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# taz.de -- PKK-Prozess in Hamburg: Im Sinne Erdoğans
> Der Kurde Kenan A. soll laut Generalstaatsanwaltschaft Mitglied der PKK
> sein. Seine Verteidigerin spricht von einem „originär politischen
> Verfahren“.
Bild: Angeklagter Kenan A. in Hamburg vor Gericht: ein führendes Mitglied der …
Hamburg taz | In Hamburg ist am Freitagmorgen der Staatsschutzprozess gegen
den Kurden Kenan A. gestartet. Er muss sich wegen des Vorwurfs der
Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Paragraf
129 Strafgesetzbuch) vor dem Hamburgischen Oberlandesgerichts verantworten.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, „seit September 2018 als
hauptamtlicher [1][Kader der PKK]“ tätig gewesen sein. A. und seine
Verteidiger:innen halten das Verfahren hingegen für einen politischen
Prozess. „Nicht ich, sondern Erdoğan sollte hier vor Gericht stehen“, sagte
A. mit Blick auf Völkerrechtsverletzungen der Türkei unter Präsident Recep
Tayyip Erdoğan, der seit Jahren auch militärisch gegen die kurdische
Unabhängigkeitsbewegung vorgeht.
Mit Victory-Zeichen und breitem Lächeln betrat der unscheinbar wirkende
Angeklagte am Morgen den Gerichtssaal – unter Applaus vieler
Unterstützer:innen hinter den Glasscheiben, die den Zuschauerbereich
vom restlichen Gerichtssaal trennt. Diese hatten zuvor schon eine
Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude abgehalten und die „Kriminalisierung der
kurdischen Bewegung“ beklagt, wie eine Rednerin kritisierte.
Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft soll der 49-Jährige zwischen September
2018 und Juni 2020 als Mitglied der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) tätig
gewesen sein – als sogenannter Regions- und Gebietsverantwortlicher für die
Region um Hamburg und in Teilen Nordrhein-Westfalens. Er soll sich als
„hauptamtlicher Kader“ um die Rekrutierung von neuen Mitgliedern, um
Spenden und um die Verbreitung von Propaganda gekümmert haben. Die PKK ist
[2][schon seit 30 Jahren in Deutschland verboten.]
## Festnahme auf Zypern
Kenan A. hielt sich indes auf Zypern auf, als er im März aufgrund eines von
der Bundesrepublik beantragten Haftbefehls festgenommen und Anfang Juni
nach Hamburg in Untersuchungshaft ausgeliefert wurde. Der in der Türkei
geborene Kurde lebte dort als von Zypern anerkannter Geflüchteter. So soll
er bereits in den 1990ern in der Türkei festgenommen und gefoltert worden
sein. Wegen eines durch die Folter erpressten Geständnisses, so seine
Verteidigerin Antonia von der Behrens, habe er insgesamt 15 Jahre in
türkischer Haft verbringen müssen. 2010 flüchtete er nach Zypern, nachdem
ein weiterer Prozess gegen ihn angestrengt worden war.
Von der Behrens sieht das von der Bundesstaatsanwaltschaft angestrengte
Verfahren darin begründet, dass das türkische Regime [3][offenbar Druck auf
die Bundesrepublik ausgeübt hat.] Schließlich hatten Ermittler:innen
ihn zwar schon länger unter Beobachtung, doch erst als die Türkei in der
Debatte um die Nato-Beitritte von Schweden und Finnland Forderungen an die
europäischen Nato-Staaten stellte, mehr Druck auf vermeintliche
PKK-Mitglieder auszuüben, forcierten die Ermittler:innen Anklage und
Festnahme. „Der Haftbefehl in dem Moment, in dem Erdoğan Druck machte,
zeigt, dass das ein originär politisches Verfahren ist“, sagte von der
Behrens. „Sonst säße er jetzt nicht hier auf der Anklagebank.“
Die Beweise der Ankläger:innen hält von der Behrens für dürftig. So
baue die Anklage vor allem auf mitgeschnittene SMS und Telefonate, die A.
geschrieben oder geführt haben soll. Für absurd hält sie die Deutung der
Anwaltschaft, dass A. seinen Vornamen als Decknamen in der Kommunikation
genutzt haben soll. Hinzu komme: Während die Generalstaatsanwaltschaft von
der PKK als mordende Terrororganisation spricht, werfe sie A. auch von den
Grundrechten gedecktes Verhalten wie die Organsiation einer Demonstration
vor. „Wir reden hier nicht von Gewalttaten, sondern von der Beschaffung
einer Musikanlage oder davon, einen Veranstaltungsraum zu besorgen“, sagte
von der Behrens.
## Bis zu fünf Jahre Haft
Mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens versuchte die Verteidigung
am Freitag auch das anhaltende Verbot der PKK anzugreifen: Das würde in der
Bundesrepublik willkürlich aufrechterhalten, das OLG um die Vorsitzende
Richterin Petra Wende-Spors solle das prüfen. Mit der zunehmenden
Autokratisierung der Türkei unter Erdogan würden Menschenrechte immer
weniger geachtet – zum Leid der kurdischen Bewegung und der PKK, die sich,
so die Verteidigung, für eine Demokratisierung einsetze. Die PKK verteidige
sich lediglich militärisch [4][gegen türkische Attacken.]
Auch der Angeklagte verwies darauf, dass die Türkei den Schutz der
Menschenwürde, so wie es in Deutschland im Grundgesetz verankert ist,
vielen ihrer Bürger:innen verwehren würde – insbesondere den Kurd:innen.
„Deshalb ist der kurdische Kampf keiner um die Freiheit, sondern um die
Existenz.“
Ob der Angeklagte und seine Verteidiger:innen mit dieser Strategie
Erfolg haben, ist fraglich. Das wussten auch schon A.s
Unterstützer:innen auf der morgendlichen Kundgebung. „Wir rechnen mit
drei bis fünf Jahren Haft“, sagte eine Aktivistin.
14 weitere Verhandlungstage hat das Gericht bis Ende des Jahres angesetzt.
3 Nov 2023
## LINKS
[1] /In-der-Tuerkei-verhaftete-Goettinger/!5965419
[2] /Soziologe-ueber-deutsches-PKK-Verbot/!5970077
[3] /Einigung-vor-dem-Nato-Gipfel/!5946881
[4] /Christopher-Wimmers-Land-der-Utopie/!5961581
## AUTOREN
André Zuschlag
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