# taz.de -- Türkische Angriffe in Nordsyrien: Während die Welt abgelenkt ist | |
> Die Türkei hat in den letzten Jahren Teile von Nordsyrien besetzt. Ankara | |
> greift nun im „Anti-Terrorkampf“ gegen Kurden massiv aus der Luft an. | |
Bild: Mitglieder des Zivilschutzes räumen die Trümmer eines beschossenen Haus… | |
ISTANBUL taz | Bei seiner Rede auf einem großen Parteitag der regierenden | |
AKP am Samstag in Ankara hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, | |
man werde „den Terror an der Wurzel ausrotten“. Erdoğan bezog sich auf den | |
Anschlag der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Ankara am Sonntag vor einer | |
Woche. Die Ankündigung Erdoğans legt nahe, dass die Angriffe des türkischen | |
Militärs [1][auf kurdische Stellungen im Nordirak] und Nordsyrien | |
ausgeweitet werden können. | |
Ein Einsatz von Bodentruppen vor allem in Nordsyrien wird nicht mehr | |
ausgeschlossen. Seit sich die [2][PKK am Sonntagabend, 1. Oktober, zu dem | |
Anschlag in Ankara] bekannt hat, begannen als Reaktion darauf türkische | |
Luftangriffe. Zunächst wurden Ziele im Nordirak angegriffen, darunter das | |
Hauptquartier der PKK-Guerilla in den Kandil-Bergen, unweit der Grenze zum | |
Iran. Weder die PKK noch die türkische Armee gaben eine genaue Zahl der | |
Opfer der Luftangriffe im Nordirak an. Ankara behauptete lediglich, | |
dutzende kurdische „Terroristen“ neutralisiert zu haben. | |
Luftangriffe auf tatsächliche oder vermeintliche Stellungen der PKK im | |
Nordirak sind seit mehreren Jahren mehr oder weniger Routine. Die Türkei | |
will damit erreichen, dass die irakischen Kurden unter Barsani und die | |
irakische Regierung in Bagdad die PKK aus ihren Rückzugsgebieten im | |
Nordirak vertreibt. Tatsächlich arbeitet die kurdische Autonomieregierung | |
im Nordirak mehr oder weniger offen mit der Türkei zusammen. | |
## „Anti-Terrorkampf“ mit Luftangriffen in Nordsyrien | |
Nachdem der türkische Außenminister Hakan Fidan dann am Mittwoch in einer | |
Rede auch die Stellungen der Kurden in Nordsyrien zu legitimen Zielen im | |
„Anti-Terrorkampf“ erklärt hatte, begann die türkische Luftwaffe in der | |
Nacht zu Donnerstag auch mit massiven Luftangriffen in Nordsyrien. | |
Angeblich will die Polizei herausgefunden haben, dass die beiden Attentäter | |
aus Nordsyrien in die Türkei gekommen sind. | |
Ziele waren hauptsächlich Stellungen der kurdischen YPG-Miliz rund um die | |
nordöstlich gelegene Stadt Hasaka. Dabei kam es am Donnerstag zu einem | |
Zwischenfall, der zeigt, wie politisch sensibel die Region in Nordsyrien | |
ist. Am Donnerstagmittag schoss ein US-Kampfjet eine bewaffnete türkische | |
Drohne ab, die sich nach US-Angaben bis zu 500 m einem Camp der US-Armee | |
genähert hatte. | |
Die USA und die kurdische YPG-Miliz in Nordsyrien sind seit Jahren | |
Verbündete im Kampf gegen die islamistische Terrororganisation IS. Obwohl | |
die Türkei die YPG als Teil der PKK einstuft und sich die türkische | |
Regierung in Washington immer wieder darüber beschwert hatte, dass der | |
Nato-Verbündete USA in Syrien mit der angeblichen kurdischen Terrortruppe | |
YPG-PKK zusammenarbeiten würde, änderte sich daran nichts. Zwar zog der | |
damalige US-[3][Präsident Donald Trump einen großen Teil der US-Truppen aus | |
Syrien zurück], was der Türkei die Gelegenheit gab, in einen Teil | |
Nordsyriens einzumarschieren, aber nach wie vor sind 900 US-Soldaten vor | |
Ort, die teils Ölquellen schützen und teils die YPG weiterhin gegen den IS | |
unterstützen. | |
Das Pentagon sprach anschließend von einem bedauerlichen Zwischenfall, der | |
US-Kommandeur vor Ort hätte aber korrekt gehandelt. Ein Sprecher der | |
türkischen Armee sagte, man werde sich zukünftig besser koordinieren. | |
## Eine Pufferzone sei das Ziel Erdoğans | |
Die türkische Armee sprach am Samstagabend von 58 getöteten „Terroristen“, | |
die kurdische Miliz dagegen nur von acht getöteten Zivilisten. Erdoğans | |
Ziel ist es seit Langem, entlang der mehrere hundert Kilometer langen | |
Grenze zu Syrien eine Pufferzone einzurichten, aus der die Kurden | |
vertrieben werden sollen und in der anschließend syrische Flüchtlinge aus | |
der Türkei angesiedelt werden sollen. | |
In insgesamt drei Bodenoffensiven hat die türkische Armee in den letzten | |
Jahren bereits Teile von Nordsyrien besetzt. Sollten Erdoğan und die | |
Militärführung die Situation jetzt als günstig einschätzen – eventuell | |
auch, weil die Welt durch den neuerlichen [4][Konflikt zwischen Israel und | |
den Palästinensern abgelenkt] ist – wird es wohl bald eine neue | |
Bodenoffensive in Nordsyrien geben. | |
8 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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