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# taz.de -- In der Türkei verhaftete Göttinger: Geschlagen und beleidigt
> Göttinger Frauen berichten von Misshandlungen durch die türkische
> Polizei. Die Teilnehmenden einer internationalen Delegation waren
> verhaftet worden.
Bild: Berichten von Übergriffen der türkischen Polizei: Teilnehmende einer in…
Göttingen taz | Als Yen Le von den Schlägen, dem Bespucken und anderen
Demütigungen durch türkische Polizistinnen und Polizisten berichtet, bricht
sie in Tränen aus. „Wir mussten uns nackt ausziehen“, erzählt die
22-Jährige mit erstickter Stimme. „Wir wurden schikaniert und misshandelt,
wir wurden mittels einer englischsprachigen Übersetzungs-App beleidigt. Sie
haben versucht, uns zu brechen.“
Yen Le ist deutsche Staatsbürgerin und studiert in Göttingen. Sie und zwei
weitere Göttingerinnen waren Mitglieder einer 15-köpfigen
[1][internationalen Delegation, die auf Einladung des Jugendrates der
Grünen Linkspartei YSP die Türkei bereiste].
Diese linkssozialistische Partei steht für einen „ökologischen
Sozialismus“. Sie strebt laut Gründungsdeklaration eine Gesellschaft an,
die sich auf Pluralismus, Freiheit, Ökologie, Gleichberechtigung und
Solidarität gründet.
Auf dem Weg zu einer Pressekonferenz wurden die Gruppe und rund 20
einheimische Begleiter am 12. Oktober mittags in der Stadt Urfa im
türkischen Südosten von der Polizei gestoppt. Die 15 Ausländer:innen
kamen in Haft. Nach einer Odyssee durch insgesamt fünf Polizeistationen und
Abschiebezentren wurden die Göttingerinnen erst am Abend des 14. Oktober
nach Deutschland ausgeflogen.
## Einschüchterungen, Prügel und Schikane
Am Dienstagnachmittag berichteten sie auf einer gut besuchten
Pressekonferenz über ihre Reise und ihre Erfahrungen. Bei der Polizei
mussten die Festgehaltenen ihre Pässe und Handys abgeben, berichtet Yen Le.
Ihre Fingerabdrücke wurden genommen. Sie hätten zunächst nicht auf die
Toilette gehen dürfen und zeitweise keine Möglichkeit gehabt, mit Anwälten,
Angehörigen oder Freunden zu kommunizieren. Um die Gruppe einzuschüchtern,
hätten einige Uniformierte das [2][Handzeichen der rechtsextremen „Grauen
Wölfe“] gemacht. Die verhafteten Frauen mussten mit anhören, wie die Männer
aus der Delegation in Nachbarzellen verprügelt wurden.
Mit Repressionen durch die türkischen Sicherheitskräfte sei die Delegation
bereits zu Beginn ihres Aufenthaltes konfrontiert gewesen, schildert die
ebenfalls betroffene Göttinger Studentin Sarah Krüger. In Istanbul sei
eine pro-kurdische Demonstration von der Polizei zerschlagen worden, noch
bevor sie sich formieren konnte, erzählt die 22-Jährige. 53 von 200
Teilnehmenden wurden demnach verhaftet. Die Delegation selbst sei von
Beginn an vom Geheimdienst „beobachtet und verfolgt“ worden.
Bei der Rückkehr auf dem Hamburger Flughafen nahm sie die Bundespolizei
beiseite. „Wir wurden eine Stunde lang befragt“, sagt Yen Le. „Zu unseren
Kontakten zur YSP und zu unseren politischen Aktivitäten in Göttingen. Die
wollten zum Beispiel wissen, ob wir auf Demonstrationen gehen.“
Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam hat sich die Protokolle dieser
Befragung schicken lassen – und nicht schlecht gestaunt, als er sah, dass
die Bundespolizisten ihre eigenen Namen aus dem Dokument herausgeschnitten
hatten. „Und zwar analog mit der Schere, ziemlich lächerlich.“
In dem Vorgehen der türkischen Polizei gegen die jungen
Internationalist:innen sieht Adam indes einen „eindeutigen Verstoß“
gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser schreibt
ein Folterverbot fest; niemand dürfe „der Folter oder unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung unterworfen werden“.
## Die Betroffenen fühlen sich gestärkt
Der Anwalt sagt: „Wir haben es bei der Türkei [3][nicht mit einem
Rechtsstaat zu tun].“ Die Verhaftung selbst sei offensichtlich ohne
rechtliche Grundlage geschehen. Keine Straftat sei dem vorausgegangen. Die
Sicherheitsbehörden hätten allenfalls annehmen können, dass die Betroffenen
zu einer Bedrohung für die öffentliche Sicherheit werden könnten. „Das
bedeutet: Sie haben nichts getan“, sagt Adam.
Der Anwalt geht denn auch nicht davon aus, dass den Studentinnen noch ein
Gerichtsverfahren droht. Die folgende Befragung in Hamburg belege
allerdings, „dass der deutsche Staat, Hand in Hand mit der Türkei, der
kurdischen Bewegung entgegentritt“. Aus Sicht von Sophie Paulmann von der
Initiative „Women Defend Rojava“ ist ohnehin klar, dass die Verhaftung der
15 Aktivist:innen eng mit den verstärkten Angriffen der türkischen
Armee auf die kurdisch geprägten Gebiete in Nord- und Ostsyrien sowie auf
PKK-Stellungen im Irak zusammenhängt.
Ihre Solidarität für den kurdischen Freiheitskampf wollen die
Göttingerinnen nicht aufgeben. „Der Angriff auf die Delegationsreise und
die teils extreme physische und psychische Gewalt gegen uns als Personen
hatte das Ziel, uns als Gruppe zu schwächen und unseren politischen Willen
und die Solidarität mit allen Frauen und der kurdischen Bevölkerung zu
verdrängen“, sagt Sarah Krüger. Sie fühle sich aber nun „erst recht
gestärkt – mit einem tiefen Vertrauen in kollektiv verwaltete Strukturen,
starke Ablehnung gegenüber feudalen, sexistischen und faschistischen
Staaten und neuer Hoffnung auf ein besseres Leben durch die Befreiung der
Frauen.“
Vor der Abschiebung hatte sich die Göttinger Gruppe von „Defend Kurdistan“
mit einem offenen Brief an die örtlichen Bundestagsabgeordneten gewandt.
Die Parlamentarier werden darin zu einer Stellungnahme zur türkischen
Aggression gegen die Kurdengebiete aufgefordert. Antworten habe man bislang
von keinem der Angeschriebenen erhalten, sagt Yen Le. Immerhin aber sei der
Initiative vom Auswärtigen Amt ein Gespräch in Aussicht gestellt worden.
25 Oct 2023
## LINKS
[1] /Pro-kurdische-Aktivisten-in-Haft/!5966291
[2] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5825751
[3] /Tuerkische-Angriffe-in-Nordsyrien/!5962264
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Türkei
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