# taz.de -- Soziologe über deutsches PKK-Verbot: „Vorreiter der Kriminalisie… | |
> Kein anderer EU-Staat geht so hart gegen die kurdische Freiheitsbewegung | |
> vor wie Deutschland. Das sagt auch der Soziologe Alexander | |
> Glasner-Hummel. | |
Bild: Protest in Berlin gegen das Verbot der Arbeiterpartei Kudistans (PKK) im … | |
taz: Vor 30 Jahren verbot Deutschland die kurdische Partei PKK. Welche | |
Folgen hatte das? | |
Alexander Glasner-Hummel: Das PKK-Verbot ist der zentrale Grundpfeiler der | |
Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland. Aus ihm | |
leiten sich ganz unterschiedliche Formen der Repression ab. | |
Welche sind das zum Beispiel? | |
Etwa Strafverfahren wegen Verstößen gegen die Anti-Terror-Paragrafen 129a | |
und b. Zur Begründung wird auf [1][Gefechte der PKK mit dem türkischen | |
Militär] verwiesen, als Beleg dienen meist einfach Presseberichte. In den | |
Verfahren in Deutschland geht es in der Regel darum zu zeigen, dass die | |
Person Mitglied der Struktur ist. Ihr selbst wird keine Beteiligung an | |
Gefechten oder gar Anschlägen vorgeworfen. | |
Aber etwa, Geld für den Kampf zu sammeln. | |
Ja, oft geht es auch um die Spendenkampagne. Aber das sind alles Dinge, die | |
jeder andere Verein tun dürfte. Eine Beteiligung an der Kampagne ist zudem | |
keine Voraussetzung zur Verurteilung. | |
Welche Strafen drohen? | |
Typischerweise steht am Ende [2][eine Haftstrafe von etwa drei Jahren]. | |
Weil es ein Terrorverfahren ist, wird bisweilen Isolationshaft angeordnet. | |
Hinzu kommt, dass danach Freigelassene weiter sehr starken Auflagen | |
ausgesetzt sind. Die machen es teils unmöglich, einer gewöhnlichen Arbeit | |
nachzugehen. Teils dürfen sie den Landkreis nicht verlassen, häufig müssen | |
sie sich mindestens einmal wöchentlich bei der Polizei melden. Und sie | |
dürfen nicht politisch tätig werden. | |
Was bedeutet das? | |
Sie dürfen keine Interviews geben, keine Reden halten, keine politischen | |
Veranstaltungen besuchen. Das schließt sich in der Regel noch Jahre an die | |
Haftstrafe an. Diese Maßnahmen der sogenannten 'Führungsaufsicht’ dienen | |
offiziell der Besserung der Verurteilten. Das ist natürlich Unsinn, wenn | |
diese dadurch faktisch davon abgehalten werden, einer regulären | |
Beschäftigung nachzugehen. Die Repression trifft heute sowohl Kurd:innen | |
mit deutschem Pass als auch solche ohne. Wobei die Auswirkungen am | |
gravierendsten für jene ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind. Denen drohen | |
zusätzlich zur Strafverfolgung auch Abschiebung, Ausweisung oder die | |
Ablehnung von Asylanträgen. | |
Sie klagen über eine Einschränkung der Grundrechte durch das Verbot auch | |
jenseits der Terror-Anklagen. Wie muss man sich das vorstellen? | |
Es gibt über 30 Symbole, die heute als „PKK-Ersatzsymbole“ eingestuft sind. | |
Wer die im öffentlichen Raum zeigt, muss mit zu 1.000 Euro Strafe rechnen. | |
Das Verbot vom Versammlungen wird oft damit begründet, dass etwa | |
PKK-Ersatzsymbole dort gezeigt werden könnten. Es gibt Razzien in Räumen | |
Dutzender Vereine, das beschränkt sich nicht auf kurdische Vereine. Dazu | |
kommen Durchsuchungen privater Wohnungen, da müssen teils Kinder | |
miterleben, wie ihre Zimmer auf der Suche nach verbotenen Dokumenten und | |
Symbolen durchsucht werden. Es gibt Familien, die in der vierten Generation | |
in Deutschland leben, in denen Kinder mit diesen Razzien aufgewachsen sind. | |
Sie fordern ein Ende des Verbots. Was hat sich aus Ihrer Sicht in den | |
vergangenen 30 Jahren so verändert, dass das Verbot heute nicht mehr | |
haltbar ist? | |
Es wurde damals mit fünf Aspekten begründet: Dem Verstoß gegen | |
Strafgesetze, der Gefährdung der inneren Sicherheit, dem Verstoß gegen die | |
öffentliche Ordnung, die PKK handle dem Gedanken der Völkerverständigung | |
zuwider und beeinträchtige ‚sonstige erhebliche Belange der BRD‘ – damit | |
waren die Beziehung zur Türkei gemeint. Was die ersten drei Punkte angeht, | |
gab es 1996/1997 einen scharfen Bruch. | |
Damals verkündete der PKK-Führer Abdullah Öcalan nach einem Treffen mit dem | |
Berliner Innensenator Heinrich Lummer im Fernsehen einen bedingungslosen | |
Gewaltverzicht in Deutschland. Die Diaspora hat sich daran gehalten. Danach | |
nahm die Verfolgungsintensität zeitweise ab. Was die übrigen beiden | |
Verbots-Begründungen angeht: Der zweite scharfe Bruch war hier Anfang der | |
nuller Jahre. Da haben sich die Kurd:innen neue politische Ziele | |
gesteckt, sich neue weltanschauliche Grundlagen gegeben. | |
Der offizielle Verzicht, einen eigenen Staat anzustreben. | |
Seitdem ist es so, dass der größte Teil der kurdischen Freiheitsbewegung | |
gewaltfrei agiert, nur ein kleiner Teil zählt zur PKK-Guerilla, die in | |
Kurdistan agiert und das Recht auf Selbstverteidigung für sich beansprucht. | |
In dem Zusammenhang gibt es weiter Gefechte mit dem türkischen Militär. | |
Auch Europol berichtet, dass die PKK keine Anschläge oder Terrorismus in | |
der EU begeht. | |
Die PKK hat 2022 in Deutschland beantragt, [3][das Verbot aufzuheben]. Wie | |
ist der Stand? | |
Das Bundesinnenministerium (BMI) muss sich zu dem Antrag äußern, hat das | |
meines Wissens nach aber noch nicht getan. Mit Blick auf frühere Äußerungen | |
ist aber eher nicht mit einer neuen Haltung zu rechnen. Von 2013 bis 2015 | |
gab es Forderungen über eine Aufhebung, nachdem die PKK damals | |
Jesid:innen im Nordirak vor einem Genozid gerettet hat. Da hatte sich | |
das BMI auf alte Begründungen bezogen, die Argumentation war nicht | |
grundsätzlich verändert. | |
Seitens der Behörden ist immer wieder zu hören, dass die PKK in Deutschland | |
Kämpfer:innen für den Krieg in Nordsyrien rekrutiert und dies nicht | |
hingenommen werden könne. | |
Das ist eine ziemlich absurde Begründung. Deutschland und die USA hatten | |
sich mit der YPG, den syrischen Kurden, im Kampf gegen den IS verbündet. Es | |
ist erwiesen, dass die YPG von der Bundeswehr Aufklärungsbilder bekommen | |
hat. Grundsätzlich kämpft auch die PKK in der Region gegen den IS. In | |
Nordost-Syrien wird mit Rojava ein basisdemokratisches Projekt aufgebaut, | |
das für die Emanzipation der Frau und für ökologischen Wandel steht. Das | |
sind Werte, mit denen Deutschland sich doch identifizieren können müsste. | |
Deshalb glaube ich auch nicht, dass mit dem Verbot die Rekrutierungen | |
erschwert werden sollen. | |
Sondern? | |
Es geht letztlich um die deutsch-türkischen Beziehungen. Würde das Verbot | |
aufgehoben, würden die Schaden nehmen. | |
Deutschland sollte das in Kauf nehmen? | |
Ja. Deutschland muss in den sauren Apfel beißen. Die Türkei destabilisiert | |
die gesamte Region. Es ist letztlich auch im deutschen Interesse, dass sich | |
etwas ändert. | |
Als Rechtshilfefonds Azadi unterstützen Sie verfolgte Kurd:innen seit | |
vielen Jahren. Haben Sie dabei selber Repression erfahren? | |
Nein. Mit einer Ausnahme: Uns wurde die Gemeinnützigkeit 2014 aberkannt. | |
Aber es geht bei diesem Verbot ja nicht nur um die Kurdistan-Solidarität. | |
Sondern? | |
Wer eine weitere Kriminalisierung sozialer Bewegungen befürchtet, muss sich | |
anschauen, was heute mit denen Kurd:innen gemacht wird. Da werden Dinge | |
erprobt, die woanders Anwendung finden können. So gibt es seit langem etwa | |
Ausreise-Einschränkungen gegen prokurdische Aktivist:innen, die nun auch | |
Aktive der antifaschistischen Bewegung treffen. Auch die Ausweitung der | |
Anwendung des Paragrafen 129 auf die Klima-Bewegung zeigt, dass man | |
zusammen stehen muss, wenn soziale Bewegungen einer Verschärfung der | |
Repression ausgesetzt sind. | |
Wie sieht es in anderen Teilen der EU aus? | |
Deutschland ist der Vorreiter der Kriminalisierung. Die ist hier besonders | |
intensiv. Das hängt mit den deutsch-türkischen Beziehungen zusammen. Hier | |
gibt es den größten Druck auch deshalb, weil in Deutschland die größte | |
kurdische Diaspora weltweit lebt. In Frankreich war es lange so, dass | |
Symbole gezeigt und Versammlungen durchgeführt werden können. Dort | |
beschränkte sich die Verfolgung auf den finanziellen Bereich. | |
In Schweden wurde es lang relativ zahm gehandhabt. Durch den NATO-Beitritt | |
gab es nun starken Druck aus der Türkei und entsprechende Verschärfungen. | |
Eine große Ausnahme ist die Schweiz – dort gibt es keine Kriminalisierung. | |
Sehr interessant ist Belgien. Da gab es lange Zeit Verfolgung, bis das | |
höchste Gericht, der Kassationshof, entschied, [4][dass die PKK keine | |
Terror-Organisation] ist, auch, weil sie in Kurdistan keine Angriffe auf | |
Zivilisten verübt. | |
31 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Tuerkische-Bodenoffensive-gegen-die-PKK/!5849509 | |
[2] /Nach-BGH-Urteil-zur-kurdischen-Partei/!5115306 | |
[3] /Verbotene-Kurdische-Arbeiterpartei/!5850309 | |
[4] https://blogs.taz.de/terrorismusblog/2020/01/29/oberstes-belgisches-gericht… | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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