses zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er mehr
als 11 abgesessen habe. 2009 sei er erneut inhaftiert worden, nachdem er
einem kurdischen Freund im Kommunalwahlkampf geholfen habe. Nach einem
halben Jahr wurde er vom Vorwurf, PKK-Mitglied zu sein, freigesprochen und
entlassen.
## Ein politisch motivierter Prozess?
2010 wird er zusammen mit 150 weiteren im sogenannten [12][Hauptverfahren
gegen die KCK], eine Unterorganisation der PKK, angeklagt. Er flieht nach
Zypern, wird dort als politischer Flüchtling anerkannt. In den
darauffolgenden Jahren reist er immer wieder durch Europa, um Freunde und
Familie zu besuchen – und um für die PKK zu arbeiten, wie ihm die deutsche
Staatsanwaltschaft vorwirft.
20 Jahre nach seiner ersten Entlassung steht er nun wieder vor Gericht.
Nicht in der Türkei, sondern in Deutschland. Am 3. November 2023
[13][begann der Prozess] in Hamburg. Die Vorwürfe ähneln denen aus der
Türkei. Die Verteidigung [14][erklärte zum Prozessauftakt] laut ANF:
„Dafür, dass Kurd:innen in Deutschland weiterhin als vermeintliche
Mitglieder der PKK als Terrorist:innen intensiv verfolgt werden, kann
die Erklärung nur lauten, dass diese Strafverfahren zwar nicht im innen-,
aber im außenpolitischen Interesse Deutschlands liegen.“
Es ist ein Vorwurf, der für einen Rechtsstaat kaum schwerer wiegen könnte:
die Unterstellung, die Justiz sei nicht von Gesetzen, sondern von
politischen Interessen gesteuert. Könnte er dennoch stimmen? Um zu
verstehen, warum ein politischer Flüchtling wie Ayaz, der in erster Linie
gewaltlose Proteste mitorganisiert haben soll, mit so viel Aufwand
juristisch verfolgt wird, muss man mehr als 30 Jahre zurückgehen.
Während in der Türkei Anfang der 90er Jahre der Krieg des türkischen
Militärs gegen die PKK eskaliert, [15][Tausende kurdische Dörfer
zwangsgeräumt] und Zehntausende Menschen getötet werden, versucht die PKK,
[16][gewaltsam Aufmerksamkeit für ihre Sache] zu schaffen. Laut
Verfassungsschutz verüben PKK-Aktivisten im Juni 1993 nahezu zeitgleich in
verschiedenen Städten Deutschlands rund 60 Überfälle und Brandanschläge auf
türkische diplomatische Vertretungen, aber auch auf Banken, Reisebüros,
Gaststätten und Vereinslokale.
Dabei wird ein türkischer Staatsbürger getötet, mehrere Personen werden
verletzt. Im Juni 1993 nehmen mutmaßliche PKK-Anhänger im türkischen
Generalkonsulat Geiseln und fordern eine öffentliche Erklärung des
damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl: Er solle die „Kriegshandlungen“ der
türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen. Aufgrund der
Rüstungsexporte betrachtete die PKK Deutschland als „Kriegsgegner Nummer
zwei“. 1993 wird im Zuge dessen ein [17][Betätigungsverbot für die PKK]
ausgesprochen.
## Einstufung der PKK nicht zeitgemäß
Mitte der 90er kommt es zu einer Zäsur. Der damalige [18][PKK-Führer
Abdullah Öcalan] erklärt, dass die Organisation auf deutsche Interessen
Rücksicht nehmen und keine Gewalt auf deutschem Boden mehr anwenden wolle.
Seither hat die Gewalt massiv abgenommen. Taten wie Mord oder Totschlag
finden sich seither nicht mehr in den Berichten des Verfassungsschutz.
Um das PKK-Verbot wird in Deutschland [19][seit Jahren heftig gestritten].
Die Bundestagsfraktion der Linken hatte bereits 2014 eine Aufhebung des
Verbots beantragt: „Angesichts laufender Friedensverhandlungen mit dem
türkischen Staat und der herausragenden Rolle der PKK und ihr nahestehender
Milizen bei der Bekämpfung des terroristischen IS im Irak und Syrien“ sei
die Einstufung der PKK als terroristische Organisation durch die EU
„unzeitgemäß und realpolitisch kontraproduktiv“. Passiert ist seither
nichts.
Laut dem [20][Verfassungsschutzbericht von 2023] nutze die PKK das
Bundesgebiet vor allem, um Großveranstaltungen durchzuführen, Propaganda in
eigener Sache zu machen und neue Anhänger zu rekrutieren. Seit Juni 2013
sind dem Verfassungsschutz 370 Rekrutierungsfälle bekannt. Außerdem soll
die PKK laut Verfassungsschutz 2023 insgesamt 16 bis 17 Millionen Euro bei
ihrer alljährlichen Spendenkampagne gesammelt haben. Diese würden „vor
allem für den Unterhalt der Organisation, aber auch für deren umfangreichen
Propagandaapparat in Europa genutzt.“
Außerdem schreibt der Verfassungsschutz: „Die PKK hat auch weiterhin ein
ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Einem militärischen Auftreten im
türkisch-irakischen bzw. türkisch-syrischen Grenzgebiet steht ein
grundsätzlich friedliches Vorgehen in Deutschland bzw. Europa gegenüber.
(…) Die PKK ist aber nach wie vor in der Lage und bereit, Gewalt zumindest
punktuell auch in Deutschland einzusetzen bzw. Gewalttaten ihrer
jugendlichen Anhänger zu dulden.“
Dabei wende sich die Organisation in erster Linie gegen rechtsextremistisch
beziehungsweise nationalistisch eingestellte Türken wie Anhänger der Grauen
Wölfe, die im Gegensatz zur PKK in Deutschland als Verein bis heute nicht
verboten sind. Dabei geht aus dem Verfassungsschutzbericht nicht hervor, ob
die aufgeführten Angriffe auf staatsnahe türkische Einrichtungen von
mutmaßlichen Kurd:innen tatsächlich von PKK-Gruppierungen geplant und
ausgeführt wurden.
## Erdoğan erfreut über Strafprozess
Keine dieser Taten wird Kenan Ayaz zur Last gelegt. Er wird nicht einmal
direkt damit in Verbindung gebracht. Dass er in Deutschland dennoch
verfolgt wird, ermöglicht Paragraf 129b des Strafgesetzbuchs. Demzufolge
können Mitglieder sogenannter krimineller und terroristischer Vereinigungen
im Ausland auch in Deutschland angeklagt werden, wenn ein Teil ihrer
Aktivität in Deutschland stattfindet oder wenn Täter oder Opfer deutsche
Staatsbürger sind.
Allerdings muss zusätzlich eine [21][„Ermächtigung des Bundesministeriums
der Justiz (BMJ)“] erteilt werden, damit der Generalbundesanwalt die
Ermittlungen aufnehmen darf. Es ist dieser Beisatz, der Ayaz’ Geschichte so
brisant macht. Denn in seinem Fall entscheidet nicht allein die Justiz, ob
strafrechtliche Ermittlungen geführt werden dürfen, sondern auch die
Politik.Erst, wenn das Bundesjustizministerium eine Verfolgungsermächtigung
erteilt, darf ermittelt werden. Diese allgemeine Verfolgungsermächtigung
gegen hochrangige PKK-Kader hat das Justizministerium im Jahr 2011 erstmals
veranlasst und seither nicht widerrufen.
Auch während der Friedensverhandlungen zwischen PKK und Türkei zwischen
2012 und 2015 ging die Verfolgung weiter. Auf Nachfrage der taz schreibt
die Sprecherin des BMJ: „Die Erteilung oder Nichterteilung bzw. eine
Rücknahme oder Beibehaltung unterliegt keiner Begründungspflicht.“ Außerdem
„könnten und dürften in die Entscheidung des BMJ auch außenpolitische
Bedenken und Interessen der Bundesregierung mit einfließen“.
Schon im Jahr 2016, wenige Monate nachdem die EU mit Erdoğan den
sogenannten Flüchtlingsdeal geschlossen hatte, sagte der türkische
Präsident in einem [22][Gespräch mit der ARD], dass er Angela Merkel bei
einem Besuch 4.000 Akten von vermeintlichen Terroristen übermittelt habe.
Merkel habe ihm zugesichert, dass der Justizprozess weitergehe. Während
seines Besuchs in Berlin im November 2023 zeigte er sich lauf FAZ
[23][erfreut über einen Strafprozess] vor dem Oberlandesgericht in Hamburg
gegen einen mutmaßlichen Funktionär der kurdischen PKK; ohne dabei jedoch
explizit Kenan Ayaz Namen zu nennen.
## Was besprach Generalbundesanwalt Frank mit Erdoğan?
„Es müsste sich schon um einen großen Zufall handeln, dass der Haftantrag
gegen meinen Mandaten nach langer Untätigkeit in dem Verfahren nur wenige
Tage vor dem Nato-Gipfel 2022 gestellt worden ist“, sagt Anwältin Antonia
von der Behrens im Gespräch mit der taz. Auf dem Gipfel, bei dem erstmals
offiziell über den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden verhandelt
wurde, hatte Erdoğan insbesondere von Schweden gefordert, seine
Anti-Terror-Gesetzgebung zu verschärfen.
Seither stehen dort etwa das Spendensammeln, die Organisation von
Versammlungsorten, das Kochen oder die Bereitstellung von Transport unter
Strafe, wenn sie der PKK zugute kommen. „Nach erheblichem Druck von Seiten
Erdoğans ist Schweden dieser offenkundigen Einmischung in seine
innerstaatlichen Angelegenheiten im Juni 2023 [24][mit einer sehr
weitgehenden Gesetzesänderung nachgekommen]“, sagt von der Behrens.
Und noch etwas ist am Fall Ayaz merkwürdig: Vom 5. bis 7. Juli 2022, und
damit nur wenige Tage nach dem Nato-Gipfel, traf sich der ehemalige
deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank nicht nur mit dem türkischen
Generalanwalt und dem Präsidenten des türkischen Kassationsgerichtshofs,
einem der höchsten Gerichte der Türkei. Er traf sich auch mit
Staatspräsident Erdoğan. Das ergaben [25][Recherchen der Frankfurter
Rundschau].
Warum dieses Treffen so kurz nach dem Nato-Gipfel stattfand und während der
andauernden außenpolitischen Bemühungen der türkischen Regierung, ein
härteres Vorgehen gegen die PKK zu erreichen, ist nicht bekannt. Von der
Behrens vermutet, dass das Verfahren gegen Kenan Ayaz ein Grund für den
Generalbundesanwalt gewesen sein könnte, um „nicht mit leeren Händen nach
Ankara zu kommen“.
Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft verwies auf Nachfrage der taz auf die
Antworten Franks auf eine kleine Anfrage der Linken im August 2022. Darin
heißt es, in dem Gespräch zwischen Frank und Erdoğan „ging es um die
Aufgaben und die Arbeit der jeweiligen Strafjustiz“. Der Bundesanwalt habe
keine konkreten Strafverfahren mit Erdoğan besprochen und „im Übrigen ist
darauf hinzuweisen, dass sich die Bundesregierung zu Inhalten von
vertraulichen Treffen mit internationalen Gesprächspartnern grundsätzlich
nicht näher äußert“.
## Kritik an Deutschlands Umgang mit der PKK
Manchmal falle es ihm schwer, die Logik zu verstehen, der die deutsche
Politik folge, sagt Kenan Ayaz. Auf der einen Seite stünden die Türkei und
Staatspräsident Erdoğan, die versuchen würden, den „radikalen Islam
weltweit zu stärken“, und die außerdem in der Vergangenheit bereits
[26][islamistische Gruppen in Syrien] unterstützt hätten. Auf der anderen
Seite stünden wiederum die PKK und die kurdischen Kampfeinheiten der YPG in
Syrien, die den [27][Islamischen Staat in Syrien] besiegt hätten und als
einzige Partei in der Region für ein demokratisches System und für Werte
wie Geschlechtergleicheit streiten würden.
Er verstehe nicht, warum Deutschland sich auf die Seite der Türkei schlage
und diese noch immer [28][mit Waffen unterstütze], obwohl das Land immer
wieder Völkerrecht breche. Als Beispiel nennt er den Angriff der türkischen
Armee auf die syrisch-kurdische Stadt [29][Afrin] 2018. „Die türkische
Armee ist mit deutschen Leopard-Panzern in Afrin eingerückt.“ Selbst der
wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags hatte damals in Frage
gestellt, ob die Angriffe der Türkei [30][mit dem Völkerrecht vereinbar
sind].
Gerne würde man mit Kenan Ayaz über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe
sprechen, aber das ist in Anwesenheit der LKA-Beamtin nicht möglich.
Trotzdem wird im Gespräch schnell klar, dass es ihm nicht darum geht, sich
von der PKK zu distanzieren – sondern die Verhältnismäßigkeit Deutschlands
im Umgang mit der PKK in Frage zu stellen.
„Ich würde mir wünschen, dass Deutschland die PKK nicht mehr wie
Terroristen behandelt“, sagt er. Die Beamtin des LKA im Besucherzimmer
greift ein: „Eigentlich müsste ich hier abbrechen.“ Ayaz legt
beschwichtigend die Hand auf die Scheibe: „Sorry, sorry“, sagt er schnell.
Ob er tatsächlich als Kader für die PKK aktiv war? Das lässt sich nicht
klären.
Die Anklage baut laut Anwältin von der Behrens vor allem auf
mitgeschnittene SMS und Telefonate, die Ayaz geschrieben oder geführt haben
soll. Sie hält die Deutung der Bundesanwaltschaft, derzufolge Ayaz als
angeblich hochrangig und konspirativ agierender Kader zugleich unter seinem
Vornamen aufgetreten sein soll, für abwegig.
Am Ende des 30-minütigen Treffens in dem stickigen Zimmer stehen Kenan Ayaz
dicke Schweißperlen auf der Stirn. Gleich wird er wieder für zwei Wochen in
seine Zelle gesperrt, ohne Besuch empfangen zu dürfen. Sein Urteil wird im
August erwartet. Ihm drohen bis zu viereinhalb Jahre Haft. Nur so viel ist
sicher: Von seinen Überzeugungen abbringen wird Kenan Ayaz das Urteil
nicht.
28 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/Pr…
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129b.html
[3] https://goekay-akbulut.de/wp-content/uploads/MF-47-MdB-Akbulut-1.pdf
[4] /PKK-in-Deutschland-und-der-Tuerkei/!5282904
[5] https://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-erklaer…
[6] https://www.akweb.de/bewegung/wenn-tee-trinken-zur-betaetigung-fuer-die-pkk…
[7] https://anfdeutsch.com/frauen/ferit-Celik-wegen-deutschem-haftbefehl-in-sch…
[8] https://anfdeutsch.com/frauen/deutschland-fordert-auslieferung-von-kurdin-a…
[9] /Tag-der-kurdischen-Sprache/!5685945
[10] /Gewalt-in-tuerkischen-Kurdengebieten/!5220242
[11] https://anfdeutsch.com/hintergrund/pkk-prozess-in-hamburg-personliche-erkl…
[12] https://anfdeutsch.com/aktuelles/deckname-kenan-pkk-prozess-in-hamburg-ero…
[13] /PKK-Prozess-in-Hamburg/!5968183
[14] https://anfdeutsch.com/aktuelles/deckname-kenan-pkk-prozess-in-hamburg-ero…
[15] /Kurdischen-Fluechtlingen-droht-Massensterben/!1723745/
[16] /Debatte-PKK-Verbot-in-Deutschland/!5034136
[17] /Verbotene-Kurdische-Arbeiterpartei/!5850309
[18] /PKK-Gruender-Abdullah-Oecalan/!5491509
[19] /Soziologe-ueber-deutsches-PKK-Verbot/!5970077
[20] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/siche…
[21] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129b.html
[22] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-202649.html
[23] https://www.faz.net/aktuell/politik/rueckkehr-in-die-tuerkei-so-sieht-erdo…
[24] /NATO-Beitritt-Schwedens-und-Finnlands/!5900008
[25] https://www.fr.de/politik/tuerkei-peter-frank-erdogan-generalbundesanwalt-…
[26] /Tuerkische-Angriffe-auf-Kurden-in-Syrien/!5929943
[27] /IS-Gefangene-in-Syrien/!5940042
[28] /Deutsche-Ruestungsexporte-in-die-Tuerkei/!5697416
[29] /Kurdisch-verwaltete-Region-in-Syrien/!5827362
[30] https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/militaeroffensive-afrin-tuerke…
## AUTOREN
Bartholomäus von Laffert
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